Design für Alchemy
Es kommt nicht allzu oft vor, das wir ein neues Magic-Format herausbringen. Als leitender Designer für das Ergänzungsset Alchemy: Innistrad habe ich mich noch mehr gefreut, dazu beitragen zu können, denn meine Aufgabe war es, ausschließlich digital verfügbare Karten in einem neuen, bisher weitgehend ungenutzten Designraum zu kreieren. Wie soll digitales Kartendesign in Magic aussehen? Wie können wir Aspekte des Magic-Erlebnisses verbessern, wenn wir uns um bestimmte Einschränkungen physischer Karten nicht kümmern müssen? Wie können wir das mit Mechaniken und einzelnen Kartendesigns am besten bewerkstelligen? Welche wunderbaren Karten können wir für MTG Arena designen, die wir in gedruckter Form nicht machen könnten? Und wie machen wir das alles auf eine Art und Weise, die dem Kern von Magic treu bleibt?
In vielerlei Hinsicht steht hinter Alchemy das Ziel, ein Format bereitzustellen, dass sich zu jeder Zeit neu und dynamisch anfühlt. Dies wollen wir auf ein paar unterschiedliche Arten erreichen. Zum einen werden wir häufiger als bei Tabletop-Formaten Kurskorrekturen in Form von Balanceanpassungen bei Karten vornehmen. Diese Änderungen sind digital leichter zu bewerkstelligen und zu kommunizieren. Wir wollen vermeiden, dass wir in Zukunft Karten komplett bannen müssen. Außerdem werden wir zwischen unseren großen Releases neue Inhalte veröffentlichen. Diese werden für Spieler Neues bieten, da sie den rein digitalen Gestaltungsraum ausschöpfen werden. Dazu kommt, dass wir uns ganz bewusst dazu entschieden haben, Alchemy vom Standard-Metagame und dem Metagame von anderen Formaten abweichen zu lassen, um ein alternatives Spielerlebnis zu bieten.
Wie können unsere Mechaniken ein dynamisches Format unterstützen?
Nach unseren ersten Erkundungen im digitalen Design mit Jumpstart: Historic Horizons war noch viel unerschlossenes Design-Terrain übrig. Mit Dauerhaft, Beschwören und Stöbern gab es jede Menge auszuprobieren. Darüber hinaus fand ich eine Mechanik interessant, die für Abwechslung von Partie zu Partie sorgen würde. Welche Möglichkeiten könnten wir ausschöpfen, das Verhalten von Karten von Partie zu Partie unterschiedlich zu machen, nicht bloß durch Interaktionen mit anderen Karten im Deck? Wie könnten wir mehr Karten aus der Geschichte von Magic ins Spiel bringen?
Das Ergebnis ist kein völliges Neuland, wenn man andere digitale Sammelkartenspiel-Designs kennt, aber bei uns gibt es eine Besonderheit. Ich wollte erreichen, dass Spieler innerhalb der aktuellen Partie Karten draften können. Und dass sich die Draft-Optionen in jeder Partie ändern. Eine Innovation bestand hier darin, den Pool der zur Auswahl stehenden Karten genauer zu definieren.
Daraus entstand der Zaubervorrat als mechanisches Konzept. Jede Karte mit der „drafte aus dem Zaubervorrat“-Mechanik würde fünfzehn Karten erhalten, die alle zum Thema der Karte passten. Eine Hexe hätte beispielsweise einen Zaubervorrat mit einer Fledermaus, einer schwarzen Katze, Flüchen, einem Besen und anderen stimmungsvollen Karten. Gleichzeitig gibt es einen Angler, der alle möglichen Meereskreaturen aus den Tiefen des Ozeans fischt. Ihr erhaltet immer drei Karten präsentiert, unter denen ihr wählen könnt. Glücklicherweise hatten wir jede Menge Auswahl aus vergangenen Sets, sodass wir auch einen Schuss Nostalgie hineinbringen konnten. Außerdem haben wir Karten ausgesucht, die unterhaltsam waren, aber alleine nicht unbedingt stark genug, um im kompetitiven Constructed dominieren zu können.
Hier war es unser Ziel, bedeutsame Wahlmöglichkeiten zu bieten, solche, die sich je nach Situation ändern und dadurch das Spielvergnügen erhöhen. Ziel war nicht, mehr Zufälligkeit ins Spiel zu bringen, auch wenn ein gewisser Grad an Zufälligkeit nötig war, um das abwechslungsreiche Gameplay zu ermöglichen. Dank der Möglichkeit, den Zaubervorrat mit fünfzehn Karten aus einer Vielzahl von Optionen zusammenzustellen, können wir Spielern eine zufriedenstellende Auswahl bieten.
Ähnlich verhält es sich bei einigen anderen Mechaniken wie Stöbern. Auch hier galt es, auf Kartendesigns zu setzen, die zu einem abwechslungsreichen und dynamischen Spielerlebnis beitragen würden, von Partie zu Partie ein wenig anders. Bei Designs mit Mechaniken wie Stöbern läuft man Gefahr, dass Partien repetitiv werden können, wenn man die Auswahlmöglichkeiten zu stark einschränken kann und dadurch das Stöber-Ergebnis vorhersehbar wird. Daher habe ich beim Designprozess darauf geachtet, dass unsere Stöbern-Karten genügend Abwechslung beim Stöbern haben. Außerdem habe ich nach Möglichkeiten gesucht, Deckbau-Anreize zu schaffen, also Spieler zu motivieren, zusätzliche Karten aufzunehmen, die man sonst nicht spielen würde, um Stöbern-Bedingungen zu erfüllen. Auch hier habe ich gehofft, dass dies für ein abwechslungsreicheres Gameplay sorgen würde.
Eine neue Perspektive für bekannte Herausforderungen
Welche allgemeinen Gameplay-Probleme gibt es in Magic und wie kann der digitale Designraum helfen, sie zu lösen?
In vielen Formaten, besonders solchen, in denen Aggro-Decks im Metagame eine große Rolle spielen, kann es einen unerwünscht großen Unterschied machen, welcher Spieler beginnt. Im digitalen Magic ist es sehr einfach möglich, in Erinnerung zu haben, welcher Spieler zuerst gespielt und welcher zuerst gezogen hat. Ich hatte nicht das Gefühl, dass dieser Faktor Einfluss auf sehr viele Kartendesigns haben würde. Am ehesten geeignet schien uns der Kartentyp Land, und daraus entsprang ein neues Design.
Ich freue mich bereits auf neue Erkenntnisse in diesem Bereich, auch wenn neue Design für mehrfarbige Decks gedacht ist, bei denen dieses Problem weniger ausgeprägt ist. Wahrscheinlich wird dies nicht das letzte Experiment in diesem Bereich bleiben. Wie bei einigen anderen Designs des ersten Alchemy-Sets wäre es nicht gänzlich undenkbar, diese Mechanik auch in gedruckter Form umzusetzen, aber für Tabletop gibt es Bedenken, da sich daraus ein erhöhter „Buchhaltungsaufwand“ ergibt. Alle Entscheidungen müssen schließlich notiert und laufend berücksichtigt werden, was digital wesentlich einfacher ist.
Ein weiteres Gameplay-Problem, mit dem wir uns befasst haben, war die nutzbringende Verwendung von „toten“ oder schwachen Karten in der ersten Partie eines Matches. Unter einer toten Karte verstehe ich eine Karte, die in einem bestimmten Match gegen das feindliche Deck wenig bis gar keinen Nutzen hat. Ein Beispiel wäre ein Kreaturenzerstörungszauber in einer Partie gegen ein Deck ohne Kreaturen. Besonders in Best-of-One-Matches kann es frustrierend sein, Karten zu ziehen, die auf das Match keinen Einfluss haben. Erfolgreiche Decks im Metagame tendieren dazu, für ihre Gegner möglichst viele tote Karten zu erzeugen. Wir haben ein paar Karten designt, die den digitalen Designraum nutzen, um hier Abhilfe zu schaffen, indem sie alle Kopien einer bestimmten toten Karte in eine nützlichere Karte umwandeln.
Problematisch sind auch Decks mit rasanter Mana-Beschleunigung. Ein weiteres rein digitales Design berücksichtigt, in welchem Zug sich die Partie befindet, als Sicherheitsmaßnahme gegen Mana-Rampe.
Was ist rein digitales Design?
Beim Design des Ergänzungssets Alchemy: Innistrad haben wir uns anfangs das Ziel gesetzt, die rein digitalen Karten so zu gestalten, dass Spieler sie auch eindeutig als rein digital wahrnehmen würden, also dass wir sie vermutlich niemals in gedruckter Form veröffentlichen würden. Manchmal, weil sonst zu viel nervige Notizen nötig wären, in anderen Fällen, weil sie in einem physischen Deck schlicht und ergreifend nicht umsetzbar wären. Generell wollten wir damit mögliche Enttäuschungen vermeiden, für den Fall, dass wir eine Karte für Arena designen, die ihr euch auch für Tabletop-Magic wünschen würdet.
Andererseits... in der Vergangenheit hatten wir auf gedruckten Karten bereits mehrfach Mechaniken, von denen man sagen könnte, dass sie für Tabletop zu kompliziert sind. Als leitender Designer für das Set Ikoria: Reich der Behemoths habe ich beispielsweise jede Menge Feedback bekommen, dass viele Karten und Mechaniken für das digitale Spiel besser geeignet sind als für das Tabletop. Ein weiteres Beispiel aus der Geschichte von Magic sind doppelseitige Karten, die sich für den digitalen Raum geradezu aufdrängen, aber inzwischen ganz selbstverständlich zum Tabletop-Spiel gehören. Mit diesen Beispielen möchte ich hauptsächlich sagen, dass die Grenzen zwischen digitalen und Tabletop-Designs etwas Subjektives hat.
Unter diesen ersten, ausschließlich digitalen Karten sind einige, die möglicherweise auch in geduckter Form funktionieren würden. Sollte eine der neuen Mechaniken auf Arena besondere Begeisterung hervorrufen, würden wir wahrscheinlich in Erwägung ziehen, sie auch auf gedruckten Karten zu verwenden, soweit dies praktikabel ist. Ich wollte nicht mit allen unseren neuen Designs zu weit ans digitale Ende des Spektrums gehen, auch um zu vermeiden, dass sich das Spielerlebnis zu fremd anfühlen könnte, wenn alles auf einmal zu neu und zu anders wäre.
Warum Karten mit Themen aus dem letzten Jahr?
In Zukunft planen wir, mit jedem Set auch Alchemy-Inhalte zu veröffentlichen. Würden wir jedoch beim Launch der neuen Mechaniken ausschließlich Karten mit Innistrad-Themen veröffentlichen, würden sie die Sets aus dem Vorjahr in den Schatten stellen, was die Format-Vielfalt beeinträchtigen würde, wenn Spieler nur noch Mechaniken und Kreaturentypen aus Innistrad: Mitternachtsjagd und Innistrad: Blutroter Bund verwenden würden.
Zum Launch haben wir daher beschlossen, auch etwas Unterstützung für die Themen des Vorjahres einzubeziehen, wenn auch in reduziertem Ausmaß. Die Designs für den Launch sind daher eher offen gehalten und nicht zu stark an die Themen aus Innistrad gebunden. Daher passen viele Karten auch zu den Themen aus dem Vorjahr, und ich freue mich, dass diese Welten auch etwas von der digitalen Liebe abbekommen haben.
Ein Lernprozess
Wir werden noch viel dazulernen, während wir dieses Format aufbauen und Best Practices für das Design entwickeln. Ich bin stolz auf das, was wir zum Launch anbieten können und was wir für zukünftige Sets geplant haben. Wir freuen uns schon sehr darauf, zu hören, was euch gefällt und was nicht, und neue Möglichkeiten für jene Spieler zu entdecken, die das Potenzial des neuen Formats erkennen.
Viel Spaß mit den neuen Karten und vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!
Dave Humpherys