Das Draften des Sideboards
Wenn ihr „Sideboard“ hört, denkt ihr sicherlich als Erstes an Decks aus 60 Karten. An die späten Abendstunden, in denen ihr sorgfältig diese fünfzehn Karten sortiert, die ihr zwischen den Partien austauschen könnt. An die vielen Fehlschläge, die sie verursachen – oder verhindern – können.
Es gibt noch eine andere Art des Sideboardens. Eine, die wesentlich weniger Aufmerksamkeit bekommt, aber genauso entscheidend sein kann.
Und das ist das Sideboarden im Limited.
Alles in eurem Pool, was ihr beim Boosterdraft oder Sealed-Deck nicht in euer Deck nehmt, ist euer Sideboard. Das bedeutet, dass ihr zwischen zwei Partien stets eine ganze Menge Optionen habt!
Im Sealed ist das einfach die Gesamtheit all eurer anderen Karten. Im Draft müsst ihr dieses Sideboard allerdings selbst zusammenstellen. Nicht ganz unähnlich dem Bau eines Sideboards fürs Constructed müsst ihr euch während des Drafts aussuchen, was ihr hineinnehmen wollt.
Und das wollen wir uns heute genauer ansehen.
Die Wahl des Sideboards
Ihr sitzt in einem Draft. Ihr öffnet euren Booster. Darin findet ihr eine sehr ungewöhnliche Karte: einen Mord, der aber nur in einer eurer drei Partien funktioniert.
Wie stark ist diese Karte?
Mord ist eine Karte, die ihr immer spielen wollt. Ihr hättet in der Partie, in der sie funktioniert, gern Zugriff darauf – sie wäre eine tolle Verbesserung für euer Deck. Aber natürlich wollt ihr sie nicht unbedingt in euer Hauptdeck tun, denn in zwei von drei Partien ist sie einfach eine tote Karte.
Und hier kommt das Sideboard ins Spiel.
Dieses Szenario mag ein bisschen konstruiert und albern wirken – so einen Regeltext würden wir nie veröffentlichen –, aber dieser grundsätzlichen Situation steht ihr im Draft immer wieder gegenüber.
Lasst es mich anders ausdrücken. Ihr draftet ein Hauptset und seid beim dritten Booster. Euer grün-weißes Deck ist so gut wie fertig. Und ihr habt die Wahl zwischen einem Mächtigen Sprung und einem Absturz.
Der Mächtige Sprung ist eine Karte, die ich gelegentlich spiele. Sie ist ein netter Trick und kann einiges an Schaden durchbringen. Sie ist völlig in Ordnung.
Der Absturz hingegen ist eine Karte, die ich normalerweise im Draft nicht ins Hauptdeck nehme. Sie ist situativ und nur in bestimmten Paarungen gut. Gegen rot-grüne Decks beispielsweise könnt ihr sie nicht gebrauchen. In den Paarungen, in denen sie gut ist – gegen Weiß-Blau beispielsweise –, ist sie dafür richtig gut. Sie ist ein Mord für zwei Mana!
Es hängt natürlich von der genauen Situation ab, doch ich würde den Absturz sicher ziemlich oft nehmen.
Wenn euer Deck in ziemlich guter Verfassung ist und ihr jede Menge Optionen habt, ist der Mächtige Sprung bestenfalls eine kleine Verbesserung gegenüber einer anderen Karte in eurem Hauptdeck. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass ihr ihn zwar nehmt, aber gar nicht spielt, weil ihr genug andere spielbare Karten habt.
Wenn ihr den besten Magic-Spielern zuseht, werdet ihr bemerken, dass sie sich sehr viel stärker als andere Leute auf ihre Sideboardkarten konzentrieren. Sie draften nicht nur ein Deck, sondern auch das Sideboard.
Wenn ihr beim zweiten oder dritten Booster angekommen seid und euer Deck langsam Gestalt annimmt, ist es in der Regel besser, eine starke Sideboardkarte zu nehmen als eine mittelmäßige „normale“ Karte, die ihr vielleicht nicht einmal spielt.
Sideboardmaterial
Nach welcher Art von Karten solltet ihr denn nun aber die Augen aufhalten, wenn ihr beim Draften euer Sideboard auffüllt?
Nun, kurzum nach allen, die situativ sehr stark sind, die ihr aber nicht im Hauptdeck haben wollt. Oftmals handelt es sich dabei um situative Entfernungszauber.
Naturalisieren-Effekte sind immer etwas, worauf ich gern Zugriff habe, wenn es irgendwie möglich ist.
Amonkhet ist dank Umwandlung ein etwas zahmeres Set, wenn es darum geht, Sideboardkarten auch ins Hauptdeck zu nehmen. Doch selbst wenn die Abkehr vom Weltlichen es nicht in euer Hauptdeck schafft, so habe ich doch immer gern ein Exemplar davon im Sideboard, um es gegen die starken Artefakte und Verzauberungen der Welt ins Feld führen zu können.
Auch Effekte, die fliegende Kreaturen treffen, gehören fest in diese Kategorie.
Das Geräusch, das der Drache eures Gegners macht, wenn ein Absturz ihn zu Boden krachen lässt, ist ziemlich befriedigend.
Eine weitere große Kategorie sind Hasskarten gegen bestimmte Farben. Ein Teil des Grundes, aus dem heraus ich diesen Artikel überhaupt schreiben wollte, sind die fünf großen Niederlagen in Stunde der Vernichtung.
Im Limited könnt ihr den Hass gegen die Charaktere weitestgehend ignorieren. (Falls ihr es jedoch schafft, im Draft Lilianas Niederlage gegen Liliana einzusetzen, habt ihr euch zehn Gavinpunkte verdient.) Der Farbhass ist allerdings das eigentlich Interessante.
Ich schätze, dass diese Karten in vielen Drafts erst spät gezogen werden – und zu lernen, dass man sie lieber früher mitnehmen sollte, wird eine Weile dauern. Einen Entfernungszauber gegen den anderen schwarzen Magier am Tisch zu haben, ist eine enorme Verbesserung eures Decks!
Zugegeben, wenn ihr eine Farbe habt, dann heißt das, dass wahrscheinlich nur ein oder zwei andere Spieler dieselbe Farbe spielen, doch es lohnt sich dennoch, eine Karte dagegen zu haben. Ich würde Lilianas Niederlage einer Menge anderer Karten für mein schwarzes Deck vorziehen, denn in einem Spiegelspiel ist sie wirklich stark. (Ich will definitiv nicht, dass der andere schwarzspielende Spieler sie bekommt!)
Lasst die Niederlagen nicht an euch vorübergehen, wenn ihr an diesem Wochenende draftet. Sie können ziemlich mächtig sein.
Das Sideboard für Paarungen
Natürlich sind dies nur einige der „offensichtlichen“ Sideboard-Karten. Sie sind stark gegen eine bestimmte Klasse von Karten, und der Text macht das auch ziemlich deutlich.
Ein weiteres großes Thema hinsichtlich des Sideboards im Limited befasst sich mit den verschiedenen Paarungen. Ihr nehmt vielleicht Karten, die nicht wirklich nach Sideboardkarten aussehen, die euch aber dennoch helfen, euch besser zu positionieren.
Sagen wir beispielsweise, dass ihr gegen ein sehr schnelles, aggressives Deck spielt. Ihr selbst habt ein langsameres Deck. Hier wollt ihr vielleicht eure billigeren Kreaturen dazunehmen, um abtauschen zu können. Selbst eine 2/1-Vanilla-Kreatur ist in Ordnung, denn sie kann mit der Zwei-Mana-Kreatur des Gegners abtauschen – und das wollt ihr ja schließlich. Verteidiger (oder Karten mit wenig Stärke und hoher Widerstandskraft) sind in diesen Paarungen ebenfalls toll.
Entsprechend werde ich, wenn mein Gegner ein langsameres und mehr auf Kontrolle bedachtes Draftdeck spielt, liebend gern Zauber spielen, die mir zu einem Kartenvorteil verhelfen. Gedankenzersetzung beispielsweise wird an den meisten Punkten in der Partie sehr solide gegen Kontrolldecks funktionieren und dabei helfen, deren Ressourcen zu binden. Mehr große Kreaturen sind ebenfalls etwas, was ihr gern in der Hinterhand haben wollt, wenn die Partie länger zu dauern droht. Gegenzauber können dabei helfen, die Karten, um die herum der Gegner sein Deck gebaut hat, in Schach zu halten.
Und dann gibt es natürlich noch Möglichkeiten, den Versuch zu unternehmen, Antworten auf bestimmte Karten zu finden.
Vielleicht hat euer Gegner ein Deck voller Zwangspausen. Hier ist zwar die Abkehr vom Weltlichen eine offensichtliche Antwort, aber auch Zauber, die Karten zurück auf die Hand schicken, sind prima, um die eigenen Kreaturen zurückzuholen.
Den Möglichkeiten, das Sideboard so zusammenzustellen, dass es dem Gegner überlegen ist, sind keine Grenzen gesetzt. Entfernungszauber, die einen Punkt Schaden machen, Negieren, Kreaturen mit Reichweite und noch vieles mehr können hier helfen. Achtet sehr genau auf die Art von Deck, das euer Gegner spielt, und sideboardet dann entsprechend – und versucht dazu, eine große Bandbreite starker Sideboardkarten zu draften, um tatsächlich Optionen zu haben, diese Einwechslungen möglich zu machen.
Draftet eure Niederlagen
Wenn am Wochenende Stunde der Vernichtung erscheint, ist der Zeitpunkt genau richtig, um einen Laden in eurer Nähe aufzusuchen, an einem Draft teilzunehmen und einiges von dem, was wir heute besprochen haben, in die Tat umzusetzen. Es gibt wenig Befriedigenderes, als im Limited eine Karte einzuwechseln und wegen dieser die Partie zu gewinnen.
Und haltet unbedingt die Augen nach diesen Niederlagen offen! Bolas befiehlt es!
Habt ihr weitere Gedanken, Fragen, Anmerkungen oder Kommentare oder wollt ihr mich nur wissen lassen, wie ihr euren Gegner durchs Sideboard total ausmanövriert habt? Dann schreibt mir doch auf Twitter, Tumblr oder per E-Mail (bitte auf Englisch) an BeyondBasicsMagic@gmail.com.
Nächste Woche bin ich wieder da. Wir sehen uns dann – und bis dahin viel Spaß beim Draften!