Vor langer Zeit geriet ein Goblin namens Kiki-Jiki auf der Welt Kamigawa in eine Zwickmühle ...

Diese Geschichte erschien ursprünglich 2004 als eines der Legendenportraits aus dem Kamigawa-Block.


„Du Kreatur hast mir eine Menge Scherereien bereitet.“ Meloku ging ruhelos im Kreis in dem luftigen Zimmer umher. Seine Füße zogen dabei die Wirbel aus rauchiger Jade nach, die den Boden wie ein Spinnennetz bedeckten. Mit langen, zierlichen Fingern rieb er sich die Schläfen. Als Botschafter der Soratami hatte er schon vielen Verhören beigewohnt: Schließlich brauchte man Wissen, um kluge Entscheidungen zu treffen. Doch nur wenige Verhöre waren je so ... verwirrend ... gewesen. Er erwartete ja von diesen Landbewohnern wenig mehr als Diebstahl und andere kleine Gaunereien, aber hier? In seinen eigenen Gemächern? Diese Unverfrorenheit war mehr als ein persönlicher Affront. Sie war eine Herabwürdigung sämtlicher Himmelsvölker, ein Verhöhnen der bleichen Schönheit des Mondes, eine Beleidigung, eine Ungeheuerlichkeit ...

Meloku, der bewölkte Spiegel | Bild von Scott M. Fischer

Meloku seufzte und blickte zu seinem Gefangenen hinauf, der in der Mitte der Kammer vom Ende eines langen, umgekehrten Kegels herabhing, der – einem Stalaktiten aus weißem Marmor gleich – aus dem Kuppelgewölbe hinabragte. Ein silbriges Seil spannte sich zwischen dem Kegel und dem Gefangenen. Es war das Einzige, was ihn dort oben festhielt. Zehn Fuß tiefer befand sich ein vollkommen kreisrundes Loch in der Mitte des Bodens. Darunter gab es nichts als luftige Wolken und einen zweitausend Fuß tiefen Fall durch leeren Raum bis zu den Wellen des Ozeans weit, weit dort drunten. Er ruderte ein wenig mit den Armen und begann sofort, langsam zu kreiseln. Auch wenn er Meloku nur bis zur Hüfte gereicht hätte, war der Akki groß für einen Vertreter seines Volkes, und dieses Seil wirkte viel zu dünn, um ihn lange zu halten. Sofort bereute er, auf dem Weg hier hinein all diese reifen Biwa vom Baum im Hof gepflückt und verspeist zu haben. Sie hatten so gut, so golden und süß ausgesehen. Ach, er konnte hören, wie sie nach ihm riefen ... Eine Schweißperle bildete sich zwischen seinen vorstehenden Stirnplatten und lief ihm zwischen den Augen zur Nasenspitze hinunter, wo sie scheinbar eine ganze Ewigkeit zitternd verweilte, ehe sie in das Loch im Boden hinabtropfte, um von den Höhenwinden, die über die Unterseite des schwebenden Wolkenpalastes strichen, ins Nichts hinfortgetragen zu werden. Der Akki schluckte.

Meloku hielt inne und hob eine Augenbraue. „Du weißt, dass es andere Wege gibt, dich zum Reden zu bringen.“ Er löste einen schlanken Dolch von seinem Gürtel und beäugte das Seil über dem Kopf des Akki. „Dennoch dachte ich, ich gebe dir eine letzte Gelegenheit, dich zivilisiert zu verhalten, Kiki-Jiki." Der Akki zuckte zusammen. „Ja, ich weiß, wer du bist“, sagte Meloku lächelnd. „Meine Spiegel zeigen mir viele, viele Dinge ... obwohl ich zugeben muss, dass ich körperliche Pein dabei empfand, deinen schmutzigen Brüdern dabei zusehen zu müssen, wie sie durch die Gegend rollten und einander die Köpfe mit Steinen einschlugen ... selbst aus der Ferne.“ Meloku schüttelte den Kopf und nahm sein rastloses Umhergehen wieder auf.

„Du bist Kiki-Jiki, ein junger Hüpfer der Akki. So nennst du dich doch, wenn ich recht weiß? Du wurdest als viertes Kind deiner Familie geboren und von ihr hinausgeworfen, als du in Ermangelung eines Steins deine Schwester für Wurfübungen in den Lavafeldern verwendet und deinen älteren, aber geringfügig blöderen Brüdern beigebracht hast‚ wie man ‚den Oni reizt‘. Du überlebtest diese Eskapaden und den Zorn deiner gesamten Familie deshalb, weil du das Glück hast, ein schneller Läufer zu sein ... doch nirgends in meinen Spiegeln sehe ich, wo auf Kamigawa du meine Perle versteckt hast, und noch weniger eine Erklärung dafür, wie du es schaffen konntest, dich ohne irgendeine sichtbare Form von Beförderungsmittel in einen Wolkenpalast einzuschleichen!“ Meloku holte tief Luft und blickte zu dem Gefangenen hinauf, die dünnen Lippen zu einem kalten Lächeln verzogen. „Nun verrate mir – denn ich würde es wahrlich nur zu gern erfahren –, wie es sein kann, dass ein Akki fliegen gelernt hat?“


Was für ein Tag. Kiki-Jiki pflückte einen rotbraunen Popel aus seinem linken Nasenloch und schnippte ihn in einen struppigen Jasminstrauch, der aus einem Riss im Fels der Steilwand gewachsen war. Er runzelte die Stirn, als der Strauch sich entwurzelte, seine Blätter voll Pflanzenwut schüttelte und davonhuschte. Irgendetwas stimmte hier nicht, und er wusste genau, was es war. Er konnte sich nur einfach nicht an das Wort dafür erinnern. Es war diese Sache, bei der seltsame Dinge ohne guten Grund geschahen und in die stets ein Zauberer oder ein garstiger Kami verwickelt waren. Ma-irgendwas. Kiki-Jiki kratzte sich am Kopf und starrte auf den heißen, sandigen Pfad unter seinen Füßen. Na so ein Glück ... noch eine Sackgasse. Er hatte den Großteil des Morgens damit verbracht, auf diesen Felsen herumzuklettern und nach dieser vermaledeiten Grotte zu suchen, die er tags zuvor vom Grat auf der anderen Seite aus gesehen hatte. Er hatte den Eingang der Höhle gesehen und das Schimmern der Abendsonne in dem Teich darinnen. Ach, es war zum Verrücktwerden! Er konnte die Fische und die blinden Albino-Höhlenfrösche schon beinahe riechen ... Bei den knolligen Gallenblasen des Gönners, er konnte schon fast das Plätschern von Wasser hören! Aber wo? Wo auch immer er hinsah, gab es nichts als trockene, von der Sonne versengte Felsen.

Essen.

Seine letzte Mahlzeit war der monatealte Kanten Wurmbrot gewesen, den Paku-Paku nach ihm geworfen hatte, als er aus den Höhlen geflohen war. Das war ein guter Wurf gewesen. Er hätte ihm den Schädel zertrümmert, hätte er ihn nicht mit dem Sumpfhuhn abgewehrt, das er gestohlen hatte. Er hatte gehofft, dem mageren Ding noch einige Eier entlocken zu können, doch nach dem Zwischenfall mit dem Brot war es schlaff wie eine tote Höhlenschnecke gewesen, und als er in jener Nacht in einem alten, vom Blitz zerschmetterten Baumstumpf Unterschlupf gesucht hatte, hatte er es gerupft – nur um festzustellen, dass es nur aus Haut und Knochen bestand. Also hatte er das alte Wurmbrot gegessen und dabei einen seiner guten Zähne eingebüßt. Nun war er am Verhungern. Kiki-Jiki bahnte sich durch die Felsen einen Weg nach unten und somit in die Richtung, wo er glaubte, den Fluss zu hören. Sein Magen knurrte, und sein Kopf füllte sich mit lauter Gedanken über ... Nein, eigentlich war auch der ziemlich leer. Sein Magen hatte nun das Sagen.

Er war an einen irgendwie flachen Ort geraten. Er suchte den Boden ab. Seine Augen huschten hin und her, hielten Ausschau nach Käfern, Eidechsen, Knochen – irgendetwas – und fielen auf einen Flecken Grün im Schatten einiger Felsen ein paar Schritte entfernt. Er eilte rasch hinüber und stocherte ein wenig im Gras herum, um sicherzugehen, dass es keine Gefahr darstellte, und griff dann hinunter – und er hörte Wasser! Schnell presste er ein Ohr an den Boden. Ja! Es war hier drunter! Unter den Felsen! Oh, wie gewitzt – es war ein unterirdischer Fluss! Sofort begann er, mit den Klauen im Boden zu wühlen. Seine Hände waren zum Graben gemacht, und die Erde um die Felsen herum war trocken und brüchig. Im Nu hatte er ein beachtliches Loch geschaffen, fast groß genug, um hindurchzukriechen. Bald würde er sich den Wanst mit Fisch und Schlangen und Schnecken vollschlagen! Kiki-Jiki richtete sich stolz vor seinem Werk auf und stieß einen Siegesschrei aus. Er reckte die schmutzigen Fäuste gen Himmel ... als der Boden jäh unter ihm nachgab und er in die Tiefe stürzte und kopfüber in dunkles, brausendes Wasser purzelte.

Kleiner Fisch-mit-Beinen, der mit gierigen Klauen im Wasser nach dem Licht sucht, nach dem er hungerte. Kehr um, kleiner Fisch. Du bist nicht der Einzige hier, der Hunger leidet.

Kiki-Jiki, Spiegelzerbrecher | Bild von Steven Belledin

Kiki-Jiki öffnete die Augen und machte sich ein Bild von seiner Lage. Er befand sich an einem sehr dunklen, größtenteils trockenen Ort – ah, eine Höhle! –, was gut war, und unter seinem Panzer hatte sich ein großer, zappelnder Fisch verfangen. Man konnte ihm den Kopf an einem Felsen zerschmettern und ihn essen, was auch gut war. Er hatte allerdings die leise Ahnung, dass der einzige Weg hier hinaus der war, über den er auch hier hereingekommen war, und das war schlecht. Er spürte die eisige Gischt des entsetzlich kalten unterirdischen Flusses, der keine Armeslänge von ihm entfernt durch einen Riss in der Wand rauschte und der dann durch eine Spalte irgendwo weiter entfernt wieder verschwand. Ja, der Fluss hatte ihn hierhergebracht. Zumindest musste er das seinem allgemeinen Nasssein und dem Fisch nach annehmen, doch er konnte sich nur verschwommen an die letzten fünf Minuten erinnern. Er hatte gegraben – so viel wusste er noch. Und dann war da noch etwas übers Fallen, etwas übers Herumgeschleudertwerden und dann noch etwas über Kälte und Nässe. Und dann ... eine Stimme.

Er nieste und schüttelte sich. Irgendwer oder irgendwas hatte mit ihm geredet! Er blickte sich in der Höhle um. Seine großen Augen hatten sich genug an die Dunkelheit gewöhnt, um ein schwaches Leuchten zu erkennen, das von einem Moos an der Decke ausging, doch soweit er es beurteilen konnte, lauerte niemand sonst in den Schatten. Er blickte auf die lidlosen Augen des Fangs in seiner Hand hinunter. Ein Fisch ... Die Stimme hatte ihn einen Fisch genannt. Na ja, wer auch immer das gewesen war, er war ziemlich dumm, wenn er einen Akki mit einem Fisch verwechselte. Die meisten Akki konnten nicht einmal schwimmen, wenn ihr Leben davon abhing. Kapi-Chapi hatte sich damals in diesem Lavafluss gar nicht schlecht angestellt. Ja, das schon. Doch es war nicht so, dass sie es tatsächlich weit geschafft hätte, und noch dazu war ihr Schwimmstil grauenhaft gewesen. Kiki-Jiki kicherte ob dieser Erinnerung und biss dem Fisch den Kopf ab. Auf keinen Fall würde er zurück in dieses Wasser gehen, doch wenn er schon hier sterben sollte, dann wenigstens nicht mit leerem Magen!


Kiki-Jikis Magen knurrte. Er war stundenlang hin und her gelaufen und hatte sein Gefängnis schon fünfmal genauestens in Augenschein genommen. Seine einzige Entdeckung war, dass er sich getäuscht hatte, was mögliche Ausgänge anging. An dem Ende der Höhle, dass am weitesten von dem schwarz dahinströmenden Fluss entfernt war – dort, wo die Schatten am tiefsten waren –, gab es eine Stelle, an der sich der Boden plötzlich zu einem Abgrund öffnete, der sich etwa viermal so breit wie er groß war bis zur hinteren Wand der Höhle erstreckte. Dort saß er nun. Er ließ seine Beine über den Abgrund baumeln und war eines kleinen Spielchens namens „Ich bin ein Kiesel, hör mich schreien, während ich in den Tod stürze“, das ihn während seiner Kindheit – und lange darüber hinaus – so gut unterhalten hatte, schnell überdrüssig geworden. Doch das war auch nicht weiter schlimm, denn ihm waren sowieso die Kieselsteine ausgegangen. Das Einzige, was er noch hätte hineinwerfen können, war der zähe, grätige Schwanz des Fisches, den er in seinem Panzer gefangen hatte, und diesen hob er sich als letzten Leckerbissen auf, ehe die Dunkelheit ihn holen würde. So viel zum Warten, dachte er, während er den Fischschwanz hoch über seinen Kopf hob und den Mund öffnete – als eine Windbö plötzlich und unerwartet aus dem Abgrund fuhr und ihm den Schwanz aus der Hand riss!

Kiki-Jiki kreischte bestürzt auf, als der Schwanz vom Wind erst flatternd nach oben getragen wurde, um dann kehrtzumachen und in den Abgrund zu fallen. Sein Instinkt gebot ihm, sich hinterherzustürzen, war das grätige, karge Ding doch alles, was er besaß, aber er konnte sich zurückhalten. Niemand bei klarem Verstand würde sich in einen gähnenden Abgrund werfen, nur um sich einen mickrigen Fischschwanz zu schnappen! Dann packte ihn eine mächtige Kraft mit all der Härte und Wut eines alten Verwandten, der ihn wegen irgendeiner eingebildeten Untat erwürgen wollte: Es war sein Magen, und seinem Magen musste man gehorchen. Kiki-Jiki grinste und stieß sich vom Boden ab. Er würde diesen Schwanz essen, und wenn es das Letzte war, was er tat. Und als er hinab in die Dunkelheit taumelte, wurde ihm klar, dass es auch genau das sein würde.

Schlauer Fisch, dass du mein Versteck so schnell findest. Törichter Fisch, denn nun musst du sterben.

Kiki-Jiki fuhr kerzengerade hoch. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht, und er hatte den ziemlich großen Verdacht, dass mehr von diesem Ma-Zeugs am Werk war. Zunächst einmal hatte er nicht damit gerechnet, so bald nach dem Absprung wieder zu landen, besonders da er, soweit er es erkennen konnte, auf nichts als Luft gelandet war. Luft, die sich so hart anfühlte wie der Panzer des Stammesältesten, und die auch genauso wehtat, als würde besagter Ältester auf ihm sitzen – eine Strafe, die er aufgrund verschiedener Eskapaden oft genug hatte erdulden müssen. Und was noch seltsamer war: Er hatte gesehen, wie er immer noch weiter in den Abgrund unter ihm fiel. Eine Schande, dass er sich auch genau dann, als er diesen Fischschwanz beinahe schon in den Fingern hielt, außer Sicht stürzen gesehen hatte.

Öffne die Augen, kleiner Fisch. Sieh, wer dein Ende sein wird. Sieh mich an.

Mondring-Spiegel | Bild von Christopher Rush

Kiki-Jiki schnappte nach Luft. Er stand nicht mehr auf nichts. Er stand genau in der Mitte einer anderen Höhle, etwas größer als die erste und mehr oder minder kreisrund. Er konnte überhaupt keine Decke erkennen, und irgendwas an den Wänden war seltsam. Sie sahen aus, als wären sie aus funkelndem, bläulichen Glasteilen gefertigt. Jedes war so groß wie er selbst, und sie griffen passgenau ineinander. Es mussten bestimmt fünfzig sein. Und an jedem Wandteil ... Augenblick. Er war nicht allein. Dort, vor jedem Wandteil, standen schreckliche, verkrüppelte Gestalten. Er wirbelte herum, und ja, sie standen auch hinter ihm an der Wand! Sie starrten ihn mit blutunterlaufenen Augen rechts und links einer entsetzlich spitzen Nase an. Oh, was waren sie hässlich! Kiki-Jiki sank auf die Knie und hob die Hände, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war, und wie ein Wesen sanken die garstigen Geschöpfe ebenfalls zu Boden und hoben die Hände, als wollten sie ihn ob seiner Niederlage verhöhnen! Sie würden ihn bestimmt auffressen. Sie waren böse, sie waren fies, sie waren ... Akki? Kiki-Jiki kratzte sich am Kopf. Die fünfzig Akki kratzten sich an ihren Köpfen. Er stellte sich auf ein Bein und hüpfte im Kreis herum. Die Fünfzig ahmten jede Bewegung nach. Spiegel! Er war in einem Raum voller Spiegel!

Er hatte schon davon gehört, dass es Leute auf Kamigawa gab, die einen Weg gefunden hatten, die Oberfläche von Wasser gefrieren zu lassen und sie an eine Wand zu hängen. Das Ergebnis nannten sie „Spiegel“, doch das war das erste Mal, dass er einen zu Gesicht bekam. Er machte sich daran, hinüberzurennen und einen aus der Nähe zu untersuchen, doch dann fiel sein Blick auf etwas am Boden. Der Fischschwanz! Sein Glück wandte sich also zum Besseren! Schnell las er den Schwanz auf und öffnete den Mund ...

Kannst du mich sehen, kleiner Fisch?

Kiki-Jiki ließ den Schwanz fallen und biss sich auf die Zunge. Die Stimme! Wie hatte er nur die Stimme vergessen können? Überall um ihn herum glitten die Spiegel beiseite, und nun tat sich eine Öffnung in der Wand auf. Und von dort, aus der Dunkelheit hinter der Wand, kam ein riesiger, blauer Echsenkopf hervor. Kiki-Jikis Beine begannen zu schlottern und gaben unter ihm nach. Der untere Rand seines Panzers schlug hart auf dem Boden auf. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er den Kopf näherkommen sah, während die Wandteile sich weiter bewegten und verbogen, um sich hinter ihm aufzureihen. Beim lavaversengten Schwanz des Gönners! Das waren keine Spiegel. Das ... das waren ... Schuppen.

Hier bin ich.

Ein Ryu – ein großer Drache. Seine Stimme hallte in Kiki-Jikis Schädel wider. Oh, und er war groß, riesig, gewaltig. Er war wahrscheinlich auch alt, und wenn Kiki-Jiki etwas über Älteste wusste, dann, dass sie übellaunig waren.

Ich bin älter als die Zeit selbst, mein ängstlicher Fisch. Die Lebensspanne deinesgleichen ist für mich nur ein winziger Wirbel in der Strömung. Ich sah die Ringe der großen Austern der Tiefe wachsen, und ich sah, wie ihre Schalen wieder zu Staub zerfielen. Meine Schuppen sind heller als jeder Diamant in der Erde, und mein Zorn brennt heißer als jedes Feuer aus den Bergen. Und ich bin zornig, Fisch-mit-Beinen, sehr zornig, denn mir wurde etwas gestohlen, was mir lieb und teuer war.

Kiki-Jikis Leben zog vor seinen Augen vorbei. Seine Brüder und Schwestern in ihrer heimatlichen Höhle, wie sie ihn mit Steinen schlugen. Sein Vater, wie er sie verscheuchte, um dann zu grinsen und ihn mit einem noch größeren Stein zu schlagen. Seine Mutter, wie sie ihn an ihre Seite winkte, um ihm anschließend einen besonders großen und spitzen Stein auf den Kopf zu dreschen. Hastig suchte er nach einer guten Erinnerung. Am besten nach einer, in der Essen vorkam. Doch es war zu schnell vorüber. Es war vorbei. Das war das Ende. Er kauerte vor dem Ryu und stopfte sich unter Tränen den Fischschwanz in den Mund. Die Gräten verfingen sich in seinen Zähnen, und er begann winselnd und leise zu kauen. Er konnte spüren, wie der Atem der großen Echse wie eine Flutwelle über ihn hinwegbrandete. Er roch nach totem Fisch. Kiki-Jiki verdrehte die Augen nach oben und schlug hart auf dem Boden auf, völlig besinnungslos.

Schwärze ...

Kleiner-Fisch-mit-Schale ... kleiner Fisch ...

Diese Stimme! Wenn sie ihn doch nur in Ruhe ließe. Wenn sie ihm doch nur erlaubte, in Würde zu sterben! Nun gut, das war vielleicht etwas viel verlangt, doch zumindest hätte er gern ein wenig mehr Abgeschiedenheit für sich gehabt, bevor das Ende kam.

Du warst schlau, mein Versteck zu finden. Sehr schlau. Vielleicht habe ich noch Verwendung für dich ...


Die Sonne schien. Weiße Wolken zogen vorbei. Und Vögel ... Da kreisten Vögel am blauen Himmel. Kiki-Jiki befand sich auf einem Boot, das auf einem Ozean schaukelte. So still. So friedlich. Keine Höhle, keine Spiegelschuppen, keine Stimme in seinem Kopf. Er lächelte. Er spürte, wie sich das Boot auf einer Welle hob, und eine flauschige weiße Wolke schwebte näher. So weich. So schön. „Hallo, Wolke ...“ Die Wolke schoss herab und an ihm vorbei nach unten. Beim alten Hartpanzer! Er war nicht auf einem Boot! Er flog! Er sah nach unten und erblickte sein eigenes Gesicht, das ihn aus einer spiegelnden blauen Schuppe heraus anblickte. Er ritt auf dem Rücken des Ryu! Er erinnerte sich wieder ... Die Stimme hatte gesagt, sie brauchte ihn, um etwas zurückzuholen, was gestohlen worden war. Eine äußerst kostbare Perle, die in einem schwebenden Palast am Himmel sein sollte ...

Soratami-Wolkenwagen | Bild von Franz Vohwinkel

Dann schaute Kiki-Jiki nach oben und sah ihn dort in der Ferne aufragen: einen unglaublichen Palast, der aus den Wolken zu wachsen schien. Seine Türme gleißten in der Sonne. Er erkannte gewaltige Bögen und Innenhöfe, und hier und dort glitten Fahrzeuge, die wie Kutschen aussahen, auf Luftströmen zwischen dem Hauptpalast und den weiter abseits liegenden Wolken mit ihren kleineren Türmen und Pagoden dahin. Dies waren die Hallen des Mondvolks der Soratami. Hochgewachsene, kühle Geschöpfe, die in der Luft wandelten und sich wenig um die Belange der Landbewohner scherten, und am allerwenigsten wohl um die der Akki. Er hatte Geschichten über Zo-Zu den Bestrafer gehört, der die Mutigsten unter den Akki dort Steinwurfübungen abhalten ließ, wo die Kutschen der Soratami entlangzufliegen pflegten. Und an den verkohlten Überresten hatte er die Stärke ihrer mächtigen Ma… Ma… erahnen können.

Magie.

Magie!“, rief Kiki-Jiki über das Rauschen des Windes hinweg. Das war das Wort! Er gluckste vor Entzücken und wäre beinahe vom Rücken des Ryu gerutscht, doch das mächtige Untier schlängelte sich durch die Luft und hielt seinen Reiter so im Gleichgewicht. „Warte mal ... Wenn die Soratami Magie haben, sehen sie uns dann nicht kommen?“

Sie werden nur eine Wolke sehen, die sich flink bewegt, kleiner Fisch. Nichts weiter. Die Soratami sind weise und vorsichtig, doch der Himmel gehört ihnen nicht. Es gibt viele hier, die noch wesentlich älter sind als sie.

Der Ryu flog einen Bogen nach links um eine dunkle Gewitterwolke herum.

Diese Wolke hier, sie ist ein Raijin. Ein Donner-Kami. Wehe der Soratami-Kutsche, die unter seinem stürmischen Schleier vorbeitaucht.

„Na schön“, sagte Kiki-Jiki und schluckte. „Aber was ist, sobald du mich erst im Palast abgesetzt hast? Was dann?“ Doch der uralte Ryu lächelte nur. Seine Schuppen glommen im Licht, das sich in den funkelnden Minaretten und den schlanken, gewundenen Säulen spiegelte. Sie hatten ihr Ziel erreicht.


Kiki-Jiki verschlang seinen fünften Biwa von dem schwer beladenen Obstbaum im Hof und dachte über seinen nächsten Schritt nach. Was hatte es nur mit diesen Soratami und ihren luftigen, offenen Hallen auf sich? Beinahe hatte er damit gerechnet, im inneren des Palastes etwas Vertrautes vorzufinden. Einen kleinen, grob behauenen Felsen vielleicht oder ein wenig Höhlenmoos. Doch all das Glas und der Marmor waren beängstigend, und die weiten Gemächer eigneten sich nicht zum Schleichen. Er duckte sich in einen Durchgang, wobei seine Füße über die Wolken trippelten, die auf den kalten Fliesenboden aufgemalt waren. Die Gemächer des Botschafters, von dem der Ryu gesprochen hatte, mussten ganz in der Nähe sein. Dann hörte er Stimmen hinter einer Ecke. Sie kamen in seine Richtung. Kiki-Jiki suchte Zuflucht hinter einer großen Schnitzerei aus Jade, die aussah wie ein riesiger Mund mit Flügeln.

„... und dann sagte der Doguso-Landbewohner zu mir: ‚Die Kami, sie nehmen uns alles weg! Alles! Wenn sie uns auch noch dieses Land wegnehmen, worauf sollen wir dann stehen?!‘ Und ich antwortete ihm: ‚Ein schwerwiegendes Problem, da bin ich sicher‘.“

Kiki-Jiki hörte eine Stimme sprechen, gefolgt von einem kalten Lachen, als zwei Soratami aus einer Tür in der Nähe heraus und an seinem Versteck vorbei schwebten. Sie waren hochgewachsen und schlank, und sie trugen lange, indigoblaue Roben, in die verschlungene Symbole und glitzernde Goldfäden eingewoben waren. Einer von ihnen hatte weite, rote Aufschläge an den Ärmeln seiner Robe, und es schien, als würden die Muster auf seinem Kimono beständig durcheinandergewirbelt, wenn er sich bewegte. Das muss der Botschafter sein. Kiki-Jiki wartete, bis sie in einer der Hallen hinter ihm verschwunden waren, ehe er hinter der seltsamen Statue hervor und durch die Tür schlüpfte.

Oboro-Abgesandter | Bild von Rob Alexander

Er hatte einen Raum betreten, der sehr viel verschwenderischer ausgestattet war als alle, die er seit seiner Ankunft im Palast gesehen hatte. Säulen aus schimmernder grüner Jade waren in dem Gemach verteilt und hoben sich angenehm von dem verspielten Grau und Weiß der Marmorwände ab. In Alkoven auf jeder Seite des Raumes standen elegante, aus weißen Knochen geschnitzte Kerzenleuchter. Sie waren unbestückt, doch Flammen, die dort flackerten, wo eigentlich die Kerzen hätten sein sollen, spendeten ein flackerndes Licht. An der hinteren Wand – in der Mitte eines dicken Wandteppichs, der von goldenem Brokat eingefasst wurde – schien ein riesiger gewebter Mond über dem Stoff zu schweben, dessen eigenes Licht den hinteren Teil des Raumes erhellte. Kiki-Jiki kam es so vor, als bewegte sich der Schatten auf dem Mond, während er dort stand und ihn betrachtete. Noch mehr Magie. Sein Blick wanderte über die Seide nach unten und noch tiefer über die silbrigen Troddeln, die den Horizont bildeten, über dem der Mond aufging. Und dort, vom fahlen Wandteppichmond beschienen, lag eine große Perle auf einem eisernen Podest. Die Perle des Ryu.

Kiki-Jiki ballte die Fäuste, und er zögerte einen Augenblick. Was, wenn das eine Falle war? Was, wenn die Soratami diese Perle mit einem schrecklichen Verwandlungsspruch verhext hatten und er, falls er danach griff, in irgendetwas verwandelt würde? Irgendetwas, was schlimmer war als ein Akki? Was, wenn diese ganze Sache ein Streich ist, den meine Familie mir spielt, um mir eine Lehre zu erteilen? Nein, die meisten seiner Verwandten wären nicht einmal in der Lage, Herr ihrer eigenen Blase zu bleiben, wenn sie einen echten Ryu sähen, geschweige denn, ihn dazu zu überreden, bei irgendeinem derart ausgeklügelten Scherz mitzumachen. Kiki-Jiki grinste bei der Vorstellung, wie seine Onkel und Tanten Hals über Kopf vor seinem neuen Freund davonliefen. Er nahm noch einen Bissen Biwa und warf das Kerngehäuse dann hinüber auf ein hübsches Seidensofa. Es rollte zu Boden und hinterließ eine Schleimspur aus blassem Orange auf den Polstern. Nachdem er sich die Hände abgewischt hatte, schlenderte Kiki-Jiki zu dem Podest hinüber, schnappte sich die Perle – die, wie er nun herausfand, fast so groß wie sein Kopf und viel, viel schwerer war – und wandte sich zum Gehen. Dann erstarrte er.

Er wurde beobachtet. Aus dem Augenwinkel sah er jemanden hinter dem Kerzenleuchter in dem Alkoven stehen, der ihm am nächsten war. Kiki-Jiki spürte das Gewicht der Perle in seinen Händen. Der Ryu hatte nicht gesagt, in welchem Zustand er die Perle wiederhaben wollte, und wenn sich Kiki-Jiki mit einer Sache auskannte, dann damit, große Dinge auf Leute zu werfen. In einer fließenden Bewegung wirbelte er herum und hob die Perle mit beiden Händen über den Kopf – und die Gestalt im Alkoven tat genau das Gleiche. Noch ein Spiegel! Beinahe hätte er laut losgelacht. Die Perle unter den Arm geklemmt schlenderte er zum Alkoven hinüber und schubste den Kerzenleuchter zur Seite. Also das nannte er mal einen anständigen Spiegel! Ein perfektes Oval reflektierenden Glases in einem Rahmen aus Gold, der mit kleinen Saphiren und Rubinen verziert war. In diesem Rahmen sah Kiki-Jikis Spiegelbild verdammt gut aus. Seine knochige Nase war keck, seine Augen strahlten hell und blau, seine Arme waren lang und ... leer?

Kiki-Jiki schaute zur Perle hinunter. Doch, da war sie. Unter seinen rechten Arm geklemmt, schwer wie ein bewusstloses Geschwister. Er schaute in den Spiegel. Sein Spiegelbild hatte einen Arm seltsam angewinkelt, doch da war keine Perle! Er legte die Perle auf dem Boden ab und schaute wieder hinauf. Sein Spiegelbild erwiderte den Blick. Er kratzte sich am Kinn. Sein Spiegelbild tat es ihm gleich. Er lächelte, und sein Spiegelbild lächelte zurück. Dann streckte es ihm die Zunge heraus und prustete geräuschvoll! Einen Wimpernschlag lang dachte Kiki-Jiki, dass er das getan hatte – es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sein Mund ohne seine Erlaubnis gehandelt hätte –, doch als er hinuntersah, war seine Zunge genau dort, wo sie sein sollte: hinter seinen Zähnen. Er schaute wieder hoch. Jetzt wedelte sein Spiegelbild mit einem Finger! Freches Spiegelbild! Du hältst dich wohl für schlau, ja? Wütend griff Kiki-Jiki nach unten und las die Perle auf. Langsam hob er die Perle über seinen Kopf und grinste sein Spiegelbild an. Dessen Miene verfinsterte sich, und es nahm nun schützend die Hände vors Gesicht. Es schien etwas zu rufen, doch Kiki-Jiki konnte die Worte nicht verstehen. „Wer lacht jetzt zuletzt?“, fragte Kiki-Jiki, während er dem Spiegelbild die Perle ins Gesicht rammte.

Ein ohrenbetäubendes Klirren ertönte. Die Perle prallte vom Spiegel ab und riss Kiki-Jiki von den Füßen. Er landete auf seinem Panzer in der Mitte des Raumes. Er wirbelte herum und versuchte verzweifelt, die Perle davon abzuhalten, auf den Marmorboden zu fallen und dort zu zerspringen oder – schlimmer noch – noch mehr Lärm zu machen. Er blickte nach oben, um den Schaden zu begutachten, und dort vor dem Alkoven stand sein Spiegelbild und klopfte sich die Spiegelscherben ab! „Wer bist du?“, fragte Kiki-Jiki.

„Ich bin Kiki-Jiki!“, gab sein Spiegelbild zurück.

„Nein, ich bin Kiki-Jiki!“

Vom Flur draußen hörten sie Stimmen – Soratami, die zweifellos gekommen waren, um nachzusehen, was es mit dem Lärm auf sich hatte. Kiki-Jiki sah sein Spiegelbild prüfend an. „Hör mal“, sagte er mit lautem Flüstern, um die klimpernden Geräusche zu übertönen, die der Rest des Spiegels verursachte, als die letzten Splitter zu Boden fielen. „Mir gefällt dein Gesicht nicht, aber wenn wir nicht zusammenarbeiten, enden wir beide wie das Sumpfhuhn in der Lavagrube.“ Sein Spiegelbild nickte. „Hier lang“, sagte Kiki-Jiki und machte sich, die Perle unter den Arm geklemmt, in Richtung der Tür des Gemaches auf. Sein Spiegelbild war ihm dicht auf den Fersen.

Sie hatten Glück. Der Soratami-Botschafter war noch nicht wieder am Eingang angelangt. Die beiden Kiki-Jikis huschten nach links und hinaus auf einen weiten Hof. Kiki-Jiki hielt an und wandte sich zu seinem Spiegelbild um. „Hör mal, ich muss zurück zu dem Ryu.“

„Das muss ich auch!“, sagte sein Spiegelbild.

Kiki-Jiki dachte rasch nach – das erste Mal in seinem Leben überhaupt und noch dazu ein ziemliches Wunder –, doch er würde sich später dafür auf den Panzer klopfen müssen. Es gab Dinge zu erledigen. „Ähm, also ... Teilen wir uns doch auf. Ich gehe nach links zu diesem Turm dort, und du gehst nach rechts zu diesem Platz. Und dann treffen wir uns hinter dem Palast bei dem Ryu wieder. So haben wir bessere Chancen!“

Sein Spiegelbild runzelte misstrauisch die Stirn.

Mist.

Kiki-Jiki versuchte es mit einer anderen Taktik. „He, wie wäre es, wenn du unterwegs noch ein paar von diesen Biwa einsammelst, ja?“

Sein Spiegelbild grinste. Dasselbe Gesicht, derselbe Magen, wie es schien. Kiki-Jiki schauderte, als sein Spiegelbild sich über den Platz davonmachte. War er so leicht zu übertölpeln? Das war etwas, woran er unbedingt arbeiten musste! Er drehte sich um und lief geradewegs auf die kleine Pagode zu, wo der Ryu ihn wie versprochen abholen sollte. Die Sonne schien warm auf seinen Panzer, und irgendwie fühlte sich die Perle gar nicht mehr so schwer an.


Der Ryu flog schnell durch eine Reihe flauschiger Wolken und wich ab und an Schwärmen riesiger Motten aus, die wie Papierfetzen hinter ihm auseinanderstoben. Die Perle, die er in seinen gewaltigen Klauen hielt, schimmerte sanft im blutroten Schein der untergehenden Sonne. Auf seinem Rücke hockte Kiki-Jiki in einem seltenen Augenblick der Besinnung. Dann richtete er sich auf und rief über den heulenden Wind hinweg: „Was glaubst du, ist wohl mit meinem Spiegelbild geschehen?“

Es ist jetzt der Gefangene des Soratami-Botschafters.

„Oh“, sagte Kiki-Jiki stirnrunzelnd. „Ich fühle mich irgendwie schlecht, ihn zurückgelassen zu haben. Ich meine, Familie ist die eine Sache, aber er ist ... ich!“

Sei unbesorgt, mutiger kleiner Fisch. Die Spiegelbilder deinesgleichen sind noch vergänglicher als ihr selbst. Er wird nicht lange gefangen bleiben. Sei fröhlich, Fisch-mit-Hörnern, großer Spiegelzerbrecher. Das hat du gut gemacht.

Kiki-Jiki wusste nicht genau, was „vergänglich“ bedeutete, doch es klang wie irgendeine Art Magie, die seinem Spiegelbild bei der Flucht helfen würde, und das war gut. Er stieß einen erleichterten Seufzer aus und blickte zum Boden weit unter ihm hinab. Dort war der Grat, auf den er tags zuvor geklettert war, und dahinter die Berge, von denen er herkam ... dort, wo seine Familie lebte. Kiki-Jiki schlug sich auf den Panzer. Er hätte noch mehr Spiegelbilder machen sollen! Der Gedanke an Dutzende von Abbildern seiner selbst, die irre durch die Höhlen rannten, ließ seinen ganzen Körper vor Freude erbeben. Er konnte seinen Vater beinahe vor sich sehen, wie er mit vor Verblüffung weit aufgerissenem Mund unter einer Horde Kiki-Jikis begraben wurde. Er rief über den Wind: „Ich hätte mir mehr Spiegel schnappen sollen!“

Was kann dir ein Spiegel anderes geben als das, was du ihm zeigst? Die Magie war die deine, schlauer Fisch.

„Warte mal“, rief Kiki-Jiki und kratzte sich zwischen den knochigen Platten auf seiner Stirn. „Du meinst, ich kann mehr Spiegelbilder machen, wann immer ich will? Ich brauche diese Spiegel gar nicht?“ Der Ryu sagte nichts, doch er vermeinte, eine seltsame Schwingung durch die großen blauen Schuppen hindurch zu spüren. Ein Grollen wie ... Lachen? Der Ryu lachte! Blitzschnell wirbelten sie als Schemen weiter in die Höhe und um eine Wolke herum, um dann durch die Luft hinab auf die Hügel unter ihnen zuzuschießen.

Keiga, der Stern der Gezeiten | Bild von Ittoku

Der Ryu hatte versprochen, ihn zu einem verlassenen Hain zu bringen, den er kannte, wo unzählige überladene Obstbäume und reichlich fette Schlangen auf ihn warteten. Auch einen Teich gibt es da sicher, dachte Kiki-Jiki. Und damit einen Ort, an dem er sein neu entdecktes Talent ausprobieren konnte. Kiki-Jiki grinste. Heute würde also doch noch ein ziemlich guter Tag werden.


Hoch droben im Wolkenpalast unterbrach Meloku sein Umhergehen. Er fixierte seinen Gefangenen mit stählernem Blick und lächelte. „Ich hatte wirklich gehofft, dass es nicht dazu kommen wird, denn ich bin kein Freund von Barbarei, doch du lässt mir keine Wahl. Schneiden wir dich also frei und schauen uns das Wunder des fliegenden Akki aus der Nähe an!“ Der an dem silbernen Seil hängende Akki quiekte und zappelte, wodurch er langsam hin und her zu schwingen begann, woraufhin er noch lauter quiekte. „Dies bereitet mir wahrlich kein Vergnügen, Kiki-Jiki. Sei dir dessen versichert“, sagte Meloku mit einem zufriedenen Funkeln in den Augen, als er seinen Dolch zog und hinauf zu dem Kegel und seinem hilflosen Gefangenen schwebte. Mitten in der Luft hielt er inne.

Irgendetwas stimmte nicht. Der Akki zappelte nicht mehr herum. Tatsächlich war er vollkommen reglos, wie in der Luft erstarrt. Meloku hob eine Augenbraue und riss dann den Mund auf, als der Akki in tausend glitzernde Splitter zersprang, die einem plötzlichen Regenschauer gleich niedergingen und im Äther verschwanden, noch ehe sie den Boden erreichten. Nur ein verknotetes Seil war noch übrig, das nutzlos von dem Kegel herabhing. Mit langen, zierlichen Fingern rieb sich Meloku die Schläfen. Ja, das war wahrlich ein höchst anstrengendes Verhör gewesen.


In einer verborgenen Höhle in der Nähe eines unterirdischen Flusses rollte sich der große blaue Ryu in der Dunkelheit um die Perle zusammen, die schwach leuchtete, als hätten die Sonnenstrahlen sie auf ihrer Reise vom Wolkenpalast herunter gewärmt.

Schlafe, mein Kind, und wachse heran. Bald wirst du schlüpfen und deinen rechtmäßigen Platz unter den Wasserfällen und den Nebeln und den Sternen dieser Welt einnehmen. Du wirst dich an den Austern der Tiefe laben und an dem süßen Wolkentau und den Fischen, die auf deinem Land wandeln. Aber verschone mir bloß die Gepanzerten.