Falls ihr Magic-Spieler seid, die gut über alles informiert sind, was so passiert (und das seid ihr vermutlich, wenn ihr diesen Artikel lest), ist es sehr wahrscheinlich, dass ihr an diesem Wochenende in euren örtlichen Spieleladen geht und am Prerelease zu Stunde der Vernichtung teilnehmt. (Und falls euch das Wort „Prerelease“ nichts sagt, solltet ihr unbedingt meinen Artikel zum Thema Prerelease hier lesen und mithilfe des Store-Locators ein Prerelease in euer Nähe finden! Prereleases sind meine liebste Art von Magic-Event – es gibt kaum etwas Spannenderes!)

Okay. Also, ihr habt euch hingesetzt. Ihr habt eure schicke Sealed-Box vor euch. Und sobald der Ladenbesitzer zum Start die sprichwörtliche Flagge schwenkt (oder vielleicht auch eine richtige Flagge? Das klingt irgendwie ziemlich cool, oder?), macht ihr die Box auf und streckt gierig die Finger nach den Boostern in ihrem Innern aus, um die Karten aus der Folie zu befreien.

Und was ist das Erste, was ihr euch aus jedem Booster anseht?

Nun, wenn ihr wie viele, viele andere Magic-Spieler seid, fackelt ihr nicht lange und schaut euch sofort die seltene Karte an!

Das ist etwas, was wir alle von Anfang an in unserer Karriere als Boosteröffner machen. Wir alle wollen wissen: „Was ist wohl die tolle Karte, die ich da gezogen habe?“

Das ist allerdings etwas anderes, als einfach nur die Karten zu nehmen und in euer liebstes Standarddeck zu packen. Ihr werdet aus diesen Karten tatsächlich ein Deck bauen müssen. Und was passiert, wenn ihr eine tolle seltene Karte findet, die hier aber gerade schwierig zu spielen ist?

Nun, genau darüber wollen wir heute sprechen.

Farbe im Blick

Wenn ihr dem Draft-Experten, ehemaligen Gastgeber von Limited Resources und Endgegner der internen Sealed-Liga von Wizards of the Coast Ryan Spain dabei zuseht, wie er seinen Sealed-Pool aufmacht, wird euch auffallen, dass er etwas ganz anderes tut als die meisten Leute.

Ryan öffnet seine Booster mit der Vorderseite nach unten und legt die seltenen Karten (immer noch verdeckt) auf einen Extrastapel.

Dann beginnt er, seine Farben zu sortieren und abzuschätzen, welche davon wohl am stärksten sein könnte. Erst wenn er seine Farbauswahl etwas eingeschränkt hat, dreht er die seltenen Karten um und überlegt, welche Möglichkeiten sie ihm eröffnen.

Aber warum macht Ryan das?

Weil seltene Karten ausgesprochen verlockend sind ... und das ist manchmal gefährlich.

Sagen wir, ihr macht euren ersten Booster zu Stunde der Vernichtung auf. Und auf diesem tollen seltenen Platz seht ihr Die Skorpion-Gottheit.

Na ja, aber das ist doch toll! Und seht nur, wie mächtig sie ist! Wow, wäre es nicht super, diese Karte zu spielen?

Und während ihr eure restlichen Booster aufmacht und eure Karten sortiert, schwirrt in eurem Hinterkopf die ganze Zeit über Die Skorpion-Gottheit herum. Sie will, dass ihr mit ihr spielt. Seht doch nur, wie krass sie aussieht! Und sobald ihr eure Booster dann alle geöffnet habt, tendiert ihr natürlich zu zwei bestimmten Farben.

Dabei gibt es nur ein Problem: Es ist nicht unbedingt richtig, mit diesen beiden Farben zu spielen. Doch da ihr euer Spiel damit begonnen habt, durch die (mehr)-farbige Brille der Skorpion-Gottheit zu schauen, versucht ihr alles, damit das auch funktioniert, und schiebt eure anderen Farben früher zur Seite, als ihr das vielleicht tun solltet – und schadet dabei eurem Deck.

Ryan wendet hier eine andere Taktik an.

Er will wissen, welche Farben am ehesten opportun für ihn sind, ohne dass irgendwelche abgefahrenen seltenen Karten ihn in eine bestimmte Richtung verleiten. Und warum?

Weil ein Deck im Limited aus weitaus mehr als einer Karte besteht. Zunächst braucht man, na ja, erstmal 40 Karten, von denen etwa 23 keine Länder sind. Zudem muss euer Deck jedoch auch etwas sein, was insgesamt funktioniert und irgendeine konkrete Art von Strategie verfolgt – nicht etwas, was ihr gezwungenermaßen um eine bestimmte seltene Karte herum gebaut habt.

Ich habe viele, viele Sealed-Pools gesehen, in denen Leute tolle häufige und nicht so häufige Karten einer Farbe zugunsten einer starken seltenen Karte und einer Reihe mittelguter Karten einer anderen Farbe verschmäht haben. Das ist meist die falsche Entscheidung.

Es ist wichtig anzumerken, dass Ryan natürlich die seltenen Karten berücksichtigt. Er baut nicht einfach sein Deck und schaut sich die seltenen Karten erst ganz am Ende an, um dann, wenn er zwei Ruhmbringer gezogen hat (echt jetzt, Ryan? Schon wieder?), mit den Schultern zu zucken und ihnen keine Beachtung zu schenken. Er versucht jedoch, seinen Pool zunächst unabhängig von den seltenen Karten einzuschätzen, um die ursprüngliche Tendenz (sofern er denn eine hat) von der Stärke der Farbe abhängig zu machen – und das ist eine weitaus präzisere Einschätzung des vorhandenen Machtniveaus.

Euer Ziel im Limited ist es für gewöhnlich, euer gesamtes Deck so stark wie möglich zu machen, anstatt nur hier und da ein paar Machtspitzen und damit letztlich ein schwächeres Deck zu haben.

„Für gewöhnlich“

Aber warum schreibe ich denn bei diesem letzten Punkt nun schon wieder „für gewöhnlich“? Ganz einfach: Wie so oft in Magic gibt es auch hier Ausnahmen.

Ihr wollt auf keinen Fall, dass eure seltenen Karten euch von reichhaltigen und vielversprechenden Farben ablenken. Wenn ihr Weiß verschmäht, obwohl es eine Menge toller Entfernungszauber und Kreaturen hat, nur weil ihr eine tolle seltene Karte und einen Haufen 3/3-Kreaturen für vier Mana in Blau gezogen habt, seid ihr auf dem Holzweg.

Was aber, wenn ihr keine Farben habt, die so gut sind?

Sealed-Deck ist ein ungewöhnliches Format, bei dem ihr wirklich dem ausgeliefert seid, was ihr zieht. Beim Constructed bringt ihr euer eigenes Deck mit, und beim Draft könnt ihr euch vom ganzen Tisch das Beste aussuchen, aber im Sealed-Deck habt ihr eben nur diese sechs Booster.

Manchmal kommen dabei tolle Sealed-Pools heraus, und das ist dann richtig prima. Doch ein ganzer Zweig der Deckbautheorie für Sealed befasst sich mit dem genauen Gegenteil: Wie kann man gewinnen, wenn der Pool nicht so sonderlich stark ist?

Und hier lohnt es sich wirklich, um die seltenen Karten herum zu bauen.

Sagen wir, ihr habt all eure Karten ausgepackt und bewertet. Ihr findet sie eher schwach. Ihr könntet jetzt ein unterdurchschnittliches zweifarbiges Deck bauen, das gut genug ist, ebenso unterdurchschnittliche Decks zu besiegen, das aber gegen die meisten Spieler verlieren wird, die stärkere Karten gezogen haben.

Das heißt, es ist an der Zeit, ein Risiko einzugehen.

Spielt ihr auf einem großen Event, wollt ihr sicherlich gewinnen, und dazu müsst ihr euch durch die anderen potenziellen Gewinner durchkämpfen. Eine Möglichkeit, bessere Decks als euer eigenes zu schlagen, besteht darin, das Optimum aus euren mächtigen seltenen Karten herauszuholen und einzelne Machtspitzen zu erzeugen, mit denen sich Gegner überwältigen lassen, sofern sie damit nicht fertigwerden.

Sagen wir, ihr zieht den bereits zuvor erwähnten Ruhmbringer.

Ihr glaubt, das beste Deck, das ihr bauen könnt, ist weiß-blau. Die meisten eurer Karten sind ziemlich schwach. Ihr glaubt aber auch, dass euer Deck insgesamt ziemlich schwach ist und nicht allzu viele starke Karten beinhaltet.

Nun, in diesem Fall lohnt es sich vielleicht, eine eurer Farben gegen Rot auszutauschen, um diesen Ruhmbringer nutzen zu können. Selbst wenn das euer Deck normalerweise schwächen würde, braucht ein ohnehin schon schwaches Deck diesen zusätzlichen Schub, um gewinnen zu können. (Und in diesem speziellen Beispiel würde ich vermutlich mehr Karten mit Umwandlung spielen, um die Chance zu erhöhen, den Ruhmbringer auch zu ziehen.)

Damit das funktioniert, müsst ihr jedoch ehrlich zu euch selbst sein. Wenn ihr euch einredet, dass euer überdurchschnittliches Deck eher unterdurchschnittlich ist, nur um vor euch selbst zu rechtfertigen, diesen Ruhmbringer zu spielen, macht das schlichtweg überhaupt keinen Sinn. Es ist nicht immer die richtige Entscheidung, sondern eine Taktik, die ihr einer sehr spezifischen Situation anwenden könnt.

Das Einstreuen seltener Karten

Eine weitere wichtige Herangehensweise, die es zu bedenken gilt: Ihr könnt immer versuchen, eure seltenen Karten einzustreuen.

Besonders im Sealed-Deck, das in der Regel langsamer ist und wo ihr mehr Zeit habt, eure Farben zu finden, ist es vernünftig, seltene Karten einzustreuen. Habt ihr beispielsweise eine Skorpion-Gottheit gezogen, aber euch fehlt das Schwarz im Deck, um sie zu spielen, könntet ihr einfach ein paar Sümpfe spielen und die Karte mit ins Deck nehmen.

Auch das solltet ihr nicht immer tun. Es hängt definitiv von der Karte und eurem Deck ab. Es ist jedoch eine Möglichkeit, die ihr beim Deckbau im Hinterkopf behalten könnt, vor allem dann, wenn euer Manafixing stimmt.

Wollt ihr mehr darüber erfahren? Ich habe in meinem Artikel „Schön eingestreut“ viel über das Einstreuen geschrieben. Dort findet ihr also weitere Anregungen wann (und wann nicht) ihr Karten einstreuen solltet.

Seltener Rat

Es hat viele Jahre gedauert, mir anzugewöhnen, meine Sealed-Decks nicht danach zu bauen, welche seltenen Karten ich gezogen hatte – ich habe euch also hoffentlich einen kleinen Vorsprung gegeben, euch das gar nicht erst anzugewöhnen! Möge dieser Artikel euch weitere Hinweise und Ratschläge geben, wie ihr euer Deck an diesem Wochenende am besten baut.

Habt ihr Fragen oder Anmerkungen zu diesem Artikel? Dann möchte ich dringend von euch hören! Ihr könnt mich immer auf Twitter und Tumblr oder per E-Mail erreichen (bitte auf Englisch an beyondbasicsmagic@gmail.com).

Habt ein tolles Prerelease! Wir sehen uns dann nächste Woche! Viel Spaß mit allem, was Stunde der Vernichtung euch so zu bieten hat.

Gavin
@GavinVerhey
GavInsight