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Eine kleine Krabbe lief Teferi über die Hand.

Die Wellen – was hatte er gesagt?

„Ich glaube, unsere Zeit ist abgelaufen“, sagte Urza und wies auf eine Leere über Teferis Kopf. „Ich erkenne dort draußen etwas.“

Der Vernichter Dominarias im Gespräch mit dem Vernichter Zhalfirs – er stand immer im Schatten dieses mächtigen, alten Mannes. Was er dort wohl entdeckt hatte.

Steh auf. Verlass diesen Strand. Vergiss es. Blinzle und es ist fort. Das ist wahrscheinlich das zweite Mal, dass du gestorben bist, aber jetzt bist du wieder zurück – was wirst du unternehmen?

Ein Krieg steht bevor. Was wirst du unternehmen?

Illustration von: Chase Stone

Nackt und allein ging Teferi vom Strand aus landeinwärts.

Es war ein milder und warmer Tag. Die Sonne schien durch eine tief hängende Wolkendecke oder Nebel am Horizont – trüb, golden, diffus. Die Erinnerung einer Sonne; wie Teferi Licht in seinen Träumen wahrnahm.

Teferi blieb stehen, wo der Sand dem Strandhafer wich, der wiederum in den Saum eines Dünenwaldes überging. Eine steife Brise wehte vom Wasser her. Feine Sandkörner streiften seine Knöchel. Er kam zu einem Bogen aus Stein, rotem Stein von anderswo, abgestrahlt von den Sandkörnern, die seit Urgedenken täglich auf ihn einprasselten. Regelmäßige Einkerbungen auf der Oberfläche des Bogens mochten einst Schriftzeichen oder ein Wegweiser gewesen sein, doch sie waren zu verschlissen, um noch irgendeine Bedeutung zu tragen. Dahinter lag ein ausgetretener Pfad, gesäumt von Säulen und den Sockeln anderer, die umgestürzt waren.

Teferi lehnte sich gegen den Steinbogen und holte Atem. Schmerz erfüllte ihn dort, wo Augenblicke zuvor nur angenehme Leere gewesen war. Es tat weh, zu atmen. Seine Lungen fühlten sich zugeschnürt an, als wäre er meilenweit gerannt. Sein Körper schmerzte. Von seinem Inneren bis zu den Gliedmaßen fühlte er sich ausgewrungen wie ein nasser Lappen, aus dem man das Wasser herausgedrückt hatte.

Welche Anhaltspunkte hatte er? Teferis Gedanken rasten, während er versuchte, Bestand aufzunehmen.

Du bist nicht mehr mit Kaya verbunden. Du bist ganz und kein Geist mehr, das heißt, etwas muss auf ihrer Seite geschehen sein, was dich dann hier in diesen Zustand versetzt hat. Das war nicht geplant und nicht in Betracht gezogen worden: nicht gut. Versuche, zurückzukehren.

Teferi fühlte aus sich heraus und dann in sich hinein, um die vertrauten Bewegungen des Weltenwanderns einzuleiten, doch nichts geschah. Ein schwacher Ruck wie das Zucken eines tauben Glieds. Er hockte sich hin, drehte sich um und setzte sich. Eine Welle der Panik und Übelkeit. Er lehnte seinen Kopf an den Steinbogen und starrte blinzelnd auf das Meer, geblendet vom Tageslicht und dem Glitzern des Wassers.

Nebel hing am Horizont. Die Wellen waren sanft und brandeten weniger, als dass sie in sich zusammenfielen. Küstenvögel suchten den Strand ab und Krabben huschten umher, wie ein Tanz zwischen Jäger und Beute. Weit weg, dachte Teferi. Wunderschön wie das Nichts.

Er beobachtete das Licht über dem Ozean. Er streckte seine Hand nach einer eingebildeten Sonne aus und gebot ihr, am verborgenen Horizont unterzugehen, auf dass der Tag fließend in die Nacht übergehen möge. Die Zeit unterwarf sich seinem Willen nicht. Er ließ seine Hand wieder in den Schoß fallen.

„Das war’s“, sagte Teferi an den Wind, die Vögel und die Krabben gewandt. „Sie haben gewonnen.“


Es wurde Nacht. Teferi schlief. Der Gesang der Zikaden glich dem von Kreissägen, Albträume. Er träumte von Dingen, an die er sich nicht erinnern wird, die er aber nach seinem Erwachen mit sich tragen wird:

Kroog. Ein matschiges Feld, durchzogen von Schützengräben, ein von Pockennarben gezeichnetes Gesicht, das aus den dunkelsten Stunden Dominarias emporschielt, Kraterlippen feucht von den frisch auferstandenen, verfaulenden Toten, unter deren Haut sich Drähte ihren Weg bahnen. Argoth, brennend, von Öl besudelt, Elfen und Menschen zerquetscht unter den Füßen metallener Bestien, deren Kreissägen seinen Kopf brummen ließen, obwohl sie außerhalb seiner Träume nur Zikaden waren.

Dinge, an die er sich erinnern wird, wenn er aufwacht:

Der kalte Druck, als die Klinge des Phyrexianers in ihn eindrang. Die dunklen Hallen von Urzas belagertem Turm erinnerten ihn an die Hallen Tolarias vor so vielen Tagen, von Feuer beleuchtet und von Qualen heimgesucht.

Was am meisten schmerzt:

Subira zieht nicht mehr umher, das tat nun er. Wir sehen uns irgendwann unterwegs, Subi.


Ein kalter Nebel stieg vom Meer auf, sodass Teferi Gänsehaut bekam. Er wachte auf und sah, dass die Flut gekommen war, die Wellen fielen nun nicht mehr in sich zusammen, sondern brandeten stark, silberblau im Mondlicht.

Teferi stand langsam auf. Keine Monde waren zu sehen. Und doch fiel ein fahlblaues, hartes Licht auf die Landschaft. Sonderbar, aber er musste weiter. Landeinwärts, an einen wärmeren Ort. Den Spuren folgen. Wo Menschen sind, gibt es Hoffnung – Menschen brauchen Essen, brauchen Schlaf, brauchen Gelächter. Sie brauchen auch Kleidung zum Wechseln, dachte er, und schlang seine Arme um sich, um sich vor der Kälte zu schützen. Er rieb sich die Arme, um etwas Wärme zu erzeugen, und folgte dem Pfad landeinwärts. Der Dünenwald schützte ihn vor dem schlimmsten Wind und je weiter er ging, desto wärmer wurde die Nacht und desto ruhiger die Luft. Der kräftige Geruch verfaulenden Holzes, Schwemmland, Leben und Tod.

Teferi gelangte aus dem Dünenwald in ein Buschland, das von niedrigen Bäumen mit ausladenden Kronen dominiert war. Insekten und Wind erfüllten die Nacht mit einem derart eintönigen Geräusch, dass es ihm fast wie Stille vorkam. Bei dem trüben Nichtmondlicht konnte er sehen, dass die Landschaft sich bis in weite Ferne erstreckte, wo dunkle Schemen den Horizont als höckerige Linie erschienen ließen – Berge, niedrig und uralt, meilenweit entfernt.

Der Pfad setzte sich hier klarer abgezeichnet fort. Der bleiche Sand schien wie ein Leuchtfeuer im Mondlicht, wie ein Band, das Dutzende Ellen in das Grasland vordrang, bevor es in einen befestigten Feldweg mündete, auf dem von Regen verwaschene Wagenspuren zu sehen waren.

Teferi hockte sich hin und fasste nach dem Sand. Er beschrieb mit seiner Hand eine langsame Schleife knapp über einem alten Fußabdruck, griff in die Zeit und zog Geschichte aus dem Staub hervor.

Früher kamen Menschen hierher. Der Strand hinter dem Dünenwald war einst ein fröhlicher Ort gewesen, an dem Familien lange Nachmittage verbrachten und sich in und am lauen Wasser entspannten. Kinder rannten einst vor Freude jauchzend diesen Pfad entlang und unter dem roten Steinbogen hindurch, in der Hoffnung, eines Tages groß genug zu sein, den Schlussstein an seinem Scheitelpunkt berühren zu können. Ihre Eltern folgten ihnen mit Bollerwagen oder Stricktaschen voller Dinge für den Tag: getrockneter und gekühlter Proviant, Wasser, Decken, Geschichten zum Vorlesen, Körbe, falls sie Muscheln fanden oder kleine Fische fingen, Münzen, um mit den Verkäufern zu feilschen, die die Küste auf und ab gingen.

Teferi schloss die Augen. Mit seiner anderen Hand beschrieb er eine größere Schleife. Er warf das Netz weiter aus, bis zu der Brandung und dem Ufer. Visionen kamen ihm wie Erinnerungen, wie Träume.

Lange, bauchige, bunt bemalte Fischerboote lagen einst am Strand. Am Nachmittag waren die meisten Fischer mit ihrem Fang zurückgekehrt und hatten sich auf den Weg zu den Märkten im Landesinneren gemacht. Manche ruhten sich eine Weile mit ihren Geliebten und Freunden am Strand aus, andere blieben zurück und entfernte Seepocken von den geschwungenen Rümpfen ihrer Boote oder trugen eine neue Schicht Farbe auf sie auf. Riesige Netze flatterten auf Trocknungstürmen im Wind. Manche der Arbeiter und Seeleute schliefen im Schatten ihrer umgedrehten Schiffe und bei der sanften Gischt und dem berauschenden Duft des Ozeans ihrer trocknenden Netze, um sich von den Strapazen des Tags zu erholen.

Eine weitere Schleife. In die nähere Vergangenheit.

Weniger Familien kamen hierher. Jene, die es doch wagten, gingen in engen Gruppen und einige der Eltern trugen alte Waffen – Dolche, Stäbe aus Hartholz mit Eisenaufsätzen an den Enden. An den Booten waren keine Seepocken und ihre Farben waren sonnengebleicht. Es war eine ganze Weile her, dass die Seeleute auf ihnen ausgelaufen waren; in den älteren Schiffsrümpfen bildeten sich bereits Risse. Die zum Trocknen aufgehängten Netze waren gebleicht, steif und spröde. Die Seeleute nahmen ihre Netze nicht mehr mit auf See, weil sie sie nicht mehr brauchten. Die Furcht der Seeleute war dieselbe wie die der Eltern und es war auch Teferis Furcht, dieselbe, die sich in seinem Hinterkopf regte, diese innere Stimme, die wisperte: Fürchte dich vor dem Meer. Fürchte dich vor der Nacht. Fürchte dich vor dem, was du nicht sehen kannst.

Eine weitere Schleife. Näher.

Furcht. Das Summen der Insekten in der Gegenwand verschmolz mit der Brandung von damals und dem fürchterlichen Geräusch von spitzen Schreien im Meereswind. Verheerung. Der Boden bebte unter dem Ansturm. Der Boden erhob sich und bewegte sich ruckartig.

Eine weitere.

Leere. Regen hagelte auf die Wellen, die gegen die Flanken der Dünen schlugen.

Eine weitere.

Der Strand erschien erneut. Das Wasser war still wie Glas. Eine leichte Brise wehte durch den Strandhafer und erstarb.

Eine weitere.

Am anderen Ende des Pfades, den Teferis Blick in die Vergangenheit nicht erreichte und wo totale Dunkelheit herrschte, tastete sich ein Finger aus Nebel vor. Er krümmte sich und verblasste, wie von einem ungefühlten Wind weggezupft.

Einst hatte der Pfad einen eigenen Herzschlag gehabt: die Schritte der Menschen auf dem Weg zum Meer und derer, die nach Hause zurückkehrten. Wrenn hätte es ein Lied genannt, dachte Teferi. Er stand auf und beendete seinen Zauberspruch. Der Gestank der Chronomagie verblasste. Teferi blickte hinter sich. Der Pfad war auch ein Körper. Ein toter Körper, den er kannte und der sich bis zum fernen Horizont erstreckte, hinter dem das Nichts wartete. Ein leeres Empyreum, abgekapselt von der Zeit und allem anderen.

Zhalfir. Fast vierhundert Jahre später war er zurück in Zhalfir.


Zhalfir

Meilen landeinwärts später mündete der Pfad, dem Teferi gefolgt war, in eine breite gepflasterte Straße, die parallel zur Küste von einem Ende des Horizonts zum anderen führte. Ohne die Meeresbrise klammerte sich die Nacht an die Wärme des Tages. Hohes Gras säumte die Straße und das Summen der Insekten erstickte alle Gedanken.

Orientierungslos bog Teferi nach links ab und ging weiter.

Stunden später, als es zu dämmern begann, weckten ihn das Geklapper von Wagenrädern und Hufen. Teferi hatte gerade abseits der Straße Rast gemacht, um zu schlafen, was ihm nun verwehrt wurde. Mit Schmerzen wagte er sich näher an die Straße heran, das dicke Gestrüpp als Deckung nutzend, und sah, wie eine Karawane vorbeizog.

Es war ein langer Zug mit zehn Wagen, die jeweils von zahmem Vieh gezogen wurden – Ochsen oder Büffel. Auf den Wagen auf Bänken im Schatten saßen die Karawanenführer in leichter, mehrlagiger Kleidung in erdigen grünen und roten Farbtönen. Sie wirkten ruhig, wenn auch müde – viele hatten Tassen dampfenden Kaffees oder eines anderen Heißgetränks in den Händen. Teferi nahm an, dass dies die Tagesschicht sein musste und dass sie gerade erst aufgewacht waren, um den Wachdienst von ihren Gefährten zu übernehmen, die nun in den hohen, mit Leinentüchern bedeckten Wagen zwischen den Kisten und Säcken voller Güter schliefen, die sie transportierten. Er wartete und beobachtete, wie die ersten Wagen vorbeirollten. Er bemerkte die gepanzerten Wachen, die die Nachhut bildeten. Manche schliefen im Sitzen mit einem Riemen an ihre Wagen geschnallt, damit sie nicht herabstürzten. Diese Wachen waren nicht die Akinji, an die Teferi sich erinnerte – ihre Rüstungen waren bunt zusammengewürfelt, ihre Waffen aus einfachem Eisen und ihre Umhänge ungefärbt. Sie waren wahrscheinlich reisende Söldner, die von den Karawanenführern billig angeheuert worden waren.

Teferis Magen knurrte. Er merkte, dass er zitterte. Hungrig, müde, durstig, verirrt – er war alleine. Er brauchte Hilfe und musste das Wagnis eingehen, jemandem zu vertrauen.

Teferi ließ einen weiteren Wagen vorbeiziehen und trat dann aus dem Gebüsch heraus auf die Straße.

„Hallo“, rief Teferi einer herannahenden Karawanenführerin zu. Er hob seine Hand und winkte.

Sie schrie, was ihren Mitfahrer mit einem Ruck aus dem Schlaf riss. Er sprang mit seinen Armen fuchtelnd auf, sodass er den Kaffee seiner Gefährtin umstieß. Die Ochsen, die den Wagen zogen, waren unbeeindruckt, aber nur zu froh, anzuhalten. Der führende Bulle schnaubte, schwenkte seinen Kopf zu Teferi herum und blinzelte.

Die Aufregung brachte die ganze Karawane zum Stehen. Rufe wie „Halt!“ und „Wir werden Angriff!“ hallten die ganze Wagenreihe entlang und die Wachen strömten mit großem Getöse aus ihren Wagen hervor, wobei sich einige in ihren Schlafriemen verhedderten. Die meisten jedoch waren schnell genug zur Stelle, dass sie Teferi in weniger als einer Minute mit ihren Speeren drohend umzingelt hatten.

„Wer bist du, nackter Mann?“, rief eine der Wachen. Sie war eine Frau mit rauer Stimme, die etwa so alt wie Teferi war und eine abgenutzte, aber gut gepflegte Rüstung trug. Der Pelzkragen ihres geflickten königsblauen Umhangs wies sie als ein ehemaliges Mitglied einer Kriegertruppe aus. Sie musste die Anführerin dieser Gruppe sein. Wie die anderen Wachen auch hatte sie ihren Speer auf Teferis Brust gerichtet.

„Ein Reisender“, sagte Teferi. „Ich wurde von Banditen überfallen“, log Teferi. „Vor zwei Tagen, in der Nähe der Küste. Sie nahmen mir meine Kleidung und meinen Proviant und überließen mich dem Tod. Ich bitte euch – ich wäre so dankbar für alles, was ihr mit mir teilen könntet.“

Die Wache entspannte sich. „Banditen“, sagte sie und gab ihren Gefährten ein Zeichen, dass sie wegtreten konnten. „Findet ihm einen Umhang. In der Nähe der Küste? Mach dir keine Sorge, Reisender – sie werden dir nichts mehr anhaben können. Um diese Bande von Verrätern haben wir uns gerade gestern gekümmert.“

„Habt ihr das wirklich?“, fragte Teferi. Er überspielte seine Überraschung gekonnt. Eine der Wachen reichte ihm einen Umhang. Teferi zog ihn an und musterte die Wachen einen Augenblick lang. Viele hatten verbundene Gliedmaßen, Flanken und Köpfe. Es war ein harter Kampf gewesen.

„Sie werden jetzt immer dreister“, sagte die Anführerin mit einer Grimasse. „Menschen können nicht lange unter einem hängenden Schwert leben – sie werden zornig. Hungrig. Nicht mehr bereit, Opfer zu bringen.“

„Die Zeiten sind hart“, stimmte Teferi zu. Nicht mehr bereit, Opfer zu bringen? Er fragte sich, wie viel Zeit wohl für sie vergangen war – Augenblicke oder Jahre?

Die Anführerin blickte grimmig auf ihn herab und schien ihre nächsten Worte vorsichtig abzuwägen. „Wir haben keine Überlebende deiner Gruppe gefunden“, sagte sie. Direkt und nüchtern. „Ihre Körper sind im letzten Wagen – wir bringen sie nach Kiingal. Du kannst uns begleiten und in ihrem Namen sprechen.“ Die Anführerin nickte. Die Entscheidung war gefallen und sie gab einen kurzen, scharfen Pfiff von sich: zurück an die Arbeit. Die Karawane brach auf, und sie bedeutete Teferi, ihr zu folgen.

Teferi schloss zu ihr auf und hielt dabei seinen Umhang geschlossen. Die Dämmerung war nun in vollem Gange und die Wärme des Tages stieg im gleichen Maße wie die Sonne am Himmel.

„Du kommst mir bekannt vor“, sagte die Anführerin. „Ich bin Eshe. Woher kommst du? Wie heißt du?“

„Sefu“, log Teferi erneut. „Ich komme aus Kipamu. Ich habe eines dieser Allerweltsgesichter“, sagte Teferi lächelnd. „Als Händler ist das sehr nützlich – jeder vertraut einem Freund.“

„In der Tat.“

Eshe und Teferi gingen schweigend in einem gleichmäßigen, angenehmen Tempo neben den großen, rollenden Wagen her.

„Du hast nicht nach den Toten gefragt.“

„Die Toten?“

„Deine Kameraden“, sagte Eshe. „Wie viele waren es noch einmal?“

Verdammt. Teferi konnte sich nicht umdrehen, um nachzusehen, der Wagen Stattdessen wirkte er schnell einen subtilen Zauber, um die Antwort aus Eshes Erinnerung zu extrahieren. Hellsicht war noch nie sein Spezialgebiet gewesen. Unter der alten Garde der Wächter war das Gedankenlesen immer Jaces Fachgebiet gewesen. Das Reich der inneren Gedanken zu öffnen wie ein Nachschlagewerk – Teferi fühlte sich unbehaglich dabei, an diesen privaten Ort vorzudringen und zu riskieren, den falschen Strang der Rätselkiste des menschlichen Verstands herauszuzupfen. Mehr noch, er hatte das Gefühl, dass es falsch war, eine Invasion – aber jetzt bestand eine Notwendigkeit. Er war verzweifelt und die Zeit war ihr aller Feind.

Ein leises Klingeln in seinen Ohren. Der beißende Gestank brennenden Grases. Ein einzelner Schrei, abgeschnitten von einem Speer mit Blätterspitze.

„Zehn“, sagte Teferi, während die Erinnerung verblasste.

„Zehn Tote?“ Eshe schüttelte den Kopf. „Eine Tragödie. Aber keine Sorge“, sagte sie. „Wir werden uns gut um dich kümmern.“


Am nächsten Morgen hielt die Karawane an, einen Tag von Kiingal entfernt.

„Stellt euch auf, Bewegung“, riefen die Wachen und hielten die Karawanenmitglieder dazu an, sich am Straßenrand in Reih und Glied aufzustellen. „Schnell, es könnten Banditen in der Nähe sein“, riefen sie die verschlafenen Händler tadelnd.

Teferi stellte sich zu den Karawanenmitgliedern und schwankte ein wenig, als er versuchte, strammzustehen, wie die Wachen es verlangten. Er hatte nur unruhig geschlafen, selbst nachdem seine Albträume vergangen waren. Er gähnte als Antwort auf die Händlerin, die neben ihm stand und ebenfalls kräftig gähnte.

„Ist das jeden Morgen so?“, fragte Teferi die Händlerin.

„Nein“, entgegnete sie. Sie zitterte, nicht vor Kälte, denn es war ein warmer Morgen, sondern vor Furcht. „Vertraue diesen Banditen nicht“, sagte sie schnell flüsternd. „Sie haben unsere Wachen erschlagen und ihren Platz eingenommen, sie haben vor, unsere Güter zu verkaufen, an –“

„Ruhe“, zischte Eshe. Die Händlerin zuckte überrascht zusammen. Eshe blickte zwischen den beiden hin und her.

Teferi erwiderte ihren Blick und verstand. Sie sah ihn mit purem Hass an. Sie hatte ihn erkannt. Sie wusste, wer er war.

„Wieder in die Reihe, Sefu“, sagte Eshe an Teferi gewandt. „Und ab jetzt stillgestanden.“

Teferi nickte und stand stramm. Was als Nächstes geschehen würde, war noch nicht geschrieben; es könnte einen Ausweg geben, der nicht in einem Zusammenstoß bestand. Er schwieg und wartete.

Die Wachen standen den Mitgliedern der Karawane gegenüber, in der Unterzahl, aber bewaffnet und gepanzert, und warteten darauf, dass Eshe ihre gründliche Musterung ihrer Gefangenen abschloss. Sie schritt mit steifer Präzision die Reihe entlang.

„Hört zu“, sagte Eshe, als sie das Ende der Reihe erreicht hatte. Ihre Stimme schallte über die verlassene Straße und hob sich klar und deutlich vom morgendlichen Summen der Insekten ab. „Ihr seid uns mit Geduld begegnet. Mit Güte, trotz der Art und Weise, wie wir euch behandelt haben. Jetzt bitte ich euch um einen weiteren Akt der Nächstenliebe: Unter euch ist eine Schlange.“

Die Mitglieder der Karawane riskierten es, besorgte Blicke auszutauschen.

„Zhalfir ist im Krieg“, fuhr Eshe fort. Sie wandte sich um und begann, langsam die Reihe der Karawanenmitglieder wieder hochzuschreiten. „Wir sind seit Generationen im Krieg. Erst der Krieg der Trugbilder dann der Keldonische Krieg und jetzt dieses lange Warten. Die Vorbereitung auf den Phyrexianischen Krieg, die Verteidigung Dominarias gegen die Horden Yawgmoths. Unsere Felder, unsere Städte, unsere Länder, unsere Völker – seit Generationen dem Krieg unterjocht.“ Eshe blieb neben einer Händlerin stehen. Ohne sie anzusehen, deutete sie auf sie. „Du“, sagte sie. „Wie viele Familienmitglieder hast du verloren?“

„Drei während des Kriegs der Trugbilder“, brachte die Händlerin heiser stammelnd aus ihrem vor Furcht trockenen Hals hervor. „Meine Mutter, meine Großmutter und meinen Großvater.“

„Und du?“ Eshe wies auf die nächste Händlerin.

„Zwei, als die Keldonen angriffen“, sagte sie. „Meinen Mann und meinen Bruder.“

„Du?“

„Meinen Bruder, meine Schwester und meine beiden Töchter an Kaerveks Armeen im Krieg der Trugbilder. Und ich wurde bei Tefemburu verwundet.“

Illustration von: Daarken

Eshe nickte. Sie streckte die Hand nach dem letzten Händler aus und hielt einen Moment lang überwältigt inne. Sie legte ihre Stirn an die seine und flüsterte ihm leise etwas zu, das nur er hören sollte. Dann küsste sie ihm auf die Stirn und trat von ihm wg. Sie blickte zu ihren Banditenkameraden, deutete auf sie und dann zurück zu den Karawanenmitgliedern.

„Wir alle sind durch Trauer verbunden“, sagte Eshe. „Wir sind Brüder und Schwestern und Geschwister durch unseren Verlust, unseren Hunger und unsere Furcht.“

Teferi blickte auf die rote Erde unter seinen nackten Füßen. Keine Tränen. Es stand ihm nicht zu, zu weinen.

„Zhalfir allein, wir allein, haben alle Klingen abgewehrt, die auf uns gerichtet wurden.“ Eshes Stimme bebte vor Ergriffenheit. „Egal, wie viele Tote, egal, wie fürchterlich der Feind.“

Stille. Eshe tippte mit dem Fuß ihres Speers in einem Rhythmus auf die festgetretene Erde der Straße, der unruhige Herzen besänftigen und ihnen Halt geben sollte. Sie legte einige Schritte zurück, um zu Teferi zu gelangen.

„Nur einer“, sagte Eshe. Alle anderen Geräusche schienen dem warmen Morgen entflohen zu sein. „Nur einer von uns erlitt diese Schmerzen nicht. Er stahl sich fort. Aber nun ist er zurückgekehrt“, sagte sie. Eshe hob einen Arm und deutete auf Teferi. „Vor uns steht Teferi, die Schlange.“

Unruhe brach unter den Karawanenmitgliedern und den Wachen aus, sie schrien und keuchten angesichts dieser Offenbarung. Sämtliche Ordnung war vergessen, als die Karawanenmitglieder von Teferi weg und die Wachen mit gezogenen Waffen auf ihn zu traten. Auch einige der Karawanenmitglieder kamen mit geballten Fäusten auf ihn zu. Teferi wehrte sich nicht, als sie ihn fassten. Er hielt einfach nur die Hände hoch.

„Eshe, bitte.“

„Nein“, sagte Eshe. Sie hob ihren Speer, nahm all ihre Kraft zusammen und stieß ihn nach seinem Herz.

„Stopp“, sagte Teferi und die Zeit gehorchte.

Er seufzte. Er wand sich vorsichtig aus dem Griff der in der Zeit gefangenen Karawanenmitglieder und ging dann erschöpft in die Hocke. Er setzte sich auf den Boden.

„Ich habe gestern nicht gut geschlafen“, murmelte Teferi. „Eshe, kannst du mich hören?“, fragte er. Er blickte zu Eshe auf, die nicht vollständig erstarrt, sondern fast unmerkbar langsam in ihrem Stoß gefangen war. Sie antwortete nicht. Aus ihrer Kehle kam ein tiefes Stöhnen – ihr verlangsamter Tötungsschrei.

„Ach ja.“ Teferi zeichnete mit seinem Finger einen langsamen Bogen durch die Luft. Eshes Stoß beschleunigte sich und ihr Schrei nahm eine normalere Tonhöhe an. Auf ihrem Gesicht machte sich Verwirrung breit, als ihre Augen ihrem Verstand endlich meldeten, dass Teferi verschwunden war.

„Hier unten“, sagte er.

Eshe vernahm ihn einige Minuten später. Ihre Verwirrung schlug in Zorn um, aber nun sah sie ihn an. Teferi sah ihr dabei zu, wie sie gegen die verlangsamte Zeit ankämpfte und versuchte, ihren Griff zu wechseln, um seine Klinge in einem schwerfälligen, aber effektiven Hieb nach unten zu lenken.

„Ich liebte einst eine Karawanenführerin“, sagte Teferi. „Sie heiß Subira. Sie dachte genau wie du, dass ich ein Mörder wäre, als sie mich kennenlernte. Ein Idiot. Sie dachte viel über mich. Aber sie begegnete mir mit Menschlichkeit. Sie hörte mir zu“, sagte Teferi. Er sah auf, aber nicht zu Eshe, sondern zum Himmel, und blinzelte seine Tränen weg. „Sie hörte mir zu, obwohl ich es nicht verdiente. Wir liebten einander und hatten eine Familie.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augen. „Sie verlor niemanden, als ich Zhalfir wegschickte. Sie wuchs auf der Straße auf, wie ihre gesamte Familie seit Generationen – Zhalfir war für sie nur eine Geschichte.“ Er zuckte zusammen. Was er als Nächstes sagen würde, würde wehtun, aber er musste es sich sagen hören.

„Ich glaube“, sagte Teferi, wobei sich die Worte zäh und kalt in seinem Mund anfühlten, „dass ich mir einredete, ihre Liebe entband mich von dem gewaltigen Schmerz, den ich dir zugefügt habe. Dem Schmerz, den ich Zhalfir, unserer Heimat, zufügte. Subira akzeptierte mich, was unfassbare Güte erforderte. Aber ihre Akzeptanz, ihre Liebe –“ Teferi schüttelte den Kopf. „Eine solche Liebe kann Seelen retten, aber sie heilt nicht das hier.“ Teferi stieß seine Finger in den roten Sand, ergriff zwei Handvoll und ließ ihn durch seine Finger rieseln. Die Farbe blieb an seinen Handflächen haften und grub sich unter seine Nägel. Sie würde nie verblassen. „Sie starb, bevor ich einen Weg finden konnte, das hier wiedergutzumachen.“

Eshes Speer hatte endlich mit der Klinge voraus seine Stoßrichtung geändert. Er war gut einen Fuß entfernt und Teferi konnte ihm mit einer einfachen Geste Einhalt gebieten; er war in keinerlei Gefahr, aber Eshe kämpfte dennoch. Er wischte seine Hände an seiner gespendeten Robe ab, und ergriff dann die Klinge des Speers.

„Mir kann nicht mehr vergeben werden“, sagte Teferi. „Mir bleibt nur noch, das Richtige zu tun.“ Er drückte zu und ließ die Klinge in seine Handfläche schneiden. Sein hellrotes Blut lief seinen Arm hinab, tropfte von seinem Ellbogen herab und vermischte sich mit der Erde. Zhalfir in ihm und er in Zhalfir, der Preis war Schmerz. „Ich liebte sie, wie ich auch dieses Land liebte“, sagte er. „Und ich werde Zhalfir sicher durch das führen, was uns jetzt bevorsteht. Das verspreche ich. So werde ich es wiedergutmachen.“

Vernahm Eshe den Schmerz in seiner Stimme? Gefangen in dem Augenblick, in dem sie versuchte, den Vernichter Zhalfirs zu töten, einen verzweifelten Mann aus der Zukunft, der ihr die Kunde brachte, dass ihr Krieg hier nicht enden würde. Die Parallele zu seiner eigenen kürzlichen Erfahrung mit Urza war ihm bewusst; er fragte sich, ob die dunklen Schemen, die am Rande des kleinen Sees gelauert hatten, in dem sie geschwommen hatten, nun zusahen. Ob sie ihre weitreichenden und unergründlichen Gedanken diesem Augenblick widmeten. Ob sie auch hierher eindringen und ihn an einen anderen Ort schicken würden.

Später, dachte Teferi. Zuerst Phyrexia, noch einmal.

„Eshe, ich werde diesen Zauber beenden“, sagte Teferi. „Aber du musst mir versprechen, dass du mich ziehen lässt.“ Es ließ sich nun nicht mehr vermeiden, dass seine Anwesenheit in Zhalfir bekannt war. Teferi konnte sich nur noch etwas Zeit erkaufen, bevor größere Mächte nach ihm suchten; diese Gruppe mochte aus Banditen und ihren Gefangenen bestehen, aber wenn sie die Kunde seiner Ankunft verkündeten, würden sie einen Sturm auslösen, in dem man ihnen ihre Sünden vergeben würde – oder der genug Aufruhr verursachte, dass sie im Durcheinander entkommen konnten.

Eshes Schrei setzte sich fort. Teferi ließ den Speer los und stand mit einem prüfenden Blick auf die Schnittwunde auf seiner Handfläche auf. Er ging einige Schritte von seinem ursprünglichen Standort weg, an dem die Karawanenmitglieder ihn ergriffen hatten, um sich weit außerhalb der Reichweite von Eshes Speer zu begeben. Er hob seine Hände und beschwor ein furchterregendes blaues Licht, pures Mana, das in der Nase brannte und ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließ – dies war der gefletschte Reißzahn, das knisternde Herz eines Feuers, etwas Tiefes und Ursprüngliches, das keiner Kunst entsprang: rohe, sengende Energie. Eine Machtdemonstration, nur zur Sicherheit.

Teferi ließ die Zeit wieder ihren normalen Lauf nehmen.

Eshes Schrei verhallte, nicht mehr ein Ausdruck ihres Zorns, sondern ihrer Verzweiflung. Sie stolperte rückwärts und wand die Spitze ihres Speers von ihm ab. Teferi ließ die blaue Energie von seinen Händen wieder in das Land fließen.

„Eshe, ich danke dir.“

„Verschwinde“, sagte Eshe. Schweiß benetzte ihre dunkle Haut und sie atmete schwer von der Anstrengung, gegen seine Magie anzukämpfen. Sie holte mühsam Atem und ihre Arme zitterten.

Teferi hob die Hände mit in ihre Richtung geöffneten Handflächen. Eshe zeigte keine Regung, aber viele Karawanenmitglieder und Wachen hasteten fort, um hinter ihren Wagen in Deckung zu gehen.

„Spar dir deine Worte“, sagte Eshe. „Verschwinde einfach.“

Teferi nickte. Er stand langsam auf und entfernte sich. Eshe würdigte ihn keines Blickes. Sie starrte auf den Boden, dort wo er gesessen hatte, und auf die gestörte Erde, die er durch seine Hände hatte rieseln lassen.

Allein ging Teferi eilig von dannen. Gemeinsam brachen Eshe und ihre Karawane eine ganze Weile später in die entgegengesetzte Richtung auf.


Anderswo

Teferi schlief und träumte.

Es gibt eine große Kette der Ereignisse, die einst in längst vergessenem und erloschenem Feuer geschmiedet wurde. Alle Dinge sind mit dieser Kette verbunden und reisen an ihr entlang, aber rückwärtsgewandt, sodass sie nur sehen können, wie die Kette war, und nie, wie sie sein wird. Teferi erinnerte sich, dass er dies Urza während ihres Augenblicks im Jenseits erklären wollte, aber es war schwer, die Wirklichkeit zu beschreiben. Vielleicht hätte er alles besser zusammenfassen können, bevor er zum ersten Mal seinen Funken aufgegeben hatte.

Die meisten Wesen in dieser gewaltigen, pulsierenden Masse fühlender Kreaturen aus allen Zeiten und Orten des Multiversums kamen nie in den Genuss, diese Offenbarung zu erleben oder ihrer Zeuge zu werden, geschweige denn, die Geschichte in die Hand zu nehmen und sie ihrem Willen zu unterwerfen; Teferi hingegen hatte seinen Funken aufgegeben und wieder erlangt – er verfügte über faktisch göttliche Macht. Die Zeit gehorchte nur ihm.

Wie auch immer, diese Kette war von vielen Händen geformt worden und einige wenige finden sich zum richtigen Zeitpunkt in der Geschichte wieder, um ihr ihren Stempel aufzudrücken. Je weiter man die Kette entlang reist, desto stärker verblassen diese Stempel. Umgekehrt gilt daher: je näher man dem unbearbeiteten Ursprung dieser Kette kommt, desto deutlicher der Stempel des Schöpfers. Die Signaturen jener, die ein Glied geschmiedet, eine Verbindung gespleißt oder eine Umlenkung erzwungen hatten, glühen allesamt, als würden sie sich in Eisen einbrennen.

Der träumende Teferi blickte auf die Kette herab, die sich durch seinen Kern zog. Keinerlei Schmerz nur eine unendliche Linie, die sich immer weiter herab, herab, herab in die Dunkelheit erstreckte und auf jedem Kettenglied prangte sein Name.


Zhalfir, Monate später

Das Wasser des Flusses war kühl und klar und trug willkommene Erfrischung vom Kleinen Teremko-Gebirge herab. Selbst als das Licht versiegte, klammerte sich das unermessliche Flachland an die Hitze des Tages.

Teferi arbeitete. Er war bis zur Hüfte nackt und watete inmitten einer langen Reihe anderer Arbeiter mit hochgekrempelten Hosen durch den Fluss. Gemeinsam spannten sie ein feinmaschiges Netz über die gesamte Breite der langen und flachen inneren Biegung des Flusses. Jenseits des letzten Fischers fiel das Flussbett rasch ab und erreichte das andere Ufer, wo die beständige Strömung sich in den sandigen Lehmstein fraß. Dies war ihr letztes Netz, das letzte des Tages.

Minuten gingen in Stunden über. Alle Momente verdichteten sich zu einem: Das glucksende Wasser, das um seine Beine floss, war das ferne Rauschen des mächtigen Flusses. Die sanfte Strömung war das raue Seil in seinen Händen. Er zog im Takt des einfachen Liedes, das die anderen sangen, und stimmte dann selbst mit ein. Das Lied auf seinen Lippen war die Luft aus den Lungen seiner Kameraden, die ebenfalls am rauen Seil zogen, die ihre Rücken gegen die sanfte Strömung stemmten, die ebenfalls das entfernte Rauschen des Flusses und sein leises Glucksen vernahmen.

Geteilte Arbeit, geteilte Zeit. Schönheit am Fluss, diese einfache Arbeit, dieses Zusammenspiel vieler zerrender Arme, vieler singender Kehlen, vieler Hände an diesem Netz, das Jahre zuvor von fingerfertigen Handwerken geknüpft worden war, um große silberne Fische aus dem kalten, klaren Fluss zu ziehen. Hoffnung ruhte auf den Händen, die die Fäden zogen, den flinken Fingern, die knüpften, und den sonnengebräunten Armen, die die Hoffnung durch die Zeit zogen. Ein Netz, das Hunderte Leben in einer einzigen, ununterbrochenen Spanne aus Zeit und Arbeit beanspruchte und letztendlich wiederum Leben hervorbrachte.

„Former“, rief die Arbeiterin an seiner Seite ihm zu. Entlang des gesamten Seils wurden im Hintergrund des Liedes zahlreiche kurze Unterhaltungen geführt. Wie auch der Fluss war das Lied voller Wirbel und Windungen. „Wenn es soweit ist, wirst du mit den Kriegsklans in den Krieg marschieren oder bleibst du hier im Dorf?“

„Ich würde bleiben“, sagte Teferi. Er schnaufte und arbeitete im Einklang mit seinen Nachbarn zusammen, um das Netz Handgriff um Handgriff einzuholen. „Aber ich diene nach Belieben der Königin. Ich folge ihrem Befehl.“

„Du lebst wie diese Fische“, sagte die Arbeiterin. „Ich werde mich mit meinen Schwestern den Akinji anschließen, wenn der Krieg kommt.“

Teferi musterte sie. Sie war jung und hatte sich zur Stärkung die Schultern bemalt. Was sie bei dieser Arbeit lernte, würde ihren Speer führen und ihren Bogen spannen.

„Wie viele Schwestern hast du?“

„Drei“, sagte die Arbeiterin. „Neema, Kani und Amana.“

„Und wie heißt du?“

„Oyana. Und ich weiß, wer du bist“, sagte Oyana. „Du bist still, aber du musst nicht sprechen, um erkannt zu werden. Du solltest mehr reden.“

Teferi lächelte. Es war nett, dass sie ihm nahe legte, er solle mehr reden, aber er hatte seines Erachtens genug geredet. Still zu bleiben war klug und bußfertig.

„Die anderen sagen, du seist in unser Dorf gekommen, um dich zu verstecken“, sagte Oyana. „Kani hat mir gesagt, dass du angespuckt und verflucht wurdest, als du in der Stadt warst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die schönen Leute dort so etwas tun würden, aber Kani behauptet auch, dass die schönen Leute der Stadt mit geschlossenem Mund sprechen.“

Teferi machte einen Grunzlaut. Das war ihm nie aufgefallen.

„Meine Schwester Neema stand bereits in General Magetas Diensten, als die Königin sie anwies, Vorbereitungen zu treffen. Kani, Amana und ich hätten hier bleiben und weiter so arbeiten müssen“, sie holte ihren Abschnitt des Netzes ein. „Jetzt sind wir alle alt genug, um zu kämpfen, und diese Arbeit hat mich stärker gemacht.“ Oyana richtete sich auf und ließ ihre Muskeln spielen. „Wenn wir zurückkehren, werde ich an die Front gehen und ganz Dominaria zeigen, wer wir sind und wer sie sind.“

Teferi bückte sich, um den nächsten Abschnitt des Netzes einzuholen.

„Zhalfir ist bereit“, sagte Oyana. Sie sprach nun mit fester Stimme und zog so die Aufmerksamkeit der anderen Arbeitenden in ihrer Umgebung auf sich. „Ich bin bereit. Meine Schwestern und Brüder sind bereit. Die Phyrexianer haben keine Chance gegen uns.“

Die anderen Arbeitenden raunten zustimmend; ein Grollen, das sich aus dem Plätschern des Flusses erhob.

„Du hast also keinen Grund, zu schweigen“, sagte Oyana dem Former. „Du bist der Vater Zhalfirs. Unsere Credos wurden von dir geformt. Unser Land wurde von dir geformt. Verschaffe dir mit offenem Mund Gehör, Teferi.“

Teferi griff nach dem nächsten Netzabschnitt und schwieg. Er arbeitete im Bewusstsein, dass Oyana ihn beobachtete, dass alle anderen ihn beobachteten, dass die Sonne untergehen würde und dass das Wasser bald nicht mehr kühl, sondern kalt sein würde. Er spürte den köchelnden Zorn, der im Blick einiger Arbeitenden mitschwang, aber mehr von ihnen waren neugierig und starrten ihn an, als wäre er eine, seltene, majestätische, gefährliche Kreatur.

„Wie bitte?“, fragte Oyana. Die anderen Arbeitenden hatten sich wieder gewissenhaft ihren Aufgaben gewidmet, Oyana jedoch nicht. Sie hatte Teferi weiter beobachtet und auf eine Antwort gewartet. Er war sich nicht sicher, ob sie nachfragte, weil sie ihren Ohren nicht traute, oder weil seine Stimme – die so lange stumm geblieben war – gänzlich im Rauschen des Flusses untergegangen war.

„Niemand ist bereit“, wiederholte Teferi. „Niemand kann sie aufhalten. Nicht einmal die Tapferen.“

Oyana trat einen Schritt zurück. Sie runzelte die Stirn, musterte Teferi und schüttelte den Kopf. Sie bewegte sich von ihm weg.

Teferi wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

Flussabwärts, wo der Fang tanzte und zappelte, machte der Fluss eine Biegung und nahm das hohe Gras und die dicken Bäume, das Land und den Horizont mit sich. Die Berge in der Ferne fingen das Licht der untergehenden Sonne, ihre Kämme leuchteten hell auf, dem Ende des Tages trotzend, während die Talmulden bereits in die Finsternis der kommenden Nacht gehüllt waren. Die Wolken über ihnen waren Pinselstriche am Himmel in den warmen Farbtönen des Sommers. Hochsommer, eine endlose Weite über dem Flachland. Und jenseits des Himmels eine Leere. Ein blindes Empyreum, das sie von den Schrecken dahinter verbarg.

Als er aufblickte, konnte Teferi die Leere hinter dem Himmel nur gerade so erkennen, als wäre sie nackter Stein unter einer dünnen Farbschicht – noch nicht vollständig von dem Kunstwerk überdeckt. Er lächelte. Teferi war zu Hause.


Teferi und die Fischer kehrten bei Abenddämmerung in das Dorf zurück. Sie hatten das lange Netz aufgerollt und trugen es auf ihren Schultern wie der Kadaver einer gewaltigen Schlange. Auch ihren Fang trugen sie mit sich und Fackeln, um sich den Weg zu leuchten. Kaum jemand redete – bei Anbruch der Dunkelheit holte sie die Arbeit des Tages ein. Sie dachten nur an Essen, die Rückkehr zu ihren Familien und Erholung.

Das Dorf ging fließend in das Land über. Es war eine geordnete Ansammlung von Häusern aus Lehmziegeln und langen, niedrigen Gemeinschaftsgebäuden mit Dachbegrünung. Kornkammern, Brennöfen, Räucherstuben, Kaltschmieden, Gerbereien, öffentliche Stallungen – dies war ein Drehkreuz für die Landwirte, Fischer, Jäger und Sammler der Region und seinerseits ein Außenposten der Stadt, die zwölf Meilen westlich lag. Ein kleiner, gedrungener, überkuppelter Tempel war das einzige Gebäude, das sich von den anderen abhob: der Credosaal. Im Gegensatz zu den anderen Bauwerken, die sich in das Grasland einfügten, wollte der Credosaal gesehen werden. Er stand mitten im Dorf als demütiger Tempel der fünf Credos der Magie, ein Glaube und eine Philosophie, an der Zhalfir sich ausrichtete und ein Ort für die Mitglieder aller Credos auf ihren Reisen quer durch das Land Rast zu machen.

Illustration von: Ilse Gort

Teferi duckte sich in das Gebäude und wusch sich kurz die Füße im gekachelten Trog im Eingangsbereich des Credosaals. Ein einfacher Wandschirm trennte den inneren überkuppelten Raum vom Eingangsbereich, eine Trennwand, die das Licht und den Schall der Außenwelt dämpfen sollte. Teferi atmete den schweren, leicht süßlichen Duft des Weihrauchs ein, der dort hinauswaberte. Zhalfirinisches Brunnholz, das im Manabrunnen im Zentrum des Credosaals schwelte. Er schloss die Augen. Ein Augenblick der Ehrerbietung, eines besänftigten Schmerzes, in dem die Kammern seiner Lungen und seines Herzens sich wieder füllten, nachdem sie so lange leer gewesen waren, dass er vergessen hatte, wie sich dies anfühlte. Er trocknete sich die Füße ab. Trat hinter den Wandschirm und in die Hauptkammer.

Der Raum unter der Kuppel war fünfeckig. Jede Kante stand für eine der fünf Farben der Magie. Gegenüber des Eingangs war eine dunkle Wand mit einer einfachen Tür; dahinter befanden sich die bescheidenen Quartiere, die für die Mitglieder der Credos bereitstanden. Eine niedrige Bank umringte den Raum, in dessen Mitte ein zentrales Element hervorstand: eine flache, breite Steinschale, in der ein schlichtes Bett aus Brunnholzkohlen schwelte. Diese schwache Hitzequelle war auch das einzige Licht in diesem Raum, der unter der Kuppel weitläufig und wesentlich größer wirkte, als das Äußere des Manabrunnens den Anschein erweckte.

Teferi bewegte sich leise und langsam zu seinem Posten direkt links neben dem Eingang. Dort hielt er vor dem Bogen des Former-Credos inne, kniete sich hin, um den Rand der Schale zu ergreifen, und presste seine Stirn dagegen. Das Summen des Manas hallte in ihm nach, ein warmes und vertrautes Gefühl, das durch diesen Brunnen schwang und sich im breiten Steinbecken sammelte. Irgendwo unter ihm, um ihn herum, durch ihn durch, lief eine Ley-Linie.

„Kaya“, wisperte Teferi. „Kannst du mich hören?“

Nichts. Die Kohlen stäubten auf; ein Stück Brunnholz war zerfallen.

„Mein Name ist Teferi Akosa. Ich halte Wache für die Verlorenen und Vergessenen. Ich bin der Vater Niambis und der Mann Subiras. Ich –“ Teferi unterbrach seine Rezitation. Ein Gescharre von der anderen Seite der Kammer. Er blickte über den Rand der Schale und sah eine junge Tempeldienerin, die die Tür vorsichtig hinter sich schloss. Sie trug einfache weiße Roben, die sie als Mitglied des gemeinnützigen Credos auswiesen; eine angehende Heilerin. Sie hatte sich Teferis angenommen, als der im Dorf erschienen war, nicht um zu lernen, sondern um ihn vor seinem Untergang zu bewahren.

„Adia“, grüßte Teferi die Tempeldienerin.

„Former“, murmelte Adia. Lauter zu sprechen würde sich im Credosaal wie Schreien anhören. „Du bist zurück. War es ein guter Tag?“

„Ja, ein guter Tag“, sagte Teferi und erhob sich. „Wir haben mit unserem Fang unser Soll erfüllt – die Gilde murrt vielleicht, aber wir werden dem Befehl der Königin nachkommen können und noch Gut zum Handeln übrig haben.“

Adia nickte. „Soldaten aus Kipamu sind auf der Suche nach dir hier gewesen.“

„Wann?“

„Kurz nachdem du zum Fluss aufgebrochen bist. Sie dachten, sie würden dich hier finden.“

„Haben sie gesagt wofür?“

„Den Krieg“, sagte Adia. Sie breitete ihre Hände mit den Handflächen nach oben aus. Mehr gab es nicht zu sagen. Die Königin hatte in ganz Zhalfir eine Mobilmachung angeordnet, die fünf Hohen Zauberer und General Mageta hatten zugestimmt und also wurde ganz Zhalfir mobilisiert. Ein perfektes Organ, ein logischer und nüchterner Staat, ein Volk mit der Motivation, sich zu beweisen, und eine Welt, die gerettet werden musste. Ordentlich, sauber, ein Mythos, der nur darauf wartet, geschrieben zu werden, mit monumentalen Plätzen voller leerer Sockel für Heldenstatuen und Wänden für Mosaike großer Schlachten.

Jene Gasse, jene Stadt, der wimmernde Junge, das ganze Blut, die Leichen, das Feuer über allem, die Maschine lebendigen Stahls.

„Ich habe ihnen gesagt, dass du zum Fluss gegangen bist“, sagte Adia. „Und dass du am Abend zurückkehren würdest.“

„Sehr pflichtbeflissen.“ Teferi verzog das Gesicht.

Adia senkte ihren Kopf, eine kleine Geste anstelle einer ausladenden Verbeugung.

„Ich werde mich zuerst waschen müssen, und essen.“ Teferi ging an der Tempeldienerin vorbei auf seine kleine Kammer zu. „Finde die Soldaten und sag ihnen, dass ich hier sein werde. Das ist alles. Danke dir“, sagte er und bedeute Adia mit einem Wink, zu gehen. Er wartete nicht, um zu schauen, ob die junge Tempeldienerin ging; er brauchte eine Mahlzeit und frische Kleidung, einen Moment der Ruhe. Sobald Adia die Soldaten herbrachte, konnte er auf nichts davon mehr zählen.


Soldaten war eine dramatische Untertreibung gewesen. Teferi hatte eine Handvoll Akinji erwartet, die einem Askari mittleren Ranges folgten wie Entlein ihrer Mutter; die Gruppe, die ihn grüßte, als er zurück in die Hauptkammer des Credosaals trat, ähnelte jedoch eher einem Kriegsrat. Ein Dutzend muskulöse Sidari in kostbaren blauen Umhängen und sorgsam gebräunter Rüstung erwarteten ihn, hochgewachsene Krieger, die ihre Schwerter zugbereit an ihrer Seite trugen, teure Pelze auf ihren Schultern und Stahl in ihren Augen. Diese Sidari umringten ihren Anführer, ein Offizier in einer gleißenden Silberrüstung, der einen rot gefiederten Flügelhelm unter seinem Arm trug.

„Teferi der Weltenwanderer“, brüllte der General und breitete seine Arme aus. Du Bastard, endlich habe ich dich gefunden!“

„Ich bin jetzt nur noch Teferi Akosa, Jabari“, sagte Teferi. Er gestand sich ein kaum merkliches Lächeln der vorübergehenden Erleichterung zu. Falls die Königin seinen Henker geschickt hatte, so war es zumindest ein Freund. „Es ist so lange her.“

„Ist das so?“, fragte Jabari, während sie sich umarmten. Er schlug Teferi auf den Rücken, drückte ihn, und löste sich dann mit seiner Hand um Teferis Hinterkopf aus der Umarmung. „Vielleicht für dich“, sagte er und wies auf ihn, „aber für mich nicht. Ein paar graue Haare mehr, aber nicht so viele wie du.“ Jabari lachte erneut und ließ von ihm ab. „Du bist zurück, aber wo ist der Rest der Welt? Unsere Seeleute erzählen uns immer noch, dass sich hinter der Küste nur Leere befindet, und unsere Waldläufer, die in den Nebel ziehen, kehren nie zurück.“

„Zhalfir ist immer noch allein“, sagte Teferi. „Es tut mir leid.“

„Hör auf damit. Schluss mit den Entschuldigungen“, sagte Jabari. „Ich habe die Geschichten deines Bußgangs gehört, klang alles sehr ermüdend.“ Er wies seine Ehrengarde an, Platz zu machen, und führte Teferi aus dem Credosaal heraus. „Der große Mendikant, uns allen immer einen Schritt voraus. Reiß dich zusammen. Du bist der Erzmagier Zhalfirs und Zhalfir braucht dich jetzt.“

„Königin Wezna wird mich umbringen lassen.“

„Da hast du recht“, nickte Jabari. „Aber erst nachdem du Zhalfir gerettet hast.“

„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, sagte Teferi. „Ich weiß nicht einmal, ob ich mich selbst retten kann.“

„Wie meinst du das?“

„Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin. Dazu hätte ich eigentlich nicht imstande sein sollen. Zhalfir ist …“ Teferi gestikulierte auf der Suche nach den richtigen Worten. „Isoliert. Allein. Wie du schon sagtest: Jenseits der Küste befindet sich nur Leere.“

Jabari verarbeitete das Gehörte mit verschränkten Armen und auf die Brust gesenktem Kinn. Er runzelte die Stirn, ging ein paar Schritte davon, hielt an, und bedeutete Teferi ihm zu folgen.

Teferi und Jabari gingen gemeinsam fort und ließen die Askari des Generals und den Credosaal hinter sich. Das Dorf um sie herum pulsierte vor Leben. Es war erfüllt von Liedern, Gelächter und fröhlichen Klängen. Der Fang war gut gewesen, wie Teferi gedacht hatte – genug, um den Zehnt des Dorfs für den Krieg zu zahlen, und dennoch ausgiebig zu feiern.

„Ich muss dir etwas sagen“, flüsterte Jabari eindringlich. „Meine Askari wissen nur, dass wir neue Soldaten anwerben und dich zur Königin bringen sollen, aber sie wissen nicht warum.“

„Und weiter?“

„Du bist nicht der Einzige, der von außen hierhergekommen ist.“

„Wie bitte?“

„Ganz so isoliert scheint Zhalfir nicht zu sein“, sagte Jabari. „Mein alter Freund, ich sage dir, wie du uns helfen wirst: Du kommst mit mir nach Aku, um diesen Ankömmling, der deinesgleichen zu sein scheint, zu treffen.“

„Aku.“ Alte Erinnerungen ereilten ihn: die Säulenfelder und die Gräber, die uralte Stadt Aku über den Schwaden des Morasts, der einst der große Sumpf Uuserk gewesen war. „Kaervek?“

„Nein“, sagte Jabari. „Es ist eine Frau königlichen Gebarens. Wir haben sie in Bernstein eingefasst, aber zuvor …“ Jabari wandte sich Teferi erneut zu und tippte ihm zur Betonung jedes Wortes auf die Brust. „… hat sie nach dir gefragt.“

Eine Frau königlichen Gebarens. Davon kannte er zu viele. Hatten Kaya und Saheeli eine Möglichkeit gefunden, die Leere zu durchqueren und Zhalfir zu erreichen? Wie viel Zeit war außerhalb dieses Ortes verstrichen? Die Zeit hier verging anders als außerhalb, das wusste er inzwischen nur allzu gut. Vielleicht hatten sie den Anker repariert, vielleicht hatten sie Karn gefunden oder diese andere Planeswalkerin gesandt, wie er gesandt worden war, jedoch nun auf eine Weise, dass sie sie beide zurückholen konnten.

„Beschreibe sie mir.“

„Jung, aber mit weißen Haaren“, sagte Jabari. „Ein schmales Schwert, feine, goldene Rüstung. Die Gelehrten sagen, sie sähe aus wie Madaran. Und dann ist da noch das hier –“ Er blickte Teferi über die Schulter und pfiff einen seiner Soldaten herbei. Der Soldat, der einen in Stoff eingewickelten Gegenstand trug, eilte herüber. Er verbeugte sich und bot das Stoffbündel Teferi und Jabari dar.

Teferi nahm es entgegen. Er packte es aus und offenbarte eine edle, breitkrempige Kopfbedeckung. Sie war in glänzendem, lackiertem Gold und Grün gepanzert – leicht, aber robust, eine perfekte Mischung aus Schutz und Zierde.

„Ein eigentümlicher Hut, aber gut für Reisen“, sagte Jabari.

„Gut für Wanderungen“, murmelte Teferi. Er erkannte die Frau anhand der Beschreibung. Es war nicht irgendeine Wanderin, es war die Wanderin. Eine weitere Planeswalkerin, hier auf Zhalfir. Nicht, Kaya, nicht Saheeli, sondern eine dritte Person, die wusste, wo sie nach ihm suchen musste.

„Wann brechen wir auf?“, fragte Teferi.

„Morgen“, sagte Jabari. „Wir werden uns beeilen müssen: Die Königin ist bereits dort und sie erwartet ungeduldig die Ankunft ihres Erzmagiers.“

„Morgen“, wiederholte Teferi. Morgen würden sie nach Aku aufbrechen, um die Wanderin zu treffen und zu hören, welche Botschaft sie brachte. Was war das für ein Gefühl? Hoffnung, erkannte Teferi. Ein Augenblick der Hoffnung gefolgt vom kalten Raunen der Wahrheit: Dies waren erfreuliche Neuigkeiten, aber keine guten. Dass Zhalfir erneut mit dem Multiversum verbunden war, bedeutete, dass Zhalfir in Gefahr war.


Am nächsten Morgen waren Jabaris Sidari bereits vor der Dämmerung auf den Beinen und machten ihre Vorratswagen und persönlichen Bündel reisebereit. Später, als die Sonne begann, den feuchten Dunst des Morgens wegzubrennen, gesellte sich eine Gruppe frischer Rekruten zu ihnen – Jugendliche, die endlich alt genug waren, um sich den Kriegertruppen anzuschließen. Teferi stieß gemeinsam mit dieser Gruppe zu ihnen, ebenso wie der Rest des Dorfes. Die Fischer waren bereits lange vor der Morgendämmerung zum Fluss aufgebrochen und hatten nur die stillen Älteren und die Handwerker, die zu Land arbeiteten, zurückgelassen, um ihnen Lebewohl zu sagen.

Eine lange Reise über die Mtenda-Ebene und das felsige Hochland an der Grenze zu Zhalfirs nördlichen Regionen. In seiner Jugend hatte Teferi Wege gekannt, die sich die gewaltigen Kämme des Teremko-Gebirges hochwanden, aber er nahm an, dass die Straße, der sie folgen würden, gen Westen entlang der Küste führte, die Ufer der Buleusi-Bucht überquerte und dann wieder gen Süden kehrtmachte. Am Ende der Straße lag Aku, die Gräberstadt, im entlegenen Uuserk-Marschland weit entfernt vom Licht Kipamus.

„Former?“

Teferi blickte vom Boden auf und sah Adia, die Tempeldienerin vom Manabrunnen, die mit einem Stoffbündel auf ihn zukam.

„Ich dachte, du solltest das hier haben“, sagte Adia. Mit leicht gerunzelter Stirn hielt sie Teferi das Bündel hin.

„Was ist das?“, fragte Teferi, als er das weiche Bündel entgegennahm. Er rollte es aus und hielt die Robe an sich heran.

„Der alte Talar des Formers vor dir“, sagte Adia. „Er ist sauber. Ich habe die Motten- und Mauselöcher gestopft. Er ist deinem Rang angemessen. Eine ältere Machart, aber“ – sie zuckte mit den Schultern – „das gilt ja auch für dich.“

Teferi lächelte. „Vielen Dank, Adia.“

„Ich lebe, um dem Credo zu dienen“, sagte sie mit neutraler Stimme. Sie verbeugte sich, richtete sich wieder auf, verschränkte die Hände vor sich und sah Teferi noch immer nicht an.

„Ich habe eine Tochter, Adia“, sagte Teferi sanft, während er den Talar wieder zusammenrollte. „Sie war auch einmal so alt wie du.“

„Wie bitte?“

„Mir scheint, du willst mir noch etwas sagen.“

Adia nickte.

Teferi packte den Talar sicher in seinen Beutel und ließ Adia die Zeit, die sie brauchte.

„Sollte Zhalfir zurückkehren, dann würde der Krieg beginnen“, sagte Adia. „Richtig beginnen. Kein Warten, kein Vorbereiten mehr. ‚Zhalfir allein‘ hätte ein Ende und wir wären zurück in der echten Welt.“

„Das stimmt“, sagte Teferi.

Adia sah sich um, um sicherzustellen, dass niemand mithörte. Alle anderen führten ihre eigenen kleinen Gespräche – Älteste, die ihren erwachsenen Enkeln Lebewohl sagten, eifrige Rekruten, die Jabaris Askari beeindrucken wollten, Jabari, der mit seinen Dienern redete. Der Tumult gewährte ihnen Vertraulichkeit.

„Ich glaube nicht, dass die Rückkehr Zhalfirs in die Welt etwas Gutes ist, wenn diese Rückkehr bedeutet, dass der Krieg ausbricht – wirklich ausbricht“, sagte Adia schnell in einem Atemzug, als spuckte sie eine widerliche Pastille aus, die man sie gezwungen hatte, im Mund zu behalten. „Dieser Schwebezustand ist schlecht, aber es herrscht Frieden; der Krieg der Trugbilder und der Keldonische Krieg haben jeder Familie jemanden entrissen, und diese Kriege wurden gegen Menschen wie du und ich geführt.“ Sie blickte zu Teferi auf. „Ich bin ein Waisenkind des Keldonischen Krieges. Ich diene dem gemeinnützigen Credo, weil der Krieg mir so viel genommen hat. Ich glaube, unsere Leute stellen sich den Krieg gegen Phyrexia nur als Prüfung vor. Eine große Herausforderung, in der sie ihre Macht beweisen und Dominaria zeigen können, wo die Sonne aufgeht. Ich glaube, dass wir alle so viel verloren haben, dass wir uns gar nicht vorstellen können, noch mehr zu verlieren; wir haben vergessen, was der Krieg einem nimmt, selbst wenn man nichts mehr übrig hat.“

Teferi streckte die Hand aus und zog Adia behutsam zur Seite, etwas weiter von der Gruppe weg. Die Rekruten verabschiedeten sich ein letztes Mal und die Sidari begannen, sich in Reih und Glied aufzustellen.

„Die Kosten dieses Krieges machen mir gewaltige Angst“, fuhr Adia flüsternd fort. „Mir ist übel vor Sorge – wenn wir verlieren, bedeutet das unseren Untergang, aber was, wenn wir siegen?“ Sie deutete auf die Sidari und Rekruten. „Zhalfir hat so viel Zeit damit verbracht, zu warten und ihre Schwerter zu schärfen, dass wir nach unserem Sieg über Phyrexia feststellen werden, dass wir nichts anderes mehr können.“

Teferi schwieg.

„Was können wir dagegen tun?“, fragte Adia. „Was kann ich tun?“

„Teferi!“ Jabari rief ihm von der Spitze der sich bildenden Formation zu und winkte ihn herbei. „Versuch nicht schon wieder, dich davonzustehlen, Weltenwanderer, sonst lasse ich dich meine Späher ausbilden!“

Teferi winkte ihm zu und schnallte sich seinen Beutel auf den Rücken. Adia hatte sich nicht gerührt. Die Tempeldienerin wartete auf eine Antwort, die Teferi noch nicht parat hatte. Er konnte nur an seine eigene Tochter Niambi denken.

Als Niambi sehr klein gewesen war, hatten sie einmal gemeinsam im Hof gespielt, während Subira unterwegs war. Lachend, frei und furchtlos war Niambi losgerannt. Sie stolperte, bevor Teferi sie warnen konnte, und ehe Teferi sich’s versah, hatte er sie in der Zeit eingefroren, sodass sie mitten in ihrem Sturz gefangen war.

Er erinnerte sich, wie er um sie herum gegangen war und jeden nur erdenklichen Ausgang abgewogen hatte, sollte er sie aus diesem eingefrorenen Moment entlassen. Er hätte sie für immer so belassen können, wenn er wollte – und ein Teil von ihm wollte das: Dort wäre sich sicher und weit weg von der Welt –, doch er hatte diesen dunklen Gedanken abgeschüttelt. Seine Entscheidung war ein Mittelweg zwischen Untergang und Erlösung: Er fing sie auf.

Jetzt konnte er sie nicht auffangen, aber er konnte an ihrer aller Seite stehen.

„Manche Dinge sind so groß“, sagte Teferi, „dass es nichts gibt, was du oder ich tun könnten, um sie aufzuhalten.“

„Aber doch nicht für dich“, sagte Adia. „Nichts ist zu groß für dich. Du hast uns fortgeschickt, um uns zu beschützen, also behalte uns einfach hier. Beschütze uns, beschütze Zhalfir.“

„Das kann ich nicht.“ Teferi schüttelte den Kopf.

„Aber das hast du doch!“

„Damals war ich jemand anderes“, sagte Teferi. „Ich war … mehr. Weniger. Ich war jemand anderes.“ Sein Blick folgte der Straße. Bis nach Aku und darüber hinaus. „Hör zu, Adia, ich war viele Jahre fort, aber in der kurzen Zeit, seit ich zurück bin, habe ich eines gelernt – Zhalfir ist mehr als nur Krieg. Wir können mehr, als nur kämpfen. Vor all dem hier waren wir etwas anderes“, sagte Teferi. „Wir können nicht aufhalten, was auf uns zukommt, aber wir können bestimmen, was danach geschieht.“ Teferi deutete auf die Soldaten, die Rekruten, das Land. „Ja, ein fürchterlicher Schrecken kommt auf uns zu, aber er hat uns nur so lange im Griff, wie wir das zulassen.“

„Ich verstehe nicht.“

„Wir sind nicht an ein Schicksal gebunden“, sagte Teferi. „Nur an unsere Vergangenheit. Wir waren nicht schon immer Soldaten. Wir waren nicht schon immer allein.“

Adia hob einen Finger, als wolle sie antworten, hielt dann aber inne. Sie fasste sich. „Mögest du dein Ziel wohlbehalten erreichen“, sagte sie. Adia wartete nicht auf Teferis Antwort, sondern ging mit schnellen Schritten zurück ins Dorf. Teferi versuchte nicht, sie aufzuhalten, er beobachtete sie nur, wie sie sich durch die Reihen eifriger Rekruten drängte. Ihre Roben, weiß wie Wolken, verschwanden in der Menge.

Was hatte er gedacht, damals, als Niambi gestürzt war? Kein Ausmaß der Introspektion konnte Zhalfir zurückbringen. Nun gut, ein gewisses Ausmaß an Introspektion hatte ihn zurückgebracht, nur, um festzustellen, dass kein Ausmaß der Entschuldigungen das wiedergutmachen konnte, was er angerichtet hatte. Es war von vornherein klar gewesen, dass es nicht so einfach sein würde, Zhalfir einfach zurückzubringen; Zhalfir war mehr als ein Name auf einer Karte. Sie war eine Nation, ein Volk, eine Geschichte, eine Zukunft und nicht etwas, was er kontrollieren konnte. Nicht etwas, das er im Alleingang retten konnte, egal, wie sehr er dies wollte. War es nicht genau das, was gute Eltern ausmachte? Zu wissen, dass sie nichts tun konnten, außer für ihr Kind da zu sein, wenn es sie am meisten brauchte? Er hatte ihnen allen unrecht getan, aber nun konnte er an ihrer Seite stehen; er konnte sie lehren, wie sie sich gegen den Sturz wappnen konnten, und ihnen danach helfen, wieder aufzustehen.

„Teferi!“

„Jabari“, rief Teferi zurück. Er ließ einen Herzschlag verstreichen. Führte seine Finger an seine Lippen, küsste sie, berührte seine Stirn und legte die Hand auf sein Herz. Eine alte Geste. Dankbarkeit gegenüber diesem Ort für das, was er ihm gegeben, für das, was er ihn gelehrt hatte.

Teferi brach gemeinsam mit den Soldaten und Rekruten auf und marschierte an ihrer Seite den langen Weg bis nach Aku.


Aku, Wochen später

Die Reise nach Aku nahm weniger Zeit in Anspruch, als gedacht, jedoch war sie voller Gefahren, aber Jabari und seine Soldaten hatten sie – mit Teferis Hilfe – ohne Verluste hinter sich gebracht. Als sie die Stadt erreichten, hatten sie weder Zeit für Speis noch Bad, bevor Laufburschen kamen, um Teferi und Jabari wegzuführen.

Die Hallen von Aku waren warm und weihevoll. Die Anwesenheit der Königin gebot, dass Gobelins an die Wände gehangen und kostbare Teppiche ausgerollt wurden, dass Kohlenpfannen mit schwelendem Brunnholz und anderen feinen Duftstoffen befüllt werden mussten; Aku mochte eine Gräberstadt sein, aber es war kein verschmähter Ort. Diese Dekorationen galten sowohl den Lebenden als auch den Toten: Das Fürstenhaus Zhalfirs ruhte hier und die Königin war auf der Suche nach Inspiration, Geborgenheit und geistlicher Weisung hierher gekommen – Feierlichkeit war ein Zeichen des Respekts, nicht der Furcht. Frieden, um die Weisheit eines Volkes besser verinnerlichen zu können.

Dieses Gefühl des Friedens herrschte jedoch nicht in der gesamten Stadt. Die Bernsteingräber, in denen die dunklen Geheimnisse der Vergangenheit unter den stärksten Zaubern weggesperrt waren, die ältesten und mächtigsten Weisheiten, die Zhalfirs Ahnen weitergeben konnten, strotzen vor verstörender Energie. Es wurden zusätzliche Fackeln und Leuchtsteine herbeordert, um die hartnäckigen Schatten zu bannen, die in den Gängen verweilten; dies war besonders unter der Hauptkuppel der Bernsteingräber der Fall, wo die gefährlichsten Bedrohungen für Zhalfir bewacht wurden.

Teferi und Jabari folgten den Laufburschen durch die sich windenden Gassen des zentralen Distrikts von Aku zu den Bernsteingräbern, wo die Königin sie erwartete. An jeder Ecke der hohen Straßen Akus stand eine Patrouille aus zwei Leibwachen der Königin, meist begleitet von Klerikern des Former-Credos oder, beunruhigenderweise, des gemeinnützigen Credos in Rüstung.

„Das ist kein normaler Einsatz, oder?“, flüsterte Teferi Jabari zu, als die beiden an zwei salutierenden Klerikerinnen vorbeigingen.

„Ganz und gar nicht“, murmelte Jabari zurück. „In den Gräbern muss etwas vorgefallen sein.“

„Vielleicht setzt die Königin meine Hinrichtung aus“, sagte Teferi. „Ich mache Witze und flehe nicht darum“, fügte er hinzu. „Damit das klar ist.“

Jabari brummte, ohne zu lächeln, und ging schneller.

Teferi und Jabari erreichten die Bernsteingräber und mussten feststellen, dass sich am Eingang bereits zahllose Soldaten und Kleriker mit gezogenen Waffen versammelt hatten. Einige waren ihnen zugewandt, andere sahen zum Eingang. Zwei Offiziere, Askari höheren Dienstgrades, redeten flüsternd aufeinander ein. Ihre Stimmen klangen im widerhallenden Saal harsch und unverständlich.

„Askari“, sagte Jabari streng und mit erhobener Stimme, aber nicht schreiend. Seine Stimme schnitt durch den Lärm. „Was geht hier vor? Ist die Königin in Gefahr?“

Die Sidari verstummten und wandten sich in einer Bewegung Jabari zu.

„Kaervek ist entkommen“, sagte eine der Askari. Sie schien gelassen, aber ihre Nervosität schmälerte ihr bereits strenges Gesicht. „Sein Gefängnis ist zerborsten. Der General ist verwundet, aber in stabilem Zustand.“

„Wann?“, fragte Teferi.

„Vor einer Stunde, höchstens“, sagte die Askari und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„General Mageta wurde vor einer Stunde verwundet?“, fragte Jabari schockiert mit lauter werdender Stimme.

„Wir haben ihn gerade erst gefunden“, sagte die Askari und hob beschwichtigend die Hände. „Er wurde verwundet, als Kaerveks Gefängnis zerbarst, aber er wird überleben – seine Lage ist ernst, aber nicht lebensbedrohlich.“

„Lasst uns durch“, befahl Teferi. Kaum Zeit für Worte.

Die Wachen traten zur Seite. Teferi führte Jabari durch die zentrale Kammer des Bernsteingrabs, ein einziges, gewaltiges, dunkles Gewölbe. Wandleuchter waren in regelmäßigen Abständen in die Wand eingelassen. Tief aus ihrem Inneren schien ein schwaches Licht hervor. Sie alle waren leer, aber man konnte leicht ableiten, was sie einst enthielten: Bernsteingefängnisse.

Die Kammer war uralt und Legenden wisperten von dunklen Ursprüngen, Magie und Ritualen, die die Ahnen Zhalfirs zu nutzen wagten, um sicherzustellen, dass jene, die weggesperrt werden mussten, auch weggesperrt blieben. Ein Schutzpendel hing vom Scheitelpunkt der Kuppel herab, um als Warnsystem zu dienen. Die Gelehrten von Zhalfir taten diese Geschichten als Märchen und Wunschdenken ab – aber nur wenige besuchten je das zentrale Gewölbe der Gräber, und alle, die doch bis dorthin vordrangen, konnten dem Raum eine gewisse verstörende Aura nicht absprechen. Eine Stille lag über der Kammer, die aufgrund ihrer überkuppelten Größe eigentlich die widerhallende Akustik eines Konzertsaals haben müsste. Ein tiefgreifendes Gefühl der Gewissheit, dass, wenn das matt brünierte Pendel zucken sollte, der Untergang folgen würde.

Mit Entsetzen stellte Teferi fest, dass das Pendel gerissen und auf den polierten Boden des Gewölbes gestürzt war. Seine Spitze hatte sich in den Boden gebohrt und seine große Kette hatte sich darum gelegt, wie der Kadaver einer gewaltigen Schlange. Der auf spiegelnden Glanz polierte Boden war zersprungen. Eine dunkle Flüssigkeit – General Magetas Blut, vermutete Teferi – hatte sich in der Nähe des Pendels angesammelt und widerstand den Bemühungen einer Handvoll von Soldaten, sie aufzuwischen.

Königin Wezna stand ein Stück entfernt und beriet sich mit zwei in Roben gehüllte Gestalten, eine in Himmelblau, die andere in Samtschwarz. Eine dritte Gestalt in einer weißen Rüstung stand wiederum ein Stück weiter von ihnen entfernt und begutachtete das gefallene Pendel und den zersprungenen Boden. Teferi erkannte keine der Gestalten in den Roben – sie mussten die Obersten ihres jeweiligen Credos sein –, aber die Königin war unverwechselbar und nur ein Jahrzehnt gealtert, seit er sie vor Jahrhunderten zum letzten Mal gesehen hatte.

„Euer Gnaden“, rief Jabari und verbeugte sich schnell, als sie sich ihnen zuwandte. „Ich bitte um Euer Verständnis; wir sind gerade erst eingetroffen –“

„Dreihundertundsechzig Jahre“, sagte Königin Wezna und schritt auf Teferi zu. Sie rief nicht – sie verkündete und die Kuppel gab ihre Stimme wieder. „Dreihundertundsechzig Jahre sind vorübergegangen und immer noch heißt es wir gegen sie“, sagte die Königin. „Phyrexia bedroht unsere Grenzen, Kaervek ist entkommen und General Mageta ist verwundet.“ Sie hielt einige Schritte entfernt an. Hinter ihr versammelten sich die drei Credo-Obersten. „Und du bist zu uns zurückgekehrt. Keine Strafe ist hart genug, um die Taten wettzumachen, die du begangen hast – sag mir, warum sollte ich mein Urteil gegen dich nicht gleich hier und jetzt vollstrecken lassen?“

„Wenn du mich töten lässt“, sagte Teferi, „haben sie gewonnen.“

Die Königin atmete ein und atmete aus. Sie nickte.

„Sidar Jabari“, sagte Königin Wezna an den alten Offizier gerichtet, ohne den Blickkontakt mit Teferi zu brechen. „Die Gemeinnützigen haben ein Lazarett im Säulendistrikt eingerichtet; der General gesundet dort. Geh und statte ihm einen Besuch ab. Du wirst die Armee führen, bis er genesen ist.“

„Sehr wohl, Euer Gnaden“, sagte Jabari. Teferi hörte, wie er fortging. Die Schritte seiner Stiefel beschleunigten auf dem polierten Stein.

Königin Wezna wandte sich ab und ging grübelnd mit hinter ihrem Rücken verschränkten Händen zum gefallenen Pendel zurück. Sie hielt mit dem Rücken zu Teferi vor ihren drei Credo-Magiern an.

„Ich habe deine Hilfe nicht erbeten“, sagte Königin Wezna an Teferi gerichtet. „Ich kann dich noch nicht für deine Verbrechen – groß oder klein – zur Rechenschaft ziehen, aber ich habe meinen Stolz.“ Sie drehte sich wieder um, und musterte ihn. „Ich habe deine Hilfe nicht erbeten.“

„Wo ist sie?“, fragte Teferi.

Die Königin griff in ihr Gewand, holte einen handflächengroßen Bernstein hervor und warf ihn ihm zu. Das Bernsteingefängnis hüpfte ein paar Mal über den polierten Steinboden und schlitterte dann Teferi vor die Füße.

Teferi bückte sich, um das Gefängnis aufzuheben. Er hielt es zwischen Zeigefinger und Daumen. Er hielt es ins Licht, sodass die Gestalt in seinem Inneren beleuchtet wurde. Winzig und in der Zeit gefangen, wohl nur einen Augenblick nach dem Weltenwandern, offenbarte sich ihm eine Kriegerin mitten im Schlag. Wenn er blinzelte, konnte Teferi einen entschlossen Blick auf ihrem Gesicht erkennen, der gerade in Verwirrung umschlug – zusammengezogene Brauen, die sich glätteten, der Mund öffnete sich zu einer Frage, die Augen weiteten sich überrascht.

Die Wanderin.

„Leg es wieder auf den Boden, wenn du mit dem Bewundern fertig bist“, sagte die Königin.

Teferi gehorchte. Er legte das Gefängnis vorsichtig auf den Boden ab und trat einen Schritt zurück.

Königin Wezna schnalzte mit den Fingern und der Credo-Oberste in weißer Rüstung trat zu ihr. Er flüsterte dezent und ohne Theatralik einen unvernehmlichen Zauberspruch. Das Gefängnis fing an, zu leuchten.

„Noch einen Schritt zurück, Erzmagier“, sagte er mit einem Blick über das aufblühende Licht hinweg zu Teferi.

Teferi gehorchte und trat einen weiteren Schritt zurück, sowie das Gefängnis begann, zu zischen und Funken zu schlagen. Er schirmte seine Augen ab und wandte sich ab, als das Gefängnis einen Riss bekam und mit einem scharfen Knall aufbarst, gefolgt vom kurzen, schnellen ausatmen, als die Wanderin ihren Schlag zu Ende brachte und überrascht aufschrie.

Die Wanderin fing sich und fand schwer atmend ihren Halt und ihre Deckung wieder. Ihre Fassung war erschüttert, aber nicht gebrochen.

„Wanderin“, rief Teferi mit erhobenen Händen und ihr zugewandten, offenen Handflächen. „Ich bin es.“

„Teferi?“ Sie schrie, überlaut. Die Wanderin musterte mit hoher Deckung schnell ihre Umgebung. „Wo bin ich? Wie viel Zeit ist vergangen?“

„In Aku“, antwortete Königin Wezna. „Auf Zhalfir. Seit deiner Ankunft ist ein Monat vergangen.“

„Ein Monat?“, wiederholte die Wanderin. Sie ließ ihr Schwert sinken, während ihre Augen den Raum zwischen ihnen nach etwas absuchten, was nur sie sehen konnte. „Das ist unmöglich – Teferi, du bist doch erst vor Tagen verschwunden!“

„Der Anker hat versagt“, sinnierte Teferi. Wie? Serras Kraftstein – das Potenzial einer Welt mit ihm als Brücke – etwas, was mit dem Sylex zu tun hatte. Der Ort, an den Urza und er gelangt waren, nachdem er detoniert war – all dieses Potenzial musste irgendwo hin, etwas finden, an das es haften konnte. Zufall, Schicksal oder eine Kombination von beidem.

„Wir haben vielleicht nicht mal mehr einen Tag“, flüsterte die Wanderin. Ihre Gestalt flackerte zitternd. Sie verlor ihren Halt auf dieser Welt.

„Wie meinst du das?“, fragte Königin Wezna.

„Neu-Phyrexia hat seine Invasion begonnen“, sagte die Wanderin. Sie sah die Königin und dann Teferi an. „Unser Angriffstrupp wurde auf der ganzen Welt zerstreut, Nissa ist verloren – ich glaube, es ist zu spät. Ich glaube, wir können sie nicht mehr aufhalten.“

Ein Augenblick der Kälte folgte. Teferi machte einen Schritt rückwärts, fasste hinter sich und setzte sich auf den Boden. Er vergrub den Kopf in seinen Händen. In den Gräbern um ihn herum brach die Hölle los. Die Königin rief den drei Credo-Obersten Befehle zu, die wiederum ihre Attachés und Leutnants losschickten, bevor sie zu ihren Kommandoposten eilten. Die Wanderin kniete sich neben ihm hin und versuchte, ihm von der Schlacht bei Urzas Turm, dem Angriff auf Neu-Phyrexia, dem wachsenden Baum und ihrem verzweifelten Plan zu erzählen, aber ihre Stimme setzte aus und stotterte und sie flackerte wild aus der Welt hinaus und wieder herein. Dann verblasste sie, als ihr instabiler Funke sie fortzog.

Vielleicht war es die seltsame Akustik der Kuppelkammer oder ein Beruhigungszauber, den er unterbewusst gewirkt hatte, aber alles schien zu einer Seite wegzufallen, als hätte er einen zu schweren Mantel abgestreift. Jabaris Stimme hallte in seiner Erinnerung wieder. Schluss mit den Entschuldigungen. Teferi nahm die Hände von seinem Gesicht und betrachtete seine Handflächen. Obwohl er sie seit jenem Tag auf der Straße viele Male gewaschen hatte, waren sie noch immer noch leicht verfärbt von der roten Erde Zhalfirs. Dieses Land würde er niemals aus sich auswaschen können. Er würde niemals allein sein können.

Eshe, die die Zeitalter überdauert hatte.

Oyana, die der Gefahr mit Tapferkeit begegnete.

Adia, die sich danach sehnte, eine friedliche Zukunft aufzubauen.

Subira, die er geliebt hatte und die ihn geliebt hatte.

Niambi, die er liebte und die ihn liebte.

Zhalfir, für die er einstand – der Vater der Credos, der Vater einer Nation.

„Es ist noch nicht zu spät“, sagte Teferi mit einem entschlossenen Lächeln. Durch ihr Eindringen in das Multiversum hatten die Phyrexianer etwas erweckt, das ihrem Maschinenverstand das Fürchten lehren würde: Teferi, der ihnen zeigen würde, dass die Sonne in Zhalfir aufgeht.