Was bisher geschah: Die Ausrichtung der Polyeder

Ob Nixilis hat einen schlechten Tag.

Dabei lief doch alles so gut. Er hatte die Macht des umgesiedelten Khalni-Herzen an sich gerissen und sich mit seiner Hilfe eine neue Verbindung zum rohen Mana Zendikars geschaffen. Endlich war er bereit, sich in das Polyedernetzwerk von Zendikar einzuklinken und seinen Planeswalkerfunken neu zu entzünden – und dann schlug das Schicksal in Gestalt der elfischen Planeswalkerin Nissa Revane zu.

Nissa raubte dem dämonischen Planeswalker das Khalni-Herz, heilte ihr eigenes Band zu Zendikar und ließ Unmengen Erde und Gestein auf auf Ob Nixilis herabregnen.

Das war ein echter Rückschlag. Doch Ob Nixilis war nicht so weit gekommen, weil er so leicht aufgeben würde.

 


Schmerz.

Eine bescheidene Verbesserung gegenüber dem völligen Nichts, mit dem ich eigentlich gerechnet hatte. Das konnte nur eines bedeuten.

Sie hatte mich am Leben gelassen.

Ich lachte. Es gab ja nichts, was ich sonst hätte tun können. Mein Leib war durch den Einsturz der Höhle an mindestens einem Dutzend Stellen zerschmettert, und ich war wie festgenagelt. Der Akt des Lachens sandte Wogen sengender Qual durch meinen gesamten Körper, und ich nutzte den Schmerz, um mir meiner Verletzungen deutlicher gewahr zu werden. Sie waren schwer, doch sie würden heilen.

Ich atmete. Das war nett. Flache, stechende Atemzüge, bei denen mir Stein und Sand schwer auf der Brust lasteten, aber ich bekam eindeutig genügend Luft, um bei Bewusstsein zu bleiben. Das deutete darauf hin, dass ich nicht weit von der Oberfläche entfernt sein konnte. Womöglich war ich aber auch nur nicht weit von einer Luftkammer entfernt, die bald aufgebraucht sein würde. Keine der beiden Möglichkeiten war sonderlich berauschend. Doch ich war am Leben.

Wenn man eine Niederlage überlebte, sollte man sich stets etwas Zeit für eine gewisse Selbstbetrachtung nehmen. Unangebrachter Hochmut hatte schon unzählige Möchtegern-Kriegsfürsten das Leben gekostet. Wie viele von ihnen hatte allein ich ihrer Hybris wegen über die Jahrtausende hinweg gefällt? An Ort und Stelle – lebendig begraben und im Nachgang eines herben Verlusts – beschloss ich, die Gelegenheit zu nutzen, die mir geschenkt worden war.

Es war ein sehr guter Plan gewesen. Ich hatte ein Polyedernetzwerk mittels des Khalni-Herzens in Gleichtakt schalten und dazu benutzen wollen, genügend Weltenenergien durch meinen Körper zu leiten, um meinen Funken neu zu entzünden. Ja, es hatte durchaus eine gewisse Möglichkeit bestanden, dass mich das Ganze umbringt, doch das scherte mich inzwischen schon lange nicht mehr. Und ja, ich wusste auch, dass es seit einigen Jahrzehnten nicht mehr dasselbe wie früher bedeutete, ein Planeswalker zu sein. Doch das war nur umso besser. Allein die Vorstellung, dass es dort draußen zahllose Welten gab, die ihre gottgleichen Beschützer und Auserwählten verloren hatten! Was für ein Chaos diese sogenannte Erholung doch über das Multiversum gebracht hatte! Ein solches Chaos musste unterdrückt werden. Ein solches Chaos musste man sich gefügig machen, und für diese Aufgabe war ich am allerbesten geeignet.

Der Plan war gut, doch der Plan war gescheitert. Der mögliche Umstand, dass irgendein anderer Planeswalker abgesehen von Nahiri diese grauenhafte Welt tatsächlich retten wollte, hatte in meinen Gedankengängen nicht gerade eine bedeutsame Rolle gespielt. Gegen sie hatte ich Vorsorge getroffen, doch ich gebe gerne zu, dass ich auf eines nicht vorbereitet gewesen war – dass eine wahnsinnige Joraga, die in der Lage war, das Herz einer sterbenden Welt für sich zu nutzen, nur Stunden vor Abschluss meines Rituals auftauchte, ein ganzes Jahrhundert an Arbeit zunichtemachte und mich lebendig begrub.

Nissas Erneuerung | Bild von Lius Lasahido

Ich war verärgert.

Ich stand vor einem noch größeren Problem, und das war, dass ich gewissermaßen alles auf eine Karte gesetzt hatte. Ich wusste nicht, wie viel Zeit Zendikar noch blieb, ehe die Eldrazi die Zerstörung dieser Welt zu Ende gebracht haben würden, und selbst in Anbetracht dessen, was ich nun erfahren hatte, hatte ich schlichtweg nicht noch ein halbes Jahrhundert Zeit, um meine Arbeit von Neuem anzugehen. So rasch wie die Dinge voranschritten, würde diese Welt binnen eines Jahres nicht mehr zu retten sein. Ganz zu schweigen davon, dass es auf dieser gesamten Welt keine Quelle der Macht mehr gab, die sich mit dem Khalni-Herzen hätte vergleichen lassen. Nun, es gab schon eine. Doch nicht einmal ich war so verzweifelt. Noch nicht.

Ich ging die Möglichkeiten durch, die mir offen standen. Möglichkeit Eins: Ich würde versuchen, meine Arbeit zu wiederholen. Erschwernis: Lange bevor ich damit fertig wäre, würden die Eldrazi diese Welt mit mir darauf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernichtet haben. Viellicht hatte ich außerordentliches Glück und stieß zufällig auf eine andere Quelle der Macht, doch nur Narren ließen das Glück ihre Pläne schmieden, und ich hatte nicht vor, ausgerechnet in dieser Lage damit anzufangen.

Möglichkeit Zwei: Ich würde der Elfe nachgehen und mir das Herz zurückholen. Erschwernis: In meinem Zustand konnte ich mir kaum Chancen gegen einen Planeswalker ausrechnen, und schon gar nicht gegen einen, dem das Khalni-Herz zur Verfügung stand. Und schon überhaupt gar nicht gegen eine ganz bestimmte Planeswalkerin, die mir eine Niederlage beigebracht hatte, als ich im Vollbesitz meiner Kräfte gewesen war. Das Anstürmen gegen einen überlegenen Feind birgt weder Ehre noch Würde in sich, auch wenn diese Auffassung den Ratschlägen widerspricht, die ich in der Vergangenheit dem einen oder anderen General erteilen musste, damit er das für mich taktisch Günstigste tat.

Möglichkeit Drei: Ich würde mich mit einer größeren Macht verbünden. Oh, das war niemals meine erste Wahl, aber bisweilen gab es eben keinen anderen Ausweg. Ich hatte die Eldrazi ebenso sorgfältig studiert wie die Polyeder. Auch wenn man mit ihnen nicht verhandeln konnte, hatten sie sich durchaus gewillt gezeigt, ihre Pläne über Verbündete voranzutreiben – wie der gute alte Kalitas es auf die schmerzhafte Weise hatte lernen müssen –, und ich hätte ihnen nur zu gern dabei geholfen, diese Welt in Asche zu verwandeln. Doch was dann? Sie hatten keinen Sinn für Dankbarkeit oder gerechte Vergütungen. Der Gedanke, dass sie mich auf irgendeine Art belohnen sollten, wäre ihnen geradezu unvorstellbar fremd gewesen. Ein Pyrrhussieg ist nichts als die am leichtesten zu verschmerzende Form der Niederlage.

Zeuger des Stillstands | Bild von Tyler Jacobson

Zeit. Ich brauchte mehr Zeit!

Die Lösung fiel mir ein, und ich lachte erneut. Aus vollem Hals, ohne den Schmerz dabei zu spüren. Ich lachte, bis mir geschmolzene Tränen kamen. Nach all diesen Jahrhunderten belustigte mich nichts mehr als Ironie. Es gab genau einen Weg, wie ich mir genügend Zeit erkaufen konnte, um mein Werk ein zweites Mal zu verrichten.

Ich würde Zendikar retten müssen.

 


Aber immer schön der Reihe nach. Lebendig begraben. Ich war mir nicht sicher, wie viel Zeit genau verstrichen war. Ich war noch lange nicht geheilt, aber wenn man dem Ende der Welt entgegensah, durfte man wohl hier und da ein paar Zugeständnisse machen. Ich griff nach dem Gebiet um mich herum und versuchte, das in der Nähe vorhandene Leben auszulöschen, um dessen Energie in mich aufzunehmen. Ein einfaches magisches Kunststückchen und so etwas wie meine Spezialität. Doch als ich es versuchte, geschah ... nichts. Ich war in Bala Ged begraben, einem Ort, dem Ulamog sämtliches Leben entzogen hatte. Es gab nicht einmal mehr ein Insekt, einen Wurm oder einen Grashalm, dem ich seine Kraft hätte rauben können. Diesmal belustigte mich die Ironie nicht ganz so sehr. Ich muss wohl Stunden gerungen haben, bis es mir schließlich gelang, die Steine auf und über mir eine Winzigkeit zu bewegen. Dabei malte ich mir tausend höchst befriedigende Arten und Weisen aus, wie ich das jämmerliche Dasein dieser Elfe beenden konnte. In seiner Gänze nahm mein Entkommen mehrere Tage in Anspruch. Einige meiner Ideen waren recht vielversprechend.

Nun bestand der nächste Schritt darin, so viel von meinem Polyedernetzwerk auszugraben, wie ich nur konnte. Selbst mit einer kleinen Handvoll Polyeder konnte ich bereits einen „Kompass“ für die Leylinien bauen – etwas, was mir Aufschluss darüber geben sollte, wie die auf dieser Welt noch verbliebenen Energien verteilt waren. Wenn es eine organisierte Verteidigung Zendikars gab, dann würde die Joraga in ihrem Zentrum stehen und sich der Macht des Khalni-Herzens bedienen – und das war eine Spur, die ich verfolgen konnte.

Die Arbeit ging langsam voran, und ich hatte mehr als genug Zeit zum Nachdenken. Ulamogs Ausgeburten waren eine ebenso geistlose wie unaufhaltsame Streitmacht, und die verschiedenen Ungeheuer, die sie befehligten, geboten über eine Form schierer Macht, wie ich sie nur selten gesehen hatte. Dennoch lag jene günstige Gelegenheit, die mir offenbart worden war, im geistlosen Aspekt ihres Wesens. Es brauchte nur eine gut aufgestellte Armee von ausreichender Macht mit einem passenden Mangel an Selbsterhaltungstrieb, um jene Lücke zu öffnen, durch die ich zuschlagen wollte. Ich war überzeugt, dass die Zendikari eiligst im Begriff waren, eine solche Armee zusammenzutrommeln, auch wenn ich nicht die geringste Absicht hatte, sie anzuführen. Die Titanen waren eine sehr lange Zeit über gefangen gewesen, und man konnte sie auch ein weiteres Mal einkerkern. Ich musste sie gar nicht vernichtet oder auch nur dauerhaft unschädlich gemacht sehen. Ganz im Gegenteil: Nur zu gern würde ich diesen Monstren das Festmahl bereiten, das sie verdienten. Ich hatte nur nicht vor, als einer der Gänge bei diesem Bankett herzuhalten.

Ich hatte einige Zeit damit zugebracht, genauestens zu entschlüsseln, was mir von Nahiri angetan worden war. Und jetzt würde ich Ulamog dasselbe antun: Ich würde einen Polyeder nutzen, um eine Bedrohung zu bannen, die nicht nicht von dieser Welt war, und damit Zendikar retten. Ich fragte mich, ob es Nahiri gefallen oder ob sie sich ekeln würde, dass ich nun ihre Arbeit für sie machte. Ich fand beide Möglichkeiten zum Schreien komisch.


Ich durchsiebte mehr als einen ganzen Tag lang Asche mit meinen Klauen, ehe ich fand, wonach ich suchte: einen Polyeder von der ungefähren Größe meines Kopfes, der mit feinen Gravuren verziert und in dem die Macht noch nicht erloschen war. Er war der entscheidende Schlüsselstein in dem Polyedernetzwerk, das ich geschaffen hatte – genau das Richtige, um Ulamog zu binden und seine Macht zu schmälern. Als ich ihn nun ein weiteres Mal betrachtete, lag eine gewisse Ehrfurcht in meinem Blick. Meine Abscheu vor Nahiri war nicht so vollkommen, dass kein Platz für mich gewesen wäre, die Schärfe ihres Geistes zu bewundern. Der Gedanke, etwas derart Mächtiges zu erschaffen, was die Jahrtausende oder gar die Äonen zu überdauern vermochte! Da Nahiri nicht auf den Plan getreten war, um Zendikars Vernichtung abzuwenden, konnte das nur heißen, dass sie aller Voraussicht nach tot war. Dies stimmte mich tatsächlich ein wenig traurig, da es mir nun verwehrt bleiben würde, ihr erneut gegenüberzutreten.

Nun ja. Das waren genug sentimentale Regungen für ein ganzes Jahrzehnt gewesen. Oder höchstwahrscheinlich sogar für den Rest meines Lebens.

Ich sandte einen magischen Impuls durch zwei der größeren Polyeder meines Netzwerks. Sie erhoben sich schwebend über den Sand und drehten sich langsam, bis sie ihre Ausrichtung gefunden hatten. Anschließend aktivierte ich den Schlüsselstein und bewegte ihn vorsichtig um das Paar herum. Ich spürte die abstoßenden und anziehenden Energien, die von den Steinen ausgingen. Die Lithomantie war eine Kunst, die viel Fingerspitzengefühl erforderte, und auch wenn ich nur an ihrer Oberfläche gekratzt hatte, bot sie mir dennoch eine Vielseitigkeit der Magie, wie ich sie zuvor nicht gekannt hatte. Die grundsätzliche Aufgabe eines Polyeders bestand darin, Energie umzuleiten, doch dieser schlichte Vorgang ließ sich für vieles nutzen: zum Stärken, zum Beschwören, zum Einkerkern oder zum Vernichten.

Fokus des Lithomagiers | Bild von Cynthia Sheppard

In meinem Geist und in meinem Körper breitete sich eine Art Bild aus, das sich aus Eindrücken von Gewicht, Schwerkraft und Entfernungen zusammensetzte, und ich gab mein Bestes, einen Sinn darin zu finden. Der Aufenthaltsort der Elfe war ohne Weiteres zu ermitteln: Von der Macht des Herzens durchdrungen war sie so leicht wahrzunehmen wie die Sonne. Doch da war noch etwas anderes: eine Bündelung von Mana, die abscheulich und vertraut zugleich wirkte. Sie waren nah beieinander – was immer es war, es hielt sich wohl dort auf, wo die Zendikari zu ihrem letzten Gefecht antreten wollten. Tazeem. Seetor, wenn ich mich recht erinnerte. Ein wunderbarer Ort für ein Massaker.

Ich breitete die Schwingen aus.

Es war wirklich wunderbar, sie zu besitzen, und ich hatte ihren Gebrauch in jüngster Zeit vernachlässigt. Sie machten das Reisen eine Spur erträglicher und das Überbrücken der Distanzen zwischen den Kontinenten Zendikars eine Winzigkeit weniger lästig. Die Himmel lockten mit dem Geschmack der Freiheit und dienten mir doch zugleich als Mahnung, was ich verloren hatte. Die Freiheit der Himmel war nichts als ein unbedeutendes Staubkorn, verglichen mit der Freiheit, die das Multiversum dereinst für mich dargestellt hatte. Andererseits sieht man nicht viele Dämonen auf Booten, und wie sich herausstellt, gibt es dafür ein paar ausgezeichnete Gründe.

Ich flog die Küste entlang und kreuzte nur so viel über dem offenen Meer, wie es nötig war, um nach Tazeem zu gelangen. Die Himmel waren in weiten Teilen bar jeglichen Lebens. Wenn man genau hinsah, konnte man da und dort eine von Ulamogs fliegenden Ausgeburten erkennen, doch sie zeigten kein Interesse an mir und ich keines an ihnen. Vögel waren selten. Engel waren glücklicherweise so gut wie völlig verschwunden.

Als sich die Eldrazi erhoben hatten, waren die Engel in die Schlacht gezogen. Wirklich bewundernswert. Ich gestehe der Fairness halber gerne ein, dass die Engel gar keine so schlechten Strategen waren, doch hier saßen sie dem Irrglauben auf, diese Schlacht gewinnen zu können. Die Engel kämpften, und zum größten Teil starben sie. Ganz selten sah man eine von Emrakuls Ausgeburten einsam vorbeischweben, die damit beschäftigt war, womit immer sich diese Geschöpfe auch beschäftigen mochten. Grundsätzlich jedoch gehörten die Himmel allein mir. Die Weite erstreckte sich um mich herum, die Sonne schien hell auf mich herab und Wolken trieben friedlich im Wind. Und ich nahm all dies nur als bedrückende Last und als Einengung wahr – dieser ferne Horizont war ein alles einschnürender Albtraum. Doch bald würde dieser Horizont fort sein. Und auf die eine oder andere Art und Weise sollte das auch für mich gelten.

 


Als ich mich auf meiner Reise Seetor annäherte, wurde offenkundig, dass ich zum richtigen Ort aufgebrochen war. Zu einer Seite lag endloses Ödland, da Ulamog selbst sich einen Weg hierher gebahnt und nur Stille und Staub hinterlassen hatte. Zur anderen folgte eine abgerissene Karawane ihrer gewundenen Route durch Tazeem. Flüchtlinge und Kämpfer gleichermaßen – auch wenn sie sich kaum voneinander unterscheiden ließen – strömten in Scharen auf den Wall zu: Das letzte Gefecht um Zendikar hatte bereits begonnen.

Ich hörte den Schlachtenlärm schon aus meilenweiter Entfernung. Wie wunderschön er klang. Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was ich sah, als ich über die Krone des Walls hinweg aufstieg.

Ausgerichtetes Polyedernetzwerk | Bild von Richard Wright

Armeen prallten aufeinander, Ausgeburten und Zendikari wurden zu Abertausenden dahingemetzelt – und über all dem ragte Ulamog auf. Gefangen.

In einem riesigen Polyedernetzwerk.

Ich brauchte einen Augenblick, um das alles in mich aufzunehmen. Ich bekam das Grinsen nicht aus meinem Gesicht. Das Netzwerk war gewaltig. Was ich mit Sorgfalt und Finesse über Jahrzehnte hinweg geschaffen hatte, hatten die Zendikari allein mit roher Gewalt bewerkstelligt. Indem sie die gigantische Struktur aus Polyedern einsetzten, waren sie in der Lage, sich die Energie dieser gesamten Welt nutzbar zu machen – meine Arbeit mit dem Khalni-Herzen war im Grunde wie ein verkleinertes Modell dessen, was sie getan hatten. Die Ausrichtung war selbst für meinen überschaubaren Kenntnisstand als grob und laienhaft zu erkennen, doch sie war stabil.

Nur ein Narr lässt das Glück seine Pläne schmieden, doch nur ein noch größerer Narr macht sich das Glück anderer nicht zunutze. Meine Möglichkeit Eins war zurück im Spiel.

Ich entdeckte einen guten Aussichtspunkt, um das Netzwerk näher zu betrachten, und beseitigte behutsam die Korwachposten, die dort Stellung bezogen hatten. Das Netzwerk wurde durch das Gefangenhalten Ulamogs an die Grenzen seiner Belastbarkeit geführt, doch auch der Titan selbst wurde nach und nach schwächer. Ich war beeindruckt. Vielleicht hätten die Zendikari es sogar tatsächlich schaffen können, ihn zu töten. Sie hatten höchstes Lob für ihren Fleiß und ihren Einfallsreichtum verdient. Doch es war an der Zeit, ihren Plan mit einem klitzekleinen Makel zu versehen.

Zugriff des Dämons | Bild von David Gaillet

Ich schwang mich in die Lüfte, hoch über das Getümmel. Nun erspähten mich auch einige Kor in ihren Lenkdrachenseglern, doch sie sahen von einem Kampf mit mir ab: Ihre Aufmerksamkeit galt der Eindämmung der Ausgeburten und dem Weitermelden von Bewegungen auf dem Schlachtfeld an die Kämpfer unten. Der Schlüsselpolyeder schwebte hinter mir her und er begann, auf die unglaublichen Energien des Netzwerks anzusprechen. Seine Runen erglühten in einem violetten Licht, ausgelöst durch den immensen Kraftfluss in den Leylinien. Ich zwang ihn an den richtigen Ort und platzierte ihn an einem Resonanzpunkt genau über dem Zentrum des Rings. Er fing an, sich zu drehen, und es bildete sich ein Strudel aus Energie, der eine lähmende elektrische Entladung durch meinen Körper sandte. Einen Moment lang taumelte ich am Himmel: Mein Herz pochte und mir verschlug es schier den Atem.

Darauf hatte ich lange gewartet. So lange.

Ich sprach drei Worte.

In diesem Augenblick nahm alles einen neuen Anfang.

Die Energie überwältigte meine Sinne: Vor meinen Augen wurde alles zu einem gleißenden Weiß, und ich spürte meinen Körper nicht mehr. Die Macht brannte in mir, eine heranrauschende Flut aus Qual und Vollkommenheit, und in meinem tiefsten Innern regte sich mein Funke. Erst als schwaches Glimmen, dann als lodernde Flamme. Mein Funke kehrte zurück.

Das Multiversum erstreckte sich wieder vor mir! Ich spürte all die zahllosen Welten – die vertrauten und die unbekannten – vor mir ausgebreitet auf einer unendlichen Leinwand der Wirklichkeit. Ich nahm sie wie winzige Lichtpunkte wahr, Leuchtfeuer unendlich ferner Mächte. Der Traum, den ich seit Jahrtausenden geträumt hatte, stand kurz vor seiner Erfüllung: Ich konnte diesen schrecklichen Ort verlassen! Ich begann, dahinzuschwinden. Fort, fort. Nur hin zu irgendeinem anderen Ort ...

Nein. Ich war hier noch nicht fertig. Noch nicht.

Von pulsierender Macht gesättigt riss ich mich aus dem Manastrom. Mit einem Fingerschnippen brachte ich einen Polyeder aus seiner korrekten Ausrichtung. Die rohe Kraft der Leylinien hielt ihn noch einen kurzen Moment an seinem Platz, doch dann trudelte er quälend langsam dem Boden entgegen. Schreie des Schreckens und des Unglaubens erklangen. Ulamog wand sich wild, und der Rest des Netzwerks fiel in sich zusammen. Und dort drunten, so weit unter mir, sah ich sie dann schließlich. Die kleine Elfe. Sie musste wissen, was gerade vor sich ging. Sie musste es tief in sich spüren. Ja. Dort. Sie sah zu mir auf, ihr Gesicht eine Maske aus Erschütterung und vollkommener Verzweiflung. Das war ein schöner Anfang. Doch ich war noch lange nicht fertig.

Ich spürte, wie die Verbindungen zu den von mir dereinst eroberten Welten eine nach der anderen neu geknüpft wurden. Nicht alle, aber doch genug von ihnen. Es war so lange her. Ich ließ einen gewaltigen Blitz aus alles verdorrender Energie auf die Armeen dort drunten niederfahren, um so ihren Rückzug zu vereiteln und sie zurück auf Ulamogs Pfad zu treiben. Die Zendikari starben mit jedem einzelnen Wimpernschlag zu Hunderten, und ich schmeckte jedes ausgelöschte Leben – knusprig, saftig und süß.

In den Reihen unter mir formierte sich eine kleine Insel der Ordnung. Ein paar Planeswalker versuchten verzweifelt, einen Rückzug zu organisieren, auch wenn es keinen vernünftigen Ort mehr gab, an den sie noch hätten gehen können. Trunken vor Macht wollte ich nichts mehr, als dort hinabzustoßen und ihnen allen den Garaus zu machen – und es wäre mir auch gelungen –, doch ich zügelte mich. Noch nicht. Noch nicht.

Zuvor war erst noch eine letzte Sache zu tun.

Tief unter der Oberfläche regte es sich bereits. Ich flüsterte ihm ungeachtet aller Entfernungen zu. Ich wagte es nicht, meinen Geist unmittelbar auf es auszurichten, denn schon meine sich ihm nur vage annähernden Gedanken, ließen die Wirklichkeit vor ihm zurückweichen und zersplittern. Doch diese Macht war dort, und die eine Macht sprach zu der anderen. Sie hatte kein Bewusstsein, das sich von mir hätte in Worte fassen lassen, doch sie besaß einen Willen, und diesen Willen verlangte es nach nichts mehr, als einen Sinn und Zweck zu erhalten.

Ob Nixilis der Wiederentflammte | Bild von Chris Rahn

Ich lachte. So viel Freude hatte ich noch nie zuvor verspürt. Kein Triumph, keine gewonnene Schlacht übertraf dies. Mächtige Geschöpfe ... Mächtige Geschöpfe wollten gerufen sein! Dank meines neu entzündeten Funkens war nichts leichter als das.

Nur ein Wort. Es bedurfte nur eines einzigen kleinen Wortes. Die Welt erzitterte, als ich es sprach. Der Untergang Zendikars war endlich gekommen.

Ich griff nach Süden und packte ihn. Ich riss ihn allein mit meiner Willenskraft aus seinem tiefen Schlaf. Mein Wort würde das letzte sein, das diese verderbte Welt hörte, und ich schrie es vom Grund meiner Seele heraus.

„Erwache!“


Kampf um Zendikar -Storyarchiv

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