Was bisher geschah: Der Aufstieg Kozileks

Der Plan war aufgegangen. Gemeinsam hatten Nissa, Jace, Gideon und die Streitmacht Zendikars einen gewaltigen Kerker aus Polyedern errichtet, der tatsächlich in der Lage war, einen Titanen der Eldrazi einzusperren. Gerade erst hat Nissa den letzten Polyeder an seine Position verfrachtet, um Ulamog – das Ungeheuer, das ihre Welt verwüstet hat – festzusetzen.


Nissa war auf Augenhöhe mit Ulamogs riesiger, knöcherner Gesichtsplatte, wie sie da so neben Gideon auf dem schwebenden Felsen stand. Die Unmöglichkeit dessen, was sie gerade getan hatten, drohte mit einem Mal, sie ins Wanken zu bringen, doch der Jubel der Zendikari unter ihr diente ihr als Stütze.

Ausgerichtetes Polyedernetzwerk | Bild von Richard Wright

Viel zu lange war ihre Welt Ulamog ausgeliefert gewesen und einen Pfad hin zu einer scheinbar unabwendbaren Zerstörung hinabgetaumelt: Bala Ged, Sejiri. Doch nun hatte sich das Blatt zu guter Letzt auf nahezu unbegreifliche Weise gewendet. Endlich war es an Zendikar, etwas zerstören zu können. Und Zendikar würde keine Gnade zeigen.

„Also gut. Beginnen wir mit dem Rückzug! Haltet die Linie!“ Gideon rief den Zendikari unten Befehle zu, während er eine Strickleiter in Richtung Seetor hinunterkletterte. „Sichert die Umgebung!“

Es war gut, dass Gideon die Verantwortung trug. Mit ihm an ihrer Spitze würden die Leute sicher sein, was bedeutete, dass Nissa sich voll und ganz dem Titanen zuwenden konnte. Eine erwartungsvolle Ungeduld durchfuhr sie. Sie schaute über das Schlachtfeld hinweg zu Jace. Als ihre Blicke sich begegneten, öffnete er ihr seinen Geist. Er ist eingesperrt, wie du es wolltest, sagte sie. Jetzt ist es an der Zeit, ihn zu vernichten.

Ja. Wie viele Polyeder waren dort draußen am Hang noch in der Erde vergraben?, fragte Jace. Nissa konnte die Aufregung in seiner Stimme spüren, selbst in ihrem Kopf. Wir werden noch einen brauchen. Nein, eigentlich zwei. Nissa, das wird klappen! Ich habe einen Plan.

Ich auch. Nissa zog ihr Schwert.

Doch ehe sie ihren Vorstoß wagen konnte, lenkte Jace ihre Aufmerksamkeit auf den Polyederring. Er hatte wieder seine das Original überlagernde, lebensgroße Illusion erschaffen. Mit nur zwei weiteren Polyedern, um die Macht umzuleiten, die wir hier bündeln, können wir den Titanen zerstören, ohne ihn je anrühren zu müssen. Das Risiko ist gering – verhältnismäßig betrachtet. Wenn wir einfach nur ...Jace sprach weiter, doch Nissa hörte ihm nicht mehr zu. Sie wollte keinen wohlüberlegten Schnitt mit höchster Präzision. Sie wollte ihr Schwert in Ulamogs Hals rammen. Sie wollte ihn ausweiden. Sie wollte ihm ein Ende bereiten. Hier und jetzt. Sie hatte Jace versprochen, nicht zu versuchen, den Titanen zu zerstören, bis dieser gefangen war. Und nun war er gefangen.

Sie wandte sich in Richtung des Festlands um. Sie musterte die felsige Klippe und griff nach der Seele der Welt. Sie rief und Ashaya antwortete. Das Elementar tauchte mit einer Entschlossenheit auf, die Nissa so noch nie zuvor beobachtet hatte. Mit einer Hoffnung, die sie in dieser Form zum allerersten Mal verspürte. Zendikar erhob sich, endlich bereit für die Freiheit.

Ashaya, die erwachte Welt | Bild von Raymond Swanland

Dann zerbrach etwas. Wie ein Zweig, der zertreten wurde, gab Ashaya ein Knacken von sich und fiel in sich zusammen. Teile seiner Gestalt bröselten auseinander. Verwirrt griff Nissa tiefer und zog stärker. Doch Ashaya antwortete nicht. Seine Zweige zuckten und zitterten – und mit ihnen ganz Zendikar.

Der schwebende Felsen, auf dem Nissa stand, schaukelte. Erst langsam, dann immer schneller und wilder. Nissa stolperte und streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Das Aufbäumen und Beben war so stark, dass es schien, als wollte Zendikar sich selbst auseinanderreißen. Und dann – so schnell, wie es begonnen hatte – hörte es auf. Die Welt kam zur Ruhe und alles war still.

Doch Nissa wusste, dass die Stille trügerisch war. Etwas war schiefgegangen. Das spürte sie. Etwas –

Ein raues Knirschen zerriss die Stille. Rechts von Nissa schwollen der Damm und alles, was sich darauf befand, wie eine sich aufbauende Flutwelle an. Nissa sah entsetzt zu, wie Zendikari und Eldrazi gleichermaßen in die Luft geschleudert wurden und auf der harten Steinmauer aufschlugen, nur um sogleich wieder emporgewirbelt zu werden, als das gesamte Bauwerk sich ein zweites Mal aufbäumte.

Mit großen Augen fuhr Nissa wieder zu Ashaya herum. Zendikar sandte eine Woge von Schmerz und Schrecken aus, als das Elementar zu einem Haufen Schutt zerfiel.

„Ashaya!“ Nissa rannte auf ihren Freund zu, wurde jedoch von einer weiteren Regung, die durch die Welt ging, auf die Knie geworfen.

Links von ihr bebte der Ring aus Polyedern über dem Meer ebenso heftig wie auch die Welt selbst. Die Leylinien waren bis zum Zerreißen gespannt, um ihre Anordnung beizubehalten, als Schub um Schub zitternder Erdstöße die Bucht erschütterte. Der Kerker würde auseinanderbrechen. Doch es war nicht das Beben der Welt, das ihn einer solchen Belastung aussetzte. Es war genau andersherum. Der zerfallende Kerker war es, der die Welt in Aufruhr versetzte. Dort über dem Kerker sah Nissa einen einzelnen Polyeder, durch den eine dunkle Macht hindurchschoss und der den inneren Zusammenhalt der ausgerichteten Leylinien zerstörte. Er war falsch. Er sollte dort nicht sein. Wo kam er her? Beunruhigt suchte sie nach Jace.

Nissa, verschwinde von dort! Jaces Ruf füllte ihren Geist aus, kaum dass er ihre Aufmerksamkeit hatte.

Mit einem lauten, widerhallenden Knacken zerbarst eine der Leylinien. Der Kreis war zerbrochen. Nissas Herzschlag setzte aus.

Lauf, Nissa! Lauf!

Doch Nissa rannte nicht los. Sie schnellte in Richtung der gekappten Leylinie vor. Das durfte nicht passieren. Nicht jetzt. Jetzt war Zendikar endlich an der Reihe.

Als sie auf einem schwebenden Felsen in der Nähe der Bruchstelle landete, kippte einer der halb befreiten Polyeder und zerrte an seiner verbleibenden Verankerung, bis auch diese schließlich riss. Einen Augenblick lang hing der gewaltige Stein an der letzten Faser jenes magischen Bandes, das ihn an seinem Platz gehalten hatte, bevor er dann ins Meer hinabstürzte.

Nissa wurde von dem gewaltigen Wasserschwall, der auf den Aufprall des Polyeders folgte, völlig durchnässt, doch sie hielt nicht einmal an, um sich die Gischt aus den Augen zu wischen. Das durfte nicht passieren. Sie griff nach der herabbaumelnden Leylinie – die, die mit dem abgestürzten Polyeder verbunden gewesen war –, und sie drängte ihren Geist in das mächtige Mana hinein, aus dem die Leylinie bestand, bis sie sie zu fassen bekam. In dem Augenblick, in dem ihr das gelang, durchströmte sie eine schier unglaubliche Macht. Sie fühlte sich stärker als je zuvor. Doch das war nicht wichtig. Es zählte allein, wohin sie diese Macht lenkte. Sie würde sie durch sich selbst leiten und zu der anderen kraftlosen Leylinie. Sie würde den zerbrochenen Kreis mithilfe ihres eigenen Körpers wieder schließen. Sie würde diese Sache wieder in Ordnung bringen.

Sie griff nach der andere herabhängenden Leylinie und schöpfte tief aus ihrer eigenen Quelle der Macht, um sich zu ihrer Magie hin zu strecken und alles, was sie hatte, in die Anstrengung zu stecken, den Kreis zu schließen. Nur noch ein kleines Stückchen. Und dann –

Sie wurde zu Boden geschleudert.

Nissa sah das dicke, fleischfarbene Tentakel erst, nachdem es sie getroffen hatte. Ulamog.

Da der Kerker instabil war, war es ihm gelungen, ihn zu durchbrechen.

Ulamog, der unendliche Wirbel | Bild von Aleksi Briclot

Die Polyeder des Rings gerieten ins Schwanken. Die Leylinien wurden aus ihrer Reichweite gerissen. Ulamog war nicht länger gefangen.

Nein! Nissa sprang in die Höhe und griff nach der nächstgelegensten Ranke. Diesmal hatte sie ihr Schwert in der Hand. Sie richtete den Blick auf den Titanen. Das durfte nicht passieren. Gefangen oder nicht – sie würde Ulamog vernichten. Jetzt war Zendikar endlich an der Reihe.

Sich an einer Ranke entlangschwingend hieb Nissa mit dem Schwert nach einem von Ulamogs Tentakeln. Ihre Klinge hinterließ nicht einmal einen Kratzer, doch das kümmerte sie nicht. Sie schlug erneut zu. Und erneut. Und dann fiel der Rest des Rings in sich zusammen. Einer nach dem anderen stürzten die Polyeder ins Meer. Woge um Woge salzigen Wassers spritzte zu Nissa hinauf, als hinter ihr eine Kakophonie entsetzter Schreie erklang. Der von seinen Fesseln befreite Ulamog bewegte sich wieder auf Seetor zu.

Nissa schrie gequält auf. So unmöglich ihr ursprünglicher Erfolg beim Einkerkern Ulamogs gewesen war, umso undenkbarer erschien nun dieses Ende der Ereignisse.

Dieses Ende?

War dies wirklich das Ende?

Bei diesem Gedanken überkam sie eine plötzliche Schwäche. Sie brachte nicht mehr zustande, als ihre Finger dazu zwingen, sich weiter an der Ranke festzuklammern.

Nissa, was tust du? Du musst dort verschwinden! Jaces Stimme war wieder in ihrem Kopf. Nie hatte sie ihn so verzweifelt gehört, doch sie konnte sich nicht dazu aufraffen, sich zu bewegen. Jetzt sofort!, rief Jace.

Seine Furcht hatte keinen Einfluss auf sie. Sie starrte auf das tosende Wasser unter sich. Es würde kalt sein, sollte sie hineinfallen.

Der Kerker ist zerstört, Nissa. Jaces Stimme war ruhiger. Der Dämon hat ihn aufgebrochen. Wir können nichts mehr tun. Verschwinde einfach von dort. Bitte.

Der Dämon ... Nissa schüttelte sich. Der Dämon? Und plötzlich spürte sie ihn. Sie spürte das bösartige Monstrum, das er war. Er war hier. Sie blickte nach oben. Dort war er. Der Dämon, dem sie damals in Bala Ged gegenübergestanden hatte. Der Dämon, der das Khalni-Herz entwurzelt hatte. Der Dämon, der versucht hatte, Zendikar zu vernichten. Er war zurückgekehrt.

Ob Nixilis der Wiederentflammte | Bild von Chris Rahn

Plötzlich ergab alles einen Sinn. Er war die Dunkelheit, die sie gespürt hatte. Er war das, was falsch gewesen war. Es war sein Polyeder, der den Kerker aus dem Gleichgewicht und das Land zum Erbeben gebracht hatte. Er war die Ursache all dessen. Und nun wirkte er einen Zauber, so alt und mächtig, dass Nissa nichts weiter von ihm erkannte als seinen verschwommenen Umriss und seine vollständige und alles verzehrende Finsternis. Bei seinem Wirken schrie Zendikar vor Schmerzen auf.

„Erhebe dich!“, brüllte der Dämon.

Und etwas erhob sich.

Nissa wandte sich um, um unfassbar große, glänzende Splitter aus dem Boden fahren zu sehen. Noch ehe der Rest des Ungeheuers den Erdboden durchbrochen hatte, wusste Nissa, dass sie einen zweiten Titanen erblicken würde. Kozilek. Der Dämon hatte einen weiteren Schrecken entfesselt, der ihre Welt heimsuchen sollte.

Bild von Lius Lasahido

Sie schaute zurück zu dem Dämon. Er lächelte auf sie herab. Er lächelte.

Nissa erschauderte, und in diesem Augenblick wurde etwas in ihr freigesetzt. Ein Teil von ihr von vor langer Zeit. Ein Stück ihrer selbst, den sie zu zähmen und zu vergessen versucht hatte. Dieser Teil ihres Wesens barg Macht, und nun war es diese Macht, die durch ihre Adern strömte. Es war kaum anders als die Empfindung angesichts der Macht der Leylinien, doch diesmal konnte sie all diese Macht für sich selbst behalten. Es fühlte sich gut an. Ihre Stärke kehrte zehnfach zurück, und sie kletterte eine Hand über die andere die Ranke hinauf, um sich auf die Spitze des schwebenden Felsens über sich hinaufzuziehen.

Dort stand sie auf und starrte den Dämon an. Sie wusste, dass sie sich von ihm hätte abwenden sollen. Sie wusste, dass sie hätte fliehen sollen – oder gegen die Titanen kämpfen oder den Leuten helfen. Irgendetwas, nur eben nicht das, was sie gerade im Begriff war zu tun. Doch hätte eines dieser anderen Dinge irgendetwas genutzt? Würden ihre Handlungen einen Unterschied machen? Gab es noch irgendeine Hoffnung – und sei es auch nur ein winzigster Funken –, Zendikar zu retten?

Wenn sie sich von dem Dämon abwandte, hätte Nissa genau diese Frage beantworten müssen. Also wandte sie sich nicht von dem Dämon ab. Stattdessen blickte sie ihn unverwandt an. Ihn, der ihrer Welt die letzte Chance auf ein Überleben geraubt hatte. Dafür – und für alles andere auch – würde sie ihm den Garaus machen.

Sie sprang auf den wankenden Damm hinunter und rannte mit gezogener und zum Schlag erhobener Klinge auf den Dämon zu. Es war ihr Fehler gewesen, bei ihrer letzten Begegnung nicht sicherzustellen, dass er wirklich tot war. Und diesen Fehler würde sie kein zweites Mal machen.

Als Kozilek sich erhob, wand sich der Damm, das Land erbebte und die Zendikari schrien auf. Doch all das spielte sich nur kulissenhaft um Nissa herum ab, außerhalb ihrer Wahrnehmung und jenseits der Wut, die sie vorwärtstrieb. Sie sah nichts außer dem grausigen Dämon, und sie wusste nur, dass er sterben musste.

Bild von Lius Lasahido

Als sie sich ihren Weg hin zu dem geflügelten Ungeheuer an heranstürmender Brut und zitternden Felsen vorbei bahnte, war sich Nissa vage des Einflusses bewusst, den Kozilek auf die Welt um sie herum ausübte. Sie hatte den Einfluss des Titanen schon einmal gespürt. Damals, als noch mehr von seiner Brut die Welt bevölkert hatte. Sie hatte dieses Chaos schon damals wenig geschätzt, und sie fand auch nur wenig Gefallen daran, wie es nun die Leylinien völlig durcheinanderbrachte. Die sich nahtlos ineinanderfügenden Muster, die die Welt eigentlich hätten überziehen sollen, waren zerfasert und zerschlagen. Alles war falsch. Jeder ihrer Schritte erforderte eine bewusste Anstrengung, ihre Füße dazu zu zwingen, das Land auch nur zu berühren, die Verzerrung der Wirklichkeit zu überwinden und die Veränderungen der Schwerkraft auszugleichen. Doch sie kam weiter voran. Nichts würde sie aufhalten.

Und dann platzte das Land vor ihr auf. Kozileks herumwirbelnder Arm drosch auf den Damm ein. Seine gewaltige Faust durchschlug den Stein und brachte den Leuchtturm zum Einsturz. Der Aufprall schleuderte Nissa in die Höhe, zusammen mit Splittern der Mauer und Hunderten von anderen Zendikari. Die Welt stand Kopf, als Nissa für einen Augenblick wie gelähmt in der Luft hing. Die Zeit verlangsamte sich, schillernde Verderbnis kristallisierte auf den Bruchstücken reinweißer Felsen und auf den Gesichtern der Leute um sie herum. Es war, als wäre sie in einem gefrorenen Teich gefangen, erstickt vom Eis, das sie umgab.

Dann lief die Zeit urplötzlich weiter und die Schwerkraft verdoppelte oder verdreifachte sich gar. Sie zog Nissa mit solcher Wucht zurück auf den zerfallenden Wall zu, dass ihr der Atem stockte. Sie versuchte, sich aufzurichten, doch es fühlte sich an, als würde sie durch Treibsand waten. Alles um sie herum wurde zu zerklüfteten Kanten und geometrischen Mustern, die von unnatürlichen Dingen kündeten. Sie blinzelte, doch ihr Blick wurde nicht klarer. Alles sah gleich aus. Der Damm, das Meer und der Dämon waren für sie nicht länger zu unterscheiden.

Sie war in Kozileks Verzerrungsfeld geraten. Sie stolperte, unsicher, wohin ihr nächster Schritt sie tragen würde. Unsicher, wo sie war und wohin sie ging. Unsicher, ob sie überhaupt noch am Leben war. War das Ende bereits gekommen?

Nein. Nein! Das war nicht das Ende. Das durfte nicht sein. Nicht, ehe sie ihn vernichtet hatte. Der Dämon war ein Makel in ihrer perfekten Welt. Der Drang, Zendikar von ihm reinzuwaschen, trieb sie voran. Sie zwang sich, weiterzugehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen und einen Atemzug nach dem nächsten zu tun, bis sie endlich aus der Reichweite der Verzerrung hinaustrat.

Befreit rannte Nissa zum Ende des weißen Steins des Walls und hinauf auf die Klippe, dorthin, wo der Dämon war. Sie sprang ihn an und warf ihn zu Boden, die Klinge an seinem Hals.

„Gut für dich.“ Er blickte zu ihr auf, noch immer dieses empörende Lächeln auf den Lippen. „Endlich bist du gewillt, den Sieg davonzutragen. Endlich bist du gewillt, das zu tun, was getan werden muss.“

„Du!“ Galle sammelte sich in Nissas Kehle, als sie ihr Schwert nach unten stieß.

Mit einer geschmeidigen Bewegung schlug der Dämon die Klinge beiseite und löste sich von Nissa. Er schwang sich in die Lüfte, während er ihr eine Welle seiner essenzraubenden Magie entgegensandte. Sie traf sie, ehe sie sich aufrappeln konnte, saugte ihr das Leben aus den Adern und nährte sich an dem Hass, der sie antrieb.

Nissa schrie auf, griff nach dem Land und schleuderte dem Dämon eine Kaskade aus Erde entgegen. Sie erreichte ihn nie: Das Land drehte sich in der Luft und schoss zurück auf Nissa zu, wobei es einem auf widernatürliche Weise verknoteten und verzerrten Bündel Leylinien folgte.

Nissa rollte sich aus dem Weg und weiter über den Boden, während der Schutt auf sie niederregnete: schwarzes und missgestaltetes Geröll, abartig und gequält. Voller Panik sah sie zu, wie vier Geschöpfe aus Kozileks Brut zwischen sie und den Dämon huschten. Hatte er sie gerufen?

„Nur leider“, sagte der Dämon, „sind meine Pläne derzeit wichtiger. Zendikar wird fallen.“ Er nickte leicht, und die Brut näherte sich Nissa. Felssplitter wirbelten um die Kreaturen herum auf. „Und Zendikar wird sterben.“

Bild von Ryan Barger

Ein sengender Schmerz ries Nissa schier entzwei, und sie schrie vor Qual auf. Obwohl es nicht ihre Absicht war, alarmierte ihr Schrei Ashaya. Sie spürte Zendikars Sorge um sie, als das Land sich um sie herum erhob und die Welt ihr zu Hilfe eilte. Doch selbst dabei war es verzerrt, gebrochen und verderbt. Es wurde völlig verheert.

Nein. Das durfte Nissa nicht zulassen. Sie schob Zendikars Seele von sich weg. Weg von dieser Verzerrung, weg von dieser Qual, weg von sich. Geh zurück!

Doch Ashaya wollte nicht gehen. Die Welt weigerte sich, sie im Stich zu lassen, doch Nissa zwang sie fort. Es gab nichts mehr, was einer von ihnen beiden hätte tun können.

Als sie losließ, spürte sie, wie ihr letzter Hoffnungsschimmer sich unter dem Einfluss von Kozileks Brut in Angst verwandelte. Ihre Eingeweide zogen sich zusammen. Die Erde, die Leylinien und das in der Welt geborgene Leben wurden allesamt so übel verzerrt, dass sie im Grunde nicht länger existierten.

Als der Dämon zu lachen begann, löste sich der letzte Rest von Nissas Wirklichkeit auf.


Ich lachte über den verwirrten Gesichtsausdruck der Elfe, als sie Zeuge wurde, wie ihre Wirklichkeit sich auflöste. Ich konnte nicht anders. Es sah sehr lustig aus. Es lag irgendwie an ihren Augen.

„Oh, kleine Elfe. Möchtest du etwas Amüsantes hören? Hättest du mich einfach mein Werk vollenden lassen, hätte ich meinen Funken zurückerhalten und deine Welt verlassen. Ich hatte dich nicht als meine Feindin erwählt, doch so fühlte ich mich verpflichtet, der Feind zu sein, der dir zusteht. Kozileks Verzerrung wird es dir gestatten, die letzten Stunden der Existenz Zendikars für die nächsten tausend Jahre zu erleben. Zu leiden, so wie ich gelitten habe. Für gewöhnlich schere ich mich nicht um derlei Theatralik, doch du hast dir eine Ausnahme verdient.“

Kozileks Brut umkreiste die Joraga und riss den Raum dergestalt in Fetzen, dass keine Leylinie die Elfe mehr erreichen konnte. Wie Spinnen, die ein Netz aus der zerfaserten Wirklichkeit webten. Sie war von Zendikar abgeschnitten. Machtlos.

Mein Geist mühte sich darum, der Brut eine Richtung vorzugeben. Es war möglich, doch ich wusste, dass es eine Gratwanderung war. Besonders deshalb, weil der Titan so nahe war, riskierte ich Wahnsinn oder gar noch Schlimmeres. Doch solange ich ihnen nicht befahl, etwas zu tun, was den Wünschen des Titanen zuwiderlief, glaubte ich nicht, dass es ihm etwas ausmachte, wenn ich mir ein paar seiner Geschöpfe auslieh, um mich eines Insekts zu entledigen, das sein Werk störte. Ich erhob mich zurück in den Himmel, um den Rest des Schlachtfelds zu überblicken. Dort fand ein völlig ungeordneter Rückzug statt. Wundervoll.

Nun war es Zeit, diesen Ort zu verlassen und niemals zurückzukehren.

Sobald ich erst einmal sichergestellt hatte, dass keine Überlebenden Seetor entfliehen konnten, konnte ich endlich fortgehen.

Genau genommen war das aber gerade gar nicht mal so wichtig. Ich spürte den Drang, einfach nur fortzugehen.

Interessant. Irgendjemand befand sich in meinem Kopf. Das war nicht zu akzeptieren. Telepathen sind das Allerschlimmste. Ich habe viel zu viel Erfahrung mit Leuten, die versuchen, Dinge in meinen Kopf zu tun, die da nicht hingehören.

Ein vages Empfinden der richtigen Richtung wies mir den Weg zu dem Eindringling, der sich unter den fliehenden Kämpfern dort unten versteckte. Ich rauschte einem Kometen gleich zu Boden und fegte die Zendikari bei meinem Aufprall vom schlammigen, gischtverkrusteten Boden. Ein Junge in einer blauen Robe stand noch aufrecht – unverletzt, aber erschrocken. Reflexhaft zersprang er in ein Dutzend Spiegelbilder. Kein schlechter Trick.

Bild von Victor Adame Minguez

Ich flüsterte ein Wort: den wahrsten Namen für Schmerz, den ich je gelernt hatte. In einer knisternden Sphäre um mich herum herrschten nichts als Todesqualen. Ich fühlte sie ebenso stark wie er, doch mir waren sie weitaus weniger fremd als diesem Jungen. All die Exemplare von ihm kippten vornüber, doch nur eines spürte den Schmerz tatsächlich. Es war leicht, das Original zu erkennen. Ich grinste, als ich nach ihm hieb, doch ich erschauderte, als unsere Blicke sich trafen.

Seiner durchbohrte mich wie eine Lanze. Er ließ sämtliche Hemmungen fahren und attackierte meine Sinne mit aller Heftigkeit, doch das bedeutete nur, dass meine Faust ihm den Wangenknochen brach, anstatt ihm den Kopf abzureißen, wie ich es beabsichtigt hatte. Er stolperte zu Boden und brach als Häufchen schlammverspritzter Roben in sich zusammen. Ich trat vor, um ihm den Hals zu brechen und es hinter mich zu bringen.

Irgendetwas griff von hinten nach meinem Flügel und stieß mich von ihm weg, während es die Schwinge dabei zerfetzte. Ich landete schmerzhaft auf den Boden und blickte mich um, um meinen Widersacher anzusehen. Obwohl er mir einen zweiten Hieb hätte versetzen können, bevor ich darauf vorbereitet gewesen wäre, hatte er gewartet. Groß, stämmig, mit breitem Kiefer und sehr entschlossen. Nach den meisten geltenden Maßstäben ein gutaussehender Bursche. Ich kicherte, als ich ihn musterte. Er war gewillt, mich von hinten anzugreifen, um seinen Freund zu retten, aber er war nicht bereit, auf diese Weise einen Kampf zu gewinnen. Ich mochte ihn sofort. Ein Held.

Ich neigte leicht den Kopf in seine Richtung. „Ob Nixilis. Es ist mir ein Vergnügen. Nun möchte ich Euch höflich bitten, mir aus dem Weg und nach Hause zu gehen. Ihr seht mir wie ein Feldherr aus, und deshalb müsst Ihr wissen, dass dieser Krieg verloren ist. Wart Ihr für die Verteidigung hier verantwortlich? Sehr beeindruckend. Ich würde mich über ein Rückspiel sehr freuen, wenn es sich einmal einrichten lässt. Ihr wählt die Welt und die Bedingungen. Doch fürs Erste ...“

Er unterbrach mich mit einem Hieb seines ... Peitschendings aus Metall ... mit den vier ... Strängen. Schwang er da wirklich einSural? So was hatte ich seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen und noch kein einziges Mal auf Zendikar. Suralkämpfer waren in der Regel extrem geschickt oder von äußerst unterhaltsamer Kurzlebigkeit. Leicht verärgert wich ich dem Angriff aus.

Gideons Tadel | Bild von Dan Scott

„Diese Leute stehen unter meinem Schutz, Dämon. Ergib dich oder ich werde dich vernichten.“ Er klang wirklich, als würde er es ernst meinen.

„Wie enttäuschend. Zu meiner Zeit, wenn Ihr mir den Ausspruch verzeihen mögt, lief das alles etwas zivilisierter ab. Doch ich schätze, Planeswalker sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Beispielsweise sterben sie deutlich schneller.“ Ich hob die flache Hand und gab einen fortwährenden Strom entkräftender Energien daraus ab.

Und dieser Bursche stand einfach nur da, ein freches Grinsen im Gesicht und von einem goldenen Schein umgeben. Unverwundbarkeit! Das wurde ja deutlich interessanter, als ich angenommen hatte.

„Nicht ganz so schnell“, erwiderte er, während er auf mich zustürmte und in hohem Bogen auf mich einprügelte. Sein Ansturm war heftig, aber er wahrte dennoch einen vernünftigen Abstand. Er hatte einen Reichweitenvorteil und gab mir keine Gelegenheit, nach ihm zu greifen. Ich hielt ihn mit weiteren Energiestößen im Zaum. Den meisten konnte er ausweichen, doch einige trafen. Jedes Mal gelang es ihm, sich mit seinem goldenen Leuchten zu wappnen. Eine taktische Erkenntnis: Sein Schutz verlangte ihm Konzentration ab. Doch darin schien er höchst geübt zu sein. Er wob seinen Schild makellos in seine Abfolge von Attacken ein und bot mir keine echte Angriffsfläche. Mehr als einmal fing ich mir einen Hieb auf die Unterarme ein, doch die Wunden waren nur flach und heilten sehr rasch. Er hielt mich in der Verteidigung und fiel auf keine meiner Finten herein. Wir kämpften weiter, bis wir gewissermaßen eine ausgeglichene Lage erreicht hatten: Es war ihm gelungen, sich zwischen mich und den Telepathen zu manövrieren.

„Du kämpfst gut, aber du kannst mich nicht verletzen. Ich werde nicht zulassen, dass du noch mehr von diesen Leuten ein Leid zufügst. Ich kämpfe für Zendikar, Dämon.“ Ihn seiner Stimme schwang zwar jede Menge Entschlossenheit mit, doch ich konnte sehen, wie sich Zweifel in seinem Gesicht auszubreiten begann. So beginnt es immer.

Nixilis“, verbesserte ich ihn. „Und Ihr meint ... diese Leute?“ Beiläufig sandte ich einen Energiestoß in eine Gruppe Verwundeter und Nachzügler. Sechs starben. Er zuckte, als würde er einen neuerlichen Angriff wagen wollen, doch er wollte seine Verteidigung des Telepathen nicht aufgeben. „Oder meint Ihr ihn? Oh, mein Freund. Der Telepath hat es Euch angetan, nicht wahr? Deshalb tötet man die Telepathen immer zuerst. Wie sicher seid Ihr, dass Ihr ihn aus freien Stücken beschützt? Wie sicher seid Ihr, dass er Euch nicht den Kopf verdreht hat?“

Sein Blick huschte zur Seite – zurück zu dem Telepathen. Nur für einen Wimpernschlag. Doch dieser Wimpernschlag war alles, was nötig war, um den Zweifel ein Stückchen weiter zu schüren. Und in diesem kurzen Augenblick stürmte ich vor, und für eine Winzigkeit lastete sein Gewicht auf seinem hinteren Bein.

Es gibt solche Momente im Kampf, in denen die Zeit stillsteht. In denen die Freude am Kampf die Sinne übermannt und das Verstreichen der Zeit überlagert. Er schlug nach mir, als er in eine Ringerhaltung wechselte, doch der Hieb ging weit daneben. Als unsere Blicke sich trafen, erkannte ich diesen Ausdruck der Freude auch in seinem Gesicht. Er liebte diesen Kampf ebenso sehr wie ich. Gut. Ich hätte es gar nicht anders gewollt.

Er duckte sich tief, um meinem Ansturm zu begegnen, doch ich war darauf vorbereitet. Er versuchte, mein Bein wegzuschlagen, aber durch einen einzigen Schlag meiner unverletzten Schwinge setzte ich über ihn hinweg und hieb mit meiner Klauenhand nach ihm. Sein Schild lenkte den Schlag ab, doch die Wucht des Aufpralls schob ihn einen Schritt weiter von mir fort, als er wollte, und er überbrückte die entstandene Distanz mit einem raschen Ausfall nach vorn. Mir blieb ausreichend Zeit, mich darauf einzustellen und eine geduckte Haltung anzunehmen. Ich war ihm an Masse und Kraft überlegen, aber er war schneller und sein Schwerpunkt lag tiefer. Ich kannte seinen genauen Kampfstil nicht, doch ich war mit der allgemeinen Art vertraut genug, um vorhersehen zu können, was als Nächstes kommen würde.

Ich bot ihm ein Ziel und er nahm es an. Er schloss die Schenkel um mein Knie und begann, zuzudrücken – ein perfekt ausgeführter Wurfansatz nebst Hebel. Ich war zwar schwerer als er, doch er hätte mir dennoch binnen Sekunden das Knie gebrochen.

Diese Sekunden nutzte ich, um seinen rechten Arm zu packen und ihn hinter meinem Nacken festzuklemmen, während wir in unserem Zweikampf nun noch enger aneinandergerieten. Wir fielen in die Mischung aus Schlamm, Blut, Salz, Sekret und noch Schlimmerem und versuchten, die Kontrolle über den jeweils anderen zu erlangen – und er war der bessere Ringer. Mein Knie knackte, und ein ekelhafter Schmerz schoss durch meinen Körper. Die Schwierigkeit für ihn bestand jedoch in seiner Erwartung, dass dies das Ende des Kampfes hätte sein sollen, wohingegen ein gebrochenes Knie für mich lediglich die drittschlimmste Erfahrung der letzten Stunde darstellte.

Ich setzte mein gesundes Knie und mein überlegenes Gewicht ein, um ihn festzuhalten. Er knirschte mit den Zähnen. Sein Gesicht war von demselben Schlick bedeckt wie das meine und der uns und diese ganze elende, verdammte Welt überzog. Er verlagerte seinen Fokus, um zu verhindern, dass seine Schulter brach. Doch ich hatte ihn. Ich hatte ihn, und er wusste es.

Bild von Cliff Childs

„Ihr kämpft für Zendikar? Für diesen zerwühlten Misthaufen von einer Welt? Nun, wir werden sehen, wie er es Euch dankt!“ Ich drückte sein Gesicht in das schlammige Wasser. Er schlug um sich und wand sich, spuckte und hustete, während er versuchte, sich zu befreien. Ich spürte seine Verzweiflung und seine Angst, als seine Hände durch den Schlamm rutschten, ohne Halt zu finden.

Als er hilflos nach mir schlug.

Als er zu ertrinken begann.

Unverwundbarkeit konnte sich nicht mit schmutzigem Wasser messen, das einem bis zu den Knöcheln reichte.

„Das ist Zendikar! Das Leid und der Unrat und der Dreck! Das ist Zendikar!“ Er zuckte noch einmal, ehe sein Leib erschlaffte.

Ich hielt ihn noch einen Augenblick länger fest, bevor ich meinen Griff lockerte und und ihn mit einem nassen Klatschen auf den Rücken drehte.

„Das ist Zendikar“, flüsterte ich. „Und deine Schlacht ist vorbei.“


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