Was bisher geschah: Rückgewinnung

Zendikar blickt seinen letzten Stunden entgegen. Die Ränkespiele des dämonischen Planeswalkers Ob Nixilis befreiten den Eldrazititanen Ulamog aus seinem Kerker und riefen mit Kozilek einen weiteren Titanen aus Zendikars Tiefen empor. Beide verwüsten nun mit ihrer zahllosen Brut das Land, und die Planeswalker, die sich der Aufgabe verschrieben haben, die Eldrazi aufzuhalten – Gideon, Nissa, Jace, Kiora und Chandra –, wurden entweder besiegt oder sind verschwunden.

Die Überreste von Gideons Streitmacht liegen inzwischen in der Verantwortung von Tazri, einer menschlichen Kriegerin, die einst die rechte Hand von Vorik, dem ehemaligen Generalhauptmann der zendikarischen Armee, gewesen war und unter Gideons Kommando dieselbe Position innehatte. Tazri mochte eine kühne und treue Kriegerin sein, aber dennoch war es ihr nicht gelungen, die Zendikari auf die gleiche Weise zu neuer Tatkraft zu beflügeln, wie dies jenem Fremden namens Gideon Jura geglückt war. Nun ist es mit einem Mal an Tazri, die verschwindend geringen Chancen Zendikars angesichts des Angriffs der vereinten Eldrazistreitkräfte womöglich doch noch zu nutzen.


Hoffnung lässt sich nicht zerstören, wenn man keine mehr hat. Dieser Gedanke war Tazri in all den Jahren ein echter Trost gewesen, und ganz besonders während des Aufstiegs der Eldrazi. Jeden Rückschlag und jede Katastrophe während der langwierigen Niederlage hatte sie ohne Angst hingenommen. Wozu sich über einen Krieg grämen, von dem sie nie angenommen hatte, ihn zu gewinnen?

Doch sie hatte nicht mit Gideon gerechnet. Erst vor wenigen Augenblicken hatten Tazri und ihre Truppen staunend dreingeblickt, als Gideon das Unmögliche möglich gemacht hatte. Ulamog, jener gewaltige Titan der Zerstörung, lag nun in Ketten. Haben wir wahrlich gesiegt? Näher war Tazri dem Gefühl von Freude schon lange nicht mehr gekommen – so nahe, wie sie ihm überhaupt kommen konnte. Vorik hatte recht. Er hatte recht, Gideon mir vorzuziehen. Dieser Gedanke war schmerzlich, doch sie war noch immer von der neuen und unwahrscheinlichen Zukunft übermannt, die sich vor ihnen allen eröffnete. Sie würden siegen. Zendikar würde überleben. Gideon hatte ihnen durch schiere Willenskraft zum Sieg verholfen.

Und dann war Kozilek auferstanden. Dann hatte der Gott der Täuscher ihnen seinen bislang größten Streich gespielt. Er hatte eigens gewartet, bis Tazri wieder Hoffnung empfand, ehe er alles zunichte machte.

Ausgerichtetes Polyedernetzwerk | Bild von Richard Wright

Bei Kozileks Ankunft war Ulamog befreit worden. Beide Titanen waren nun entfesselt und wüteten unter Zendikars Streitmacht. Mehr aus Instinkt als aus einer strategischen Überlegung heraus zog Tazri ihre Truppen zusammen und beorderte sie fort vom einstürzenden Seetor. Wir werden hier sterben. All die Vorbereitung, all die Siege und Opfer, all die Geschichten von Hoffnung und Erlösung, die sich die Krieger erzählten, waren nun samt und sonders auf diese eine schonungslose Wahrheit reduziert, die sie alle im tiefsten Innersten spürten. Der Tod kommt stets schneller und blutiger, als man erwartet. Kozilek hatte sich erhoben, was vielen ein grauenhaftes Ende bescherte.

Sie flohen den verdorrten Hang vor den Mauern Seetors hinunter, und in ihrer Niedergeschlagenheit und ihrer Angst waren die Krieger kaum in der Lage, auch nur ein Mindestmaß an Disziplin zu wahren. Tazri führte sie in den Schutz der dicht bewaldeten Hügel im Landesinneren, um sich neu zu formieren und das weitere Vorgehen zu planen. Horden von Eldrazi folgten ihnen zu Lande, zu Wasser und in der Luft, doch die größte Bedrohung waren die beiden Titanen, die in Seetor entfesselt waren.

Ein lautes Grollen erklang hinter ihnen. Tazri und die Krieger drehten sich um, um zu sehen, was es ankündigte. Die hoch aufragende Gestalt Kozileks füllte den gesamten Horizont aus. Der unfassbar riesige Titan verschlang das Licht des Himmels. Es schmerzte, ihn mehr als ein paar Wimpernschläge lang anzusehen. Wer es dennoch wagte, der wurde mit einem scharfen Stechen hinter den Augen bestraft. Kozilek stapfte auf sie zu, doch Tazri stellte erleichtert fest, dass er sie um ein paar Hundert Schritt verfehlen würde.

Kozilek, Verzerrung der Realität | Bild von Aleksi Briclot

Als sich Kozilek am Horizont entlangbewegte, fuhr eine schimmernde Welle aus Irgendetwas über das Land, ein pulsierendes, durchscheinendes Kräuseln, das sich in sämtliche Richtungen von dem Titanen aus ausbreitete. Die Welle rauschte auf sie zu, und Tazri hatte nicht einmal mehr die Zeit, um aufzuschreien, als sie über ihnen zusammenschlug.

Die Zeit verlangsamte sich. Wahnsinn blühte auf. Romoes Haut stülpte sich nach innen, riss und zerfaserte an den Rändern seines Leibes, während sich sein Inneres nach außen kehrte. Er schrie nur einen kurzen Augenblick, ehe er gnädigerweise starb. Als die Welle über Magain hinwegrollte, verlor er sichtlich an Alter: Er verwandelte sich in einen jungen Burschen, ein Kind, einen Säugling und dann in ein winziges Staubkörnchen, bevor er schließlich ganz verschwand – und all dies binnen weniger Herzschläge. Debins wandte sich zur Flucht, und plötzlich fehlte die linke Seite seines Körpers. Eine Hälfte von ihm war zu einem flachen Quadrat am Boden geworden, ein blutiger Fleck, wo eine unsichtbare Kraft ihn in die blanke Erde gepresst hatte. Die andere Hälfte Debins schwebte in der Luft, und scherte sich scheinbar nicht länger um den Boden oder um die Wirklichkeit. Jener Teil seines Gesichts, der nicht zerquetscht worden war, wirkte aufrichtig überrascht und entsetzt, während er weiter und weiter in den Himmel hinaufstieg.

Realitätsausblutung | Bild von Chris Rallis

Die Welle traf Tazri. Der Halo des Engels um Tazris Hals leuchtete in goldener Hitze auf. Die Zeit, die zuvor verlangsamt worden war, dehnte sich. Ereignisse und Handlungen aus ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft flackerten in ihrem Verstand auf. Sie wurden zu ihrem Geist, zu ihrem Jetzt. Ihr gesamtes früheres Leben flackerte ins Dasein. Ihr gesamtes zukünftiges Leben flackerte ins Dasein. Zeit und Raum dehnten sich weiter aus und drohten zu zerreißen. Ein Bersten. Die Wirklichkeit stockte.

flacker


„Halt!“ Tazri hob die Hand, und die Wagen der Handelskarawane kamen rumpelnd zum Stehen. Die Wachen hatten die Krähen bemerkt, die über den Hügeln im Westen kreisten. Mahir würde schleunigst weiterfahren wollen, doch hier war irgendetwas faul. Dafür bezahlt er mich. Um mich anschreien zu können, wenn ich seine kostbaren Warenlieferungen verzögere. Mahir hob den Schlag einer Wagenplane, doch als er Tazris Gesicht sah, seufzte er und ließ die Plane wieder sinken. Dies war das siebte Mal, dass sie mit Mahirs Wagen reiste, und er hatte sie bereits vor zwei dieser Reisen zum Hauptmann seiner Wachen ernannt, obwohl sie noch keine zwanzig Jahre zählte – der jüngste Hauptmann, den er je gehabt hatte, auch wenn er ihr dies selbstverständlich nie verraten würde. Sie wusste es trotzdem. Und sie wusste, dass man langsamer werden und Aufmerksamkeit walten lassen musste, wenn etwas nicht stimmte.

„Golamin, Rillem – reitet nach Norden und Süden aus. Stoßt in eure Hörner, wenn etwas auch nur ansatzweise sonderbar wirkt, und reitet danach sofort hierher zurück. Keine Heldentaten! Hier stimmt etwas nicht. Romoe, du kommst mit mir.“ Die Männer nickten, und Golamin ritt den Weg nach Norden, Rillem den nach Süden hinunter. Einer von Mahirs namenlosen Zwillingsleibwächtern lenkte den Wagen des Händlers. Tazri konnte die Zwillinge nie auseinanderhalten, und sie sprachen ohnehin nicht ihre Sprache, weswegen sie nur zu den hohen Klippen im Osten deutete und mimte, Ausschau zu halten. Keiner der beiden Zwillinge war sonderlich schlau, doch sie nahm an, dass dieser hier sie wohl schon verstanden haben würde. Sie stellte sicher, dass der Rest der Wagenlenker seine Hörner bereithielt. Sie machte sich zu Pferde nach Westen auf. Romoe folgte dicht hinter ihr.

Der mittlere Teil der Route durch Tazeem war für gewöhnlich am einfachsten. Das Meervolk blieb weitestgehend unter sich, und die Vampire führten zwar von Guul Draz aus Raubzüge an den Küsten Tazeems durch, doch sie drangen dabei nur selten so weit ins Landesinnere vor. In der Regel war das einzig Aufregende auf diesem Teil der Reise ein wild gewordenes Baloth oder das Einbrechen des Bodens über einer Höhle. Doch die Krähen wussten, dass etwas Aufregendes vor sich ging. Oder sogar bereits geschehen war. Tazri achtete nicht auf das saure Brennen in ihrer Magengrube und ritt weiter.

Nadelfels-Plateau | Bild von Jonas De Ro

Nachdem sie einen großen Hügel überquert und eine flache, grasbewachsene Ebene betreten hatten, stießen sie auf die erste Leiche. Sie war der Länge nach in zwei Hälften gespalten worden. Ein sehr, sehr toter Vampir. Die Ränder beider Hälften waren zerfasert und verbrannt. Ein Schwert. Wahrscheinlich ein sehr großes Schwert, das vermutlich in Flammen stand. Tazri wusste nicht, wenn sie sich als Sieger dieses Kampfes wünschen sollte – die Vampire oder deren Gegner.

Da waren noch mehr Leichen, und Tazri und Romoe stiegen ab, behielten jedoch die Zügel in den Händen. Die Pferde waren schreckhaft. Fünf weitere Vampire, die eines weniger grausigen Todes gestorben waren: durch eine Enthauptung nebst anschließendem Verbluten anstatt durch ein vollständiges Entzweischlagen. Verbranntes Fleisch markierte jeden einzelnen der Schnitte. Tazri hatte bis jetzt nur einmal gegen einen Vampir gekämpft, und sie wäre dabei schnell gestorben, hätten damals nicht vier gegen einen gestanden. Der Vampir war schneller und stärker als sie gewesen, und er hatte mit einer Leichtigkeit getötet, die ihr ein schlimmes Schaudern bereitet hatte. Sie wollte nicht gegen etwas kämpfen, was in der Lager war, sechs Vampire mit einem Flammenschwert zu töten.

Sie hörte eine weibliche Stimme, die eine sonderbare Weise summte, ehe sie den Körper sah, zu dem die Stimme gehörte. Der Engel lag an einem hohen Felshaufen. Ihr Leib war halb verdreht. Auf einer Seite waren beide Schwingen vollständig abgerissen, die anderen gebrochen und zerfetzt. Blut und ein schwaches Leuchten quollen aus ihrer Seite. Viel Blut. Da waren Bisse und klaffende Wunden an ihren Armen und ihrem Oberkörper, und noch mehr Blut sickerte aus ihrem Hals. Drei weitere Vampire lagen tot um sie herum, einer mit einem riesigen Schwert in der Brust und einer mit so gut wie vollkommen durchtrenntem Hals. Der Engel wandte den Kopf, um Tazri anzusehen. Obwohl jede ihrer Gliedmaßen verstümmelt war, leuchtete ihr Halo noch immer in einem wunderschön satten Gold.

Der Engel hustete. Blut und noch mehr von dem merkwürdigen weißen Schimmern spritzten ihr auf die Brust. Wieso ist sie noch am Leben? Tazri hatte noch nie zuvor einen Engel gesehen, und sie bewunderte ihre Schönheit und ihre Kraft in stillem Staunen.

„Kannst du ... Kannst du mir helfen?“ Jedes schwach hervorgestoßene Wort brachte mehr Husten und mehr Blut und den Engel näher an die Schwelle des Todes. Tazri, die in ihrem jungen Leben schon selbst getötet und auch gesehen hatte, wie Freunde getötet worden waren, ohne dass sie darüber während eines Kampfes auch nur jemals eine einzige Träne vergossen hätte, begann zu weinen.

„Wir haben keinen Heiler.“ Mahir würde nie im Leben für etwas derart Teures Geld herausrücken. „Können wir dich bewegen? Kannst du dich selbst heilen?“ Tazri wusste, dass die Frage lächerlich war, doch der Gedanke, dass jemand neun Vampire tötete, war es nicht minder. Wer wusste schon, wozu ein Engel fähig war?

Der Engel schüttelte den Kopf. „Ich ... sterbe. Mir bleiben vielleicht ... noch Tage. Hilf mir.“ Der Engel starrte auf das Schwert an Tazris Seite, das noch immer in der Scheide steckte. Nein. Nein!

„Wenn du durchhältst, können wir Hilfe holen. Wir können zurück nach Seetor oder Korallenhelm gehen und dort jemanden finden, der ...“ Hörner erschallten in der Ferne. Eines, zwei, drei. Nein!

„Tazri ...“ Romoes Stimme holte sie zurück.

„Du kannst wieder genesen. Wir werden jemanden finden ...“ Tazris Gedanken rasten fieberhaft auf der Suche nach Lösungen.

So schwach und brüchig die Stimme des Engels auch war, riss sie Tazri dennoch zurück ins Hier und Jetzt. „Die Vampire ... kommen zurück. Es gibt noch mehr. Sie haben Heiler. Sie werden mich ... am Leben halten ... Eine lange Zeit. Bitte. Hilf mir. Bereite mir ein ... Ende.“ Der Engel sah erneut zu Tazris Schwert und dann zurück zu Tazri. Ihre Blicke trafen sich, und Tazri erkannte den Schmerz und das Sehnen in dem des Engels. Ein Sehnen danach, frei zu sein von Angst und Schmerz.

Die Hörner erklangen erneut. Alle.

„Tazri, wir müssen zurück, ja? Tazri!“ Die Panik in Romoes Stimme wuchs.

Tazri wischte sich die Tränen fort. Sie zog ihr Schwert.

„Tazri? Es ist nicht gut, einen Engel zu töten. Tu es nicht. Es ist ein Fluch. Das weiß jeder. Tazri, wir müssen gehen. Wir müssen sie zurücklassen.“ Romoe klang wie das Kind, das er beinahe noch war.

Der Engel verzog das Gesicht und starrte noch immer zu ihr auf. Blut tropfte ihr aus dem Mundwinkel. „Er hat recht. Es gibt ... einen Preis. Mich zu töten, wird dir etwas ... abverlangen. Ich kann ... Ich kann das nicht verhindern. Es tut mir leid. Bitte ... tu es. Bitte ... lass mich nicht im Stich.“

Die Hörner. Ein drittes Mal.

Tazri hob ihr Schwert. Der Halo des Engels gleißte weiß auf – ein blendendes, brennendes Leuchten –, und Tazri hörte eine wunderschöne Stimme in ihrem Kopf, obgleich sie nicht verstand, was sie sagte. Dann verlosch der Halo, und das Leuchten erstarb. Die Stimme in ihrem Kopf verstummte jäh.

Das Heft von Tazris Schwert wurde kalt, und sie ließ es in die Brust des Engels gestoßen zurück. Ein kleines, erstarrtes Lächeln lag auf dem Gesicht des Engels. Das Brennen und die Furcht waren aus Tazris Magen verschwunden, doch sie hatten noch etwas anderes mit sich fortgenommen. Etwas, was sie nicht wirklich benennen konnte. Sie fasste hinunter, um nach dem trüben, grauen Halo des Engels zu greifen. Es ließ sich leicht vom Leichnam lösen. Alles Schöne zerbricht so leicht. Tazri und Romoe stiegen auf ihre Pferde und wandten sich dem Ruf der Hörner entgegen.

flacker


Tazri hielt den Kopf gesenkt und wartete darauf, aufgerufen zu werden. Sie erwartete nicht, hier lange bleiben zu müssen. Neuigkeiten verbreiteten sich schnell entlang der Handelsstraßen. Die letzten paar Versuche, Arbeit zu finden, hatten damit geendet, dass man sie nicht einmal zu Wort kommen ließ. Inzwischen musste sie sich damit begnügen, um eine Position bei einer Miliz zu bitten. Früher einmal hätte dieser Gedanke sie erzürnt. Nun saß sie nur einfach auf der Bank und wartete.

„Tazri.“ Sie blickte zu der tiefen Stimme auf. Er war von mittlerer Größe, doch von breiter, stämmiger Statur mit kräftigen Armen und Beinen. Die Statur eines Kriegers. Selbst die Art und Weise, wie er dastand, zeugte von jenem natürlichen Gleichgewichtssinn und jener Stärke, die sie guten Kriegern zuschrieb. Die meisten Milizionäre, denen sie begegnet war, waren fett oder alt und konnten nur davon träumen, Karawanenwachen zu werden. Es sprach für diesen Vorik, einen derart fähigen Kämpfer in seinen Reihen zu haben.

„Ja. Ich bin hier, um Vorik zu sehen.“ Sie hasste den Hauch von Verzweiflung in ihrer Stimme, und sie hasste, dass sie so begierig darauf war, sich einem Haufen träger Sesselfurzer anzuschließen, die wahrscheinlich schon ihre Pläne fürs Mittagessen als großes Abenteuer ansahen.

Doch noch viel mehr hasste sie den Gedanken daran, diese Anstellung nicht zu bekommen. Allein zu sein.

Verstärkte Palisade | Bild von David Gaillet

Der Mann lächelte. Ein breites, unbeschwertes Lächeln, das ihr Herz vor ein paar Jahren vielleicht noch hätte schneller schlagen lassen. „Ich bin Vorik. Warum bist du hier, Tazri?“

Sie zögerte, da sie nicht so recht wusste, wo sie anfangen sollte. Geschweige denn wie. Sie blickte ihn einfach nur schweigend an. Es gab doch sicher auch noch andere Arbeit, oder? Es gab noch andere Milizen außer der von Seetor. Fieberhaft dachte sie darüber nach, wen sie sonst kannte. Wessen Hilfe sie sonst ...

„Vor vier Jahren warst du der jüngste Hauptmann einer Karawanenwache auf den Straßen Tazeems. Das kostbarste Juwel Mahirs, der seine begabten Angestellten doch so sehr schätzt. Du warst furchterregend mit dem Schwert ...“ Er blickte kurz an ihre Seite. „Hm. Ein Streitkolben? Eine grausame Waffe und schwer zu führen.“

Ein Funken loderte in Tazri auf und sie erhob sich von der Bank, um Vorik in die Augen zu sehen. „Ich bin auch mit dem Streitkolben furchterregend. Wenn du möchtest, kannst du es gern herausfinden. Ich führe keine Schwerter mehr.“

„Das soll mir recht sein.“ Da war wieder dieses Lächeln, auch wenn sie es dieses Mal enervierend fand. Man brauchte sie nicht an ihr einstiges Leben erinnern und all das, was sie verloren hatte.

„Und dann warf Mahir dich hinaus. Genau wie die nächsten fünf Händler, die dachten, ein gutes Geschäft zu machen. Die erstaunliche Tazri, die nicht länger gar so erstaunlich war. Also noch einmal, Tazri: Warum bist du hier?“

Sie wollte ihm sagen: Ich habe mit dem Träumen aufgehört. Es ist nicht so, dass ich mich nicht an meine Träume erinnern würde. Ich habe nur keine mehr. Ich träumte einst von Orten, die ich als Wache gesehen hatte. Von meinen Eltern, von Kämpfen und Ängsten. Und nun ist da eine Leere zwischen dem Zubettgehen und dem Aufwachen, und diese Leere ist noch immer da, wenn ich wieder aufstehe. Sie ist auch jetzt gerade da. Sie ist immer da, und ich weiß nicht, wie ich sie füllen kann. Wie ersetzt man etwas, dessen Namen man nicht länger kennt?

Sie wollte all diese Dinge sagen, doch das konnte sie nicht. Also tat sie es auch nicht. Stattdessen wartete sie.

„Wie es der Zufall will, mag ich Kämpfer, die wenig Worte machen. Und ich verstehe Kämpfer, die Zeit brauchen, um gewisse Dinge zu bewältigen. Das tun wir alle, Tazri. Ich kann eine Kämpferin wie dich gebrauchen. Und eine Anführerin wie dich. Ich weiß, was aus dir werden könnte. Kannst du diese Anführerin wieder sein, Tazri?“

Tazri nickte stumm. Wäre sie des Weinens noch fähig gewesen, hätte sie auf der Stelle losgeheult. So nickte sie nur weiter, verzweifelt darauf hoffend, dass sie wieder jener Mensch sein könnte, obwohl ein Teil von ihr wusste, dass diese Tazri für immer fort war.

flacker


„... Hoffnung. Ich habe Hoffnung, dass es nicht wahr ist. Ich habe Hoffnung, dass es noch eine Chance für Zendikar gibt. Gideon Jura, Ihr habt mir Hoffnung gegeben.“

Jedes Mal, da Vorik das Wort aussprach, war wie ein Schwertstoß in ihre Brust. Hoffnung. War dies die Rache des Lebens dafür, dass sie ihm nicht hatte helfen können?

Du hast mich gerettet, und nun kann ich dich nicht retten.

Und er hatte sie gerettet. Fünfzehn Jahre lang hatte sie für ihn gearbeitet. Fünfzehn gute Jahre, in denen sie wahrlich zu seiner rechten Hand herangewachsen war. Sie würde niemals wieder die Anführerin sein, die sie in ihrer Jugend gewesen war, als ihr noch alles so leicht von der Hand ging. Vor dem Engel. Doch mit Voriks Hilfe und Voriks Geduld und Voriks Vertrauen hatte sie andere Wege gefunden, wertvoll zu sein. Wertgeschätzt.

Steinzuflucht-Medikus | Bild von Anna Steinbauer

Sie war im Morast ihrer eigenen Trauer verloren gewesen, als Voriks Worte durch ihre Verzweiflung gedrungen waren. „ ... wenn ich fort bin, werdet Ihr diese Leute anführen. Ihr werdet Seetor zurückerobern, Generalhauptmann Jura.“

„Nein“, entfuhr es Tazri. Ihre Gedanken rasten. Sie fühlte sich verraten – von Vorik und von sich selbst.

Wie konntest du nicht mich als deine Nachfolgerin auswählen?

Warum konnte ich nicht herausfinden, wie ich wieder zu dem werde, was ich war? Wie konnte ich dich wieder und wieder enttäuschen?

Beide Gedanken trafen sie gleichzeitig. Vorik sprach weiter, doch in ihrem Aufruhr konnte sie kein einziges seiner Worte begreifen. Ihr Mund leistete ganz von selbst und unabhängig von ihrem bewussten Verstand eine winzige Spur Widerstand, während sie innerlich vor Trauer und Verzweiflung zerbrach.

Er stirbt. Er stirbt, und bald ist er fort. Und was bleibt dir dann noch? Wen wirst du lieben?

Und dann wird Zendikar folgen. Vorik wird sterben. Zendikar wird sterben. Die Einzige, die nicht sterben wird, bist du. Du bist schon längst tot. Bald wird alles kahl und leer sein – wie du.

Der entsetzliche Gedanke wärmte sie. Er füllte die Leere in ihr, wenn auch nur für einen Augenblick.

flacker flacker flacker


Raumverzerrung | Bild von Daarken

Tazri schrie, als die Wirklichkeit zersprang. Jede Erinnerung – nein, das tatsächliche Durchleben ihrer Vergangenheit – hatte sie jetzterfahren. Alle Augenblicke fanden gleichzeitig statt, in einem kaleidoskopischen Schauspiel, das sich unendlich weit vor ihr ausbreitete. Der Halo um ihren Hals, der Halo des Engels, gleißte nun weiß und seine Hitze brannte. Selbst als ihr Geist vor dem flackernden Ansturm ihrer Vergangenheit zu fliehen suchte, wurde er hart von der Zukunft angegangen ...

flacker


Tazri lächelte breit, als ihr Meister Gideon im Griff seiner Faust hielt. Gideon schrie, und ein goldener Schild flackerte kurz um ihn herum auf, ehe er wieder in sich zusammenfiel. Ihr Meister war der Herr über Raum und Zeit, und er würde derlei Unziemlichkeiten nicht dulden.

Herbeirufen der Wächter | Bild von Yefim Kligerman

Die Leichen der anderen, die sich eingemischt hatten, lagen ganz in der Nähe. Hier hatten sie beschlossen, ihre letzte Schlacht zu schlagen, und sie war kurz und regelrecht belustigend gewesen. Dort waren die aschegewordenen Überreste der Feuermagierin, die sich bei dem sinnlosen Versuch, Tazris Meister zu verwunden, selbst ausgebrannt hatte. Dort war die verdorrte Hülle der Elfe, die ihre Essenz mit der der Welt hatte verschmelzen lassen wollen und nun deren Schicksal teilte. Und dort war die verstümmelte Leiche des Gedankenmagiers. Er hatte als sein letztes Zauberkunststück Hunderte von Illusionen heraufbeschworen und nur entsetzt dabei zusehen können, wie sie sich gegen ihn wandten, ihre illusionären Schwerter schwangen und ihn immer wieder durchbohrten. Und bei jedem Stich sagten sie den einen Namen: „Kozilek.“

Kozilek. Der Name füllte ihre Gedanken und füllte ihre Leere. Er hatte sie endlich wieder heil gemacht. Schwer vermochte sie sich jene schimmernde, durchscheinende Welle ins Gedächtnis zu rufen, die sie getroffen, all ihre falschen Freunde getötet und nur sie am Leben gelassen hatte – ohne jedwede Erinnerung. Alles, was sie noch gekannt hatte, als sie wieder zu Bewusstsein gekommen war, war dieser eine Name gewesen, der wie das lieblichste Glockengeläut in ihrem Verstand widergehallt war. Kozilek. Kozilek. Kozilek. Alles war so klar geworden. Sie hatte für Kozilek gestritten und zugesehen, wie die Streitmacht ihres Meisters sich vor ihnen aufgebaut und sich alles auf diesen siegreichen Tag zugespitzt hatte.

Kozileks Rückkehr | Bild von Lius Lasahido

Ulamog und seinesgleichen waren nirgends zu finden. Vielleicht waren sie getötet worden oder hatten diese Welt hinter sich gelassen. Es war nicht weiter wichtig. Alles, was auf dem Schlachtfeld verblieb, waren die treuen Streitmächte ihres Meisters. Und der letzte Feind. Der letzte, fremde Eindringling: Gideon Jura.

Sie hatte Gideon schon in ihrem früheren Leben nicht gemocht, noch ehe Kozilek sie gerettet hatte. Doch nun gab es noch viel mehr Grund, ihn zu hassen. Die bloße Existenz seines Widerstands war eine Schmähung. Wie konnte eine derart erbärmliche, zerbrechliche Hülle die Unverfrorenheit besitzen, den Gebieter über die Wirklichkeit selbst herauszufordern? Gideon Jura musste bestraft werden.

Kozilek drückte zu, und kein sterblicher Leib konnte einem solchen Druck standhalten. Gideon Jura zerplatzte, und ein blutiger Sack aus zerrissenem Fleisch und gebrochenen Knochen fiel plump auf die aschweiße Erde zu den Leichen seiner Freunde. Tazri jubelte und hüpfte vor ausgelassener Freude, einer solchen Pracht ansichtig zu werden.

Ein seltsames Dröhnen wurde in Tazris Ohren lauter. Es kam weder aus der Luft noch vom Boden. Es kam aus ihrem Inneren. Das Dröhnen wurde lauter und tiefer, und erst nach und nach gelangte Tazri zu ersten Einschätzungen, worum es sich bei diesem Geräusch wohl handeln konnte.

Es klang wie Gelächter. Kozileks Gelächter.

Das Dröhnen hallte in der gesamten Sphäre wider. Tazri teilte die Freude ihres Meisters, konnte aber die Ursache von so viel Heiterkeit nicht erkennen. Kozilek hob den Arm, und da war ein Kräuseln im Raum: Gideon Jura erschien erneut vor ihnen, unversehrt und zum Leben wiedererweckt. Ein weiteres Mal steckte er in Kozileks Faust, doch sein Schrecken und sein Schreien verrieten, dass Gideon Jura sich daran erinnerte, wie er gestorben war, und nun würde er erneut sterben. Kozilek drückte zu, und ein weiteres Mal fand Gideon Jura den Tod.

Tazri quietschte vor Entzücken. Nun verstand sie die Heiterkeit ihres Meisters. Er gebot über Zeit und Raum. Welche Strebsamkeit, einen winzigen Teil dieser Bausteine so zu verändern, nur um sicherzugehen, dass ein besonders unverschämter Feind schrecklich leiden würde! Wieder und wieder und wieder und wieder.

Ein weiteres Blinzeln, ein weiteres Kräuseln: Gideon Jura wurde erneut wiedergeboren, und seine entsetzten Schreie waren köstlich.

flacker


Der Sturm wütete. Fraktale Wismutwolken machten verzauberte Polyeder bersten, während Singulraritäten auf kopflastige Asymmetrien herabnieselten.

Es klappte nicht. Nichts davon klappte.

Die ersten zehntausend Jahre nach Kozileks Verschwinden hatte Tazri ihre Kräfte dazu eingesetzt, den Wiederaufbau zu versuchen. Doch anders als sein ältester Bruder war Kozilek ein schlechter Schöpfer, und Tazris eigene Talente waren noch blasser und verkümmerter als die ihres Meisters.

Zunächst hielt sie die ganze Angelegenheit nur für eine Frage mangelnden Geschicks oder zu zögerlich eintretender Verbesserungen. Natürlich konnte sie nicht beim ersten Mal jede Einzelheit Zendikars wiederherstellen. Das war unmöglich. Doch beim hundertsten Mal? Beim tausendsten? Wenn sie sich jedes Mal nur ein Stückchen verbesserte, würde sie Zendikar irgendwann unweigerlich und unausweichlich perfekt und vollständig wiedererschaffen.

Ödnis | Bild von Raymond Swanland

Und dann würde er zurückkehren. Das neu geformte Zendikar würde nach ihm rufen, wie auch beim ersten Mal. Es musste einfach so sein.

Es würde einfach nur Zeit brauchen, und alle Zeit, die es gab, gehörte ihr.

Schließlich erkannte sie den Fehler in ihren Überlegungen. Sie war noch immer, selbst nach all diesen Jahrtausenden, zu menschlich. Zwar hatte sie während Kozileks glanzvoller Herrschaft zahllose Veränderungen an Körper und Geist durchlaufen, doch zu viel von ihr war makelbehaftet und schwach geblieben. Im Nachgang von Kozileks Verschwinden waren ihre Kraft und ihre Kontrolle schier unermesslich gewesen, und es hatte ihr freigestanden, die Maschinen der Wirklichkeit auf allen Ebenen ihrem Willen zu beugen. Doch natürlich konnte sie ihre Aufgabe nicht allein durch Willenskraft zustande bringen: Sie war ein Mensch.

Menschen sollten niemals nach den Zielen von Göttern streben.

Essenzausbeuter | Bild von Chase Stone

Doch was, wenn sie anstelle eines Versuchs, die Veränderung selbst zu lenken, lediglich die passende Umgebung für die Veränderung bereitstellte? Wenn sie einfach nur die nötigen Ausgangsbedingungen schuf, damit sich am Ende die Materialien zum richtigen Zendikar zusammenfügten, vielleicht ganz so, wie auch das einstige Zendikar ehedem entstanden war?

Auch dies würde einfach nur Zeit brauchen.

Ihre neueste Obsession galt dem Wetter. Selbst ihre simpelsten Experimente führten nicht einmal ansatzweise zu jenem Ergebnis, das sie erwartete, und jeder Vorstoß in komplexere Systeme versank schnell in chaotischer Zufälligkeit. Es gab keine Muster, keine Schönheit und auch keine Chance, dass Zendikar wiederauferstand.

Sie holte tief Luft – Warum bist du noch immer so menschlich? Hör auf zu atmen! Das musst du doch gar nicht! – und machte sich wieder an die Arbeit.

Sie wollte ihn zurück. Warum hast du mich verlassen? War ich keine gute Soldatin? Wir haben gewonnen. Wo bist du jetzt? Vermisst du mich? Sie sehnte sich nach seinem Lachen, seiner tröstlichen Gegenwart. Sie wollte, dass ihre Leere ein weiteres Mal gefüllt wurde. Sie würde es weiter versuchen, sich weiter verbessern, mehr und mehr verstehen. Sie wandte ihr Gesicht dem absonderlichen Regen zu und spürte, wie er auf ihre nachgebildeten Wangen fiel.

flacker


Die Sterne und die Sonne waren längst schwarz und tot, und nichts bewegte oder regte sich.

Tazri lag tief in der Erde, eingehüllt in Kokons aus Energie und Mustern. Vor Milliarden von Jahren hatte sie so viel Energie gespeichert, wie sie nur konnte, um so lange zu warten, wie sie nur konnte.

Kozilek würde zurückkommen. Dessen war sie sich gewiss. Sie musste einfach nur hier sein.

Die meiste Zeit über schlief sie, doch dann und wann musste sie erwachen, um ihre Kokons anzupassen und dafür zu sorgen, dass sie während ihres langen Schlummers nicht einfach verging. Sie musste so viel Energie wie nur irgend möglich sparen. Um sich selbst zu beschäftigen, erzählte sie sich Geschichten. Schließlich kam sie zu ihrer Lieblingsgeschichte: der Tag, an dem Gideon starb.

Wieder und wieder erzählte sie diese Geschichte, um lange beim Tod eines jeden Fremdlings und dann schließlich jedem einzelnen Tod zu verweilen, den Gideon an diesem nahezu endlosen Tag gestorben war.

Es dauerte so, so lange, diese Geschichte zu erzählen, und wenn sie fertig war, begann sie sie von vorn. Jedes Mal sprach sie die Worte, die sie an die Wärme von Kozileks Lachen erinnerten und daran, welches Gefühl von Erfülltheit er ihr beschert hatte.

Obgleich sie ihn seit Billionen von Jahren nicht gesehen hatte, wusste sie, dass es eines Tages wieder so weit sein würde. Und dann würde alles gut werden.

Und in der Leere dazwischen würde sie schlafen und ihre Geschichten erzählen. Sie waren alles, was sie brauchte, bis Kozilek zurückkehrte.

„Das ist die Geschichte von dem Tag, an dem Gideon starb.“

flacker flacker flacker


Tazris Bewusstsein löste sich unter dem Druck auf. Welches sterbliche Wesen konnte einen Blick auf die Unendlichkeit ertragen? Ein Teil von ihr tief in ihrem zerschundenen Geist fragte sich, weshalb sie noch nicht zerfallen war und sich der endlosen Leere ergeben hatte.

Der Halo des Engels wurde heller.

Es lag etwas ... Beruhigendes ... darin. Etwas, was den Schrecken milderte. Ein Balsam, der den bittersten Stacheln des Wahns ihr Gift nahm. Doch für die Wärme und die Kraft des Halos des Engels hätte sie in den brabbelnden Abgrund vordringen müssen, aus dem es kein Zurück gab.

Der Halo um ihren Hals pulsierte und verdichtete sich. Sein Licht leuchtete noch heller – ein schier unendliches Weiß, das die Leere füllte.

Es blitzte auf, und der Rest der Welt verschwand.

Tazri stand? Schwebte? Existierte. Existierte auf einer konturlosen, weißen Welt. All ihre Krieger, all die Eldrazi, all die Zendikari waren verschwunden.

Erinnerungen flohen aus ihrem Bewusstsein. Da war eine Zukunft gewesen. Etwas ... Entsetzliches. Wie ein Fiebertraum, aus dem es kein Entrinnen gab: dunkel, endlos und voller Schrecken. Sie versuchte, den Traum festzuhalten, doch er löste sich auf, als sie ihn zu greifen versuchte. Sie war über den Verlust erleichtert.

Ein kleiner Teil des endlosen Weiß vor ihr warf Falten und gerann. Zuerst sah sie ein Gesicht. Ein makelloses Gesicht. Und dann darunter einen Körper, Arme und Beine und vier prächtige Schwingen, zwei an jeder Seite – groß und ausgebreitet.

Himmlisches Geschenk | Bild von Josu Hernaiz

Es war der Engel, den sie vor zwanzig Jahren getötet hatte. Vor einer Unendlichkeit, flüsterte ein verirrter Gedanke. Zu ihrer Verblüffung brach Tazri in Tränen aus.

„Wo bin ich? Wie ist ... ?“ Sie deutete auf die weiße Weite. „Wie ist irgendetwas davon möglich?“

Der Engel schenkte ihr ein Lächeln, und Tazri sonnte sich in seinem Glanz. Weitere Schrecken und Erinnerungen wichen aus ihrem Geist, geschmolzen von der Wärme und der Liebe dieses Lächelns. Obgleich sich weder das Gesicht noch die Lippen des Engels bewegten, hörte Tazri eine sanfte Stimme in ihrem Kopf:

„Wir befinden uns jenseits der Zeit, Tazri. Jenseits von Kozileks Reich. In den Qualen von Kozileks Feld wurde sämtliche Zeit für dich zu einem Jetzt verdichtet. Es war lediglich der kürzeste Schritt, aus dem Jetzt zu entkommen und von aller Zeit befreit zu sein. Du bist hier sicher.“

Bei dem Wort Kozilek zuckte Tazri zusammen, obwohl sie nicht mehr wusste, warum. Der Name brachte etwas in ihr zum Klingen, wie ein Läuten dunkler Glocken, das nicht nur durch ihren Kopf hallte, sondern durch ihren gesamten Körper und ihr tief ins Mark fuhr. Sie vermochte nicht zu sagen, ob diese Regung in ihr Schrecken oder Entzücken war.

Womöglich war sie beides. Erneut drohte sich ein Abgrund vor ihr zu öffnen. Einer, in den sie sich hätte hineinstürzen können, um nie mehr wiederzukehren ...

Wieder tauchte das Gesicht des Engels vor ihr auf, um sie lächelnd zur Besinnung kommen zu lassen.

„Viele Jahre lang warst du schwer verwundet, Tazri. Es ist an der Zeit, dass du geheilt wirst. Es ist sogar längst überfällig.“

Sie erinnerte sich an ihr Verbrechen. Sie hatte das Schwert in den Engel gestoßen und einem Wesen von solcher Reinheit und Schönheit den Tod gebracht – wie konnte dies ungestraft bleiben?

„Du solltest Heilung erfahren ...“

„Nein!“ Die Wildheit ihrer Erwiderung verblüffte Tazri. Wann hatte sie das letzte Mal etwas so klar und so heftig empfunden? So rein.

„Es war an mir, dieses Opfer zu bringen! Du hast mir gesagt, dass es einen Preis haben würde, und ich tat es dennoch. Ich zahlte ihn, und ich zahlte ihn aus freien Stücken! Das kannst du mir nicht nehmen!“ Die Gewaltigkeit dessen, was Tazri in diesen zwanzig Jahren verloren hatte, wurde in ihrer vollen Tragweite offenkundig. Niemals Zuversicht oder Begehren oder Freude zu kennen. Niemals wirklich voll an der Gegenwart beteiligt zu sein und nach einer besseren Zukunft zu streben. Niemals Hoffnung zu kennen.

So vieles hatte sie verloren. Es war meine Entscheidung!

„Tazri, du hast eine Ewigkeit lang gelitten. Du hast genug gelitten. Es sei dir vergeben.“

„Ich brauche deine Vergebung nicht!“, knurrte Tazri.

„Nicht meine Vergebung. Deine.“

Vor zwanzig Jahren hatte Tazri einen Engel getötet, und etwas war in ihr zerbrochen. Nun verband sich etwas. Formte sich neu. Wurde heil. Tränen rannen ungehemmt aus Tazri heraus, und noch mehr als Tränen: All die Gefühle, die jahrelang geschlummert hatten, flossen nun in einem gewaltigen Strom in sie zurück. Sie krümmte sich unter ihrer Wucht. Wie kann ich dies überstehen? Eine Pause. Dann: Du hast viel Schlimmeres überstanden. Sie schöpfte Kraft aus der Zuversicht dieser Stimme, und sie erkannte nur äußerst langsam, dass es ihre eigene war.

„Kozileks Feld fährt durch dich hindurch, Tazri. Die Zeit wird nicht länger stillstehen. Du wirst nicht länger stillstehen.“

Widerstand leisten | Bild von Magali Villeneuve

Die Wirklichkeit begann, in den weißen Raum in Tazris Bewusstsein einzudringen. Kozilek. Ulamog. Die Titanen waren frei und verwüsteten das Land. Gideon und seine Freunde waren verschwunden oder tot. Wie konnte Zendikar gewinnen? Wie konnte Zendikar überleben?

„Kozilek kann Zeit und Raum beeinflussen, Tazri. Das ist wahr. Das ist sein Zweck. Doch Zeit und Raum sind lediglich zwei der Dimensionen in jener unermesslichen Vielfalt all dessen, was existiert.“

Die Stimme begann zu verklingen, genau wie das weiße Licht, das auf ihre Sinne einstürmte, nach und nach verblasste. Wirklichkeit – die wahre Wirklichkeit – gewann an den Rändern ihres Blickfelds Gestalt.

„Ich verstehe nicht. Bitte hilf mir.“

„Kozilek könnte trotz all seiner Macht und all seiner Herrschaft niemals tun, was du vor zwanzig Jahren getan hast. Solche Dimensionen sind für ihn und seinesgleichen nicht zu begreifen oder zu meistern. Doch für dich schon. Du, die du geliebt hast. Du, die du so viel für ein Wesen geopfert hast, das du nicht einmal kanntest. Du, die du Gnade für einen sterbenden Engel fandst und bereit warst, den Preis dafür zu zahlen. Zeit und Raum sind nur kümmerliche Landstriche im Vergleich zu den Königreichen von Liebe und Gnade.“ Die Stimme war nun nur noch ein Flüstern, und das Weiß nur mehr eine kleine Kuppel um sie herum. Die Gestalt des Engels verschwamm.

„Du wirst dich nicht an vieles von deinem kleinen Zwischenspiel hier erinnern. Andernfalls würdest du nicht bei Sinnen bleiben. Erinnere dich jedoch dessen: Du kannst siegen. Du wirst siegen. Es gibt keine andere Wahl.“ Und dann war die wunderbare Stimme verschwunden, und die Wirklichkeit brach mit grollendem Donner und fauchendem Feuer über sie hinein.


Blitze und Flammen fuhren vom Himmel auf Schwärme von Eldrazi herab, die den zerstörten Damm von Seetor umzingelten. Überall, wohin Tazri blickte, sah sie tote Freunde. Leichen, die noch vor ein paar Wimpernschlägen lebendig gewesen waren. Nun lagen sie in den Trümmern eines vorübergezogenen Sturms verstreut. Tazri verstand nicht, was geschehen war. Sie war vor der Katastrophe geflohen und hatte sich umgewandt, um die grauenvolle Gestalt Kozileks anzusehen ... und dann war da nur eine leere Seite im Buch ihres Gedächtnisses, ein kurzes Blinzeln, und nun waren ihre Krieger tot und sie allein war noch am Leben. Sie spähte nach Kozilek, doch er war bereits weit in der Ferne verschwunden und bewegte sich von ihnen fort, als hätte er sich von einem Augenblick zum nächsten über eine immense Strecke hinwegteleportiert.

Dem Ende beiwohnen | Bild von Igor Kieryluk

Dem Feuer und den Blitzen gesellten sich Wogen aus Erde hinzu, die sich aus eben noch planem Boden erhoben, um Eldrazi unter sich zu zermalmen und zu zerquetschen. Tazri sah vier Gestalten hinter sich, die von einem vertrauten Meermann angeführt wurden. Noyan Dar. Noyan hob die Arme. Windgepeitschtes Feuer rauschte aus den umliegenden Bränden heran, zu versengenden Flammenstößen gebündelt, die auf große Eldrazi einprasselten. Einer von ihnen zuckte, und ein schimmerndes Feld baute sich zwischen ihm und dem Zorn der Erde auf. Die dahinfegende Erde und die rasenden Flammen verschwanden in dem schimmernden Feld, nur um aus einem anderen schimmernden Tor wieder aufzutauchen, das sich hinter Noyan und seinen Turbulenzmagiern gebildet hatte. Tazri blieb nicht die Zeit, eine Warnung zu rufen, als Feuer und Erde durch die Turbulenzmagier fuhren und ihnen ein Ende bereiteten.

Schlund des Kozilek | Bild von Daarken

Allen außer einem. Eine kleine Säule aus Felsen und Erde erhob sich aus dem Blutbad und katapultierte Noyan Dar in die Höhe. Sie schleuderte ihn Hunderte von Schritt in die Luft, und trotz seiner herausragenden Kräfte konnte sich Tazri nichts anderes als ein tödliches Ende seines Fluges vorstellen. In dem Versuch, mit den Armen wedelnd einen letzten Zauber zu weben, taumelte er dem Boden entgegen, als eine dunkle Gestalt herbeischwebte und seinen Sturz kurz vor dem Aufprall abfing.

Und mit ihr erschienen Hunderte weitere – ganze Wellen von Truppen, die flogen oder rannten und Eldrazibrut gleich im Dutzend niederstreckten. Tazri machte die furchterregenden Gestalten von Vampiren aus, aber auch Menschen, Kor, Elfen und Meervolk. Sie sah Munda und einige andere, die sie erkannte. Und die fliegende Gestalt, die sie Noyan hatte retten sehen, war ...

Drana, Befreierin von Malakir | Bild von Mike Bierek

Drana. Tazri hatte die Vampirkönigin nie gemocht. Kalt, gebieterisch – ihre Gegenwart erinnerte Tazri an ein Krokodil. Kühl und beherrscht, bis Zähne und Angriffslust unvermittelt zum Vorschein kamen und man plötzlich tot war. Tazri traute Drana nicht, doch sie war dennoch außer sich vor Freude über das Erscheinen der Herrin der Vampire. Drana setzte Noyan am Boden ab und landete vor Tazri. Beide trugen unverhohlenen Zorn im Gesicht, doch da war noch etwas anderes.

Sie wirkten zögerlich, unsicher. Kozilek. Kozilek bringt jedes Gleichgewicht ins Wanken. Tazri konnte sich nicht vorstellen, dass noch jemand anders von der gleichen schimmernden Welle getroffen worden war wie sie. Andernfalls wäre diese Person zu Tode gekommen – wahrscheinlich auf irgendeine grausige Weise –, obwohl Tazri noch immer nicht begreifen konnte, wie es ihr gelungen war, die Welle zu überleben, und warum sie sich an nichts davon erinnern konnte. Doch man musste Kozileks Einfluss nicht unmittelbar ausgesetzt sein, um seine Wirkung zu spüren. Die gesamte Wirklichkeit erzitterte vor ihm.

Die Ankunft von Dranas und Mundas Streitkräften hatte für den Moment das Blatt der Schlacht gewendet. Das erste Mal, seit Ulamog seine Ketten abgeschüttelt hatte, wurde Zendikar nicht von den Schrecken der Eldrazi übermannt. Doch die Lage war noch immer ernst. Sie waren beinahe eingekreist, und mehr als die Hälfte von ihnen war bereits gefallen. Ohne einen Plan würde nur einer von zehn das Glück haben, diese Schlacht zu überleben. Und dann wäre Zendikar wahrlich verloren. Inmitten des Chaos und des Sterbens musste jemand das Zepter in die Hand nehmen.

Da war ein kurzer Augenblick des Zweifelns. Wer bin ich, diese Anführerin sein zu wollen? Und dann verstummte diese Stimme, verdrängt von einer anderen, die zwanzig Jahre lang geschwiegen hatte und die ihr trotz all der vielen Zeit, die vergangen war, sofort vertraut vorkam. Ich bin Tazri. Ich habe für Zendikar gestritten und geblutet. Ich habe fünfzehn Jahre lang unter Vorik alles über die Formen und die Möglichkeiten der Befehlsgewalt gelernt. Ich bin hier – für mein Volk und für meine Welt. Ich bin Tazri, und das ist genug.

Irgendwo tief in ihrem Bewusstsein hallte der Klang einer süßen, reinen Stimme wider, und Tazri fühlte sich schwindelig vor Eifer, als sie das Kommando übernahm.

„Drana, wie viele Leute hast du noch übrig?“

Drana sah sie an und sagte nichts – entweder noch immer von den Ereignissen des heutigen Tages überwältigt oder unwillig, von Tazri Anordnungen entgegenzunehmen. Vielleicht auch beides.

„Drana!“ Tazri erhob die Stimme, ohne Zorn zwar, aber mit deutlich gebieterischem Befehlston. Dranas Augen verengten sich, und der Hauch eines räuberischen Lächelns kehrte zurück. Doch sie antwortete: „Eintausend. Starke Krieger, aber es ist nicht leicht, gegen Kozileks Brut zu kämpfen. Kraft und Stärke allein ... reichen nicht.“ Der gleiche gehetzte Ausdruck von eben erschien wieder in Dranas Blick, auch wenn sie ihr beunruhigendes Lächeln beibehielt.

„Noyan, wie viele Turbulenzmagier gibt es noch?“ Wo Drana schon etwas angekratzt wirkte, schien der mächtige Magier Noyan Dar wahrhaft erschüttert. „Sie ... Sie sind tot. So gut wie alle. Und die Überlebenden können nicht viel ausrichten. Ich ...“ Noyan Dar sank schluchzend in sich zusammen. Tazri wollte mit ihm weinen und all die Toten betrauern, doch die Lebenden erwarteten eine andere Antwort.

„Noyan, du kannst jetzt nichts mehr für sie tun. Ich verspreche dir Rache für die Toten und Hoffnung für die Lebenden. Noyan!“ Noyan blickte auf.

„Ja, Tazri. Ja. Was brauchst du?“ Noyans Trauer wurde von Zorn verdrängt. Von Zorn und Zielstrebigkeit. Bestens.

„Ich brauche einen Riss. Einen großen Riss zwischen uns und den Eldrazi, die um Seetor herumschwärmen. Jeder, der noch in Seetor ist, ist entweder tot oder liegt bereits im Sterben. Wir können nichts für sie tun. Aber es sind noch immer Tausende von uns hier.“

„Ja. Das kann ich tun. Aber ich brauche Zeit. Besonders deshalb, weil ich es allein tun muss.“

„Du wirst nicht allein sein. Fange aber schon einmal damit an. Munda, bereite die Truppen vor. Wir verschwinden von hier. Wer nicht gehen kann, wird zurückgelassen.“

Munda verbarg seinen Zorn und seine Pein nicht. „Das kannst du nicht ...“

Verbündete Verstärkung | Bild von Matt Stewart

„Das kann ich. Und das werde ich. Wenn wir hierbleiben, sterben wir. Den Schwerverwundeten droht das gleiche Schicksal, ganz gleich, was wir tun. Wir müssen überleben. Zendikars einzige Hoffnung liegt bei uns.“ Munda hielt inne und musterte sie prüfend. Eine beharrliche Tazri war ihm fremd. Doch er hatte an ihrer Seite gedient. Er kannte sie. Er nickte und machte sich an die Vorbereitungen.

„Drana!“ Die Vampirkönigin hatte ihren Untergebenen ihre eigenen Befehle erteilt, wandte sich jedoch langsam um und lächelte die ganze Zeit über träge.

„Sende fliegende Kundschafter aus, um herauszufinden, ob noch irgendwo größere Gruppen fähiger Kämpfer übrig sind. Und halte nach Gideon Ausschau. Wir brauchen ihn und die anderen hier.“

„Pah. Der Krieger ist tot. Oder wird es bald sein.“ Dranas Stimme triefte vor Hohn.

„Nein. Er lebt. Und wir werden ihn finden.“ Einige Soldaten um sie herum spitzten sichtlich die Ohren. Dort wo in ihrem Blick gerade noch nackte Verzweiflung gewesen war, flackerte Hoffnung auf. Tazri war erstaunt, wie zuversichtlich sie war. Doch sie war sicher, dass Gideon am Leben war. Sie brauchte Gideon, damit sie eine glaubhafte Aussicht hatten, diesen Krieg zu gewinnen. Und genau daher war er noch am Leben. Gestern wäre ihr dieser Gedankengang noch bizarr und falsch erschienen. Zuversicht wider jede bessere Vernunft ist das größte Geschenk, das ein Anführer seinen Leuten machen kann.

„Setze diese Kundschafter in Bewegung, Drana.“

„Ach je. Ganz die kleine Generalin. Ja, Generalin Tazri, auf der Stelle! Eine Frage noch: Warum sollte ich auf dich hören? Sollte ich mir irgendwelche beliebigen Meinungen anhören wollen, bin ich sicher, die meine am überzeugendsten zu finden.“

Generalin Tazri ... Die Worte waren im Spott gefallen, aber Tazri musste zugeben, dass ihr der Klang gefiel. Es war Zeit, den großen Wurf zu wagen. Sie trat dicht an Drana heran, legte die Lippen an ihr Ohr und wisperte:

„Du bist weitaus mächtiger als ich, Drana. Wahrscheinlich sogar mächtiger als jeder andere von uns.“ Dranas Lächeln wirkte nun geradezu verschämt. „Deine Leute reden, Drana. Wir wissen, was du getan hast. Wir wissen, wozu du fähig bist. Aber auch du weißt etwas: Die Vampire von Guul Draz mögen dir folgen, doch der Rest von uns wird dies niemals tun. Die Furcht vor den Vampiren ist zu groß. Die Furcht vor dir. Also werde ich uns führen. Betrachte mich als eine Art Strohmann, wenn du willst. Wir können einander später umbringen, sobald alle Eldrazi tot sind. Doch bis dahin werde ich diese Streitmacht anführen. Aber ich brauche deine Hilfe. Zendikar braucht deine Hilfe. Bitte.“ Tazri bemerkte, dass sie den Atem anhielt und stieß ihn bedächtig aus. Keine Angst mehr. Nie wieder.

Drana trat von Tazri zurück und starrte sie an. Ihr Lächeln war verschwunden. In ihren Augen erkannte Tazri die Gegenwart von etwas Altem und Fremden. Es war ein bedrohlicher Blick, der sie noch vor einer Stunde voller Schrecken auf die Knie hätte fallen lassen. Ich habe eine Unendlichkeit durchlebt, kleine Vampirin. Der kurze Auftritt deiner Existenz ist kaum mehr als Morgentau. Tazri wusste nicht, woher der Gedanke stammte. Sie verstand nicht einmal, was er bedeutete, doch er tröstete sie. Sie lächelte.

Dranas Gesicht verriet ein gewisses Unbehagen, und sie wandte den Blick ab.

Als sie Tazri wieder ansah, war sie erneut ganz Hohn und offen zur Schau getragene Überheblichkeit, unterstrichen von ihrem bösartigen Lächeln. Doch Tazri wusste, dass es nur gespielt war. Zeit, etwas Druck aufzubauen.

„Eins noch, Drana. Ich will, dass du Kraft an Noyan Dar weiterleitest. Er hat keine Turbulenzmagier mehr, die ihm helfen könnten. Daher wirst du ihm das liefern müssen, was er braucht. Du musst das unbedingt für mich bewerkstelligen.“

Tazri konnte Dranas Wut spüren und sah, wie sich die Wirklichkeit auf viele verschiedene Arten vor ihr ausbreitete. Einige dieser Verläufe endeten für sie sehr rasch und sehr blutig. Doch sie konzentrierte sich auf das Ergebnis, das sie wollte. Das Ergebnis, das sie brauchte.

Als Drana nach einer langen Pause schlicht sagte: „Wie du befiehlst, Generalin Tazri!“, wussten sie beide, dass es ihr ernst war. Zumindest fürs Erste.

Die Eldrazi begannen erneut, sich vor Seetor zu sammeln. Obwohl sowohl Ulamog als auch Kozilek anderswo beschäftigt waren, gab es hier noch genügend Brut, um ihnen das Leben zunehmend schwerer zu machen. „Noyan! Ich brauche diesen Zauber. Jetzt!“

Ulamog und Kozilek frei und ungezügelt. Die Hälfte von Zendikars Streitmacht gefallen. Gideons Verbleib unbekannt. Und Tazri hatte beinahe die Hälfte ihres Lebens an einen Nebel der Trägheit verloren, der erst heute gelichtet worden war – alles wegen eines Akts der Gnade, der sie um ein Haar restlos alles gekostet hätte.

Tazri dachte an all das und wischte den Gedanken dann fort. Das ist es, wo ich sein will. Das ist es, was zu tun mir bestimmt ist.

Der Kampf um Zendikar war noch nicht verloren. Der Kampf um Zendikar fing gerade erst an. Und Zendikar würde siegen. Sie hörte die wundervolle Stimme eines Engels singen. Generalin Tazri lächelte.

Generalin Tazri | Bild von Chris Rahn


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Weltenbeschreibung: Zendikar