Wenn jemand Kaito gefragt hätte, was er auf Neu-Phyrexia zu finden erwartete, wäre er eine Antwort schuldig geblieben. Ihr im Vorhinein gesammeltes Wissen war teils dürftig, und keine lebende Seele hatte jemals eine Welt gesehen, die vollständig vollendet worden war. Sie verfügten über Informationen und Aufklärungsberichte und alles, was sie für den Einfall brauchen würden, aber dennoch wusste er nicht, was er erwartet hatte – nur, was nicht, und auch das nur ansatzweise.

Illustration von: Igor Kieryluk

Ganz sicher nicht erwartet hatte er das Gefühl, gegen eine Mauer aus elektrostatischem Wind zu prallen. Diese richtete zwar keinen schwerwiegenden Schaden an, aber doch fühlte er sich so desorientiert und abgelenkt, dass er unvermeidlich das Bewusstsein verlor.

Als er wieder aufwachte, erwartete ihn die nächste Überraschung. Neu-Phyrexia sah aus wie einer der beliebten Strände Kamigawas, die in Scharen von Touristen aufgesucht wurden. Sein erster Eindruck von Neu-Phyrexia waren makellose Sanddünen, die auf nichts Gefährlicheres hindeuteten, als dass man sich dort einen Sonnenbrand zuziehen könnte. Es war einfach nur idyllisch. Unglaublich idyllisch. Neu-Phyrexia war keine Gefahr, es war ein Paradies, und er sollte sich einfach entspannen und sich davon mitnehmen lassen wie von einer Welle des einladenden Meeres …

Das Tosen der See hallte in seinen Ohren wider, während er die Augen schloss und sich tiefer in den Sand sinken ließ. Etwas in ihm wusste, dass Phyrexia sich bald seiner Gegenwart bewusst werden und wie jede gefährliche Bestie auf einen Eindringling reagieren würde. Ein winziger unbeirrter Teil in einem entfernten Winkel seines Bewusstseins schrie ihn an, aufzuwachen und wieder zu Sinnen zu kommen!

Phyrexia war eine Bedrohung. Er wäre doch gar nicht erst hier, wenn Phyrexia keine Bedrohung wäre. Kamigawa war in Gefahr, und er musste alles in seiner Macht stehende tun, um alles zu beschützen, was ihm jemals etwas bedeutet hatte. Seine Freunde, seine Welt, seine Schwester … Er war hierhergekommen, um sie alle zu retten.

Aber der Sand war warm und verlockend und er konnte es nicht über sich bringen, sich zu rühren, bis kleine, starke Hände ihn an den Schultern packten und ihn in eine sitzende Position hievten. Sie fühlten sich vertraut an, wie Hände, die er eigentlich kennen sollte. Aber sie fühlten sich auch wie ein Angriff an, daher schlug er um sich und versuchte, sich aus der Umklammerung zu lösen. Der kleine, schreiende Winkel seines Bewusstseins meldete sich noch dringlicher, um ihn daran zu erinnern, dass sein erster Gedanke, seine erste Reaktion auf auch nur den Anschein einer feindlichen Handlung seiner Verteidigung hätte gelten sollen, aber nein: Er schien sich damit zu begnügen, nutzlos um sich zu schlagen.

Eine dieser kleinen, starken Hände ließ seine Schulter los, und er konnte sich kurz befreien, bereit, wieder in Frieden und Wohlbehagen zu versinken, bevor sie so heftig direkt unter seinem Auge auf seine Wange schlug, dass er den Knall ebenso schmerzhaft hörte, wie er ihn spürte. Er zuckte zurück und riss die Augen auf. Zum ersten Mal wurde ihm klar, dass das, was er für das Rauschen der Wellen gehalten hatte, tatsächlich der Klang von Metall auf Metall, Zaubersprüchen, die in ihr Ziel einschlugen, und angestrengtem Ächzen war. Jemand schrie, und er wusste, dass er dies vor dem Schlag für den Ruf eines Seevogels gehalten hätte – wenn er den Schrei überhaupt hätte hören können.

„Endlich“, sagte die Wanderin mit einer gewissen Genugtuung. Sie ließ seine andere Schulter los und wedelte sich den Schmerz aus der Hand, die allerdings abgesehen von geröteten Knöcheln unversehrt war. „Ich habe mich schon gefragt, wann du dich uns endlich anschließen würdest.“

„Anschließen …?“ Kaito hielt inne und dachte an die Mauer aus statischem Wind zurück. Die Mauer, die er noch einen Augenblick zuvor als angenehm, sogar friedlich, in Erinnerung gehabt hatte. Aber so war es nicht gewesen, oder? Es war … Es war … Es war etwas gewesen, an das er sich nicht erinnern konnte, mit Ausnahme des Klangs von Schreien. Einige davon waren vielleicht sogar seine eigenen gewesen.

Instinktiv griff er nach seinem Schwert. Das Adrenalin, das so lange auf sich hatte warten lassen, durchflutete seinen Körper, und er erstarrte, als er bemerkte, dass ihm seine gesamte Ausrüstung abhandengekommen war. Kein Schwert, kein kleiner, freundlicher Geist, der die Gestalt und Funktion einer Tanuki-Drohne nachahmte. Phyrexia hatte ihn niedergestreckt, als er eigentlich unverwundbar hätte sein sollen, und ihm im selben Augenblick alles genommen. Sein Blick schnellte zur Wanderin zurück, sodass er gerade noch bemerkte, wie sie kurzzeitig verschwand, flackernd wie eine Kerze, die erlischt.

„Nein“, sagte er und schüttelte bestimmt den Kopf. „Nein, du brauchst mehr Zeit. Ich brauche mehr Zeit. Du kannst nicht gehen, bevor du mir erzählt hast, was ich verpasst habe.“

„Eine –Barriere“, sagte sie. „Wir hatten sie nicht erwartet, und sie hat anscheinend – meine Fähigkeit, mich zu verankern, blockiert. Kann – nicht bleiben. Verliere Halt. Muss dir – erzählen –“ Ein Ausdruck tiefer Frustration huschte über ihr Gesicht. Sie drehte sich um und rief jemandem kurz hinter Kaitos rechter Schulter etwas zu: „Nahiri! Hör auf – dich mit diesem Ding – zu amüsieren!“

Kaito wandte sich um, auch wenn es im widerstrebte, die Wanderin aus den Augen zu lassen, wenn sie so kurz davor war, ganz zu verschwinden. Er erblickte Nahiri mit einem Schwert in der Hand und vor Anstrengung leicht geröteten Wangen; ihr warmes Blut schimmerte durch ihren fahlen Hautton hindurch. Sie tanzte – nein, kämpfte mit einer Gestalt, die aus flüssigem Metall zu bestehen schien, auf das Schalttafeln mit ausgefransten Kabeln gepfropft waren, wie ein Fiebertraum mechanischer Poesie, der aus der Werkstatt eines Erfinders geflohen war und sich gegen die Welt gewandt hatte. Es erschien unmöglich, dass irgendjemand gegen dieses Konstrukt gewinnen könnte, auch nicht die Lithomagierin.

Illustration von: Chris Cold

Dann blitzte die Luft um sie herum auf und entflammte mit einem donnernden Knall, als Nahiri den glitzernden metallenen Sand Neu-Phyrexias beschwor, sich ihrem Tanz anzuschließen. Korn um Korn stieg er auf und begann, um sie zu kreisen – ein Sturm, der noch tödlicher war als der Hagel ihrer geschärften Steinklingen. Zusammen prasselten sie auf die kämpfende Gestalt ein und überwältigten sie. Der Sand strömte durch ungeschützte Maschinerie und Nasengänge gleichermaßen, sodass Nahiris Gegner im Nu bezwungen war.

Sowie die Kreatur zu Boden sank, machte Nahiri einen Schritt vorwärts und stieß ihre Hauptklinge mitten durch sie. Sie drehte sie einmal und die Gestalt, die unter dem aufgehäuften Sand begraben lag, rührte sich nicht mehr.

Nahiri“, blaffte die Wanderin derart barsch, dass Kaito einen Augenblick lang zu hoffen wagte, dass sie sich stabilisierte. Er wandte sich wieder zu ihr um, und seine Hoffnung zerschlug sich. Sie flackerte immer noch hinein und heraus, kurz davor, dem Sog der Blinden Ewigkeiten zu erliegen. Es musste ein gewaltiger Kraftakt des Willens für sie sein, so lange zu verweilen.

Nahiri trabte über den metallenen Sand, als wäre er fester Grund, und nickte Kaito kurz zu, bevor sie sich der Wanderin zuwandte. „Du hast gerufen?“

Die Wanderin legte die Stirn in Falten. „Länger durcheinander – als – musst erklären – was er – verpasst hat“, sagte sie mit unnatürlichen Pausen, wenn sie zu weit herausflackerte, als dass man sie verstehen konnte.

„Verstehe“, sagte Nahiri. Sie wandte sich Kaito zu. „Ich weiß nicht, ob sie wussten, dass wir kommen würden, oder ob sie einfach nur paranoide Monster sind, aber wir sind auf eine Art Weltenschild geprallt, als wir in Neu-Phyrexia eindrangen. Eigentlich hätte alles glattgehen sollen. Offensichtlich ist es das aber nicht. Ich weiß nicht, wo die meisten anderen von uns sind. Wir drei sind hier abgestürzt. Der Sand hat dich erwischt?“

Benommen nickte Kaito.

„Mich zuerst auch“, sagte Nahiri. „Zum Glück besteht hier alles aus Metall – zwar nicht aus normalem, aber für meine Zwecke reicht es, selbst wenn dieses Zeug uns lieber schaden als helfen würde. Es ist eine passive Waffe. Wenn du es zulässt, bringt es dich um. Ich konnte mich befreien und fand die Wanderin, wie sie bei dir stand und in diese Welt hinein- und herausflackerte. Ich glaube nicht, dass sie uns noch lange erhalten bleibt.“

„Was war dieses Ding, gegen das du gekämpft hast?“, fragte Kaito, der nicht daran denken wollte, die Wanderin auch nur eine kurze Weile an die Blinden Ewigkeiten zu verlieren.

„Ein Einheimischer“, sagte Nahiri und zuckte mit den Schultern. „Schnell. Ziemlich tödlich. Keine wirkliche Herausforderung.“

„Bist du verletzt?“

„Nur eine Schramme. Nichts, was ich nicht verkraften kann.“ Sie fasste sich mit ihrer freien Hand an ihren Nacken. Ihre Finger waren feucht vor Blut – jedoch war es nicht schmierig, wie es bei einer schweren Wunde der Fall wäre. „Mein Blut ist noch rot. Kein Öl. Das wird schon wieder.“

Sie hielt ihm mit einem blassen Lächeln ihre blutigen Finger hin, damit er sie betrachten konnte. Hinter ihm weiteten sich die Augen der Wanderin, und sie flackerte schneller. Anscheinend sammelte sie ihre Kraft, um erneut etwas zu rufen.

Nahiri ließ ihre Hand sinken. „Los, gehen wir“, sagte sie. „Ich weiß zwar nicht, wo wir sind, aber wir müssen die anderen auf der Schmelzofenschicht treffen und sollten uns wirklich nicht dort herumtreiben, wo Phyrexia uns gerne hätte. Wir sollten uns bewegen, bevor dieser Ort uns Schlimmeres in den Weg stellt als ein paar Fußsoldaten und ein bisschen hypnotischen Sand.“

„Meine Ausrüstung ist weg“, sagte Kaito.

„Ist sie im Sand?“

Er schüttelte den Kopf, während er sich umsah.

„Ich glaube nicht“, sagte er. „Wenn meine Drohne hier wäre, würde sie einen Weg zurück zu mir finden. Du kannst Metall erspüren, nicht ich. Spürst du irgendwelches Metall aus Kamigawa in der Nähe?“

„Leider nein. Nur phyrexianische Metalle“, sagte Nahiri.

„Wir werden sie schon finden“, sagte Kaito. „Und wir werden auch die anderen finden. Weißt du, in welche Richtung wir müssen?“

„Hier entlang“, sagte Nahiri und machte sich auf den Weg. „Wenn wir auf unserer ursprünglichen Flugbahn geblieben sind, dann ist die nächste Landezone in dieser Richtung. Wenn nicht, dann sind wir irgendwo auf Phyrexia verschollen, und du solltest anfangen, anzubeten, an wen auch immer du glaubst.“

„Wie konntest du dich so schnell orientieren?“, fragte Kaito, zum Teil, weil er sie dazu bringen wollte, langsamer zu gehen, damit er der Wanderin über den Sand helfen konnte. Nicht dass sie normalerweise Unterstützung nötig gehabt hätte, aber da ihre Verankerung auf dieser Welt so unsicher war, wollte er alles tun, um ihr die Sache zu erleichtern.

„Übung macht die Meisterin“, erwiderte Nahiri. „Ich habe dort drüben Explosionen gesehen. Dort scheint es heiß herzugehen.“ In ihrer Stimme schwang grimmige Genugtuung mit. Es war schwer zu sagen, ob sie stolz war, dass ihre Gefährten offenbar für Verheerung sorgten, neidisch, weil ihr diese Gelegenheit vorenthalten blieb, oder zufrieden, dass sie aus ihrem eigenen Kampf ohne größere Schwierigkeiten als Siegerin hervorgegangen war. Nahiri war nicht leicht zu lesen, was solche Dinge anging. Er kannte sie noch nicht gut genug, um alles, was sie meinte, aus ihr herauszukitzeln, und war nicht sicher, ob er unter den gegebenen Umständen die Gelegenheit dazu bekommen würde.

Sie stapften weiter durch den Sand – Sand, der eigentlich gar keiner war, wie Kaito bei genauerem Hinsehen bemerkte; was er für einen Strand gehalten hatte, war in Wahrheit eine unendliche Wüste aus Metallpartikeln. Es waren Stücke von Mirrodin, die von der Macht Phyrexias zu feinem Staub zermalmt worden waren. Die Wanderin hielt mit ihm Schritt, flackernd und stumm. Sie musste offenbar alle ihre Energie darauf verwenden, mit der Welt im Einklang zu bleiben. Er blickte erneut zu Nahiri hinüber.

„Hier ist nichts, wie es scheint“, sagte sie unwirsch. „Man kann nichts Phyrexianischem trauen. Alles ist eine Lüge, ob bewusst oder unbewusst. Wir müssen weiter.“

Kaito ging weiter.

Die Wüste erstreckte sich bis zum weit entfernten Sockel eines gewaltigen, unergründlichen Monuments, das einer verdrehten Parodie von Geometrie folgte. Sie drangen in den Schatten des titanischen Monuments vor, drei winzige Angreifer, die durch Feindesland reisten. Nichts sonst bewegte sich. Sie waren allein, doch die erdrückende Präsenz Phyrexias begleitete sie unablässig, und sie würden nie wieder allein sein.

Je weiter sie gingen, desto mehr richtete sich die Landschaft an fürchterlich fremdartigen Symmetrien aus. Gewaltige Gebilde aus glänzendem Metall warfen ihre Schatten auf den schimmernden Boden, zur Feier undenkbarer Siege. An einigen Stellen glitzerte entblößtes Fleisch, dessen Anblick Kaito schaudern ließ. Waren dies die Überreste von Bauwerken Mirrodins oder die schlafenden Gestalten phyrexianischer Goliaths?

Manche Fragen bleiben besser unbeantwortet. Zumindest schienen die fünf Sonnen Mirrodins noch, wenn auch nur schwach durch den dichten Nebel. Die Gruppe umrundete das Ende einer niedrigen Mauer, die aus einem Gemisch aus halb geschmolzenem Kochen und Silber zu bestehen schien. Sie hielten inne, als sie eine steinerne Statue erblickten, die sich zwischen zwei Eisensäulen in einem Knäuel aus stählern glänzenden Seilen verfangen hatte.

Sie stellte einen Elfen dar, klein gewachsen und muskulös und so makellos gefertigt, dass es Kaito nicht verwundert hätte, sie atmen zu sehen. Im phyrexianischen Knäuel aus Metall und Knochen wirkte sie vollkommen fehl am Platz.

Nahiri zischte laut. Kaito sah sie verwirrt an.

„Dieser Stein“, sagte sie. „Das ist ein Polyeder aus Zendikar. Entweder hat Phyrexia es nach Zendikar geschafft oder hier geht etwas ganz anderes vor sich.“

Die Wanderin deutete auf die Skulptur. Kaitos Blick folgte ihrer Geste. Warum sollte eine Statue Kleidung tragen? Und mehr noch: Warum sollte eine Statue bewaffnet sein? Eine Armschutzplatte aus Bronze mit einem zweischneidigen Schwert war an ihrem linken Arm festgemacht.

„Er gehört zu uns“, sagte Nahiri plötzlich. Sie machte einen Schritt nach vorne.

Wider besseres Wissen legte Kaito eine Hand auf ihren Arm. Sie blieb stehen.

„Auf Kamigawa wäre das eine Falle“, sagte er.

Sie nickte langsam. „Wenn es eine ist, müssen wir hineintappen“, sagte sie.

Kaito begann, sich nach Dingen umzusehen, die er als Projektile verwenden könnte. Nahiris Metallklingen wären ideal geeignet gewesen, aber er glaubte nicht, dass der uralten Lithomagierin er auch nur einen Barren entwinden könnte, selbst wenn er es wollte.

Das Geröll unter der Statue musste reichen. Kaito griff telekinetisch danach und sammelte eine Wolke aus Metallsplittern und Schrapnell um sich. Im Vergleich zu seiner Klinge oder Himoto, seinem Tanuki, war es nichts, aber es war doch um Längen besser, als unbewaffnet in einen Kampf zu gehen.

Wobei er nicht einmal wusste, ob es überhaupt zu einem Kampf kommen würde. Vielleicht war die Statue völlig harmlos, und bisher waren sie noch nicht angegriffen worden. Vorsichtig näherte sich das Trio der Statue.

Sie hatten sie fast erreicht, als die Stahlseile, in denen sie hing, sich plötzlich zu winden begannen wie ein Nest von Schlangen, die aus dem Winterschlaf erwachten. Manche von ihnen entwirrten sich vollständig und bäumten sich auf, was den Eindruck eines schlangenartigen Bewusstseins verstärkte. Kaito spannte sich an, bereit, mit seiner Ansammlung provisorischer Pfeile zuzuschlagen. Die Wanderin hob eine Hand und gebot ihm damit, zu verharren. Er hielt inne, immer noch angespannt, aber noch nicht angreifend, und sah Nahiri zu, wie sie sich mit vorsichtiger Anmut vorantastete.

Die Seile wanden sich, um ihren Bewegungen zu folgen. Die Statue öffnete ihre Augen und begann, sich zu rühren. Die Seile strafften sich um sie.

„Er gehört auf jeden Fall zu uns“, sagte Nahiri. „Er scheint unverletzt zu sein. Wir sollten ihn befreien können.“

„Also greifen wir an?“ Kaito sah zur Wanderin.

Sie nickte zustimmend, und er entfesselte den verwirrten Zorn, der ihn seit dem Strand nicht losgelassen hatte, in Form eines Hagels aus Schrapnell. Die improvisierten, scharfkantigen Klingen prasselten wirbelnd und schneidend auf das Nest aus Seilen ein. Die Seile reagierten, indem sie nach der Wolke schlugen. Der Aufprall löste eine misstönende Symphonie zersplitternden, berstenden Metalls aus.

In der Zwischenzeit war auch Nahiri aktiv geworden. Ihr eigener Klingenhagel setzte die Arbeit von Kaitos notdürftigem Arsenal fort und schnitt und stutzte die Kreatur aus Seilen mit der Präzision einer Künstlerin. Die Statue neigte sich weiter und weiter abwärts, sowie die strammen, metallischen Sehnen, die sie hielten, weggeschnitten wurden, bis die letzte mit einem lauten Knall zerbarst und die Statue auf den Boden fiel. Die Wanderin eilte auf sie zu, kniete neben ihr nieder und suchte nach einem Puls.

Der Steinmann reagierte, indem er einen mächtigen, wenn auch orientierungslosen Schlag nach ihr ausführte. Seine Faust durchdrang den Körper der weißhaarigen Frau, als wäre sie ein Geist. Sie blickte ihn finster an.

„Sie ist nicht ganz anwesend“, sagte Kaito und folgte der Wanderin, um dem Steinmann seine Hand zu reichen. „Bitte schlag sie nicht noch einmal.“

„Was –“ Der Mann, der eben noch eine Statue gewesen war, ließ sich aufhelfen und blickte panisch umher, bis er schließlich Nahiri erblickte, die sich aus Kaitos Verbandszeug bediente, um ihren Nacken zu verarzten, indem sie die magisch haftenden Enden einer Bandage fest anpresste. „Was ist passiert?“

Die Wanderin, die kein Wort von sich gegeben hatte, seit sie Nahiri aus ihrem Kampf gerufen hatte, schluckte und nahm all ihre Kraft zusammen. „Sind auf eine – Barriere geprallt“, brachte sie heraus. Die Lautstärke ihrer Stimme schwankte, als wäre sie mal nah, mal fern. „Alle – verstreut. Versuchen – die anderen zu finden.“

Nahiri blickte zu ihnen herüber. „Sieht das jetzt immer so aus, wenn wir jemanden finden?“, fragte sie. „Falls ja, wird das schnell langweilig.“

Der Steinmann lachte, anscheinend von ihrer Häme erfrischt. „Wir mögen uns auf einer feindlichen Welt befinden, aber manches bleibt immer gleich; wenn Helden erstmals aufeinandertreffen, gibt es immer Streit.“ Die steinerne Farbe wich aus seiner Haut, die stattdessen eine leichte Bräune annahm. Er verbeugte sich höflich vor der Wanderin. „Ich bin Tyvar Kell, Prinz von Kaldheim. Ich danke dir für deinen Rat.“

Sie öffnete den Mund, aber kein Laut war zu hören. Sie verzog frustriert die Miene.

„Die Wanderin kann sich hier nicht stabilisieren“, sagte Kaito. „Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, sich so lange hier zu halten, aber wenn wir uns nicht ausruhen, verlieren wir sie bald.“

„Sie wird zurückkommen“, sagte Nahiri.

„Aber wird es dann nicht schon zu spät sein, wenn wir nicht auf sie warten?“

Darauf hatte Nahiri keine Antwort. Sie blickte von Kaito zur Wanderin und wiederholte: „Wir müssen weiter.“

Die Vierergruppe setzte also ihre Reise durch die verheerte Ödnis Neu-Phyrexias fort. Die imposanten Monumente, die sich in der Ferne vom Horizont abhoben, entbehrten nicht einer gewissen Schönheit. Da er aber die lebenden Seile gesehen hatte, in denen Tyvar gehangen hatte, war Kaito nur allzu bewusst, dass alles, was ihnen auf dieser unglückseligen Welt begegnete, künstlich und nicht aus ihrer Natur gewachsen oder entsprungen war. Alles könnte sich jederzeit als Bedrohung herausstellen.

Die Wanderin flackerte weiterhin und sprach erneut nicht. Sie blieb in Kaitos Nähe und schaute sich immer wieder besorgt um. Irgendetwas beunruhigte sie offenbar – er wünschte, er könnte ihr irgendwie helfen, aber sie konnten es sich nicht leisten, lange genug zu rasten, sodass er es versuchen könnte.

Illustration von: Campbell White

Sie zogen weiter und weiter, bis am Horizont eine Ansammlung heruntergekommener Zelte und Verschläge erschien, zwischen denen sich kleine Gestalten bewegten. Nahiri und Tyvar stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Kaito, dem vor allem daran gelegen war, einen Ort zu finden, an dem die Wanderin sich ausruhen konnte, bedeutete ihnen, ruhig zu bleiben. Die Gruppe ging weiter, bis die Gestalten genauer zu erkennen waren: Es handelte sich um Mirraner. Die meisten waren Menschen mit bronzener Haut und goldener Rüstung, zwischen deren Platten weißer Stoff zu erkennen war. Auch die katzenartigen, anmutigen Gestalten von Leoniden waren unter ihnen. Die wenige Haut, die nicht von ihren Rüstungen bedeckt war, schimmerte sanft golden.

Sie alle bewegten sich mit der natürlichen Anmut organischer Wesen anstatt der verstörenden Gangart der Vollendeten, und Kaito atmete auf. Sicherheit. Wenn man sie irgendwo auf dieser Welt finden konnte, dann dort im Lager vor ihnen.

Er drehte sich zur Wanderin um und wollte sie aufmuntern, um sie für die letzte Strecke bis dorthin zu stärken. Sein erleichtertes Aufatmen wurde zum Seufzer, als er sah, dass sie fort war. Sie hatte lange genug durchhalten können, um ihren Kindheitsfreund durch die erste Gefahr zu begleiten, aber nicht länger.

„Sie wird zurückkommen“, sagte Kaito, ebenso sehr an sich selbst gerichtet wie an die anderen. „Sie kommt immer zurück.“

„Fass dir ein Herz, mein Freund“, sagte Tyvar und klopfte ihm auf die Schulter. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“

„Ja, aber … ich hatte gehofft, wir würden es gemeinsam hierher schaffen“, sagte Kaito und ging wieder los. Zusammen erreichten die drei das Lager.

Eine drahtige Menschenfrau mit kurz geschorenen roten Haaren und heller Haut ganz ohne Metallschmuck kam ihnen entgegen. Sie trug einen Stab, aus dessen Spitze ein gleißendes Licht schien – keine unmittelbare Gefahr, aber jederzeit bereit, zu einer zu werden.

Illustration von: Miranda Meeks

„Ihr seid keine Phyrexianer“, sagte sie mit scharfer Stimme. „Koth hat erzählt, dass ihr kommen würdet. Ich bin Melira. Eine Freundin und Heilerin. Seid ihr verletzt? Braucht ihr Beistand?“

„Nein“, sagte Tyvar. Seine Stimme klang in der kühlen, ruhenden Luft ganz hell. „Wir sind dem Ruf von Karn und den Wächtern gefolgt, aber bei unserer Ankunft haben wir uns verirrt. Ihr seid die ersten freundlichen Gesichter, die wir seitdem gesehen haben. Sind andere von uns hier?“

„Ah“, machte die Frau, um ihr Verständnis zu bekunden. „Ich hatte Gerüchte gehört, dass Elesh Norn dabei war, eine Art Barriere zur Verteidigung gegen Leute wie euch einzurichten. Anscheinend ist ihr das gelungen. Die restlichen Mitglieder eures Trupps sollten sich gerade zwei Schichten weiter unten in der Schmelze versammeln, sofern sie es bis dahin geschafft haben.“

Sie bewegte sich von dem kleinen Lager weg und bedeutete den drei anderen, ihr zu folgen.

„Das ist die Monumentale Fassade“, sagte sie. „Als die Phyrexianer Mirrodin einnahmen, bauten sie eine Hülle um unsere Welt, die uns Überlebende einsperrte, sodass uns nichts übrig blieb, als darunter weiterzukämpfen. Wir sollten die Sonnen unserer Heimat nie wieder sehen. Sie schicken ihre Spielzeuge hierher, damit sie bis zum Tod gegeneinander kämpfen, aber wir sind heraufgekommen, um euch zu finden. Eure Reise wäre wesentlich beschwerlicher gewesen, wenn wir nicht hier gewesen wären, um die Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen und sicherzustellen, dass nichts entkommt und unseren Standort verrät.“

Phyrexia hatte also nicht überall Augen? Kaito nickte angesichts der ersten guten Neuigkeiten seit ihrer Ankunft.

„Mirrodin – das echte Mirrodin – liegt unter uns“, fuhr Melira fort. Sie hielt mitten auf einem sonderbar flachen Stück Boden an und musterte einen nach dem anderen, bevor ihr Blick auf Nahiri verweilte. „Du bist die Lithomagierin, deren Ankunft uns angekündigt wurde, ja?“

„Die bin ich“, sagte Nahiri, deren schwebenden Klingen erzitterten. „Warum?“

„Das wird hilfreich sein, das ist alles“, sagte Melira und schlug mit dem stumpfen Ende ihres Stabs auf den Mittelpunkt der offenen Fläche.

Zunächst gab es eine gewichtige Stille, die lange genug andauerte, dass Melira sich verärgert umdrehte und über ihre Schulter blickte, als würde sie auf etwas warten. Dann verloren sie den Boden unter ihren Füßen, da ein etwa ein zehn mal zehn Fuß großes Stück dessen, was Melira die Monumentale Fassade genannt hatte, nach innen wegbrach.

Die Sprengsätze waren meisterhaft installiert worden. Kaito konnte selbst im Fallen nicht umhin, sie zu bewundern. Dies war eine unerwartete und beunruhigende Entwicklung. Über ihnen wirkte die dünne Hülle der Welt wie eine zersprungene Platte aus schwarzem Metall. Unter ihnen schnellte die Landschaft heran, begierig, ihre Bekanntschaft zu machen. Es waren nur noch hundert Fuß bis zum Boden.

Nahiri blickte Melira finster an, diese jedoch lächelte und wirkte völlig unbesorgt. Die Felsbrocken unter ihnen begannen zu glühen, als die Lithomagierin sie ergriff und ihren Fall bremste, sodass sie eine Art Panzer bildeten, auf dem sie zu Boden gleiten könnten, ohne sich zu verletzen.

Melira brach in Gelächter aus. Kaito blinzelte. „Warum lachst du? Wir hätten alle sterben können!“

„Koth sagte, ihr wärt mächtige Magier, gekommen, um diese Welt zu retten“, sagte Melira. „Nun, die Hülle der Fassade bricht immer wieder auf, auch ganz ohne eure Hilfe. Wenn euch so ein kleiner Sturz zu schaffen gemacht hätte, wäre sowieso alles verloren. Aber ich muss sagen, das ist besser, als ich dachte. Wir werden in der Nähe von Tieflicht landen – wir können auf die Vertiefung zuhalten und dann in die Schmelzofenschicht vordringen, um zu den restlichen Überlebenden zu stoßen.“

Kaito gefiel dieses Wort nicht. „Überlebende“ klang nach einem schlechten Omen, und da sie bereits die Wanderin verloren hatten, wollte er wirklich nicht genauer darüber nachdenken. Dennoch hielt er seine Mimik neutral. „Wir sind sehr dankbar für deine Hilfe“, sagte er und blickte zu Nahiri, da er erwartete, sie würde sich darüber beschweren, dass sie verletzt worden war, als sie und die Wanderin ihn im Sand gefunden hatten. Das tat sie allerdings nicht. Sie war ganz und gar darauf konzentriert, dafür zu sorgen, dass sie weich landen würden.

Schließlich war es auch nur eine Schramme gewesen. Eine Schramme, die von selbst heilen würde, war es nicht wert, ihre Konzentration zu stören.

Tyvar hatte andere Fragen. Er wedelte mit einer Hand und deutete so auf das Land, das sie umgab. „Wir müssen noch weiter hinab? Ist das hier nicht die Schmelzofenschicht?“

„Nein“, sagte Melira. „Die Phyrexianer nennen das hier Mirrex. Sie haben nicht einmal den Anstand, uns unseren echten Namen zu lassen. Ich habe euch doch gesagt, dass das echte Mirrodin unter uns liegt. Das ist alles, was von unserer Heimat noch übrig ist.“

„Ich verstehe“, sagte Tyvar kleinlaut.

„Der Großteil unserer Angriffskräfte wird in Tieflicht versammelt und ist bereit, euch bei eurem Auftrag zu unterstützen“, sagte Melira. „Wir würden jeden Preis zahlen, um Mirrodin zu befreien. Dies war einst ein wunderschönes Land. Wenn das Schicksal uns wohlgesonnen ist, wird es das auch wieder sein.“

„Für Mirrodin und das Multiversum“, sagte Kaito und Melira lächelte ihm als kurze Geste der Eintracht zu, bevor sie sich zum Rand von Nahiris notdürftiger Plattform begab und hinabblickte.

Mirrodin – oder das, was davon übrig war – erstreckte sich als Einöde unter ihnen. Der Mangel an Licht hatte es verwelken lassen und ihm sogar die eigentümliche Schönheit der Oberfläche geraubt. Falls Phyrexia dies getan hatte, um den Willen des Widerstands zu brechen, waren sie diesem Ziel näher gekommen, als irgendwer glauben wollte.

Nahiri brachte ihr provisorisches Beförderungsmittel auf der Oberfläche zum Halten und blickte zu Melira. „Sieht es hier überall so aus?“, fragte sie.

Melira nickte. „Ja. Je weiter hinab man sich begibt, desto mehr neue und schreckliche Überraschungen warten auf einen.“ Sie hüpfte von dem Felsbrocken auf den Boden, der hier aus echtem Stein bestand, aus dem gelegentlich sechseckige Metallplatten hervorragten. „Wenigstens sind sie berechenbar. Hier will dich alles töten oder vollenden. Ohne Ausnahmen.“

„Du etwa auch?“, fragte Nahiri.

„Ich?“, erwiderte Melira. „Ich bin immun. Deswegen lässt mich der Widerstand ohne Leibgarde umherstreifen, und deswegen hat Koth mir aufgetragen, auf euch aufzupassen. Kommt. Nach Tieflicht geht es hier entlang.“

Sie bewegte sich zügig durch die Einöde und zählte darauf, dass die Planeswalker mit ihr mithalten würden. Schließlich gelangten sie zu einem unscheinbaren und heruntergekommenen Lager der Mirraner. Als sie dessen Peripherie erreicht hatten, führte sie sie direkt zu einer niedrigen Mauer, die aus mit Rasierklingen besetztem Glas zu bestehen schien, und machte eine ausladende Geste.

„Wir haben das Lager an dieser Vertiefung eingerichtet, als Koth erzählte, dass ihr kommen würdet“, sagte sie. „Von dort aus können wir in die Schmelzofenschicht gelangen. Wir hätten es bald aufgegeben, im Glauben, dass niemand kommen würde.“

„Dann nichts wie runter“, sagte Nahiri.

Melira sah leicht amüsiert aus. „Habt ihr das schon einmal gemacht?“

„Nein“, sagte Kaito.

„Das macht schon Spaß“, sagte sie. „Im Inneren spielt die Schwerkraft verrückt, man fällt also gar nicht, wenn man erst einmal gesprungen ist. Der Anfang ist immer das Schwierigste.“ Melira schritt auf die Vertiefung zu, erklomm gekonnt die zahlreichen Kisten, die an der Mauer aufgestapelt waren, und sprang dann hinab.

Die Planeswalker folgten ihr. Nachdem sie dieselben Kisten erklommen hatten und hinabblicken konnten, sahen sie sie auf dem Boden einer Art Tunnel stehen, der in die Tiefen Phyrexias führte und von innen blass beleuchtet war, ohne dass eine Lichtquelle zu sehen war. Sie blickte über ihre Schulter zu ihnen zurück.

„Nun?“, fragte sie. „Kommt ihr?“

Nahiri sprang, ohne zu zögern, und Kaito tat es ihr gleich. Einen Moment lang war er furchtbar desorientiert, dann stand er auf der Wand des Tunnels. Ein Blick zurück ließ es so erscheinen, als wäre Tyvar der Einzige, der sich der Schwerkraft widersetzte, was dem kräftigen Mann anscheinend auch klar wurde, denn er lachte und sprang in die Vertiefung.

„Vorwärts, Freunde“, sagte er nach seiner Landung und schritt voran. Kaito holte ihn ein, und wenig später hatten die beiden Nahiri auf dem Weg in die Tiefen Phyrexias überholt.

Melira blieb mit Nahiri etwas hinter ihnen zurück und nahm den Verband am Nacken der anderen Frau in Augenschein, ohne jedoch nachzufragen – noch nicht.


Nahiri fühlte sich unwohl. Sie kannte ihren Körper gut und wusste, wie er sich zusammensetze – Knochen und Gewebe, die ineinandergriffen wie Steine in gesunder Erde –, und im Augenblick schien etwas nicht zu stimmen. Die Schramme an ihrem Nacken, diese kleine, unbedeutende Verletzung, pulsierte und beschäftigte ihr Bewusstsein mehr, als sie von etwas so Unerheblichem jemals erwarten würde. Sie blieb kurz stehen, um Melira an ihr vorbeizulassen, und fasste dann nach dem Verband, den sie aus Kaitos Vorräten genommen hatte. Der Mull fühlte sich merkwürdig lose an, als hätte etwas ihn von unten gelockert.

Sie zog den Verband ab und betastete die Oberfläche darunter vorsichtig. Sie spürte keine Wunde, sondern nur glatte Haut und etwas Kurzes und Glattes, das daraus hervorstand und dort nichts zu suchen hatte, als hätten ihre Knochen entschieden, sich völlig umzuformen. Mit einem entsetzten Zischen zog sie ihre Hand zurück und war kaum überrascht, dass sie mit dem gleichen glitzernden Öl besudelt war, das auch die Speerspitzen der Phyrexianer umspielte.

Sie war infiziert.

Sie war bereits verloren.

Illustration von: PINDURSKI

Sie wusste, dass sie es ihren Gefährten sagen musste – nur wie? Und was würde es nutzen, wenn sie es wussten? Sie konnten sie nicht umbringen, und wenn sie es versuchten, würde sie sich wehren, ganz gleich, wie es um sie stand. Sie konnte nicht weg, denn dann würde sie diesen Makel von dieser dem Untergang geweihten, sterbenden Welt forttragen und eine andere infizieren. Die Mirranerin hatte behauptet, eine Heilerin zu sein, aber selbst eine Heilerin konnte eine solche Infektion nicht aufhalten – oder etwa doch? Nein, die beste Lösung war, die anderen so weit es ging voranzubringen, bevor sie dem Einfluss Phyrexias erlag und zu etwas wurde, was sie leichter zerstören konnten.

Sie presste den Verband wieder an ihre Haut, verbarg somit die Wunde und ging weiter.


Das bescheidene Lager der Mirraner war völlig dem Erdboden gleichgemacht worden, als die weißhaarige Frau mit dem breitkrempigen Hut erschien und sich mit der Hand am Schwert wachsam umsah. Nichts rührte sich oder machte Anstalten, sie anzugreifen.

„Kaito!“, rief sie. „Kaito, bist du hier?“

Keine Antwort. In der Nähe war ein Stück Boden weggebrochen, und die Wanderin lief darauf zu, da sie erkannt hatte, worum es sich dabei handeln musste. Sie spähte in die Tiefe, konnte aber keine Spur ihrer Gefährten ausmachen; nur Geröll auf dem entfernten mirranischen Boden. Sie waren fort.

Sie war zu spät aus den Blinden Ewigkeiten zurückgekehrt, und sie waren verloren.

„Ich hätte sie warnen können“, klagte sie. „Sie haben keine Ahnung, was ihnen blüht. Wir waren naiv, zu glauben, das hier würde ganz einfach werden.“

Sie richtete sich auf. Sie hatte nur wenig Zeit auf dieser Welt. Wenn es ihr vorherbestimmt war, sie wiederzusehen, würde sie das auch. Bis dahin konnte sie nur warten, bis es sie wieder fortzog, und hoffen, dass sie in Sicherheit waren.

Das reichte nicht. Aber es musste reichen.

Denn mehr blieb ihr nicht.