Der Schlachtenlärm verklang hinter Jace, Kaito und Kaya, während sie immer tiefer in den verkleinerten Nachbau von Elesh Norns Zitadelle im Inneren des Saatkerns vordrangen. Es war ein luftiger, endloser Raum, der von Strahlen buttrigen, unverschämt goldenen Lichts durchdrungen wurde, unberührt von den Schrecken, auf die es zuvor gefallen war. So sehr sie es auch versuchte, Kaya konnte nicht einmal vermuten, woher das Licht kam; so weit unter der Oberfläche des einstigen Mirrodin gab es keine Sonne, keine offensichtliche Quelle für die Beleuchtung, aber dennoch waren die Hallen und Räume, durch die sie gingen, hell erleuchtet. Die Luft glitzerte von den misstönenden Harmonien der unsichtbaren phyrexianischen Chöre.

Illustration von: Marta Nael

Jace sah nicht gut aus. Er bewegte sich aus eigener Kraft voran, aber die Drähte, die sich durch sein Fleisch und seine Knochen zogen, brachen langsam die Haut auf, durchstießen sie wie Flimmerhaare und verwebten sich zu feinen Schleifen, die wiederum zu einer Hülle um seinen Arm zusammenwuchsen. Den Beutel mit dem Sylex trug er nun an der anderen Körperseite. Er baumelte an seiner Hüfte, während sie weitereilten.

Kaya dachte, das schlimmste Omen sei die Tatsache, dass er nicht mehr vor ihnen verbarg, wie schlecht es um ihn stand. Normalerweise hätte er eine beruhigende Illusion über sich selbst gewirkt. Was das anging, ähnelte Jace einer Katze; er wollte nie, dass andere es sahen, wenn er verletzt war; lieber verschleierte er den Schaden und tat so, als sei alles in Ordnung. Und jetzt lief er verwundet herum.

Allerdings galt das auf die eine oder andere Weise für sie alle. Kaito ging mit schellen, effizienten Schritten voran, seine Aufmerksamkeit halb ihrer Umgebung und halb der mit Hexagold überzogenen Drohne auf seiner Schulter gewidmet. Diese machte gurrende Geräusche und rieb sich an seiner Wange, offensichtlich bemüht, den nervösen Planeswalker zu beruhigen. Unter anderen Umständen hätte Kaya vielleicht gewitzelt, dass er ein Stofftier brauchte, um mit dem Stress des Kampfes fertig zu werden, aber wenn sie ehrlich war, wünschte sie sich gerade, sie hätte einen Freund mitgebracht. Selbst einen kleinen, der nicht sprechen konnte.

Natürlich hatte sie Freunde mitgebracht. Sie war mit Tyvar, Vraska und den anderen gekommen. Und jetzt war sie hier, auf feindlichem Gebiet, mit einem Fremden und einem Toten an ihrer Seite, um eine Bombe zu zünden, die zahllose weitere Fremde umbringen könnte. Die Bedrohung durch die Phyrexianer war äußerst real und schlimmer, als sie befürchtet hatte.

Und dennoch gab es Leute wie Melira, mit Hoffnung im Herzen und Klingen in der Hand, die sich weigerten, den Kampf aufzugeben. Die Tode waren unermesslich gewesen. Der Preis, den das Volk von Mirrodin gezahlt hatte, war bereits größer, als man je zurückzahlen konnte. Sie verdienten ein so viel besseres Los. Kaya wusste jetzt unumstößlich, dass das Multiversum keinen glorreichen Architekten und keine wohlwollende Gottheit hatte, die weitreichende Entscheidungen darüber trafen, wie die Dinge verlaufen würden, denn kein Architekt mit nur einem Funken Güte im Herzen hätte den Unschuldigen Mirrodins so etwas angetan. Selbst wenn man einwenden würde, dass Phyrexia ebenso wie alle anderen das Recht hatte zu existieren, blieb es eine Tatsache, dass die Maschine-Seuche bestenfalls parasitisch und schlimmstenfalls räuberisch agierte. Ein Multiversum, in dem es Phyrexia gab, würde unausweichlich und auf fürchterliche Weise mit Phyrexia eins werden. Nur eine Version der Realität konnte diesen Konflikt überstehen.

Sie wusste, welche sie vorzog.

Der Schlachtenlärm hinter ihnen verklang. Kaya hatte furchtbare Angst, dass nun nur noch sie drei übrig waren. Der Weltenbrecher – aus Respekt vor Tyvar konnte sie ihn nicht einmal mehr in ihren Gedanken als Weltenbaum bezeichnen – war vollendet. Ihre Freunde waren tot. Sie hatten keine Zeit gehabt, zu trauern, und die Zeit, die ihnen noch blieb, war so kurz, dass es wohl nie dazu kommen würde. Würde man um sie trauern, wenn sie hier sterben würde? Würde man um irgendeinen von ihnen trauern?

„Ich hasse diesen Ort“, sagte Kaito mit leiser Stimme und brach damit die singende Halbstille. Kaya musterte ihn ein wenig überrascht. Jace tat das nicht. Er blickte weiter direkt nach vorne und zwang sich offensichtlich dazu, trotz der unaussprechlichen Qualen, die er leiden musste, weiterzugehen.

„Etwas stimmt nicht“, sagte Kaito und sah Kaya direkt an. „Ich habe kein besonders gutes Gespür für Geister, aber Boseiju, der große Baum auf Kamigawa, existiert in Harmonie mit seiner Umwelt. Er wimmelt nur so von Kami, das heißt Geistern. Ebenso wie ganz Kamigawa. An diesem Ort … müssen die Geister zusammen mit allem anderen verzehrt worden sein, sonst würden sie unaufhörlich wehklagen. Um das zu bemerken, braucht man, glaube ich, kein besonders empfindliches Gespür.“

„Nein“, gab Kaya ihm recht. Die Geister, von denen Kaito sprach, klangen nicht nach den Geistern, mit denen sie es normalerweise zu tun hatte und die aus dem Tod entsprangen, statt als Unsterbliche geboren zu werden. Angesichts des vielen Todes, den diese Welt gesehen hatte, hätte sie erwartet, dass man vor lauter Geistern in der Luft kaum würde atmen können, aber da war nichts. Sie konnte Phyrexia in keinerlei Hinsicht als steril bezeichnen, zumal sogar der Staub dafür gemacht war, Unvorsichtige zu infizieren und zu verzehren. Und doch war „steril“ das einzig passende Wort, um die Geister dieses Ortes zu beschreiben. Phyrexia ließ seine Opfer nicht entkommen, nicht einmal nach ihrem Tod.

Die Hallen um sie herum waren leer, was sich weniger wie ein Glücksfall anfühlte, sondern vielmehr wie ein weiterer unentrinnbarer Teil der gewaltigen Falle, zu der diese gesamte Mission geworden war. Kaya atmete durch. Jace war noch nicht transformiert. Sie hatten den Sylex noch. Noch war nicht alles verloren. Sie gingen in hoffnungsloser Hoffnung weiter – einer Hoffnungslosigkeit, die nur noch zugenommen hatte, seit sie Elspeth zurückgelassen hatten. Etwas an dieser Planeswalkerin machte es leicht, das Unmögliche doch für möglich zu halten.

Dieses Gefühl war nun fort, genauso wie Elspeth selbst, und auch wenn sie noch den Sieg erringen sollten, hatten sie bereits einen viel zu hohen Preis dafür gezahlt. Nichts würde den Schaden rückgängig machen können, den Phyrexia verursacht hatte.

Nichts.

Die Decke über ihnen wich durchsichtigen Tafeln, die wie die Flügel einer riesigen, schlummernden Fliege aussahen, durchscheinend, organisch und – wie so vieles an diesem schrecklichen Ort – merkwürdig lebendig und durchzogen von etwas dunkleren Adern, in denen glitzerndes Öl pulsierte. Wenn sie dieses „Oberlicht“ beschädigten, würde Infektion auf sie herabregnen. Durch die Tafeln konnten sie Brücken aus roten Sehnen erkennen, die zu den großen Invasionsschiffen führten. Endlose Reihen phyrexianischer Krieger im Rot und Weiß von Elesh Norn marschierten in die immer gravideren Bäuche der wartenden Schiffe. Sie gingen mit Phyrexia schwanger und waren bereit, diese entsetzliche Saat im ganzen Multiversum zu verbreiten.

Roter Nebel quoll von den Schiffen herab, als sie sich fürs Ablegen bereit machten, was die Oberlichter blutrot verdunkelte. Die durchsichtige Membran absorbierte die roten Partikel und säuberte sich alle paar Sekunden, nur um erneut beschmiert zu werden, in einem endlosen Zyklus aus Wiederherstellung und Beschmutzung. Kaya schauderte.

„Das ist eine Sackgasse“, murmelte Jace finster. „Wir müssen umkehren und einen anderen Weg versuchen.“

Kaito widersprach ihm mit leiser Stimme. „Das glaube ich nicht. Kaya, Jace – hier drüben.“

Sie gingen zum wendigen Ninja hinüber, der vor einem Loch im Boden stand. Es sah aus, als hätte es der Eingang zu einem Treppenhaus sein sollen, nur dass man vergessen hatte, die Treppe zu bauen. Stattdessen war etwa zehn Fuß weiter unten eine schwebende Scheibe aus poliertem weißen Metall zu sehen, die sich vom Boden, auf dem sie standen, dadurch abhob, dass sie nicht von Wänden umgeben war.

In der Scheibe unter ihnen war ein weiteres, größeres Loch, das den Blick auf den Stamm des Weltenbrechers freigab, der sich in von Blitzen durchzogenem Nebel verlor. Näher würden sie an den Wurzelkern des Baumes nicht herankommen.

„Diese Welt ist dafür gemacht, durch sie hindurchzufallen“, sagte Kaya und gab sich Mühe, unbeschwert zu klingen, während sie sich unkörperlich machte und sich auf die Scheibe unter ihnen fallen ließ.

Der Geruch von Ozon, Mycosynth und einer fürchterlichen Perversion der süßen Luft Kaldheims erfüllte ihre Nase, sobald sie gelandet war, und sie schauderte erneut, während sie sich unter dem Loch in Position brachte.

„Kommt“, sagte sie, und machte sich bereit, Jace aufzufangen, sobald er sich fallen ließ. „Lasst es uns zu Ende bringen.“

Kaito brachte Jace in eine Sitzposition am Rande des Lochs. Der erschöpfte Telepath sackte in sich zusammen. Er klammerte immer noch den Sylex an sich und ließ seine Beine baumeln wie ein Kind, das von einer Schaukel springen will. Als er sich endlich mit Kaitos fortwährender Hilfe von der Kante abstieß, hatte Kaya einen schamvollen Moment lang den Impuls, aus dem Weg zu gehen und ihn einfach fallen zu lassen. Er war bereits verloren; sie lud ein Monster in ein Schlupfloch ein, aus dem es kein Entrinnen gab. Aber sie blieb standhaft, und als sie ihn auffing, gelang es ihr, nicht angewidert vor den Drähten auf seinem Arm zurückzuweichen.

Sie konnte sich jedoch nicht umhin, sich unkörperlich zu machen, als sie ihre Haut liebkosten, bereits erfüllt von dem phyrexianischen Trieb, die Infektion auszubreiten. Jace sah sie verständnisvoll an, während er versuchte, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen.

„Es ist fast vorbei“, sagte er. Seine Stimme hallte in ihrem Kopf wider, ohne ihre Ohren zu durchqueren.

Insgeheim bezweifelte Kaya das, und sie rechnete es Jace hoch an, dass er diese Zweifel unkommentiert ließ. Er packte den Sylex aus und setzte ihn damit erstmals der phyrexianischen Luft aus. Kaya machte einen Schritt zurück. Kaito, der von beiden unbemerkt heruntergefallen war, trat einen Schritt vor und hielt erst inne, als Kaya seinen Arm packte.

„Lass ihm seinen Raum“, sagte sie. „Das ist heikel.“

„Ist es für uns sicher, ihm so nah zu sein?“, fragte Kaito.

„Urza hat den ersten in seinem Schoß gezündet und es überlebt“, sagte Kaya. „Uns wird nichts geschehen. Wahrscheinlich.“ Angenommen, die Welt überlebte.

Angenommen, die Schockwelle, die den Baum hinaufstieg, riss Neu-Phyrexia nicht vom Kern bis zur Kruste auseinander. Sie könnte immer noch die letzten Mirraner in Vergessenheit geraten lassen, und die Planeswalker, die noch auf dieser Welt waren, gleich mit. Falls Nahiri ihren Sturz überlebt hatte und sich an die Person klammerte, die sie immer gewesen war, würde sie von der Explosion in einem einzigen Augenblick ausgelöscht. Ebenso Elspeth und Tyvar und all die anderen, sogar –

Kaya konnte nicht einmal die Form ihres eigenen Namens in ihren Gedanken bilden. Sie hatte Jahre damit verbracht, unter Geistern zu tanzen. Wenn sie hier starb, würde sie keinen eigenen Geist hinterlassen.

„Warte“, sagte sie, als Jace sich im Schneidersitz neben dem Sylex niederließ und seine Hand auf den Rand legte. Die Drähte, die aus seinem Arm wuchsen, wichen vor dem Metall zurück, fast so, als würden sie das drohende Unheil erkennen, den es darstellte.

Jace blickte leicht mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr auf.

„Bist du sicher, dass wir das tun sollten?“, fragte Kaya. „Der Invasionsbaum hat die Verbindung hergestellt. ‚Alles werde rein‘ – das steht auf dem Sylex, nicht wahr? Die Schnitzereien? Wenn du ihn zündest, breitet sich die Explosion die Äste entlang aus. Sie könnte alle Welten, mit denen der Baum gerade Kontakt hat, beschädigen oder sogar zerstören. Und wir haben keine Ahnung, welche Welten das sind. Vryn, Tolvada, Ixalan – sogar Ravnica, sie alle könnten der Detonation zum Opfer fallen.“

„Wenn Phyrexia sie erreicht hat, sind sie schon Opfer“, sagte Jace.

„Einen Augenblick“, sagte Kaito. „Ich bin hierhergekommen, um Kamigawa zu retten, nicht um es zu zerstören.“

„Der Sylex löscht alles aus, womit er in Kontakt kommt“, sagte Kaya. „Selbst die Zeit bekam einen Riss, als Urza das Original benutzte. Es bestand eine Chance, dass Mirrodin überleben würde, bevor der Baum vollendet wurde – und die Detonation auf diese Welt beschränkt geblieben wäre. Aber jetzt, da sie sich durch die Omenpfade ausbreiten kann, die sich laut Tyvar in den Ästen gebildet haben … Jace, es könnte sein, dass wir alles zerstören. Dass wir die Blinden Ewigkeiten in die Luft jagen. Du musst warten.“

„Vraska ist tot, und ich sterbe“, sagte Jace ruhig. „Vielleicht bleibt mein Körper erhalten und wendet seine Macht gegen all jene von euch, die noch leben – und wenn ich du wäre, würde ich ihn vorher töten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Zeit und Energie ich dafür aufwende, nicht sämtlichen Verstand um mich herum auszulöschen, nur weil ich es kann, oder wie hart ich gearbeitet habe, um mich durch ein derart einfaches Multiversum zu bewegen, ohne endlosen Schaden anzurichten. Ich werde für die phyrexianische Dominanz eine ungeheuerliche Waffe sein.“ Seine Augen leuchteten unmenschlich blau auf, heller als für ihn gewöhnlich, und er verzog das Gesicht, als er sich sichtbar wieder beruhigte. „Sie fangen schon an, durch mich zu sprechen, Kaya, wir haben keine Zeit mehr. Jeder Moment, den wir verstreichen lassen, jede Sekunde, die wir zaudern, weil du plötzlich das Bedürfnis hast, die Heldin und nicht nur die Retterin zu sein, bedeutet eine weitere Welt, die womöglich verloren geht. Wir zerstören nichts. Wir verhindern noch mehr Tode. Gib Phyrexia die Schuld, nicht uns.“

Er seufzte tief und sah auf einmal erschöpft aus. „Es gibt keinen anderen Weg. Es ist besser, das Versprechen des Sylex einzulösen und die Äste zu verbrennen, alles hinwegzufegen, als das gesamte Multiversum zu verlieren. Wir müssen das Ende herbeiführen. Imperien stürzen, um einen Neuanfang zu ermöglichen. Alles erneuern.“

Illustration von: L.A Draws

Er begann, den Sylex in seinen Schoß zu heben.

Kaya bewegte sich sofort; sie schnellte nach vorne und packte sein Handgelenk, bevor er die Bewegung abschließen konnte. Seine Augen verengten sich, während er seine Hand aus ihrem Griff löste und sie vom Sylex wegbewegte.

Sie zog einen Dolch aus ihrem Gürtel. Jaces Augen begannen zu leuchten. Keiner der beiden sagte ein Wort. Kaito blickte kurz verwirrt zwischen ihnen hin und her, bevor er sein Schwert zog und an Kayas Seite trat.

„Es tut mir leid, Jace, aber ich kann nicht zulassen, dass du Kamigawa aufs Spiel setzt“, sagte er.

„Nun gut“, sagte Jace und erhob sich langsam und mühselig.


Auf der Brücke über die Leere schlug Ajanis Axt gegen die Klinge von Elspeths Schwert, sodass die kleinere Planeswalkerin zurückgedrängt wurde, obwohl sie ihre Hacken tief in die sehnige Oberfläche grub, um sich zu halten.

„Du kannst mich nicht besiegen, Kleines“, sagte Ajani mit unnatürlich ruhiger und ausgeglichener Stimme. Er sprach mit ihr, als wäre sie ein Kind, das eine Süßigkeit zu viel gestohlen hatte und dem eine ungesunde Angewohnheit ausgeredet werden musste. In seiner ruhigen Stimme schwangen nur Zuneigung und ernst gemeinte Sorge mit, und wenn er auch nur ein bisschen weniger nach Ajani geklungen hätte, wäre es Elspeth vielleicht gelungen, ihre Klinge herumzuschwingen und seine Fußgelenke zu treffen, sodass er in die Tiefe stürzen würde. „Es ist zwecklos. Schließe dich uns an. Wir sind die Unausweichlichen. Wir sind das Ideal. Wir sind eins, und sobald du mit uns eins wirst, werden wir stärker sein, als du es dir in deinem unzulänglichen, unvollkommenen Körper jemals hättest erträumen können.“

„Niemals“, brachte Elspeth heraus, doch ihr Trotz klang selbst in ihren eigenen Ohren schwach. „Ajani, falls du mich hören kannst, es tut mir leid.“

„Du musst dich nicht entschuldigen“, sagte Ajani und erhöhte den Druck auf ihr Schwert, um sich ihr zu nähern. Er hatte bislang keinen einzigen Schlag ausgeführt, sondern lediglich auf ihre Angriffe reagiert … aber jetzt konnte sie sich nicht von ihm lösen, ohne ihre Deckung aufzugeben. Selbst Verteidigung konnte eine Falle sein.

„Dann hört auf, gegen uns zu kämpfen!“

„Phyrexia ist niemandes Feind“, sagte Ajani. „Wir möchten euch nur am Frieden und an der Perfektion teilhaben lassen, eins zu werden. Wir wollten euch nur nach Hause holen.“

„Dann seid ihr Feinde aller“, sagte Elspeth.

„Wie du meinst“, sagte Ajani. „Man muss nicht lebendig sein, um ein Teil Phyrexias zu werden.“

Endlich griff Ajani an. Er schwang seine Axt in einem brutalen Bogen, begleitet von einem Stoß zerstörerischer magischer Kraft, der Elspeths Kopf nur knapp verfehlte und hinter ihr ein Stück aus der Brücke herausbrach. Sie wirbelte herum und schlug nach seinen Knien, aber er sprang geschickt aus dem Weg. Er bewegte sich so schnell, dass es ihr die Luft abschnürte. Der Kampf hatte bereits begonnen. Jetzt wurde er ernst.


Ganz in der Nähe von Elspeth und Ajani hielt sich Tyvar die Zwillingsstacheln von Thibalts Schwänzen mit seinen Klingen vom Leib, bemüht, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den fast schon bestialischen Planeswalker zu bringen. Tyvars Haut schimmerte immer noch metallen, da er seinen ganzen Körper mit dem Glimmerleere-Metall überzogen hatte, um sich so gut es ging vor dem glitzernden Öl zu schützen, das wie Gift aus Thibalts Körper triefte.

„Kleiner Prinz“, zischte Thibalt mit einem boshaften Lächeln auf seinem verzerrten Gesicht. „Kleiner Angeber, kleiner Möchtegern-Held, es wird keine Sagen geben, die deinen Namen preisen. Falls deine Legende den heutigen Tag überdauert, dann nur als Geschichte des Scheiterns. Die Sage von einem Mann, der von einer Größe erwählt wurde, derer er niemals hätte würdig sein können. Wie fühlt es sich an, der letzte Prinz Kaldheims zu sein?“

„Du bist zwar nicht der Gott der Lügen“, fauchte Tyvar, während er seinen Arm hob, um einen von Thibalts Schwänzen zu parieren. „Aber trotzdem kann man keinem deiner Worte trauen.“

„Vielleicht nicht, aber du bist zu dumm, zu verstehen, wann du dich fürchten solltest“, sagte Thibalt, löste einen seiner Schwänze aus Tyvars Griff und stach damit nach dem anderen Mann, sodass der Stachel am Metall von Tyvars Schulter abprallte.

Tyvar zischte vor Schmerz und Thibalt vor Wonne, die erste und wohl einzige Gemeinsamkeit ihrer Bekanntschaft.

„Schmerz, ja“, sagte Thibalt voller Genugtuung. „Du kannst vielleicht meinem Charme widerstehen, aber nur, weil dein Kopf zu hohl ist, um zu begreifen, wann du deine Überzeugungen anzweifeln solltest. Nicht jeder macht sich so wenige Gedanken.“

Er wandte sich von Tyvar ab, die äußerste Beleidigung während eines Kampfes, und sandte ein fürchterliches, schmallippiges Lächeln zu Elspeth, die sich gegen ihren früheren Mentor zur Wehr setzte.

„Zweifel“, sagte Thibalt, während öliger Rauch aus seinen Mundwinkeln zu wabern begann. „Die mächtigste aller Waffen.“


Elspeth strauchelte, als sie Ajanis jüngsten Schlag parierte, und verlor fast das Gleichgewicht. Eine Welle von Kummer und Zweifel überkam sie. Das alles war ihre Schuld. Ajani wäre nicht infiziert worden, wenn sie besser aufgepasst hätte, wenn sie eine bessere Schülerin gewesen wäre, wenn sie sich weniger von ihren eigenen Problemen hätte ablenken lassen, wenn sie stark genug gewesen wäre, Mirrodin zu retten, statt zuzulassen, dass es Phyrexia zum Opfer fiel. Wenn sie ein besserer Mensch gewesen wäre, wäre all dies nicht geschehen.

Wenn sie sich nur schneller zur Schmelzofenschicht vorgekämpft hätte, hätten sie den Baum erreicht, bevor er eine Verbindung aufbauen konnte; sie hätten Vraska gefunden, bevor sie vollendet werden konnte; sie hätten so viele andere gerettet; sie hätten alle gerettet. Das alles lag an ihr.

Ajanis nächster Hieb schlug ihr die Waffe aus der Hand, und Elspeth wich mit ausgestreckten Händen zurück, eine verzweifelte Geste der Abwehr. Sie konnte nicht einmal betteln, nicht bei dem Kummer, der auf ihr lastete.

Thibalt lachte und stach wieder und wieder nach Tyvar, der durch die Hiebe ins Straucheln kam und vom Anblick von Elspeth Rückzug entsetzt war. Zu sehen, wie sie ihren Glauben an den Kampf verlor …

Es fühlte sich an, als sei alle Hoffnung verloren.


Kaya stürzte sich auf Jace oder vielmehr auf die Stelle, an der Jace hätte sein sollen, und stolperte durch die leere Luft des projizierten Abbilds des Telepathen, sodass der falsche Jace sich wie Nebel teilte und verflüchtigte.

„Kaya, bitte“, sagte er. „Wir sind Planeswalker. Das bedeutet, dass wir etwas Größerem als uns selbst verpflichtet sind, selbst wenn das nicht bequem oder ideal ist. Wir sind hierhergekommen, um das Multiversum zu retten. Den Sylex zu zünden, könnte ein Dutzend Welten zerstören. Aber vielleicht erschüttert es sie auch nur ein wenig. So oder so, die restlichen überleben.“

„Das Multiversum stirbt nicht, du herzloser …“ Kaya fing sich und atmete tief ein. Der Jace, den sie immer gekannt hatte, hatte stets Respekt vor der Privatsphäre der Gedanken in seiner Umgebung und hielt seine Telepathie unter strikter Kontrolle. Er hätte nie nach ihren innersten Ängsten gesucht oder sie auf diese Weise mit ihren Schwächen konfrontiert. Selbst als er mit Nahiri gekämpft hatte, hatte er es sorgfältig vermieden, irgendwie zu offenbaren, dass er ihre Gedanken kannte.

Sie konnte nicht wissen, dass er ihre Gedanken las, aber es fühlte sich gewiss danach an, und das gefiel ihr kein bisschen. Ihre Augen wurden zu Schlitzen. Er hatte sich zwischen sie und den Sylex gestellt, doch seine schlanke Gestalt stellte kaum ein Hindernis dar.

Dann standen jedoch plötzlich drei Jaces vor ihr, und keiner war das Original. Kayas physischer Körper blitzte durchscheinend purpurfarben auf, als sie sich destabilisierte und teilweise vom Rest der Welt löste. Sie konnte keine Gedanken lesen, zumindest nicht so wie Jace, aber sie konnte die Energie von Geistern erkennen, und zwei der Jaces hatten keinen Geist. Sie waren nicht echt. Nur der dritte, der am weitesten von ihr weg stand, existierte tatsächlich.

Sie wandte sich Kaito zu. „Dieser da“, blaffte sie und wies auf den entsprechenden Jace. „Halte ihn auf.“

Das ließ sich Kaito nicht zweimal sagen. Er holte einige Wurfsterne aus seinem Gewand hervor und schleuderte sie auf den echten Jace. Seine Telekinese ergriff sie und trieb sie direkt auf ihr Ziel zu. Er hatte darauf abgezielt, Jace aufzuhalten, nicht abzuschlachten. Als die Geschosse in das Fleisch von Jaces verletztem Arm eindrangen, flackerten die beiden Trugbilder auf und verschwanden.

Kaya stieß ihren Dolch in seine Scheide zurück und ging mit großen Schritten auf den echten Jace und den Sylex zu.

„Warte“, sagte seine Stimme. „Bitte.“

Kaya blieb mit verengten Augen stehen und funkelte den echten Jace an.

Er erwiderte ihren Blick, bleich und fahl und jünger, als ihr je bewusst gewesen war; er sah weniger wie ein allmächtiger Planeswalker aus und mehr wie ein Mann, der kurz vor dem Zusammenbruch stand. Die wogenden Drähte an seinem Arm – die, wie ihr endlich auffiel, mit ihren schlängelnden Windungen und matten, wellenden Strähnen Vraskas Haaren erstaunlich ähnelten – hatten angefangen, an ihren Enden zu leuchten, während sie das korbartige Geflecht um seinen Arm immer enger zogen. Schon bald würden sie den Blutfluss gänzlich abschneiden, falls sie es nicht bereits getan hatten.

Kaitos Wurfsterne hatten mehrere ihrer Stränge durchtrennt, die sich auf dem Boden windend abstarben und oberflächliche, blutlose Linien in Jaces Haut geschnitten hatten. Die Geschwindigkeit, mit der die phyrexianische Vollendung vonstattenging, war ein Albtraum, mit dem sich Kaya nie befasst hatte, und sie wollte unbedingt daraus erwachen.

„Wir müssen es tun“, sagte er.

„Nein, du glaubst, es tun zu müssen“, sagte Kaya. „Wir müssen das Multiversum erhalten. Alle Welten, die Phyrexia nicht berührt hat, sind ebenfalls mit den Blinden Ewigkeiten verbunden, genauso wie dieser verdammte Baum – wenn wir ihn jetzt in die Luft jagen, könnten wir alles auslöschen.“

„Die Kaiserin“, sagte Kaito entsetzt.

„Alle Planeswalker, die sich gerade im Übergang befinden“, sagte Kaya. „Wir alle. Ich kann nicht zulassen, dass du das tust.“ Sie griff nach dem Sylex und nahm ihn in beide Hände. „Es ist vorbei, Jace. Du hast verloren. Wir alle haben verloren.“


Elspeth wich einen weiteren Schritt zurück. Sie war nicht imstande, sich der Wellen von Hoffnungslosigkeit und Zweifel zu erwehren, mit denen Thibalt sie überspülte. Sie hatte versagt, sie alle hatten versagt. Ajani war verloren, Neu-Capenna war verloren und sie war verloren. So endete alles, es war vorherbestimmt, dass es so enden würde, sie hatte sich nur vorgemacht, dass sie etwas tun konnte, um es zu verhindern –

Die Zweifel rissen an ihr und zerfetzten die Schleier aus Tugend und Mitgefühl, an denen sie so lange und hart gearbeitet hatte, bis der Kern von Elspeth Tirel offen lag. Das Kind, das Elesh Norn auf einer Welt ohne jede Hoffnung getrotzt hatte, das sich von phyrexianischen Schrecken nicht hatte brechen lassen. Ajani erkannte die Gelegenheit und schwang seine Axt nach ihrem ungeschützten Nacken.

Elspeths Schwert, das unerwartet zwischen ihnen erhoben worden war, parierte den Schlag. Er hielt überrascht blinzelnd inne und stellte fest, dass ihr Blick dem einer in die Enge getriebenen, wilden Kreatur glich.

In der Nähe lachte Thibalt auf. „Oh, die hübsche Weltverbesserin wehrt sich, wie? Schade, dass du sie nicht früher gefunden hast, Prinz der Torheit, ihre Nutzlosigkeit hätte sich an deiner Seite vielleicht gar nicht schlecht gemacht. Obwohl dein Bruder sie dir wohl nur weggeschnappt hätte, wie er es mit allem tut, was auch nur den geringsten Wert hat. Wenn er nicht wäre, hättest du es vielleicht zu Größe gebracht.“

Tyvar fletschte die Zähne. Als Thibalt erneut mit den Stacheln seines Schwanzes nach ihm stach, ließ er einen seiner Dolche fallen, packte den angreifenden Körperteil direkt hinter dem Stachel und bog ihn zurück, noch während das Glimmerleere-Metall, das Tyvars eigenen Körper bedeckte, abzufließen begann, sodass es sich auf fast phyrexianische Weise über Thibalts Leib ausbreitete.

Thibalt zischte und versuchte, sich loszureißen. Tyvar ließ ihn nicht los. Das Glimmerleere-Metall breite sich immer weiter über Thibalts Körper aus. Das Fleisch, das noch nicht umgewandelt worden war, schien sich davor zurückzuziehen, als versuchte es, vor der toxischen Veränderung zu fliehen.

„Was tust du da?“, fragte Thibalt, offenkundig alarmiert.

„Meine Magie unterdrückt alles, was sie einhüllt“, sagte Tyvar und lächelte mit drohend gebleckten Metallzähnen. „Deine Zweifel können nichts antasten, was sie nicht erreichen können.“

Tatsächlich wurde Elspeths Haltung von Augenblick zu Augenblick selbstbewusster, bis zweierlei geschah: Das Glimmerleere-Metall verschlang das letzte verbleibende Fleisch Thibalts, und ein Puls der Hoffnung, der sich stark genug anfühlte, die gesamte Infektion aus Phyrexia auszubrennen und die Blinden Ewigkeiten zu erleuchten, schoss aus ihrem Körper.

„Zweifel bedeuten nichts“, sagte Elspeth. Zweifel ändern nichts daran, was richtig ist. Ich werde nicht eins mit euch. Und auch niemand sonst.“

Weißes Licht barst aus ihrer Klinge heraus und schleuderte Ajani zurück, sodass er um sein Gleichgewicht ringen musste. Sie stand sicher und ging in Angriffsstellung.

Noch war der Kampf nicht vorbei.

Ajani schrie auf und strauchelte. Elspeth rammte den Griff ihres Schwertes auf seinen Nacken hinab, sodass er zu Boden fiel. Die Axt fiel aus Ajanis plötzlich gefühllosen Fingern, und er verlor das Bewusstsein.

Mit wildem Blick wandte sich Elspeth zu Tyvar und dem sich sträubenden Thibalt um. Tyvar schüttelte seinen Kopf.

„Ich kümmere mich schon um diesen Teufel“, sagte er. „Er schuldet mir einen Tod für das, was er meiner Welt angetan hat. Geh. Finde die anderen. Ich komme schon zurecht.“

Illustration von: Kieran Yanner

Das Glimmerleere-Metall wich aus seiner Haut und auch aus der Thibalts, da Tyvars Magie langsam zur Neige ging. Thibalt stach mit seinem freien Schwanz nach ihm, aber Tyvar packte auch diesen und bog beide mit einem angestrengten Grunzen zurück. Thibalt erkannte, was Tyvar vorhatte, und versuchte, sich loszureißen.

Das Letzte, was Elspeth sah, ehe sie die Brücke verließ und dem Pfad folgte, den die anderen eingeschlagen hatten, war Tyvar, der die Zwillingsstacheln von Thibalts Schwanz in den Bereich rammte, in dem sich das Herz des Phyrexianers hätte befinden sollen. Thibalt stieß einen spitzen und schmerzverzerrten Schrei aus und schrie noch immer, als Tyvar ihn von der Brücke stieß. Mit einem abscheulichen Knirschen schlug Thibalt auf die unter ihnen liegende Brücke auf, gefolgt von Stille.

Elspeth rannte.


Kaya packte den Sylex, erleichtert ob seiner Festigkeit, und nahm dann wieder ihre körperliche Form an – nur um feststellen zu müssen, dass der Sylex in ihren Händen sich wie Nebel auflöste. Sie war auf eine weitere von Jaces Illusionen hereingefallen.

„Kaya!“, rief Kaito.

Sie wirbelte herum und erblickte Jace gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Drähte sich über sein Gesicht ausbreiteten. Seine Augen glühten in einem helleren Blau als je zuvor. „Nein“, keuchte sie.

Jace musterte sie mit grimmiger Miene über denn Rand des echten Sylex hinweg, den er immer noch in den Händen hielt, und erwiderte leise: „Doch. Kaya, es tut mir leid. Kaito, es tut mir leid. Ihr alle“, er gab ein leises Lachen von sich, trocken, dunkel und freudlos, „es tut mir so leid.“

Er verschwand im Schutze seiner eigenen Magie.

Auf der anderen Seite der Illusion fuhr Jace sich mit dem Daumennagel über die Stirn, beinahe verblüfft, wie leicht die Haut sich teilte … Doch was aus der Wunde in den Sylex triefte, war kein Blut, oder zumindest nicht direkt. Er seufzte. So viel war bereits verloren. Und doch gab es noch so viel zu verlieren.

Mit fast schon körperlicher Anstrengung, die ihn kurzzeitig in die Sichtbarkeit flimmern ließ, zwang er seinen Gram und seine Wut in die Schale. Nicht nur seinen eigenen Gram: das Leiden und die in Kummer getränkten Qualen von ganz Mirrodin. Bedauern wegen des Multiversums. Die Liebe zu Vraska. All das floss in den Sylex wie der feinste Honig, so dickflüssig und rein, dass er es fast sehen konnte.

Die Worte spielten keine Rolle. Jace wusste das, aber es fühlte sich trotzdem richtig an. Urza hatte sie vor so langer Zeit gesprochen. Teferi hatte es gesehen, und Kaya durch ihn, und Jace durch sie. Eine lückenlose Linie – von damals zu jetzt. Von einem Ende zu einem anderen. „Alles werde rein. Möge das Ende kommen“, murmelte er. „Es tut mir leid.“

Seine Stimme hallte unwirklich laut in dem engen Raum wider, sowie Licht in der Schale des Sylex aufblühte und wie etwas Lebendiges zum Rand hinaufkroch. Kaya schrie vor Furcht und Verzweiflung auf, während Kaito sich schützend zwischen das aufblühende Licht und die Planeswalkerin stellte. Beide bemerkten nicht, wie Elspeth durch das Loch in der Decke fiel und durch den Raum auf Jace zurannte.

Jace wandte sich ihr zu. Seine Augen loderten in erbarmungslosem blauem Licht. Irgendwie wurde ihr in diesem Augenblick alles klar – was Jace vorhatte und was gleich nicht nur mit Mirrodin, sondern mit dem ganzen Multiversum passieren würde. Elspeth erkannte mit völliger Klarheit, was zu tun war.

Sie zögerte nicht. Mit einer einzigen krampfhaften Bewegung durchbohrte sie Jace mit ihrer Klinge und stieß ihn beiseite, wobei sie ihr Schwert mit seinem Körper fallen ließ, um mit eigenen Händen nach dem Sylex zu greifen.

Illustration von: Magali Villeneuve

Sie konnte gerade noch einen Blick zu Kaya und Kaito werfen, bevor das Licht sich über den Rand des Sylex ausbreitete und ein lauter Knall durch den Raum hallte, der ihr Verschwinden verkündete. Der Sylex verschwand mit ihr an einen unbekannten Ort, irgendwo jenseits der Blinden Ewigkeiten.

Tyvar, der aus seiner normalen Haut blutete, fiel durch das Loch, um zu Kaya, Kaito und Jaces gefallener Form zu gelangen. Er trat an Kayas Seite. Sie wandte sich ihm mit wildem Blick zu.

Was auch immer Tyvar hatte sagen wollen, wurde von einer Reihe gewaltiger Donnerschläge erstickt, die sämtlichen Schall verschlangen. Eine Druckwelle raste den Stamm des Weltenbrechers entlang, der vor Licht pulsierte. Jeder Pulsschlag erleuchtete die Luft mit einem öligen Kaleidoskop unwirklicher Farben und riss die Welt, die sie umgab, durch einen Zyklus von Tag und Nacht, der nur einen Herzschlag dauerte. Der Baum war vollständig aktiviert worden und strahlte jetzt ins ganze Multiversum aus.

Die Schockwelle warf alle drei zu Boden, und wegen der rasant pulsierenden Lichtblitze verpassten sie alle den Augenblick, in dem sich die Wand wie ein Auge öffnete und den Geruch von Äther in den zuvor versiegelten Raum strömen ließ.

Tyvar rappelte sich auf und zog Kaya mit hoch. Kaito hatte bereits aus eigener Kraft sein Gleichgewicht wiedererlangt, und er starrte gebannt und entsetzt nach oben. Die anderen folgten seinem Blick und sahen, dass die Äste des Weltenbrechers in unwirklichem Licht aufflackerten, gleichzeitig mit dem Baum verbunden, aber auch verschwunden. Tyvar gab ein leises Geräusch des Entsetzens von sich.

„Sie wandeln auf den Omenpfaden“, sagte er. „Sie bringen Unheil mit sich.“

Jeder Ast trug eine schwere Last phyrexianischer Invasoren und hatte eine andere Welt erreicht. Dort würde er seine grauenhaften Früchte abwerfen, die neue, fruchtbare Erde vollenden sollten.

„Der Sylex ist fort“, klagte Kaya. „Elspeth ist fort, Jace ist fort, das Multiversum ist verloren. Wir haben versagt, Tyvar, wir sind gescheitert.“

„Ich habe heute Hoffnung gesehen“, sagte Tyvar. „Wir sind nicht gescheitert.“

„Ähm, Freunde?“, sagte Kaito und umklammerte sein Schwert mit beiden Händen. Er stellte sich zu Tyvar, sodass die beiden einen Schutzwall zwischen Kaya und der Öffnung in der Wand bildeten. Von der anderen Seite drang leise das Geräusch von Schritten zu ihnen. „Ich glaube, wir bekommen gleich Gesellschaft.“

Das Trio wich von dem neuen Durchgang zurück, bis Kayas Schultern beinahe den pulsierenden, leuchtenden Stamm des Weltenbrechers berührten. Alle drei machten ihre Waffen bereit, und Tyvars Haut verwandelte sich erneut in Glimmerleere-Metall, während er Seite an Seite mit dem drahtigen Ninja in Stellung ging. Sie wechselten einen letzten grimmigen Blick. Nichts, was in Phyrexia auf sie zukam, konnte ihnen wohlgesonnen sein, nicht in diesem Augenblick und nicht an diesem Ort.

Die Schritte hallten nun unerträglich laut in dem Raum wider. Ihr Schall schien von den Wänden und der Decke abzuprallen. Eine fast skelettartig dürre Gestalt aus einer Mischung aus rotem Gewebe und gleißendem, porzellanweißem Metall betrat den Raum. Elesh Norn wandte ihr augenloses Gesicht den verbleibenden Planeswalkern zu und lächelte, als ein Trupp phyrexianischer Krieger nach ihr in den Raum betrat. Kaito schnappte nach Luft, als er Tamiyo in ihren Reihen erkannte. All ihre Anmut war scharfen, spitzen Klingen gewichen, und ihre Augen waren von schwarzen Spuren glitzernden Öls eingefasst.

„Willkommen, müde Reisende, in Phyrexia“, sagte Elesh Norn. Sie richtete ihr Lächeln auf Jaces Leiche, die erzitterte und sich erhob. Elspeths Schwert glitt aus seinem Körper, als er an die Seite seiner neuen Herrin trat. Kaito ergriff die Klinge, sobald sie zu Boden gefallen war, und nahm sie in seine freie Hand.

Elesh Norn lachte. „Wie besorgt ihr ausseht“, sagte sie. „Wir stellen keine Bedrohung dar. Wir bieten nur Harmonie und Frieden. Wir sind eins. Alles wird eins. Warum wehrt ihr euch? Eure Freundinnen sind bereits hier.“

Sie wandte ihr Lächeln den Reihen ihrer Untergebenen zu. Sie teilten sich, und eine weitere Gestalt bewegte sich durch ihre Reihen ins Licht.

Nahiri hatte ihren Sturz offenkundig nicht überlebt. Die Stacheln, die die Haut ihrer Schultern und ihres Rückens durchbrochen hatten, waren nun ausgeprägter, sodass ihre Silhouette wie eine groteske Parodie ihrer früheren Wolke aus schwebenden Klingen aussah. Sie hatte keine Hände mehr. Ihre Arme waren ab den Ellbogen durch Metallklingen ersetzt worden. Die metallene Haut ihres Körpers war mit Rissen durchzogen, unter denen geschmolzenes Metall zu erkennen war, und ihre Augen glühten mit derselben entsetzlichen, brennenden Hitze.

Kaito zog Luft durch die Zähne, als er genau die Gegnerin vor sich sah, vor der er sich gefürchtet hatte. „Du hast schon einmal besser ausgesehen“, sagte er.

Nahiri reagierte nicht. Eine weitere Gestalt folgte ihr auf einem Wald hauchdünner Kabel und nutzte die wurzelartigen Gebilde ihres Unterleibs wie Tentakel, um sich an die Seite der anderen Phyrexianerin zu stellen. Zusätzliche Gliedmaßen sprossen aus den holzigen Auswüchsen, die ihre Haut bedeckten. Wie Tamiyos Gesicht war auch ihres von glitzerndem Öl gezeichnet. Kaya starrte entsetzt. Die Nissa, die sie gekannt hatte, gab es nicht mehr. Nichts von der sanftmütigen Animistin war geblieben.

Tyvar fletschte die Zähne und verstärkte den Griff, mit dem er seine Dolche hielt. Obwohl er sie nur kurz gekannt hatte, war es schmerzhaft anzusehen, wie eine Artgenossin auf so furchtbare Weise verstümmelt und missbraucht wurde. Das war mehr als ein Schrecken. Es war eine Beleidigung.

„Nahiri hat uns bekämpft, aber nun hat sie einen besseren Weg eingeschlagen und ist mit uns eins geworden. Sie hat Frieden gefunden“, sagte Elesh Norn. „Sie und Nissa stammen vom selben Ort, aber sie waren nie Freundinnen. Jetzt sind sie Schwestern, vereint, endlich in jeglicher Hinsicht auf derselben Seite. Sie sind eins geworden. Auch ihr könnt eins werden. Legt nur eure Waffen nieder und es ist ganz schnell vorbei.“

„Nein“, sagte Tyvar.

„Ohne mich“, sagte Kaito.

„Fahr zur Hölle“, sagte Kaya.

„Wie unfreundlich“, sagte Elesh Norn. „Es scheint wohl, als könnten wir nicht übereinkommen. Wenn ihr unsere Feinde sein möchtet, dann soll es so sein. Wir sind Feinde.“

Mit diesen Worten hob Elesh Norn die Hand und schnippte mit ihren perfekten Klauen. Die Invasion begann.

Illustration von: Chris Rahn