Was bisher geschah: Verlautbarung von Königin Marchesa; Verlautbarung von Adriana, Hauptmann der Wache

Die Stadt Paliano versinkt rasch in politischem Chaos. In der Zwischenzeit schmieden die Goblins Grenzo und Daretti ihre eigenen Pläne, um Unruhe zu stiften.


Es war eine drückend heiße Nacht. Das Feuerwerk auf den Straßen Palianos erleuchtete die Stadt. Eine einsame Wache stand auf ihrem Posten. In der Ferne war die Feier Ihrer Majestät in vollem Gange. Obszöne Wirbel aus Farben und Licht tanzten über den Platz und verkündeten lautstark die Liebe des Volkes zu seiner neuen Königin. Wein floss in Strömen. Morgens hatte man noch über Marchesas fragliches Anrecht auf den Thron getuschelt, doch des Abends huldigte man ihr nun.

Der Wächter hatte jedoch weder Wein noch Gesang. Er dachte darüber nach, seinen Posten zu verlassen, aber nein, er blieb standhaft und bewachte das Haus eines törichten Greises von der gefallenen Akademie. Ein königlicher Erlass hatte das Institut, das lange Zeit als Hort des Wissens und des Lernens gegolten hatte, unlängst aufgelöst. Seiner akademischen Stellung beraubt war der Alte nun lediglich ein einfacher Bürger. Ein sehr betagter und sehr von Verfolgungswahn geplagter Bürger. Nacht um Nacht stand der Wächter nun hier. Und Nacht um Nacht trug ihm der Professor auf, wachsam zu sein. Und das ärgerte den Wächter. Er wusste, dass der Professor einen entscheidenden Anteil daran gehabt hatte, das Prinzip des Räderwerks nach Paliano zu bringen, ehe es verboten worden war. Wen jedoch sollte schon ein vergessenes Relikt eines geschlossenen Instituts kümmern?

Bild von Jason A. Engle
Bild von Jason A. Engle

In einer Gasse gegenüber seines Postens erhaschte der Wächter ein zähneblitzendes Lächeln. Ein winziger Goblin, vermutlich noch ein Kind, beobachtete ihn. Der Wächter winkte. „Geh nach Hause, Junge.“

Der Goblin huschte zurück in die Schatten.

Dann flog urplötzlich etwas aus der Gasse auf den Wächter zu. Klein und rund beschrieb es einen hohen Bogen in der Luft. Eine überreife Tomate zerplatzte an seiner sorgsam polierten Rüstung und tropfte wie Blut an ihr herunter.

„Verschwinde von hier, Bursche!“

Aus den Schatten einer anderen Gasse flog ein weiteres Wurfgeschoss auf ihn zu. Diesmal war es ein Apfel, dessen Aufprall auf seinem Helm ihm die Ohren zum Klingeln brachte, bevor das Obst zu Boden kullerte. Er wirbelte in die Richtung, aus der die Frucht gekommen war. Gemüse – Salatköpfe, Karottenbündel – hagelte auf ihn hernieder. Es war, als hätte jemand den Markstand eines Bauern auf ein Katapult geladen. In der Gasse konnte er ein Dutzend zusammengekniffene Augen in grünen Gesichtern sehen. Die Übeltäter glucksten und lachten. Der Klang schien um ihn herum widerzuhallen.

„Elender Goblinabschaum! Was soll das?“

Dann hörte er hinter sich etwas anderes. Er fuhr herum und sah, wie eine Glasflasche durch die Nacht auf ihn zusegelte. Sie landete zu seinen Füßen und zerbrach. Eine Flüssigkeit spitzte aus ihr heraus, die sofort in Flammen aufging. Er taumelte vor den Flammen auf der Straße zurück. Er blickte sich um und entdeckte die Meute. Die Goblins lächelten ihn frech an. Einige trugen Fackeln, und einer zog einen Karren voller fauligem Gemüse. Mit erhobener Waffe stürmte der Wächter auf sie zu. Die Meute wandte sich ab und stob auseinander, während die Goblins übereinanderstolperten und ihren Karren zurückließen, um seinem Zorn zu entgehen. Die ganze Zeit über lachten sie dabei.

Bild von Jason A. Engle
Bild von Jason A. Engle

Daretti wartete im Schatten in der Nähe und rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Er blickte dem flüchtenden Wächter und der Goblinmeute nach. „Humbug“, sagte er. „Amateure.“ Die Straße war wieder leer, doch die Ablenkung schien keineswegs vollends gelungen.

Neben ihm humpelte Grenzo über das Kopfsteinpflaster, ein krummrückiger, aber nichtsdestominder massiger Kerl von einem Goblin. „Sie sind leidenschaftlich“, sagte Grenzo lächelnd. „Sie sind wie ein Waldbrand. Man muss ihn nur an der richtigen Stelle entfachen.“ Er griff nach der unbewachten Tür und stützte seine bullige Gestalt auf seinem Stab ab. Drei seiner winzigen Kumpanen eilten ihm nach.

Daretti griff nach den Stuhllehnen. Dies war nicht die sorgsam durchgeplante Nacht der Rache, die ihm vorgeschwebt hatte.

Grenzo blickte die Tür an und rüttelte am Knauf. Metallene Scharniere und Riegel gaben das zu erwartende Klappern von sich, doch das Schloss öffnete sich nicht. Er grinste.

„Schaffst du es vielleicht, zumindest ein bisschen leise zu sein?“, zischte Daretti.

„Pah! Lass mich dir versichern, dass ich schon Türen aufgebrochen habe, als dir noch kein einziges Haar am Kinn wuchs!“ Ein heftiger Stoß mit dem Stab und die Tür des Stadthauses krachte zu Boden. „Wenn Marchesa ihre Gifte an den Nagel hängen und sich einen neuen Hut aufsetzen will, so ist das ihre Sache, doch wenn sie mir meine Schlüssel wegnimmt und mich aus meinen Verliesen aussperrt, dann kommen wir an die Oberfläche und machen uns unsere eigenen Türen.“ Die Goblins antworteten mit kreischendem Jubel.

Daretti runzelte die Stirn und blickte über die Schulter.

„Du machst dir zu viele Sorgen. Unwissenheit ist gut. Und außerdem ...“, sagte Grenzo und deutete auf das Feuerwerk über ihnen. „Wer kann uns bei diesem Lärm denn schon hören?“ Grenzo winkte und seine Kumpanen huschten hinein. „Gehet hin und holt euch eure Belohnung, meine kleinen Freunde!“ Er trat ein. In der Dunkelheit dahinter blühte er regelrecht auf und ergötzte sich am Anblick der Schätze der Villa.

Die Goblinmeute strömte in die Eingangshalle und hinterließ überall Petroleum auf den makellosen blauen Trestinersäluen. Einer griff sich das Fell einer seltenen Albinokatze von einem kunstvollen Arrangement auf einem Sessel und nutzte es kurzerhand als hübschen Umhang. Von den Deckengewölben über ihnen blickten die gerahmten Porträts einer Ahnenreihe abschätzig auf sie herab.

Daretti drang etwas vorsichtiger in das Haus vor und lenkte seinen Stuhl um die umgestürzte Tür herum. „Vielleicht, alter Mann, vielleicht. Aber bedenke bitte auch: Wer könnte bei diesem Lärm schlafen?“

Bild von Jason A. Engle
Bild von Jason A. Engle

Im Obergeschoss wälzte sich Zadrous Fimarell in seinem Bett hin und her. Er konnte den Pomp und den Überfluss draußen selbst durch die geschlossenen Fensterläden hören. Durch die Vorhänge hindurch erleuchtete das grelle Grün, Blau, Violett und Rot des Feuerwerks den Raum. Die Augengläser, die er auf seinem Nachttisch abgelegt hatte, vibrierten vom Trommeln der trunkenen Paradeherolde. Einst war ihm dieser Klang nicht so fremd gewesen.

Einst. Einst hatten diese Herolde sein Herannahen angekündigt. Einst hatte er seine eigenen Menschenmengen befehligt. Damals an der Akademie. Er war ihr Liebling gewesen. Und sie seine Welt. Eine Welt, durch die er sich mit Leichtigkeit bewegt hatte. Familienmitglieder hatten ihm gewisse Türen geöffnet, woraufhin er das System von innen heraus wie ein Künstler nach seinen Vorstellungen geformt hatte. Er war nie ein Genie gewesen, das wusste er, doch eine einzige Erfindung – das universelle Zahnrad (und wer vermochte schon zu sagen, ob es denn tatsächlich seine eigene war?) –, eine Menge geschüttelter Hände, ein paar Bücher: Schon hatte er sich als gemachten Mann bezeichnen dürfen. Sollten doch die Muzzios dieser Welt in ihren Laboratorien schuften.

Bis irgendwann alles zusammengebrochen war ...

Bild von Svetlin Velinov
Bild von Svetlin Velinov

Drei Stadtwachen lagen bewusstlos unter einem umgestürzten Bücherregal am Boden. Überall waren zerbrochene Vasen und zerfetzte Gemälde verstreut, ein Zeichen ihrer Auseinandersetzung mit den Goblins. Als seine Untergebenen sich der Aufgabe widmeten, die Wachen zu fesseln, zog Grenzo seinen Beutesack hervor und ging zu der Wand voller Bücheregale.

„Ich dachte, du hättest mir gesagt, dass der Kerl irgendein hohes Tier ist? Aber das hier ist alles Müll. Selbst unser feuchter Keller bietet mehr Annehmlichkeiten als dieser Haufen Unrat.“ Mit einem Schwung seines Stabes räumte er ein Regal frei. Er klopfte an die Wand dahinter. Nichts.

„Ich habe dir doch gesagt, dass er als Wegbereiter für das Räderwerk gilt.“ Daretti hob ein heruntergefallenes Buch auf. Er zuckte zusammen. Prinzipien der Autonomie von Räderwerken: Eine vollständige Abhandlung über das Erschaffen mechanischen Lebens. Daretti blätterte die Seiten durch, doch er kannte sie nur allzu gut. „Deine Beobachtung ist allerdings durchaus zutreffen. Der Professor war in jeder Hinsicht ein Betrüger.“

Grenzo erklommen einen kunstvoll geschnitzten Schreibtisch aus Rosenholz, der mit Einlegearbeiten aus Opalglas verziert war. Jede Schublade war sorgfältig verschlossen. Mit einem Seufzen drosch er mit seinem Stab auf die Mitte des Tisches ein. Rosenholz splitterte, und Schlösser verteilten sich über den Boden. Im Inneren fand er nichts weiter als Stapel um Stapel von Papieren. Daretti hob eines auf und las. Es war ein persönlicher Brief einer vermeintlichen Koryphäe. Voll von überschwänglichem Lob für Fimarells „Genie“. Grenzo schnappte sich einen Stapel Schriftstücke und stopfte ihn in seinen Sack.

„Was hast du hier eigentlich vor, alter Mann?“, fragte Daretti. „Das hier ist alles nur Tinnef.“

„Nein“, sagte Grenzo und schulterte seinen Sack unter seinem Buckel. „Das ist Brennstoff.“

Daretti verzog das Gesicht. In dem Buch befand sich ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Er faltete es auf. „Ha! Alter Mann, hast du eine Ahnung, was das ist? Das sind die Baupläne für einen Räderwerkwächter! Einer der Ersten seiner Art, der für die Sicherheit seines Einsatzbezirks zuständig sein sollte.“ Er breitete das Papier auf dem Tisch aus. „Schau dir nur mal diese Ausleger an! Das reinste Chaos. Die Energieanforderungen allein müssen ein kleines Vermögen gekostet haben. Tinnef. Kannst du dir vorstellen, wie viele Techniker es gebraucht hätte, um ...“

„Gerede! Gerede! Gerede! Das ist alles Müll! Jedes Wort hier! Du hast dein Leben der Akademie gewidmet und deine gesamte Existenz dieser zeternden Meute von Aufschneidern geopfert. Du hast um ein paar Krümel von ihrem Tisch gebettelt und diesem Lehrling Muzzio gedient – und was hat er je für dich getan? Was hat irgendeiner von ihnen je für dich getan? Nun, die Akademie ist geschlossen und Muzzio im Exil. Und weißt du auch, warum? Weil es nichts weiter braucht als ein paar offene Schlösser und ein paar grandiose Erfindungen, die durch die Straßen kriechen, damit jeder sämtliche Vernunft fahren lässt.“ Grenzo beugte sich vor. „All dein kostbares Räderwerk ist zerbrochen, zerstreut und verboten. Alles, dem du dich gewidmet hast, ist tot. Und wir sind die Hyänen, die seine Knochen abnagen. Hör jetzt also auf, dich wie ein Wissenschaftler zu benehmen, und benimm dich endlich wie eine Hyäne.“

Daretti hielt inne. Das Siegel der Akademie unten auf den Plänen glitzerte golden. Daretti gab sie Grenzo zurück. Brennstoff. Er könnte spüren, wie in ihm etwas in Flammen aufging. Daretti nickte. „Verbrenn sie. Verbrenn sie alle. Verbrenne die Asche. Verbrenne die Schuldigen. Verbrenne die Rechtschaffenen.“

Grenzo lächelte.

Daretti erspähte etwas zwischen den Papieren auf dem Tisch. Seine Augen weiteten sich. Er zog ein gelbliches Pergament hervor. Seine Hände zitterten. „Das ist es, alter Mann. Das ist es!“ Er schluckte und wählte seine Worte sorgfältig. „Ich glaube, es ist an der Zeit für uns Hyänen, von diesem Kadaver abzulassen und uns einen frischeren zu suchen.“ Sein Stuhl setzte sich scheppernd in Bewegung und trug ihn auf die Treppe zu. Daretti bewegte sich nun zielstrebiger. Grenzos Lächeln wurde breiter. Er folgte der marmornen Treppe nach oben.

Dort angekommen hielt Daretti unvermittelt an. Er legte die Papiere sorgfältig in seinen Schoß und begann, seine Taschen zu durchsuchen. „Ich habe sie vergessen.“ Er drehte sich zu Grenzo um und schenkte ihm einen flehentlichen Blick. „Ich muss sie verlegt haben. Wir müssen umkehren. Ich kann auf gar keinen Fall ohne meine Rede weitermachen.“

„Was? Plötzlich kannst du nicht mehr reden?"

„Nein, und ich bin ebenso überrascht davon wie du.“

„Schau mal, Schlaukopf. Du kannst das.“

„Nein, Grenzo, kann ich nicht. Mein Kopf ist ganz leer. All meine Vorbereitungen waren umsonst. Wir versiegeln die Tür wieder, zerren die Wachen nach draußen und bringen die Papiere zurück. Ich schaue mir das alles noch mal genau an, und dann kommen wir morgen Nacht zurück.“

„Junge, man kann zwar ein Schloss wieder verschließen, aber man kaum eine Tür wieder in ihre Angeln hängen. Nun sprich mir nach, ganz gleich, ob ich nun deiner Meinung bin oder nicht: ‚Ehrlichkeit ist eine beständige ...‘“

„Ja, ja. Das ist es. ‚Ehrlichkeit ist eine beständige, undankbare Bürde.“

„Man kann sich hinter ihr ...“

„Man kann sich hinter ihr nicht verstecken ...“

„Goblins!“ Fimarell stand im Nachthemd in seiner geöffneten Schlafzimmertür im Flur. Grenzo und Daretti warfen sich einen Blick zu. „Diebe!“, schrie Fimarell und warf die Tür zu.

Sie jagten ihm nach. Daretti rüttelte an der Tür. Verschlossen. Er sah zu Grenzo. Ein weiterer Stoß mit dem Stab und die Tür brach in sich zusammen.

Der greise Menschengelehrte stand am Fenster und rief hinaus. „So hilf mir doch jemand!“ Er wandte sich zitternd zu ihnen um. „Dreckiges Goblinpack von der Straße! Dies ist eine anständige Gegend und ich bin ein anständiger Mann!“

Daretti starrte ihn mit leerem Blick an. Grenzo stieß seinen Stuhl mit dem Stab an. Daretti schüttelte sich und begann, sich an Fimarell zu wenden: „Ehrlichkeit ist eine beständige, undankbare Bürde. Man kann sich hinter ihr nicht verstecken. Falschheit und Täuschung sind die schwersten Sünden eines Wissenschaftlers. Und es ist die Aufgabe der Ehrlichen, Lügen aufzudecken und den Fälscher zur Verantwortung zu ziehen.“

Darettis Stuhl fuhr seine mechanischen Beine aus, ließ die Sitzfläche nach oben steigen und beförderte seinen Fahrer so fast bis unter die Decke. Im flackernden Licht der Straße sah Daretti beinahe wie eine riesige Spinne aus, die sich auf ihre Beute abzuseilen drohte.

Der Professor sank winselnd zu Boden.

„Du magst dich vielleicht nicht an meinen Namen erinnern, doch ich bin sicher, dass du dich an meine Robe oder meinen Hut erinnerst. Einst trug ich meinen Titel als Handlanger der höchsten Ordnung – Wissen und Ingenieurskunst und Wahrheit – mit Stolz.“ Er senkte die Stimme. „Doch du weißt nichts von solchen Tugenden.“ Der Stuhl trug den Goblin vorwärts, dicht genug an das Gesicht des alten Mannes heran, dass Daretti die Schweißperlen sehen konnte, die ihm die Falten im Gesicht herabliefen. „Die Akademie kennt deinen Namen sehr gut Ach so viele Male wurde er niedergeschrieben.“ Er hielt die Papiere hoch. „Wie hier.“

Fimarell erbleichte.

„Erkennst du das? Erkennst du die Handschrift? Du hast dies hier kritisiert. Du hast jedes einzelne meiner Worte kritisiert, um sie dann als deine eigenen auszugeben. Du hast deinen Ruf auf meinen Worten aufgebaut. Wie kannst du es wagen, uns Diebe zu nennen, du Betrüger!“

Daretti atmete schwer. Seine Augen verengten sich. Er knüllte die oberste Seite des Manuskripts zusammen und stopfte sie Fimarell in den Mund.

Hinter ihnen rief Grenzo außer sich: „Hör auf, das unnütz in die Länge zu ziehen, du grünhäutiger Narr! Das hier ist Paliano – hier klären wir derlei Dinge mit Morden! Töte ihn endlich! Dann haben wir‘s hinter uns!“

Daretti und Fimarell wechselten peinlich berührte Blicke. Daretti rief zurück: „Willst du mir wohl bitte einen Augenblick Zeit lassen?“

Grenzo hob die Hände. „Na schön. Aber ich lege schon mal Feuer, während du noch redest.“

Fimarells Blick huschte zwischen ihnen hin und her. Daretti versuchte, wieder seine bedrohliche Haltung einzunehmen. „Ich ...“, stotterte er. „Ich ... Meine Karriere, die ich hätte haben sollen ... Wo war ich?“

Fimarell spie die Seite in seinem Mund aus. „Das Manuskript, das ich dir gestohlen habe ...“, sagte er vorsichtig.

„O ja“, sagte Daretti. „Nun, du bist hier in Wahrheit der ...“ Er hielt inne. „Nun gut. Bringen wir‘s hinter uns.“ Daretti griff unter Fimarells Beine und hievte ihn durchs Fenster. Der Alte fiel zwei Stockwerke in die Tiefe und landete mit einem dumpfen Aufprall drunten auf der Straße.

Daretti lehnte sich vor und hielt sich am Fenstersims fest, um den schlaffen Leib zu betrachten. Unter ihm war der Boden rot verschmiert. Es war vorbei. So viel Zeit war vergangen, seit er ein junger Goblin gewesen war, in dem der Eifer gebrannt hatte, seine Worte endlich mit der Akademie zu teilen. Lange hatte er von diesem Augenblick geträumt, und nun war er viel zu schnell vorbei.

„Nicht schlecht. War es so dramatisch, wie du gehofft hattest?“ Grenzo war wieder an seiner Seite. Unter einem Arm trug er einen großen, reich verzierten Topf und in der anderen Hand eine brennende Fackel.

„Ich glaube schon. Aber nächstes Mal ... lass mich bitte ausreden.“

Grenzo hob den Topf hoch. Er war randvoll mit Abfall. Daretti hob die Manuskriptseiten auf und stopfte sie in den Topf. Danach ließ Grenzo die Fackel hineinfallen. Knisternd entzündete sich der Inhalt.

„Ein letzter Schritt.“ Grenzo trug den Topf zum Fenster. Brennender Müll regnete auf die Straßen Palianos herab. Irgendwo in der Stadt hatte das Feuerwerk wieder begonnen.

Bild von Steve Prescott
Bild von Steve Prescott

Im Erdgeschoss hatten Grenzos Kumpane alles von Wert eingesammelt und zerschlugen nun das Mobiliar. Sie fegten die Trümmer zusammen mit Papier und Büchern in die Ecken. Einer goss Öl über die Haufen.

Daretti und Grenzo kamen die Treppe herunter. „Nun, gute Arbeit, mein Schützling. Eines Tages wird aus dir noch ein richtig guter Goblin werden.“

Daretti zuckte zusammen. „Dein Schützling? Nein, nein, nein, nein. Lass uns das mal klarstellen. Du bist mein Vollstrecker.“

„Pah! Das hättest du wohl gern! Du bist eher mein Spießgeselle.“

„Spießgeselle?!“

„Boss“, unterbrach sie einer der Goblins und hielt eine brennende Fackel hoch. „Ähm ... Bosse. Seid ihr so weit?“

„Wir sprechen später darüber, Grenzo“, sagte Daretti. „Ja, verbrenn alles. Brenn alles nieder.“

Die Flammen breiteten sich rasch aus, und das Feuer kroch knisternd an den Wänden hinauf. Daretti schüttelte den Kopf. „Gehen wir nach Hause.“ Er seufzte. „Zurück in den Untergrund.“

„Wer ist der Nächste auf deiner Liste?“

„Sein Name ist Alendis. Er meinte zu mir, die Akademie wäre noch nicht bereit für einen Goblin. Er meinte zu mir, ich sei schlecht für ihren Ruf. Allem Anschein nach hat dieser schmierige Hund sich den Kustoden angeschlossen.“

„Nun, wenn das heißt, dass er sich damit mit Marchesa verbündet hat, dann steht er auch auf meiner Liste.“ Grenzo trat aus dem Haus in den Garten. Daretti folgte ihm.

„Also schön, du alter Zausel. Wie wäre es mit der Bezeichnung ‚meine rechte Hand‘?“

Die Luft knisterte. Hinter ihnen loderten Flammen. Schon zerstreuten sich die Goblins in alle Richtungen. „Die Königin ist früher in den Schatten gelaufen“, sagte Grenzo und blickte zum rauchverhangenen Himmel hinauf. „Sie kennt das Spiel. Sie kennt den süßen Kuss der Klinge. Doch nun hat sie ihren bequemen Thron und verriegelt jede Nacht sämtliche Türen. Aber immerhin weiß sie, wie man eine Feier ausrichtet.“

„Ich schätze, jeder verlässt irgendwann die Schatten.“

„Wir könnten in eine Feier hineinplatzen. Wir könnten in all ihre Feiern hineinplatzen.“ Über ihnen flammte Feuerwerk auf. Rot, blau und grün. Daretti wedelte sich mit einer Hand Luft zu. Die Nacht war noch immer drückend heiß.


Conspiracy: Take the Crown-Storyarchiv

Planeswalker-Profil: Daretti

Weltenbeschreibung: Fiora