Als Will aus dem Fenster hinter seinem Schreibtisch schaute, sah er die Herbstwinde Laub über den Hof wehen, während Schüler in den roten und blauen Uniformen der Prismari lachend und schwatzend an heißen Getränken nippten. Als sein Blick endlich wieder zu seiner Hausaufgabe in Ethik ätherischer Manipulation zurückschweifte, warteten die Fragen noch immer auf ihre Antworten. Er seufzte und nahm seinen Stift wieder zur Hand, gerade als sich die Tür zu seinem Zimmer quietschend auftat. Herein trat Rowan mit windzerzaustem Haar, die über wer-wusste-schon-was lächelte.

Explosiver Empfang
Explosiver Empfang | Bild von: Mathias Kollros

„Hey“, sagte Will, bereits jetzt schon verärgert.

„Oh! Hey.“

„Wo warst du denn?“

„Ich war mit Auvernine und Plink unterwegs“, antwortete Rowan, und ihr Lächeln verschwand.

„Deinen Blütenwelk-Freundinnen?“

„Genau.“ Sie ging durch den Raum zu ihrem Schrank und begann, darin herumzuwühlen. Natürlich teilten sie sich diesen Schrank, doch Rowans Hälfte war nur wenig besser als ein Vogelnest voller ausgewählter Kleidungsstücke.

Will stand von seinem Schreibtisch auf. „Bist du schon mit den Hausaufgaben für Ethik ätherischer Manipulation fertig?“

„Jep“, sagte Rowan und warf Einzelteile ihrer Winteruniform aus dem Schrank.

„Und bist du auf das Ende der Woche vorbereitet? Professorin Onyx hat den Ruf, besonders schwere Prüfungen schreiben zu lassen.“

Rowan fummelte an einer Gürtelschnalle herum. „Was schreiben zu lassen?“

„Eine Prüfung. Du weißt schon: die in zwei Tagen?“

„Oh. Richtig.“

Will warf die Hände in die Luft. „Rowan, du nimmst überhaupt nichts ernst! Es ist ein Privileg, dass wir hier sein dürfen! Verstehst du das nicht?“

Mit überdeutlichem Ärger im Blick wirbelte sie zu ihm herum. „Ach, du glaubst, dass ich einfach zu dumm bin, um die große Bedeutsamkeitvon all dem zu begreifen? Ist es das?“

„Rowan, das habe ich nicht gesa…“

„Ich glaube, es gibt schon genug Vorträge in Strixhaven, ohne dass du auch noch einen halten musst!“

Es waren nicht die Worte oder der jähe Zornesausbruch, die Will zurückweichen ließen – es waren die elektrischen Funken, die zwischen den losen Haarsträhnen seiner Schwester hin- und herflogen.

„Rowan“, war alles, was er hervorzubringen vermochte.

Er sah zu, wie sie von Zorn zu Verwirrung und dann Scham wechselte. Sie schnitt eine Grimasse, und die Funken verschwanden ins Nichts.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er.

„Mir geht’s gut“, sagte sie bitter. Ehe er etwas erwidern konnte, schnappte sie sich den Umhang ihrer Winteruniform und stürmte zur Tür hinaus.


Zwei Tage später war er der Erledigung von Professorin Onyx’ Hausaufgabe noch keinen Schritt näher gekommen – und das obwohl er sein Zimmer gegen einen der Gemeinschaftsbereiche im Biblioplex getauscht hatte. Will ließ sich auf seinen Stuhl fallen und rieb sich mit den Handflächen die Augen. „Wenn mich einfach jemand in eine Kröte verwandeln würde, würde uns allen eine Menge Ärger erspart bleiben.“

Am anderen Ende des Tisches blickte Quint von seiner eigenen Lektüre auf. Er hatte die Hände um eine Tasse Tee gelegt und schnüffelte mit seinem langen Rüssel entzückt an dem aufsteigenden Dampf. „Geht es hier um den ätherischen Anker?“

Will nickte schwach. „Ich hasse Äther. Ich hasse Anker. Ich hasse die ganze Idee.“

„Kniffliges Konzept“, stimmte Quint zu. „Hast du’s schon mal mit Il-Samars –“

Will hob nur das Buch an, in dem er gerade gelesen hatte, damit sein Freund den Titel sehen konnte.

Abhandlung über die korporeale Manipulation. „Hm.“

„Danke, dass du’s versucht hast“, sagte Will.

„Na ja, ich bin mir sicher, du kriegst das schon noch hin“, sagte Quint fröhlich.

Für eine Weile waren die einzigen Geräusche das Rascheln von Seiten und das gelegentliche Schlürfen von Tee. „Ach herrje“, sagte Quint, nachdem einige Zeit verstrichen war. „Das ist … Augenblick! Das hab ich schon mal gesehen.“ Er griff nach einem anderen Buch, blätterte darin herum, bis er die gewünschte Seite gefunden hatte, und fuhr eine Textzeile nach, um sie mit einer in dem anderen Wälzer vor sich zu vergleichen. „Ich wusste es! Arthelas der Prachtvolle und Bairod Horizontsucher waren ein und dieselbe Person.“

Will nickte abwesend. Er steckte noch immer in Professorin Onyx’ unlösbarem Rätsel fest.

Quint stieß ein atemloses Lachen aus. „Dieses arkane Siegel ist einfach unverwechselbar! Das ist verblüffend – es bedeutet, dass die Geschichte der Unteren Königreiche von Grund auf neu geschrieben oder zumindest neu sortiert werden muss, um miteinzubeziehen, dass … Ups!“

Will fuhr zusammen, als Quints Tee aus seinem Becher schwappte, auf den Büchern vor ihnen landete und Flecken auf dem uralten Pergament hinterließ. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. „Was sollen wir nur tun …?“ Isabough schickt uns einen ganzen Monat in den Nachsitzen-Morast!“

„Nicht, wenn sie das nicht sieht.“ Quint stellte seine Teetasse neben den befleckten Seiten ab.

„Du kannst das nicht wegwischen“, sagte Will. „Die Tinte wird mit abgehen.“

„Das stimmt, aber wenn ich Gleiches zu Gleichem rufe …“

Quints Finger leuchtete mit einem Mal. Er stippte ihn in seine Teetasse und berührte danach das Buch. Der verschüttete Tee begann aufzusteigen, und kleine Tropfen schwebten von der aufgeschlagenen Seite zurück in Quints Tasse. Grinsend blickte er auf. „Das ist einer der Zauber, den wir verwenden, um während unserer Ausgrabungen verstreute Teile eines Fundstücks aufzuspüren.“

Quint nahm einen weiteren Schluck von seinem wiedergewonnenen Tee, während Will kicherte und mit der Hand über die Seiten fuhr, die sich nun trocken und geschmeidig anfühlten. „Beeindruckend.“

Quint zuckte nur die Schultern. „Es gibt für alles einen Zauber.“


Rowan blickte sich von der Stirnseite jenes Tisches aus, den sie sich mit Auvernine und Plink teilte, in der „Bogenspitze“ um. Seit nunmehr einer Woche hatte sie sich nach dem Unterricht mit den Blütenwelk-Hexen getroffen, und rasch war dieser Ort zu einem ihrer Favoriten auf dem gesamten Campus geworden. Sie nahm einen Schluck von ihrem sprudelnden Trank, zufrieden mit dem scharfen Fruchtgeschmack.

„Habt ihr von dem Duell gestern gehört? Dinsleys Examenskonstrukt wurde zerstört“, sagte Plink mit halb vollem Mund. „Diese Silberkiel-Magierin hätte genauso gut gleich ihn selbst in Brand stecken können. Das hätte wohl weniger wehgetan.“

„Nicht, wenn sie es richtig angestellt hätte“, sagte Rowan grinsend.

„Ich verstehe nicht, warum sie nicht einfach bis zum Magierturm-Turnier warten können. Prismari, Silberkiel … Die können sich dabei doch dann nach Herzenslust bekriegen. Diese ganzen Duelle sind doch nur sinnlose Angeberei“, sagte Auvernine.

Die anderen Mädchen lachten zustimmend, doch Rowan entglitt ihr Lächeln. Ein Duell klang nach genau der richtigen Möglichkeit, um Dampf abzulassen. Seit die Dekane das Duell, in das sie und Will an ihrem ersten Tag in Strixhaven hineingestolpert waren, unterbunden hatten, hatte sie auf eine weitere Gelegenheit gehofft, um sich austoben zu können. Das war bislang das einzig Gute dabei, hierhergekommen zu sein – na ja, das und ihre Blütenwelk-Freunde. Aber natürlich schien Will ganz in seinem Element zu sein.

Als hätte sie ihn herbeigerufen, kam er plötzlich durch die Tür gelaufen. Er sah sich im Raum um, bis sein Blick den ihren traf, und bahnte sich dann einen Weg zum Tisch. Rowan seufzte und sank über ihrem Trank zusammen. „Na toll.“

„Was?“ Plink sah just in dem Augenblick auf, als Will am Tisch ankam. „Oh, es ist dein Bruder! Hallo, Will.“

Will nickte ihr zu, bevor er sich an Rowan wandte. „Professorin Onyx hat die Prüfungsergebnisse ausgehängt.“

Rowan zuckte mit den Schultern. „Und?“

„Du hast gerade so bestanden, Rowan“, sagte Will mit harscher Stimme. „Ich dachte, du hast gesagt, dass du keine Hilfe brauchst.“

„Ich habe doch bestanden, oder nicht?“ Rowan schüttelte den Kopf. „Nicht, dass dich das etwas anginge.“

„Wir hatten wochenlang Zeit, uns vorzubereiten.“ Will runzelte die Stirn. „Mittlerweile solltest du den Stoff doch draufhaben. Und mit dem Rest hätte ich dir helfen können, wenn du nicht stattdessen mit deinen Freunden umhergezogen wärst. Wissen sie überhaupt, wie deine Kräfte –“

„Nach draußen. Sofort“, unterbrach Rowan ihn.

Will warf den Blütenwelk-Hexen einen Blick zu, drehte sich dann auf dem Absatz um und stapfte zur Tür. Als Rowan ihren Bruder eingeholt hatte, griff sie nach seinem Arm. „Macht es dir Spaß, mich so bloßzustellen?“

„Also wissen sie nicht, dass deine Magie jedes Mal aufflackert, wenn du wütend wirst.“ Will schüttelte den Kopf. „Rowan, wir sind hier, um zu lernen, wie wir unsere Kräfte besser unter Kontrolle bekommen, und nicht, um schlechter zu werden! Wir sind jedenfalls nicht hier, um Spaß zu haben. Wir sind Kenriths! Das bedeutet hier noch etwas.“

„Eigentlich, Will, tut es das nicht“, sagte Rowan. „Niemand hier hat überhaupt jemals von Eldraine gehört. Ich bin nicht hier, um irgendjemanden oder irgendetwas außer mir selbst zu vertreten!“

Will schnaubte. „Und da sagst du, du willst nicht wie unsere leibliche Mutter sein.“

Rowans Blick wurde kalt und abweisend. „Was hast du gerade gesagt?“

Will spürte, wie sich die Härchen an seinen Armen sträubten, als eine elektrische Ladung in der Luft um sie herum zu knistern begann. „Beruhige dich“, sagte er beschwichtigend. „Ich hatte nicht gemeint, dass …“

Rowan machte einen Schritt auf ihren Bruder zu. „Nein, Will. Sag das noch mal. Sag mir noch mal, wie ich wie unsere Mutter bin.“

Die Tür der „Bogenspitze“ schwang auf, und Auvernine und Plink eilten mit breitem Grinsen auf sie zu. „Wir haben die Umrechnungen gelöst! Wir gehen Zutaten bei Falschherum kaufen.“

Rowan warf ihnen einen Blick zu und zwang sich ein freundliches Lächeln ins Gesicht. „Wartet auf mich. Ich komme mit.“

Die Blütenwelk-Hexen nickten und begannen im Davongehen einen aufgeregten Austausch. Als sie außer Hörweite waren, drehte sich Rowan wieder zu Will um. Ihr Lächeln war verschwunden. „Lass mich in Ruhe, Will. Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun habe.“

Will verzog das Gesicht. „Ich …“

Bevor er weiterreden konnte, drängte Rowan sich an ihm vorbei und eilte ihren Freundinnen nach.


Obwohl sie sich ein Zimmer teilten, bekam Will Rowan danach kaum noch zu Gesicht. Jeden Tag war Rowan schon fort, wenn er erwachte – unterwegs, um das zu tun, was auch immer sie außer zu lernen noch so anstellte. Als das lang herbeigesehnte Magierturm-Turnier zwischen Prismari und Silberkiel endlich anstand, hatte er seit Wochen nicht mit ihr gesprochen. Als die Spieler über das Feld sausten und einander Elemente in den Weg schleuderten, begann Will, sich zu fragen, wie es ihr wohl ging.

Neben ihm schnappte Quint nach Luft und sprang aus seinem Sitz auf. „Abgefahren! Ganz schön ausgefuchst, das vierte Erdkonzept einzusetzen – inmitten von all diesem Chaos! Bei ihm sieht es so leicht aus!“

Will sah gemeinsam mit Quint zu, wie der Prismari-Spieler gewaltige Brocken aus Erde und Gras in Kreisformationen brachte, sie Gegnern in den Weg schob und fremde Zauber abfing. Am anderen Spielfeldrand fuhr eine Silberkiel-Spielerin plötzlich herum und sprang in die Luft. Ein Bogen aus schwarzem Feuer trug sie in die Höhe, wo sie sich das schwebende Maskottchen – einen klumpigen, gestaltwandelnden Tintling – für ihre Mannschaft schnappte. Jubel brach auf den Tribünen um sie herum aus. Will drehte sich zu Quint um. „Was ist mit dem da?“

Quint runzelte die Stirn. „Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht eine Abwandlung von Arnaults Verbrennungsprinzip?“

Am anderen Ende des Feldes ließ eine weitere Salve Silberkiel-Zauber die Menge toben. Erinnerungen an das Duell, das sie an ihrem ersten Tag beobachtet hatten, trieben vor Wills innerem Auge vorbei – dicht gefolgt von Gedanken an Rowan. Er hatte gehört, dass sie seit ihrem Streit an der „Bogenspitze“ in ein paar Duelle auf dem Campus verwickelt gewesen war.

Plötzlich spannte sich Quint neben ihm an und beugte sich auf seinem Sitz vor.

„Nein …“ Quint setzte sich noch aufrechter hin und starrte gebannt aufs Feld. „Das kann nie im Leben klappen.“

Will folgte seinem Blick zu einem Prismari-Spieler, der auf die gegnerische Mannschaft und dabei geradewegs auf jene Spielerin zustürmte, die das Maskottchen hielt.

Die Menge sah gebannt zu, wie der Prismari-Spieler eine Hand ausstreckte, die in einen Kreis aus scharlachrotem Licht gehüllt war. Der Tintling begann zu leuchten, und ein roter Schein tauchte über seinem zuckenden schwarzen Kopf auf. Plötzlich beugte er sich vor und schlug zwei lange, flüssige Fangzähne in die Hand der Silberkiel-Spielerin.

Au!“, stieß sie aus und ließ den Tintling fallen – gerade rechtzeitig, damit die Prismari-Spielerin ihn auffangen konnte.

Das gesamte Stadium brach in Jubel aus.

Mannschaftsbanner
Mannschaftsbanner | Bild von: Anna Fehr

„Ein Maskottchen-Abgriff! Brillant!“ Quint schnappte sich Will und umarmte ihn kräftig, während sie beide gemeinsam mit dem Rest der Menge jubelten.

„Also hat er es hypnotisiert?“, fragte Will begeistert und gleichzeitig verwirrt.

„Er hat die Kontrolle darüber übernommen. Ein ganz einfacher Trick, musst du wissen – klappt auch nur bei beschworenen Kreaturen –, aber hui!“

Will drehte sich um und sah zu den Schülern, Professoren und sogar vereinzelten Dorfbewohnern, die auf den Tribünen saßen. Er nahm ihre Aufregung in sich auf, und ein leises Lächeln huschte ihm über die Lippen – das gleich darauf erstarb, als er Rowan auf der anderen Seite erblickte, die ihn geradewegs ansah.


„Lasst uns von hier verschwinden“, sagte Rowan.

„Aber das Spiel ist noch nicht zu En…“

Plink knurrte, als Auvernine sie mit einem Stoß ihres Ellenbogens zum Schweigen brachte. Sie nickte zur anderen Ende des Gangs, und Plink folgte ihrem Blick. „Oh.“

„Du solltest zumindest Hallo sagen“, sagte Auvernine.

„Ach, sollte ich das?“

Plink tätschelte ihr den Arm. „Er ist dein Bruder. Das ist nichts, was man als selbstverständlich hinnehmen sollte.“

Rowan blickte finster drein, doch ihre Entschlossenheit zerbröselte unter der Aufmerksamkeit ihrer beider Freundinnen. „Na schön.“

Sie drängte sich an den in ihrer Reihe Sitzenden vorbei und betrat den Gang. Einen Augenblick später traf sie dort auf Will. Einen Moment lang standen sie beide einfach nur da, unsicher, was sie sagen sollten.

„Also“, sagte Will. „Wie steht’s?“

„Ach, weißt du?“, meinte Rowan. „Ganz gut.“

„Triffst du dich noch immer mit deinen Blütenwelk-Freundinnen?“, sagte Will und deutete hinter sie.

Rowans presste die Lippen zusammen. „Das ist doch kein Problem, oder?“

„Nein. Ich frage mich nur, ob du dir nicht die falsche Fakultät ausgesucht hast. Das ist alles.“

„Was soll das denn bitte bedeuten?“

„Na ja, du hast offenkundig keine Interesse daran, ernsthaft zu lernen. Und das sind Naturmagier. Es kümmert sie sicher nicht, dass du deine Kräfte nicht beherrschen kannst.“

„Ich kann sie beherrschen“, sagte Rowan und blickte nun finster drein. „Siehst du, wie ich dich gerade jetzt nicht mit Blitzen beschieße?“

„Oh, also hast du dich in den letzten Wochen nicht genug auf dem Campus duelliert? Was genau hast du denn dann gemacht? Ich weiß nämlich, dass ‚Lernen‘ nicht auf der Liste stand.“ Will wusste, dass es eigentlich besser war, sie nicht auf diese Weise anzugehen, doch er konnte nicht anders. Er war wütend auf sie, dass sie ihn ausgegrenzt und ihn in diesen letzten paar Wochen sich selbst überlassen hatte. „Wenn du nur das Kämpfen im Kopf hast, wünschte ich, du wärst in Kylem geblieben!“

Er meinte es nicht so, aber das spielte keine Rolle. An den Haarsträhnen, die sich auf Rowans Kopf aufstellten, erkannte er, dass er zu weit gegangen war. „Oh, ich zeige dir, was ich gelernt habe.“

Will spürte, wie der Funke von ihrer ausgestreckten Hand augenblicklich durch seinen ganzen Körper fuhr. Seine Muskeln krampften sich zusammen und zuckten, und er sackte zu Boden.

„Du wünschtest, ich wäre in Kylem geblieben? Und ichIch wünschte, du wärst noch tot!“, schrie Rowan.

„Hey!“, hörte er Quint irgendwo hinter sich rufen.

Will konnte die Arme kaum bewegen, doch er konnte seine anderen Sinne ausstrecken. Rowan schnappte nach Luft, als Raureif sich um ihre Stiefel legte und verfestigte, um ihre Füße an Ort und Stelle festzufrieren.

Will murmelte etwas, und Nebel umwölkte sein Gesicht. Rowan streckte eine weitere, vor Energie knisternde Hand aus, doch ehe sie sie entladen konnte, legte sich eine Eisschicht um ihr Handgelenk. Vor plötzlicher Kälte und Schmerz schrie sie auf.

„Aufhören!“

Augenblicklich verstummte die Menge. Rowan warf einen Blick auf die Schüler um sie herum, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Plink und Auvernine zurückwichen. Weitere Schüler bewegten sich und machten Platz, als ein Schatten sich über Will legte. Er sah hoch, blinzelte und traf Professorin Onyx’ Blick.

„Ihr alle werdet augenblicklich auf eure Plätze zurückkehren“, sagte sie mit gebieterischer Stimme. „Ihr beide allerdings werdet mit mir kommen.“


Will und Rowan folgten Professorin Onyx durch die dunklen Flure der Blütenwelk-Gebäude. Hier waren die Schatten zu dunkel, um Einzelheiten erkennen zu können, doch irgendetwas Organisches wuchs aus den aufeinandergeschichteten Steinen des Flurs, und ein Geruch, der gleichermaßen an Blumen und Verwesung erinnerte, umgab sie von allen Seiten.

In jedem Fall wollte man sich Professorin Onyx nicht zur Feindin machen. In den Unterkünften der Prismari kursierten allerhand Schauergeschichten über sie, und obgleich Will es nicht für wahrscheinlich hielt, dass sie als Brustkästen für irgendeinen untoten fleischfressenden Pilz endeten, so wollte er es doch nicht gänzlich ausschließen. Oder schlimmer noch: Was, wenn sie von der Schule flogen?

Sie folgten der Professorin in ihr Büro. Mit einer Geste entzündete Onyx ein paar Kerzen, die mit purpurnen Flammen brannten. „Was sollte denn der ganze Aufruhr?“

Warnung der Professorin
Warnung der Professorin | Bild von: Kieran Yanner

„Nichts“, sagte Rowan mit beiläufigem Tonfall. „Nur zwei Geschwister, die ein bisschen Dampf ablassen.“

„Soweit ich mich erinnere, geht das Herumschleudern von Blitzen ein bisschen über die übliche Rivalität unter Geschwistern hinaus.“ Sie funkelte Rowan an. „Streit zwischen Bruder und Schwester verursacht eine besondere Art von Schmerz. Und es bedarf einer besonderen Form der Idiotie, ihn auch noch zu schüren.“

Will sah, wie Rowan ob dieser Beleidigung vor Wut kochte. Er räusperte sich. „Es ist meine Schuld. Ich habe den Streit angefangen.“

Er spürte Rowans Blick auf sich, sah aber weiter geradeaus.

Professorin Onyx sah zwischen ihnen hin und her und schüttelte dann den Kopf. Sie ließ sich in ihren Sessel sinken. Will hätte schwören können, dass sie einen Augenblick lang sehr müde wirkte. „Es gibt jene, die sich wünschen, dass diesem Ort – und allen, die ihn ihr Zuhause nennen – großes Leid widerfährt. Und wenn wir einander gegenseitig bekämpfen, werden sie diese Aufgabe als wesentlich leichter empfinden.“

„Frau Professorin“, sagte Will. „Von wem genau sprechen Sie?“

Sie musterte ihn einen Moment lang und hielt ihn mit diesen violetten Augen gefangen. „Hast du von den Oriq gehört?“

„Versager, die die Aufnahmeprüfung nicht bestanden haben“, sagte Rowan, bevor Will antworten konnte. „Oder die abgebrochen haben. Richtig?“

Professorin Onyx kicherte, doch für Will klang es alles andere als fröhlich. „So kann man es auch sagen. Es wäre töricht, sie zu unterschätzen. Auch wenn wir anderes glauben, so hat Strixhaven nicht das Machtmonopol auf dieser Welt.“

Das ließ Will in seinem Stuhl auffahren. Auf dieser Welt? Also ist Professorin Onyx

Sie lächelte jedoch nur.

Rowan musste das entgangen sein. Sie brütete noch immer über die Bemerkung über die Oriq. „Aber wenn sie tatsächlich eine Art Angriff vorhaben, würden doch die Professoren etwas dagegen unternehmen. Oder?“

„Vielleicht“, sagte Professorin Onyx. „Vielleicht auch nicht. Die eigentliche Frage lautet doch aber: Was würdet ihr dagegen tun?“


Die frische Luft traf kalt und klar Wills Lungen, als er Rowan aus dem Blütenwelk-Gebäude folgte. Seine Schwester hatte bereits die Hälfte des Pfades hinter sich gelassen und war auf dem Weg in Richtung des Cafés. „Bis später.“

„Was? Hast du nicht gehört, was die Professorin gerade gesagt hat? Wir müssen etwas unternehmen!“

„Was denn?“, fragte Rowan und drehte sich um. „Es ist ihre Schule. Sollen sie sich darum kümmern.“

Will schüttelte den Kopf. „Was, wenn das nicht reicht? Hier gibt es nicht so viele Professoren, Rowan. Und wir können uns nicht darauf verlassen, dass sie uns alle beschützen können. Es muss doch eine Möglichkeit geben, um uns selbst – und die anderen Schüler – zu schützen.“

„Zum letzten Mal, Will: Das hier ist nicht Eldraine. Wir sind hier keine Adligen. Wir können nicht einfach …“ Sie wedelte mit den Armen. „… befehlen, dass sich Probleme hinwegheben.“

„Adlig zu sein hat uns daheim auch nicht davor bewahrt, beinahe getötet zu werden.“ Will schüttelte den Kopf. „Immerhin haben wir hier den Biblioplex. All dieses Wissen … Es muss doch etwas geben, was uns helfen kann. Ich will nicht noch mal hilflos sein.“

Will entging der Schauder nicht, der Rowan durchfuhr. Sie straffte die Schultern und biss die Zähne zusammen. Sie musste sich an Oko und ihren Vater erinnert haben. Selbst jetzt war dies etwas, was keiner von ihnen vollkommen vergessen konnte.

Rowan blickte ihn über die Schulter an. „Du kannst dich ja so viel du willst durch diese alten Bücher graben, Will. Ich bereite mich auf meine eigene Weise auf das vor, was da kommen mag.“

Will seufzte, als Rowan sich auf dem Absatz umdrehte und wegging. Ich bin also auf mich allein gestellt. Schon wieder.


Kasmina saß noch immer still unter den Bäumen außerhalb des Campus, als ihre Eule ihr einen kleinen Hof gleich außerhalb des Biblioplexes zeigte. Unter sich konnte sie sehen, wie das Kenrith-Mädchen verzweigte Blitze über den Rasen schoss. In der Nähe sahen zwei Blütenwelk-Schülerinnen zu. Eine applaudierte, die andere sagte etwas, was Kasmina nicht verstehen konnte.

Die Vision des Hofs verschwamm an den Rändern und verblasste zu einer vollkommen anderen Landschaft. Kasmina verlagerte ihre Aufmerksamkeit auf eine andere Eule. Die Zwillinge verschwanden, als Schatten und roter Stein Kasminas Sichtfeld ausfüllten.

Sie sah zu, wie Lukka neben einem maskierten Agenten der Oriq stand. Der Agent bewegte sich, zog etwas aus seinem Mantel und streckte es dem Planeswalker hin. Kasminas Eule neigte den Kopf, um einen besseren Blick zu erhalten.

Es war eine silberne Maske in Form eines menschlichen Schädels.

Lukka schüttelte den Kopf. Sein Gesicht verzog sich, seine Haut wurde dunkler und seine Ohren bildeten Spitzen aus, als er die Eigenheiten seiner Fuchsgefährtin annahm. Er sah zu, wie der Oriq-Agent wegging – und wandte seinen starren Blick dann geradewegs zu der Eule. Kasmina zuckte instinktiv zusammen.

Sie sandte dem Vogel einen geistigen Befehl. Die Eule schwang sich in die Luft und verließ die Höhlen der Oriq. Sie hatte mehr als genug gesehen.


Rowan saß in Auvernines Zimmer und sah abwesend zu, wie das Mädchen an seinem Schreibtisch einen leuchtenden Trank zusammengoss und umrührte. Sie war erschöpft. Wochenlang hatte sie geübt, um die besten Wege zu finden, jene Macht zu bündeln, die nun Tag und Nacht durch sie hindurchzufließen schien. Trotz allem hatte sie kaum Fortschritte gemacht.

Ein hohes Kreischen riss Rowan aus ihren Gedanken. Sie runzelte die Stirn, als Auvernine eine wurmartige Kreatur aus einem gläsernen Gefäß zog. „Was ist das denn?“

Auvernine konzentrierte sich weiter auf die Kreatur, die sie nun auf einen Metallteller legte. „Ein Gemeiner Salzmampfer. Ich habe über eine Stunde gebraucht, einen so großen zu finden.“

„Was machst du –“

Rowans Worte erstarben, als Auvernine mit den Händen über dem Schädling einen Singsang anstimmte.

Die Kreatur hörte auf, sich zu bewegen, und ihre zahllosen trüben Augen weiteten sich. Als Auvernines Stimme den Raum erfüllte, begann der Wurm, sich von dem Teller zu erheben, zu zucken und zu zittern, als schimmernde Energie aus seinem rundlichen Leib aufstieg.

Rowans Hand fuhr zu ihrem Mund, als sie dabei zusah, wie die Lebenskraft der Kreatur durch die Luft und in den Trank ihrer Freundin floss. Die Flüssigkeit gleißte auf und blubberte. Ihre Farbe wechselte von einem tiefen Purpur zu einem leuchtenden Rot. Als Auvernine den Zauber beendet hatte, plumpste der Salzmampfer auf den Teller. Sein Körper hob und senkte sich, während er um Atem ran. Rowan verzog das Gesicht. „Das ist einfach nur scheußlich.“

„Ein bisschen“, sagte Auvernine nickend. Sie nahm ihren Trank zur Hand und begutachtete ihn. „Dieser Trank erfordert mehr Kraft, als ich nur durch reine Kräuterkunde erzeugen kann. Aber wenn ich es richtig anstelle, könnte dies einer Menge Leute helfen. Manchmal müssen Opfer gebracht werden, damit es allen besser gehen kann. Findest du nicht auch?“

Rowan zuckte nur mit den Schultern, während ihr Blick wieder zu dem Schädling wanderte. Unangenehme Erinnerungen an ihre Mutter wallten an die Oberfläche. Sie zwang sie zurück in die Tiefe. Opfer. Genau.


Rowan fand Will im Biblioplex, umgeben von einem Stapel aus Folianten und Schriftrollen. Gerade griff er nach einem weiteren Buch und blätterte die Seiten um, während er irgendetwas murmelte.

„Das ist nicht genau das, was ich als Üben bezeichnen würde.“

Er blickte eindeutig überrascht zu ihr auf. Einen Augenblick später wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Texten vor sich zu. „Wenn die Oriq so gefährlich sind, wie die Leute sagen, reichen die Zauber, die wir kennen, vielleicht nicht aus“, sagte Will und schüttelte den Kopf. „Wir sollten uns darauf konzentrieren, unser Arsenal zu erweitern.“

„Oder wir könnten versuchen, eine Möglichkeit zu finden, dem, was wir schon haben, mehr Macht zu verleihen.“

Will jedoch blätterte einfach eine weitere Seite um. Sein Blick huschte über den Text.

Seine Ablehnung nicht beachtend sah Rowan sich um. Am anderen Ende des Raumes, neben einem fleißig lernenden Prismari-Schüler, schwebte eine quallenartig aussehende Kreatur – ein Elementar, ein Konstrukt aus verzaubertem Wasser, das von leuchtenden Adern reiner arkaner Energie durchzogen war. Rowan schluckte den Ekel herunter, den sie bei Auvernines Zauber empfunden hatte. Es ist nur ein Zauber wie jeder andere auch.

„Rowan, was machst du denn?“, fragte Will und blickte endlich von seinen Büchern auf.

Sie zischte ihm zu, leise zu sein, und konzentrierte sich einzig auf das Elementar. Elektrizität knisterte und tanzte über ihre Finger, als sie die Kraftadern aus seiner wässrigen Oberfläche zu sich herüberzog. Schließlich fiel es in sich zusammen und bildete eine Pfütze auf dem steinernen Boden. Die Energie sammelte sich, Funken schlagend und sich aufbäumend, in ihrer Handfläche, ehe sie schließlich zu einem Blitz zerbarst, der ihr die Haare zu Berge stehen ließ. Der Prismari-Schüler fiel beinahe von seinem Stuhl, raffte seine Bücher zusammen und funkelte Rowan im Fliehen an.

„Rowan“, zischte Will. „Du kannst doch nicht einfach die Magie aus allem ziehen, wie dir gerade zumute ist! Außerdem haben wir noch gar keinen Unterricht in Absaugungstheorie gehabt! Du wirst nur dich oder jemand anderen verletzen.“

„Will, die Oriq kümmern sich herzlich wenig um unseren Lehrplan, und an die Campusordnung werden sie sich auch nicht halten“, sagte Rowan. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit sprach sie in ruhigem und gemessenem Ton. „Sie werden alles tun, was nötig ist. Und das bedeutet, dass wir das auch tun müssen.“

„Der Besitz dieser Kräfte bringt eine Verantwortung mit sich, Rowan. Darum geht es unter anderem dabei, hier zu sein. Ansonsten setzen wir sie vielleicht zu …“ Will hatte Mühe, seine Befürchtungen in Worte zu kleiden. „… zu selbstsüchtigen Zwecken ein. Zu dunklen Zwecken. Hast du denn gar nichts von Mutter gelernt? Oder von Oko?“

„Ja“, gab sie zurück. „Ich habe gelernt, dass man eine Menge erreichen kann, wenn man sich nicht scheut, die Regeln zu brechen. Viel Glück mit deinen Büchern.“ Damit ließ sie ihn stehen. Als einige Minuten später ein Kundhort-Bibliothekar vorbeikam, um nach dem Blitz zu fragen, der kurzzeitig die Bücherstapel erhellt hatte, wusste Will keine Antwort.


Kasmina spürte, wie ihre Eule auf der Spitze ihres Stabes landete, doch ihr Blick war auf den Horizont gerichtet. Am Rand des Hofs erschien eine Gestalt, umspielt vom Licht der untergehenden Sonnen. Sie erkannte die Haltung seiner Schultern. Das strenge, militärische Gebaren. Sie erkannte auch die Füchsin, die zu seinen Füßen saß. „Es ist eine Schande, einen Mann wie dich so tief fallen zu sehen. Was würde wohl deine Einheit davon halten, dass ihr einstiger Anführer zu einer Schachfigur im Plan eines anderen geworden ist?“

„Ich vermute, sie würde sich kaum darum scheren“, sagte Lukka. „Wenn man bedenkt, dass die eine Hälfte tot ist und die andere mich tot sehen will. Wie lange genau haben du und deine Vögel mich schon beobachtet?“

„Lange genug, um zu wissen, dass dieser Weg dir nur weiteren Schmerz bringen wird“, sagte Kasmina. „Dir und vielen anderen. Ich werde nicht zulassen, dass du das tust, Lukka.“ Ihre Stimme in diesem Augenblick klang weder weise noch großmütig. Sie war eisig kalt.

„Ich bin es leid, mir vorschreiben zu lassen, wie ich zu leben habe“, knurrte er. „Und ich bin niemandes Schachfigur. Die Magier, die diese Schule leiten, glauben, sie sind besser als alle anderen … und die ganze verdammte Welt nickt das einfach nur ab und nimmt es hin. Ich werde ihnen zeigen, dass sie sich irren.“

„Ich hatte gehofft, dass du doch noch zu einem Verbündeten werden würdest. Dass du deine Gaben für etwas Gutes einsetzt.“ Kasmina seufzte. „Aber wie ich sehe, habe ich dich überschätzt.“

Bevor Lukka etwas erwidern konnte, stieß sich Kasminas Eule von ihrer Schulter ab und schwang sich in die Luft. Mit einem Flügelschlag verdichtete sich die Luft um Lukkas Füchsin herum zu einer tosenden Kugel. Als der Wind um das Tier herumwirbelte, schleuderte Kasmina eine Sense aus zusammengepresster Luft geradewegs auf Lukkas Brust.

Er duckte sich nur knapp unter der unsichtbaren Klinge weg, die an ihm vorbei in ein kleines Gehölz fuhr. Lukka warf einen Blick zu Mila. Sein Gesicht wurde spitzer und schmaler, als er versuchte, die Verbindung zu ihr enger zu machen, doch die tierhaften Züge verschwanden so schnell, wie sie erschienen waren.

Mit einem Hieb ihres Arms schleuderte Kasmina ihm einen weiteren Windstoß entgegen – dieser war schmal und spitz wie eine Lanze. Lukka rollte sich zur Seite und sprang mit gezückter Klinge auf die Füße.

Mit tierischer Geschwindigkeit stürmte er auf Kasmina zu. Sie hob gerade rechtzeitig den Stab, um sein Schwert mit dem hölzernen Schaft abzufangen. Ihre Augen leuchteten silbrig auf, doch ehe sie einen weiteren Zauber entfesseln konnte, wirbelte Lukka aus dem Weg, befreite seine Klinge und ließ sie vorwärts taumeln.

„Diese Drachen“, sagte Lukka mit grollender Stimme. „Diese Drachengarde. Sie hatten zu lange Macht über diese Leute. Sie haben dafür gesorgt, dass sie sich vor jedem Schatten und jedem fremden Gesicht fürchten. Was geschieht, wenn es nicht die Oriq sind, die sie jagen – wenn es jeder ist, der Magie auf eine Weise wirkt, die ihnen nicht gefällt?“

Kasmina drehte sich um und streckte die Hand aus, als Lukka erneut ausholte. Eine Mauer blauen Lichts schoss zwischen ihnen in die Höhe und legte sich um sie. „Du kannst nicht weiter als bis ans Ende deines eigenen Schmerzes sehen, Lukka. Glaubst du, Extus wird all dies ändern? Glaubst du, er wird die Macht mit dir teilen? Er kämpft nur für sich allein.“

Lukka schmetterte mit wutverzerrtem Gesicht seine Waffe gegen die Wand aus Licht. „Ganz ehrlich? Mir ist es völlig gleich, was er macht, nachdem dies alles hier niedergebrannt wurde.“

Talentprobe
Talentprobe | Bild von: Lie Setiawan

Sie machte einen Schritt vorwärts. Ihr Schild drängte Lukka zurück. Wieder und wieder holte er mit seiner Klinge aus und versuchte, mit roher Kraft durchzubrechen, bis Kasmina die Hand abknickte. Das Licht veränderte sich. Strahlen schossen aus der blauen Wand hervor und trafen Lukka am Bauch. Er wurde zurückgeschleudert und landete neben seiner eingesperrten Füchsin. Bevor er sich aufrappeln konnte, war Kasmina da und hielt die Spitze ihres Stabs dicht unter sein Kinn.

„Gib auf“, sagte sie. „Es ist vorbei.“

Lukkas Schnauben wurde zu einem wilden Lachen. „Vorbei? O nein. Es hat gerade erst begonnen.“

Kasmina hielt inne. In der Hitze des Gefechts hatte sie aufgehört, ihre Eulen im Blick zu behalten. Das, was sie nun sah und was sich bis zu den Außenbereichen der Schule herangeschlichen hatte, jagte ihr kalte Schauer den Rücken herunter.

„Ich bin nicht hierhergekommen, um dich zu besiegen“, sagte Lukka grinsend. „Ich bin nicht dumm genug zu glauben, dass ich das könnte. Aber ich bin mir sicher, dass sie es können.“

Unter ihnen erbebte der Boden. Der Horizont begann sich zu bewegen und zu verzerren, als ein Schwarm chitingepanzerter, krabbelnder Gestalten aus den Bäumen heraushuschte. Aus ihren gekerbten Körpern stieg ein kränkliches, purpurnes Leuchten auf: Es war, als stünde der ganze Wald in einem unnatürlichen Feuer in Flammen.

„Magierjäger“, flüsterte Kasmina. „Was hast du getan?“

„Getan? Das habe ich dir doch gesagt.“ Lukka hatte den Kopf weggedreht und spie Blut aus. Er lächelte und entblößte rotverschmierte Zähne. „Wir fangen gerade erst an.“

Das Leuchten der Magierjäger war jetzt, da sie näher kamen, noch heller. Kasmina schloss die Augen und konzentrierte sich auf eine andere Welt, auf einen anderen Ort. Eine Wolke aus weißen Federn legte sich um sie, und dann war sie verschwunden.


Lukka rappelte sich auf und klopfte sich den Staub ab. Leise Schritte erklangen, und bald darauf stand Extus neben ihm.

„Bist du dir sicher, dass du sie beherrschen kannst?“, fragte das Oberhaupt der Oriq. „Kein Oriq hat je versucht, so viele auf einmal zu bändigen.“

Lukka nickte. „Ich bin nicht wie deine anderen Magier.“

Hinter ihm war eine Bewegung wahrzunehmen: Der Rest der Oriq kam am Rand des Hofs zum Stehen. Die Agenten waren bereit und warteten auf Extus’ Befehl. Extus straffte die Schultern und nickte. „Beginnt den Angriff.“