Phyrexia: Alles wird eins | Hart wie Zorn, hell wie Wonne
Als Lukka aus den Blinden Ewigkeiten trat, trafen ihn Luftfeuchtigkeit und Hitze wie ein Schlag in den Magen. Das trübe, grüne Licht, das durch das Blätterdach drang, der widerliche Geschmack verfaulenden Fleisches in der Luft, das metallische Kreischen unsichtbarer Bestien, das unappetitliche Schmatzen des durchweichten Torfmulls unter seinen Füßen – all diese Details verrieten ihm, dass er nicht am richtigen Ort angekommen war.
„Für das Leben auf allen Welten halten wir Wache.“ Wie konnte er das von …
Er war vom Rest des Einsatzkommandos abgeschnitten. Dies war nicht ihr ausgemachter Treffpunkt. Die Phyrexianer mussten eine neue Verteidigung gegen die Planeswalker eingesetzt haben – schon wieder waren sie ihnen einen Schritt voraus. Er hätte wissen müssen, dass Jace und die anderen eine militärische Operation in den Sand setzen würden. Als der Telepath ihn aufgespürt hatte, war Lukka wegen der Ereignisse auf Ikoria und in Strixhaven auf einen Angriff gefasst. Er war überrascht, dass Jace ihn rekrutieren wollte, weil Lukkas militärische Erfahrung für den Erfolg ihrer Infiltrationsmission unerlässlich sein würde. Lukka hatte gezögert. Zunächst. Aber als Jace ihm erklärte, dass Phyrexia eine Gefahr für Ikoria darstellte, konnte er nicht tatenlos zusehen. Dafür lag ihm seine Heimat immer noch zu sehr am Herzen.
„Und jetzt bin ich hier“, murmelte er vor sich hin und sah sich um. „Wo auch immer das sein mag.“
Frustriert trat Lukka nach einem durchnässten Klumpen Torf. Er verteilte sich spritzend über einen Baum in seiner Nähe. Der Boden war mit wassergetränkten Gruben und dicken Wurzeln übersät – beinahe unbegehbar. Pulsierende Adern pumpten schwarzes Öl durch das dichte Gestrüpp, und kleine Schmarotzer, deren Zweige sich zum Licht hin reckten, wucherten aus den Baumstämmen hervor. Er blickte nach oben. Das Astgeflecht über ihm sah begehbar aus.
Überwuchernde Bäume …
Kurz überlegte er, ob er zurückweltenwandern sollte. Aber da er ungewollt hier gelandet war, gab es keine Garantie, dass er tatsächlich dort ankommen würde, wohin er wollte. Womöglich würde er sich sogar in einer noch schlimmeren Lage wiederfinden. Nein, er würde den Weg über ihm einschlagen und versuchen, zu den anderen zu gelangen.
Wenn ich eine Kreatur finde, die ich beherrschen kann, kann ich mir einen Weg zu Elesh Norns Festung bahnen. Vielleicht würde er es sogar rechtzeitig zum Treffpunkt schaffen, um die Mission wieder auf den rechten Weg zu bringen.
Er trat an den Baumstamm heran. Blätter, die an Hände erinnerten, ballten sich zu Fäusten und duckten sich vor ihm weg.
Er zog seine Harpune aus ihrer Hülle an seinem linken Arm. Er zielte und schleuderte sie nach oben. Die Harpune verfing sich in einem Ast über ihm. Der Baum erzitterte, und rötlicher Schleim sickerte aus seinen Wunden. Lukka zog am Seil, um sicherzustellen, dass es befestigt war, und grub seine Füße in die Fugen des Stamms. Er hebelte sich hoch und begann, zu klettern.
Es war kaum anders, als zu Hause die Klippen zu erklimmen. Die anderen konnten sagen, was sie wollten. Neu-Phyrexia war nur eine weitere Welt.
Ein zorniger Schrei gellte durch die Luft und schreckte einen Schwarm Kreaturen aus ihrem Nest im Hohlraum des Baumes auf. Die Kreaturen schlugen chaotisch und panisch mit ihren Flügeln. Ihre bezahnten Schnäbel glitzerten silbern, und ihre Flügel hatten die nasse Farbe roher Leber. Die Kreaturen wirbelten herum – in Richtung des Ursprungs des Schreis.
Lukka fluchte. Sein Körper, der vom langen Klettern bereits erschöpft war, zitterte, während er an Ort und Stelle verharrte. Seine Hände schmerzten von den Blasen, die sich dort bildeten. Aber er konnte niemanden auf dieser Welt alleine kämpfen lassen. Außerdem war dies vielleicht eine Gelegenheit, Mitglieder der lokalen Tierwelt zu beherrschen.
Er umklammerte den Baum mit seinen Schenkeln, löste die Harpune aus dem Ast, entwirrte das Seil und verstaute es. Dann ließ er sich auf die Plattform unter sich fallen. Die kreisenden fliegenden Kreaturen verrieten ihm die Richtung, und er lief von Ast zu Ast springend los. Aufregung spülte die Erschöpfung aus seinem Körper und verwandelte sein Zittern in Stärke. Er war bereit für den bevorstehenden Kampf.
Auf einem breiten Ast kämpfte eine gertenschlanke Elfe, die ein hölzernes Schwert zu schwingen schien, Seite an Seite mit einer Frau, die in Weiß und Gold gekleidet war und deren langes Schwert wie Wasser floss. Lukka war ihnen schon einmal begegnet: Nissa, und die Frau nannte man …
Ein abscheuliches Konstrukt, das die schlimmsten Elemente von Maschinen und Organismen in sich zu vereinen schien, griff sie an. Seine vier Beine waren in ungelenken Winkeln verwachsen, aber dennoch bewegte sich der Phyrexianer mit tödlicher Anmut. Die Wanderin, ein Wirbel aus weißem Stoff und aufblitzendem Schwert, trieb den phyrexianischen Moloch zurück, um Nissa Zeit zu verschaffen, einen Zauber zu wirken. Nissas Tätowierungen leuchteten blassgrün. Ihr grünes Gewand bauschte sich um sie herum auf, während sie einen Zauberspruch kanalisierte. Metallene Blätter zitterten und wurden dann wie von unsichtbarer Hand vom Baum gepflückt. Die Blätter wirbelten durch die Luft und stürzten sich dann wie ein Tornado auf die Scheußlichkeit. Ihre scharfen Metallkanten zerfetzten die Kreatur. Graugrünes Blut spritzte aus ihr heraus.
Aber die beiden Frauen hatten die zweite Bestie nicht bemerkt, die über ihnen einen Ast entlangkroch, bereit, sich auf sie zu stürzen.
Lukka tastete mit seinem Eludha nach ihr, der magischen Verbindung, die er zu anderen Kreaturen aufbauen konnte. Er spürte den Verstand der Bestie, metallen hell mit weichen, kaum genutzten biologischen Elementen. Er griff danach und drückte zu. Lukka konnte das Blut in seinem Mund förmlich schmecken, den scharfen Geschmack von Eisen auf seiner Zunge. Der Phyrexianer erstarrte, unfähig, sich weiterzubewegen. Er spürte, wie er sich gegen seinen Griff sträubte, ein hektisches Ringen in seinem Schädel.
Nissa und die Wanderin nutzten ihren Vorteil gegen den verwundeten Zentaurenmoloch und trieben ihn den Ast entlang vor sich her. Er fiel. Sein Körper landete auf dem Ast, was den gesamten Baum erzittern ließ. Die Wanderin sprang auf seinen Rücken und ließ ihr Schwert hinabsausen, um die Bestie zu köpfen. Dann verschwand die Wanderin mit einem seltsamen Flimmern.
War sie von hier weg weltengewandert? Falls ja, so war dies ein merkwürdiger Zeitpunkt dafür.
Nissa schritt vorwärts. Sie trat gegen den Zentaurenmoloch. Er rutschte vom Ast und fiel krachend auf den Waldboden unter ihr. Sie wischte ihre Klinge an ihrem Umhang sauber und steckte sie in ihre Scheide.
„Fühle dich nicht zu sicher.“ Lukka ging auf sie zu. „Ich habe einen zweiten unterworfen, der euch von oben überfallen wollte.“
„Danke.“ Nissa drehte sich um. Ihre Miene verzog sich. „Lukka.“
Lukka wies mit dem Kopf zu dem Zentaurenmoloch über ihnen. Er ließ sich langsam vom Ast über ihnen auf ihre Plattform sinken und landete so sachte, dass der Ast unter ihren Füßen nicht einmal schwankte. „Er war darauf aus, euch das Fleisch von den Knochen zu reißen.“
„Ich weiß nicht einmal, wie wir überhaupt hier gelandet sind“, sagte Nissa.
„Ich habe vor, zur Oberfläche zu gelangen“, sagte Lukka. „Weiter oben können wir uns besser orientieren und einen Weg zu Elesh Norns Festung finden.“
„Und wie hast du vor, den Weg durch dieses Labyrinth zu finden?“
Lukka nickte zu dem phyrexianischen Monstrum. Es hatte sich ihm ganz und gar unterworfen. Er hätte wissen sollen, dass es ein Kinderspiel sein würde, eine halb mechanische Kreatur zu beherrschen. Sie hatte nicht denselben Überlebensinstinkt oder das Gespür für das Selbst wie ein Tier. Sie war lediglich ein Konstrukt.
„Du hast dich mit ihm gebynden?“, fragte Nissa.
Sie schien nicht besonders glücklich zu sein, dass er ihr das Leben gerettet hatte. Sie beäugte ihn mit Misstrauen und Sorge. Er kannte diesen Blick. Er hasste ihn. Man hatte ihn mit diesem Blick bedacht, als er sich zum ersten Mal mit einem Monster gebynden hatte. „Er kann uns führen und beschützen, bis wir die Oberfläche erreicht haben.“
„Es ist keine gute Idee, dich an einen Phyrexianer zu bynden“, sagte Nissa tonlos. „Lass uns ihn zerstören.“
„Ich habe mein ganzes Leben lang gegen Monster gekämpft.“ Frustriert wandte sich Lukka von hier ab. „Ich kann damit schon umgehen.“
Nissa sagte kein Wort, was vielsagend genug war.
„Ich verspreche dir“, sagte Lukka, „wenn ich auch nur Magenschmerzen bekomme, erledige ich die Kreatur.“
Nissa starrte ihn zweifelnd an und blickte sich dann im Jäger-Labyrinth um. Er dachte, dass sie wohl ihre Chancen abschätzte, alleine, ohne ihn, zu überleben, und zu dem Schluss kam, dass sie dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Schließlich seufzte sie.
„Das gefällt mir gar nicht“, sagte Nissa.
„Ich halte immer mein Wort“, sagte er verärgert.
Nissa nickte. „Lass uns den besten Weg hier heraus finden.“
Lukka tauchte mit seinem Verstand in das Bewusstsein des Zentaurenmolochs ein. Dessen Gedanken waren ein Wirrwarr, hart und hell vor Zorn, dickflüssig und schleimig vor Verschlagenheit. Er erspürte die Ausdehnung des Territoriums dieses Wesens und seine Lieblingswege.
„Ah“, sagte er mit einem Seufzer tiefer Genugtuung. „Wir müssen weiter nach oben, natürlich.“
Nissa wirkte verärgert. „Das hätte ich dir auch sagen können.“
„Nach oben“ war im Jäger-Labyrinth jedoch leichter gesagt als getan. Um einen erklimmbaren „Baum“ zu erreichen, mussten Lukka und Nissa zuerst einen tiefen Abgrund zwischen den gewaltigen Ästen hinter sich bringen. Zum Glück erwies sich der Phyrexianer dafür als nützlich, wie Lukka erwartet hatte.
Zunächst zwang er ihn, mit seinem riesigen Körper die Lücken zwischen den Ästen zu schließen. Er und Nissa nutzten den Rücken des Zentaurenmolochs wie eine Brücke. Er konnte spüren, wie dessen Fleisch sich durch seine Atemzüge unter seinen Füßen verschob. Nissas Füße fühlten sich wie spitze Stiche entlang der Wirbelsäule an. Wollte sie, dass er spürte, wie ihre Stiefel sich in ihn bohrten?
Als sie den einfachsten Weg nach oben erreicht hatten – einen astlosen Baum, der kaum Verstecke für Angreifer aus dem Hinterhalt bot – bestieg Lukka den Zentaurenmoloch. Er streckte Nissa seine Hand entgegen. Sie ignorierte sie, kletterte alleine hoch und umklammerte den Leib des Zentaurenmolochs mit ihren Beinen, als sei er ein Pferd. Das verärgerte ihn. Schon ihr zitronenfrischer Geruch störte ihn. Hatte sie etwa ihre langen dunklen Haare in Zitruswasser gewaschen, um sich für den Kampf vorzubereiten?
Aber man konnte sich seine Verbündeten nicht aussuchen. Er konnte Befehle befolgen und der Mission treu bleiben, wie jeder gute Soldat, und die Verbindung respektieren, die das Kämpfen an der Seite von Verbündeten mit sich brachte.
Mit einem mentalen Schnalzen wies er den Zentaurenmoloch an, den Baum zu erklimmen. Er musste ihn kaum führen. Er sprang mit großen Sätzen aufwärts. Die zusätzlichen Gelenke in seinen Gliedmaßen führten dazu, dass er sich schaukelnd und schlingernd fortbewegte. Er konnte sich nicht darauf einstellen. Und er konnte auch nicht mit diesen Bewegungen mitgehen.
Nissa sah aus, als sei ihr unbehaglich zumute.
Er blickte nach oben und erspähte mit seiner doppelten Sicht, zur einen Hälfte die eigene, zur anderen die des Phyrexianers, eine Lücke im Astgeflecht. „Halt dich fest.“
„Alles klar.“
Der phyrexianische Zentaurenmoloch machte einen Satz. Die kurzzeitige Freiheit des freien Falls erfüllte Lukka, doch ein Ruck ging durch sie alle, als sie landeten. Der Aufprall ratterte Lukkas Wirbelsäule hinauf.
Der Zentaurenmoloch schwang sich nach vorne auf eine Plattform, die aus einem ansonsten astlosen Baum hervorragte. Die Plattform sah aus wie ein Metallwinkelpilz, der mit leuchtenden, grünen Lamellenflechten überzogen war.
Der Zentaurenmoloch bohrte seine rasiermesserscharfen Krallen in den Baum und begann, ihn zu erklimmen. Lukka lehnte sich nach vorne und verschob so seinen Schwerpunkt näher zur Rückenmitte des Zentaurenmolochs. Er spürte, wie das Klettern die gesamte Kraft der Bestie in Anspruch nahm. Ihr organisches Herz pumpte eifrig, ihre metallenen Gelenke ächzten unter Nissas und Lukkas gemeinsamem Gewicht. Nissa klammerte sich an Lukka. Sie hatte ihre dünnen Arme um seine Taille gelegt und drückte ihre Wange gegen seinen Rücken.
Er kam zu dem Schluss, dass nur ihre Füße ihn störten: Ihre spitzen Fersen bohrten sich in den Körper des Zentaurenmolochs, und er spürte diesen Schmerz als Echo in seinen eigenen Rippen.
Er war nicht schon immer so groß und stark gewesen wie jetzt. Einst, vor dem Wachstumsschub in seiner Jugend, hatte eine Gruppe älterer Jungen ihn in eine Ecke gedrängt. Schon damals wusste er, dass er anders war, nur noch nicht, wie. Unterschwellig spürten die anderen Jungen es auch: eine unsichtbare Barriere, die ihn darin hinderte, zu ihnen zu gehören. Sie hatten ihn in eine Ecke gedrängt. Fünf gegen einen. Er hatte sich entschieden, sich zurückzuziehen, doch sie hatten ihm ein Bein gestellt. Er stand vor einer Wahl, als er sich zusammenkrümmte, um sich vor ihren Schlägen zu schützen: Kopf oder Rippen? Er hatte seine Arme um seinen Kopf gelegt und die Prügel über sich ergehen lassen.
Später hatte er es ihnen natürlich gezeigt. Sie hatten es bereut.
Er wollte, dass Nissa aufhörte. Aufhörte, ihre Fersen in ihn zu bohren. Aufhörte.
Er wusste, dass sie sich festklammern musste. Natürlich musste sie das. Und es waren nicht seine Rippen. Er sagte nichts.
Das Jäger-Labyrinth um ihn herum schien zu murmeln, als würden seine Äste sich in einem unsichtbaren Wind wiegen. Aber keine Brise kräuselte seine Nackenhaare. Sporen rieselten als leuchtend grüne Wolken herab.
Kleine Augen, die hervorquollen wie Knoten im Holz, öffneten sich, um Lukka und Nissa auf ihrem Weg zu beobachten. Farnartige Blätter falteten sich auf, als dürsteten sie nach seinem Blut. Kleine, metallene, krabbenartige Kreaturen huschten zwischen öligen Pfützen hin und her. Er spürte die Vernetztheit, die Phyrexianer, die durch das Jäger-Labyrinth zogen und durch metallische Ranken mit ihm verbunden waren. Das wäre doch etwas, ein gesamtes Ökosystem zu beherrschen …
Unbändige Macht …
Ein Blitz weißen Lichts.
„Vorsicht!“, rief die Wanderin. Sie hatte sich auf einem Baum gegenüber von ihnen materialisiert und umklammerte dessen Stamm nun in einer gewaltigen Umarmung, damit sie nicht hinabstürzte.
Lukka suchte nach der Gefahr.
Lederne Flügel öffneten sich in der Nähe seines Kopfes. Ein phyrexianisches Monstrum stürzte sich herab und langte mit seinen vor Öl triefenden Klauen nach Nissas Gesicht. Nissa klammerte sich mit einem Arm fest an ihn und griff mit ihrer freien Hand nach ihrem Schwert. Lukka versuchte, sich zu drehen, die Kreatur abzuwehren, aber sie war direkt hinter ihm. Er konnte sich nicht gleichzeitig am Moloch festhalten und kämpfen.
Das Monstrum wirbelte herum und griff den Arm an, mit dem Nissa sich an ihn klammerte. Es riss an ihrer Hand, damit sie ihre Klinge nicht ziehen konnte.
Lukka tastete mit seinem Verstand nach dem phyrexianischen Zentaurenmoloch und gebot ihm: Gib mir Halt. Der gehorchte, aber nicht wie beabsichtigt. Feine Drähte barsten aus seinem Torso, bohrten sich in seine Haut und schlängelten sich durch seine Eingeweide, um sich um seine Wirbelsäule zu legen. Es hätte wehtun müssen. Das tat es aber nicht. So habe ich das nicht gemeint. Jede Faser hinterließ eine kühlende Taubheit. Lukka fühlte sich eins mit ihm: Sein Rückgrat war geschützt, seine Knochen befestigt.
Er drehte sich. Mit seinen nun freien Händen zog er seine Harpune. Er schleuderte sie auf den Angreifer. Seine Harpune nagelte das überraschte phyrexianische Monstrum an einem Baum fest. Öliges Blut spritzte ihm über das Gesicht. Er zog die Harpune heraus und spulte sie wieder auf. Der Körper taumelte in die Tiefe.
Die leberfarbenen Aasfresser stürzten sich mit freudigem Geschrei dem fallenden Leichnam hinterher. Nur die Stärksten verdienen zu überleben.
Die Wanderin beobachtete Lukka von ihrem eigenen Baum aus. „Hier drüben bin ich nutzlos“, murmelte sie und weltenwanderte mit einem weiteren Flimmern fort.
Nissa starrte ihn erschrocken an. Ihre grünen Augen waren geweitet. Blut besudelte ihr Gesicht. Hatte sie eine Wunde am Kopf? Manchmal konnten selbst oberflächliche Schnitte in der Kopfhaut stark bluten, sodass sie schlimmer aussahen, als sie wirklich waren. Aber wenn sie sich eine ernste Verletzung am Kopf zugezogen hatte, würde sie nicht mehr kämpfen können. Er musste wissen, ob er auf sie zählen konnte. Er griff hinunter, um ihre Haare beiseite zu schieben. Sie zuckte instinktiv zurück, verlor den Halt und begann zu fallen. Er packte sie. Ihr zusätzliches Gewicht führte dazu, dass der Zentaurenmoloch die internen Bande, die ihn hielten, enger zog. Er hatte sich in ihm verankert.
Nissa hörte auf, sich zu winden. Sie blickte sich in ihrer Umgebung um, als suchte sie nach einem Ort, an den sie sich retten konnte. Aber gab nur den glatten, metallenen Stamm und einen tiefen Fall. Sie konnte nur durchhalten oder aufgeben und weg weltenwandern. Sie hielt durch. Ihre Lippen und ihre Stirn kräuselten sich.
Der Zentaurenmoloch und seine Gebyndenheit zu ihm hatten sie beide gerettet.
Er und Nissa hatten einen Gipfelpunkt im Blätterdach des Jäger-Labyrinths erreicht. Das Licht war hier heller; es hatte ein heißeres, kräftigeres Gelb, wie Butter auf seiner Zunge. Der „Baum“, den der Phyrexianer erklomm, hatte sich verjüngt. Er war jetzt dünn genug, dass er unter ihrem Gewicht erzitterte.
Du verdienst Macht. Du bist stark. Hier wird Stärke belohnt. Die Schwachen werden ausgemerzt.
Er wusste nicht, ob es für Nissa ebenso offensichtlich war wie für ihn, aber sie hatten nun eine Höhe erreicht, in der sie wieder parallel zum Boden reisen mussten, vielleicht sogar bis zum Rand des Waldes. Die verschlungenen Äste, knorrig wie Holz, aber aus Metall und Fleisch, formten ein Netzwerk aus Straßen, auf denen sich Leben bewegte. Blätter schimmerten, faustgroße Stomata öffneten und schlossen sich im Rhythmus des Atems der Bäume. Beeren, so groß wie abgetrennte Köpfe, hingen in Büscheln herunter. Von Blumen, die rosa wie Eingeweide aussahen und wie eine Schlachterei im Sommer rochen, tropfte schwarzes Öl.
Bisher war ihm noch gar nicht aufgefallen, wie schön das alles war.
Der Zentaurenmoloch sprang von ihrem Baum zum nächsten und landete unsanft auf einer weiteren Metallwinkelpilz-Plattform. Lukka gebot ihm, seine Ranken zurückzuziehen. Er gehorchte ohne Widerrede. Lukka stieg ab. Nissa nahm seinen Bauch in Augenschein, aber es waren keinerlei Anzeichen zu erkennen, dass der Phyrexianer je darin eingedrungen war, außer ein paar Rissen in seinem Hemd, die beliebigen Ursprungs hätten sein können. Nicht ein einziger Tropfen Blut verunstaltete den Stoff.
Nissa ging zum Rand der Plattform. Sie blickte umher, als suchte sie nach dem Weg. Sie schüttelte den Kopf. Offenbar hatte sie keinen Erfolg gehabt. Er hatte das Gefühl, dass sie vorgeschlagen hätte, getrennte Wege zu gehen, wenn der Weg sich gegabelt hätte. Aber das tat er nicht. Das Grün war so dicht, dass er nur einen Weg voran sehen konnte. Also stand sie vor der Wahl, mit ihm zu gehen oder nach Hause weltenzuwandern. Der Verstand des Phyrexianers sagte ihm, dass dies der richtige Weg war.
Nissa hielt mit ihm Schritt. Sie verschränkte ihre Finger ineinander und ließ sie knacken, während sie nach oben blickte. „Ich kann den Ausgang immer noch nicht sehen.“
„Er ist dort.“ Er konnte die lebensspendende Wärme der Sonne auf seinem Rücken spüren. Als er darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass diese Bäume perfekte Organismen waren, so groß und stark, und doch brauchten sie kaum Nahrung. Das gilt auch für dich. Du bist immer mit dem ausgekommen, was dir gegeben wurde. Du hast das Beste aus dem gemacht, was du hattest.
Der Weg führte zu einer ringförmigen Öffnung. Sie war offen und pulsierte im Zwielicht.
„Komm.“ Er ging hindurch.
„Warte …“, Nissa folgte ihm zunächst, blieb dann aber stehen.
Die Öffnung schloss sich mit einem saugenden Geräusch hinter ihnen. Nissa wandte sich ihm zu. Sie musterte ihn misstrauisch von Kopf bis Fuß, blieb aber stumm.
Er ging weiter. Der phyrexianische Zentaurenmoloch trottete gehorsam voran.
Der Geruch des Gangs erinnerte ihn an ein Schlachtfeld: an den Gestank von Blut und entleerten Därmen. Die schummrigen Wände um ihn herum leuchteten im kränklich grünen Licht der Lamellen, und die farnartige Oberfläche des Gangs winkte sie voran wie die Flimmerhaare in einem Darm.
Nissa folgte ihm widerwillig. Sie würde ihn liebend gerne kritisieren, aber sie hatte keinen besseren Plan. Er war es, der sie beide bis hierher gebracht hatte, und sie war praktisch totes Gewicht gewesen. Er wusste nicht einmal, warum Nissa sich entschieden hatte, an diesem Angriff teilzunehmen.
Die weniger Verdienstvollen sollen verenden, um jenen den Weg zu ebnen, die klüger und skrupelloser sind.
Er hatte schon immer an die Meritokratie geglaubt. Spitzenleistung, Können, Training, Talent: Durch diese Tugenden hatte er es zum Hauptmann seiner Spezialeinheit gebracht.
Eine Bewegung zwischen seinem Hemd und seiner Haut ließ ihn stutzen. Er griff durch die Löcher in seiner Kleidung in der Erwartung, dort eine eingeschlossene Mücke zu finden.
Etwas Weiches packte seinen Finger wie ein Saugnapf.
Er warf einen Blick hinter sich, doch Nissa war damit beschäftigt, den Gang nach Gefahren abzusuchen. Sie beachtete ihn nicht.
Er lugte durch ein Loch in seinem Hemd. Einige phyrexianische Keimlinge waren in ihm verblieben. Nun küssten sie ihm die Finger, wie Seeanemonen.
Was, wenn du nie wieder Schmerzen oder Furcht verspüren würdest? Was, wenn du nur noch Gewissheit und Zugehörigkeit fühlen würdest – das Wissen, dass deine Handlungen richtig sind, weil du derjenige bist, der sie ausführt?
„Was ist los?“ fragte Nissa.
Lukka zog seine Finger schuldbewusst zurück. Er hatte ihr versprochen, dass er einen Rückzieher machen würde, falls er durch seine Gebyndenheit an die phyrexianische Scheußlichkeit körperliche Veränderungen an sich bemerkte. Aber diese zerbrechlichen Ranken, die nass an seinen Fingerspitzen pulsierten, verursachten keine Schmerzen. Er fühlte sich gesünder, stärker und selbstbewusster – mehr wie er selbst, als er sich seit langer Zeit gefühlt hatte.
Er lächelte Nissa zu.
„Ich glaube, du hast mir beim Klettern eine Rippenprellung verpasst“, sagte er. „So fest, wie du dich an mich geklammert hast. Du hattest ganz schön Angst, was?“
Nissa runzelte die Stirn. „Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?“
„Sehr.“
Um ihn herum seufzten die Wände zufrieden. Er ging tiefer hinein, auf das Geräusch zu. Konnte Nissa es auch hören? Er dachte, er hätte vielleicht Stimmen gehört. Kein Flüstern, sondern ein Murmeln. Vielleicht gingen sie auf eine Gruppe weiterer Planeswalker zu, die während des ursprünglichen Angriffs ebenfalls von der Gruppe getrennt worden waren. Für wahrscheinlicher hielt er es jedoch, dass sie auf den Feind zugingen.
Er hätte nach dem Aufstieg und mehreren Kämpfen eigentlich Schmerzen haben müssen – aber das war nicht der Fall. Seine Knie fühlten sich anders an und auch seine Hüftgelenke – als hätten sie sich zu einer stärkeren, effizienteren Form umgestaltet.
Veränderungen bringen Stärke und Flexibilität bringt Kraft mit sich. Nur Siegen zählt.
Ein Schwarm egelartiger Kreaturen kam aus den Flimmerhaaren um sie herum. Ihre Körper waren rasiermesserscharf und mit glänzenden Zähnen bedeckt. Sie schossen mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf Lukka zu. Der phyrexianische Zentaurenmoloch stürzte sich auf die matschigen Kreaturen und zerquetschte sie.
Die Wanderin materialisierte sich neben ihnen. Für einen Sekundenbruchteil schien sie verwirrt, aber dann trat sie in Aktion: Sie zog ihr Schwert und schlug die Kreaturen mit ausladenden, vernichtenden Hieben in Stücke.
„Von einer Gefahr in die Nächste“, murmelte sie.
Auch Nissa spaltete einige der Kreaturen mit ihrem Schwert und gab ihnen Tritte, damit sie nicht ihre Beine hochkrabbeln konnten. Lukka holte seine Harpune nicht einmal hervor. Gegen solch unerhebliche Kreaturen wäre sie nicht besonders effektiv – sie waren so klein, dass er sie mit bloßen Händen in Stücke reißen konnte. Seine Hände, seine Finger fühlten sich scharfkantig und metallen an. Er konnte sich nicht erinnern, wann diese Veränderung eingetreten war, aber es konnte nicht lange her sein. Er konnte die schwärmenden Kreaturen mit seinen Fingernägeln aufschlitzen, sodass sich ihre purpurfarbenen Eingeweide wie Perlen auf dem Boden verteilten. Aber es kamen immer mehr.
Der Boden unter ihnen erwachte bebend, und ihm wurde klar, dass sie ins Innere der Mutter-Kreatur gelaufen waren. Auf dem Boden des Gangs vergruben sich ihre Jungen wie Pusteln in ihrem Fleisch. Der Boden verzog sich erneut, und Zähne erschienen. Mehrere Mäuler taten sich zu seinen Füßen auf.
Die Wanderin schrie auf und sprintete aus dem Maul der Bestie hinaus.
Nissa packte Lukkas Hand und zog ihn mit sich. Die zwei sprangen aus dem Schlund der Bestie auf den ebeneren, trockeneren und metallischeren Boden davor.
Hinter ihnen hatte sich die Mutter-Bestie um den phyrexianischen Zentaurenmoloch gewunden, um ihn zu verschlingen. Sein qualvoller, zorniger Schmerz toste durch Lukka. Wie hatte er nur denken können, dass diese Kreatur mechanisch und gefühllos war? Nein, sie war nur unterworfen worden und hatte auf seine Chance gewartet; ihn abgeschätzt …
„Nicht!“, sagte Nissa. „Lass ihn einfach!“
Aber ungeahnte Stärke durchflutete ihn, und er machte einen Satz nach vorne – sein Sprung schien der Schwerkraft zu trotzen und ließ ihn den zentralen Schlund der Kreatur erreichen. Diese Veränderungen scheinen gar nicht so schlecht zu sein, Nissa. Sie sind vor allem nützlich.
Seine metallen glänzenden Fingernägel waren so scharf, seine Hände waren so scharf, dass er direkt durch das Mutter-Monstrum schnitt. Er zog einen Fleischlappen auseinander und befreite seinen Phyrexianer. Die Kreatur, die ihn im Würgegriff gehabt hatte, war nun in zwei Teile geteilt und wand sich im Todeskampf. Der Puls ihrer Arterien verlangsamte sich, und sie starb. Ihre Jungen stoben auseinander und flohen.
Der phyrexianische Zentauerenmoloch stolperte vorwärts und legte sich dankbar Lukka zu Füßen.
Die Wanderin hatte ein Stück weißen Stoff von ihrem Gewand abgeschnitten, um eine Wunde an Nissas Unterarm zu verbinden. Eine der egelartigen Kreaturen hatte wohl ein Stück Fleisch aus ihr herausgebissen.
„Bist du stark genug, um weiterzugehen?“ Er versuchte, Mitleid zu zeigen. Nur Überlebensfähige verdienten es auch, zu überleben. Die Starken haben das Recht, die Schwachen zu erlegen. Die Pflicht.
„Wir sollten von hier weg weltenwandern“, sagte Nissa.
„Wir haben fast die Mitte des Labyrinths erreicht“, sagte Lukka.
Nissa sah ihn scharf an. „Wir wollten hier heraus. Zur Oberfläche.“
Lukka runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, wann seine Ziele sich geändert hatten. Hatten sie sich geändert? Er hatte das Gefühl, dass er die ganze Zeit in diese Richtung gegangen war. Er grübelte darüber nach und starrte auf seine Arme und Hände. Das Problem damit, seine Hände in die Kreaturen zu stecken, um sie zu bekämpfen, bestand natürlich darin, dass sie jetzt mit Bissspuren übersät waren. Sie waren ihm zu der Zeit nicht aufgefallen, und sie taten jetzt nicht weh. Es bildete sich bereits Schorf; dicke schwarze Krusten legten sich über die Wunden.
„Was meinst du?“, fragte Lukka schließlich die Wanderin. „Hattest du Kontakt zu den anderen Planeswalkern? Sollten wir uns zurückziehen?“
Die Wanderin zögerte und schüttelte dann den Kopf. „Ich habe während meiner Versuche, mich zu stabilisieren, viel von dieser Welt gesehen. Eines dieser Dinge war Vorinclex.“
Lukka zupfte an einem Stück Schorf. Als es sich löste, sah er darunter eine zappelnde, madenartige Bewegung. Darunter glitzerte seine Elle – metallen. Eine Wunde, die bis zum Knochen ging, wunderte er sich, und sie tat nicht einmal weh.
„Vorinclex“, wiederholte Nissa.
„Ja“, sagte die Wanderin. „Wir sind ihm nahe. Ihr seid ihm nahe. Und ich glaube, Vorinclex hat sich von seiner Reise nach Kaldheim erholt. Wir müssen ihn zur Strecke bringen, bevor er noch jemandem wehtut.“
„Das ist nicht der Grund, warum wir hier sind“, sagte Nissa. „Wir sollten versuchen, die anderen zu finden.“
Ausnahmsweise stimmte Lukka ihr einmal zu. „Das ist nicht Teil unserer Mission.“
„Es ist eine Gelegenheit“, sagte die Wanderin – dann weltenwanderte sie mit einem weißen Lichtblitz unfreiwillig fort.
Nissa schien nachzudenken. „Ich weiß nicht, ob wir die anderen finden könnten, selbst wenn wir es versuchten. Wenn wir jedoch einen von Elesh Norns Verbündeten töten, könnte das ihre Chancen verbessern.“
Lukka überlegte. So nah zu sein und nicht anzugreifen …
Nissa musterte ihn, als versuchte sie abzuschätzen, wie wertvoll er als Verbündeter war. „Wo müssen wir lang?“
Je näher sie der Mitte des Labyrinths kamen, desto einfacher wurde ihr Weg – entweder war es unbewacht, oder etwas Größeres und Räuberischeres hatte die kleineren Monstrositäten verschlungen. Das eindringliche Flüstern der unverständlichen Stimmen war so laut, dass man keinen Gedanken fassen konnte.
Lukka konnte nicht umhin, sich zu fragen, warum Nissa keinerlei Anzeichen von Beunruhigung erkennen ließ. Vielleicht war sie zäher, als er gedacht hatte.
Die Flimmerhaare an den Wänden des Labyrinths wiegten sich allesamt, als zöge eine unsichtbare Strömung sie in seine Mitte. In Vorinclex’ Kammer wuchsen die Flimmerhaare dichter, länger und heller; sie hatten ein glitzerndes, gelbliches Weiß. Der Boden senkte sich zu einem riesigen Loch ab, das dem Mund eines Seesterns ähnelte. Er hörte einen metallischen Schlag, das unverkennbare Geräusch einer Klinge, die auf eine Klinge trifft, und danach das unsanfte Gleiten einer Parade. Dann sah er sie.
Vorinclex kämpfte unter den monströsen Schädeln, die von der Decke hingen, gegen eine phyrexianische Elfe. Die Elfe war anscheinend mit Metallplatten aus Kupfer verschmolzen und brauchte daher kein Schwert. Ihr Arm war eine Klinge. Glissa. So hieß sie. Sie waren einander kurz begegnet. Vorinclex ragte über ihr auf, zwölf Fuß Metall, Knochen und klagendes Fleisch. Er schwang seine muskulösen Arme auf Glissa hinab, als wollte er sie mit seinen gewaltigen Klauen am Boden festnageln. Glissa wich mit einer Drehung und einem widerhallenden Lachen aus. Ihre kupfernen, kabelartigen Haare wandten sich hinter ihr.
Lukka wusste nicht, ob es ein echter Kampf war oder sie nur miteinander spielten.
Glissa flankierte Vorinclex und schlug mit ihrem klingenbesetzten Arm nach seinen pelzigen Schultern. Vorinclex drehte sich zu ihr um und parierte ihren Schlag abermals. Lukka war noch nie Zeuge eines so freudvollen Kampfes geworden. Die beiden tanzten – schwebten fast – über die wogenden, bleichen Flimmerhaare des Bodens.
Nissa packte sein Handgelenk. Sie wisperte: „Zu zweit hätten wir es mit Vorinclex aufnehmen können. Vielleicht. Aber Vorinclex und Glissa …“
„Sie sind zu zweit, und wir sind es auch“, sagte Lukka.
Nissa sah ihn scharf an. „Kaya hat erzählt, dass sie alleine kaum gegen Vorinclex ankam.“
„Wir schaffen das.“
„Hörst du mir überhaupt zu?“, zischte Nissa.
„Wir haben auch meinen Verbündeten. Die phyrexianische Scheußlichkeit.“
Ohne ein weiteres Wort stürmte Lukka los. Nissa folgte ihm mit einem Hagel von Schimpfwörtern, die selbst Chandra hätten erröten lassen. Aber sie folgte ihm auf dem Fuße, wie er es erwartet hatte. Sie würde einen Verbündeten nicht alleine in den Kampf ziehen lassen.
Lukka stürzte sich auf Glissa, während Nissa gegen Vorinclex kämpfte.
Glissa wirbelte mit einem Zischen herum und riss ihre Klauenhände hoch, um sich zu verteidigen. Lukka brauchte keine Waffe, um sie anzugreifen – auch er hatte Klauen. Es folgte ein Schlagabtausch mit Glissa, die grinste. Sie waren genau gleich stark. Er hatte sich schon seit Jahren nicht mehr so gefühlt, seit seinem letzten Trainingskampf bei den Kupferjacken. Glissa schien dasselbe Gefühl zu haben, und er hörte sich lachen – Lachen vor reinem Glück.
Aber dann strauchelte Lukka.
Glissa machte einen Ausfallschritt, bereit, ihn mit ihrem Klingenarm zu durchbohren. Als würde er das zulassen! Er wollte nicht, dass dieser Kampf aufhörte.
Er benutzte sein Eludha. Sein phyrexianischer Verbündeter stürmte in den Kampf. Zu mir, befahl er ihm. Er dürstete nach seiner Kraft, seiner Stärke. Der Phyrexianer floss in ihn hinein. Seine Ranken wanden sich durch seinen Körper. Die Keimlinge in ihm reckten sich, um sich mit ihm zu vereinen. Er spürte, wie der Phyrexianer sich in ihn bewegte und dann zu ihm wurde. Seine Haut barst, als wäre sie überreif und mehr als bereit für diesen Wandel. Sein Körper faltete sich nach außen wie eine aufblühende Blume, seine Rippen öffneten sich, als der Phyrexianer sich in ihm verankerte, und dessen Arme wurden die seinen.
Der Moloch war bereit, ihm bis zum Ende zu dienen. Sein Leben aufzugeben, um ihn zu retten. Was für eine Loyalität. Er gehorchte ihm, hatte sich ihm in jeder Hinsicht unterworfen.
Sein Rückgrat war das Lukkas, und Lukka stand auf seinen Beinen, Glissa überragend. Lukka verfügte immer noch über seine scharfkantigeren und gewandteren Arme, aber auch die Arme des Phyrexianers sprossen nun als zweites Paar mit größerer Reichweite aus ihm hervor. Er hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass seine Waffe ein Teil von ihm war – jetzt war sie es. Er stach auf Glissa ein und sie tanzte mit einem hellen, ermunternden Lachen rückwärts die Flimmerhaare hoch.
Lukkas Duell mit Glissa hatte ihn näher an das zwischen Nissa und Vorinclex herangeführt. Nissa hatte sich nicht schlecht geschlagen. Aus einem Dutzend Schnitten am Körper des Prätors blutete Wundsekret.
„Erledigt – die Elfe“, krächzte Vorinclex.
Nissa warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Dann schaute sie erneut hin, voller Abscheu und Schrecken. Sie wich zurück. Sie war in der Unterzahl, und sie wusste es.
Lukka rückte auf Nissa vor. Er war eins mit dem Zentaurenmoloch, und in dieser Kombination waren sie beide mächtiger. Nissa zog sich vorsichtig zurück. Zorn und Furcht lösten den Schrecken auf ihrem Gesicht ab. Endlich fürchtete sie ihn. Respektierte ihn.
So sollte es sein. Die Starken triumphierten über die Schwachen. So war das Leben nun einmal. Das verlieh dem Leben erst seine Bedeutung. Er hatte diese Lektion gelernt, als er als Bynder offenbart wurde und seine Leute sich gegen ihn wandten. Er wusste schon immer, dass er der sein wollte, der zuschlug, und nicht der, der geschlagen wurde, denn in dieser Welt gibt es nur zwei Arten von Leuten. Es gibt jene, die einstecken, und jene, die austeilen. Nissa zog sich stetig weiter in Richtung des Gangs zurück, durch den sie in Vorinclex’ Kammern gelangt waren. Sie hatte ihr Schwert erhoben, um einen Schlag von ihm parieren zu können. Es sah so aus, als überlegte sie, ob sie im Jäger-Labyrinth bleiben oder an einen anderen Ort weltenwandern sollte. Er musste sie jetzt erwischen, bevor sie entkam. Er hob die Hände, begeistert von deren scharfen Kanten, und rückte auf Nissa vor – er brauchte keine Waffe, er war die Waffe.
Die Wanderin materialisierte sich zwischen ihm und Nissa wieder und hob ihr Schwert instinktiv zu einer Parade. Seine Hände prallten darauf, aber sie fing den Schlag mit ob seiner Wucht zusammengebissenen Zähnen ab und stieß ihn zurück.
„Lukka?“ Dann schlug auch ihre Kampfeswut in Verwirrung um. „Nissa, lauf!“
Nissa warf ihm einen schmerzerfüllten, wütenden Blick zu.
Und dann lief sie los.
„Bei den neun Höllen, nicht schon …“, sagte die Wanderin und verschwand mit einem Flimmern.
Glissa lächelte ihm zu. Der sichtbare Mechanismus entlang ihres Kiefers und ihrer Wange offenbarte ihre wilde Schönheit. Er hatte sich das verdient. Er hatte aufgrund seiner Fähigkeit, sich an Tiere zu bynden, schon immer gewusst, dass er anders war. Er hatte schon immer gewusst, dass er besser war. Er könnte nach Hause zurückkehren, und es würde auf jener Welt kein Monster mehr geben, das ihn herausfordern konnte.
Er war endlich zu sich selbst geworden, zu dem, der er sein sollte.
„Halt“, sagte Glissa. Lukka hielt inne und wartete auf weitere Anweisungen. „Finde die Elfe, Lukka. Aber töte sie nicht. Sie wird Neu-Phyrexia in dem Krieg, der uns bevorsteht, nützlich sein.“
Neben sich hörte er Vorinclex’ tiefes, knurrendes Gelächter. Er spürte die indirekte Freude, die sein Selbstvertrauen Glissa bereitete, und fühlte, wie er lächelte. Das Jäger-Labyrinth war weitläufig, wunderschön und schrecklich – und es war Zeit, auf die Jagd zu gehen.