An ebenjenem Ort
Was bisher geschah: Frei
Chandra und Nissa machten sich mithilfe von Frau Pashiris Kontakten auf Kaladesh auf die Suche nach Chandras Mutter Pia. Anstatt sie jedoch tatsächlich zu finden, gerieten sie in eine Falle in einem unterirdischen Gefängniskomplex des Konsulats. Nur die rechtzeitige Ankunft des Leoniden-Planeswalkers Ajani rettete sie vor einer tödlichen Entscheidung. Besorgt über Tezzerets Anwesenheit auf Kaladesh, war Liliana ohne die anderen fortgegangen, während der Rest der Wächter – Jace und Gideon – auf Ravnica geblieben waren.
RAVNICA
Das Karnarium war belebt, laut und voller Bewusstseine. Gaukler schwangen mit blitzenden Zähnen an langen, an der Decke befestigten Ketten. Jace saß in der mittleren Reihe, außerhalb der Reichweite der Akrobaten und Feuerspucker, aber dennoch voll im Gelächter und im Lärm.
Der Izzet-Magier, der neben ihm saß, trug einen Mizzium-Handschuh, der von Energieströmen durchflossen war. Jace spürte die Besorgnis hinter Ral Zareks elektrischer Aura. Er öffnete ein mentales Ohr zum Bewusstsein des Magiers.
„Der Gildenbund ist ein –", war der laute und klare Gedanke in Rals Geist, gefolgt von einer vielfarbig vulgären und verblüffend bildhaften Salve aus Verwünschungen.
Jace seufzte hörbar.
Ral lachte verhalten. „Ich wollte nur sehen, ob Ihr wirklich meine Gedanken lesen könnt."
„Test erfolgreich", dachte Jace. Er wandte den Blick der Bühne und den Rakdos-Gauklern zu. Nur ein ganz gewöhnlicher Zuschauer, fest in Lärm gehüllt. „Wir hätten das auch in der Halle des Gildenbundes tun können, wisst Ihr? Es sei denn, Ihr wolltet Euch wirklich eine Vorstellung ansehen."
„All Eure offiziellen Besucher werden erfasst und vermerkt", dachte Ral. „Es ist nicht sicher."
Also war Ral nicht als besorgtes Mitglied der Izzet-Gilde hier. Er wollte mit Jace als Planeswalker sprechen. „Worum geht es denn dann?"
„Ein ungewöhnliches Weltenwandeln." Rals Bewusstsein zögerte – entweder weil er seinen Worten Nachdruck verleihen wollte oder um zu überlegen, wie er den nächsten Gedanken formulieren sollte. „Irgendjemand hat Ravnica auf eine Weise verlassen, die ... anormal ... war."
„Was? Wer? Woher wisst Ihr das?"
„Ihr habt die Wolken draußen gesehen, Beleren. Lasst mich doch nicht die ganze Arbeit machen."
„Na geht doch."
Jace runzelte die Stirn. „Ich dachte, das wurde eingestellt, nachdem wir die Ergebnisse sabotiert haben."
„Offiziell ja." Rals Gedanken begannen, um sich selbst zu kreisen. Bilder magisch erzeugter Gewitter und empfindlicher Sensormechanismen trieben durch sein Bewusstsein, gemeinsam mit Erinnerungen an das sorgfältige Ersinnen von Halbwahrheiten, während Niv-Mizzets heißer Atem über ihn hinwegstrich.
Jace kam nicht umhin, den Blick zur Seite zu wenden, um Rals Gesichtsausdruck zu sehen. Sorge legte die Stirn des Mannes in Falten.
Rals Bewusstsein fuhr fort: „Die Detektoren schlagen noch immer an, wenn jemand weltenwandelt. Von Zeit zu Zeit sehe ich mir die Ergebnisse an, aber meistens verberge ich sie einfach nur vor Niv-Mizzet und meiner Gilde. Ich wandte mich erst an Euch, als ich Vraskas Weltenwandeln bemerkte."
Jace war deutlich unbegeistert, den Namen der Gorgo zu hören.
„Sie hat Ravnica verlassen", dachte Ral. „Ohne Ziel."
„Ohne Ziel?"
„Sie ist nicht zu einer Welt gereist. Sondern nur von einer fort."
„Das ergibt keinen Sinn."
„Ganz genau."
„Ein Fehler der Detektoren?"
Ral winkte ungeduldig ab. „Das Experiment ist hervorragend verlaufen. Die Muster der Abreise waren authentisch, aber der Endpunkt wurde als Anomalie aufgezeichnet. Vraska wurde seither nicht mehr gesehen. Als wäre sie ins Nichts gereist."
Jace sah das elektrische Muster in Rals Bewusstsein – das aufgezeichnete Weltenwandeln, das ganz klar an einem Punkt endete, an dem sich nichts befand. Er spürte, wie sehr das Ral Sorgen bereitete. Kein anderer Befund in seinem Experiment hatte dieses Muster ergeben.
„Das ist faszinierend", dachte Jace. „Augenblick. Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr immer noch sehen könnt, wenn ich Ravnica verlasse?"
„Erst nach Zendikar, dann nach Innistrad, richtig?" Ral schaute noch immer den Gauklern zu, doch seine erhobenen Augenbrauen galten allein Jace. „Werdet Ihr diesmal länger bleiben? Oder müssen wir damit rechnen, dass Ravnica schon bald erneut ohne seinen Gildenbund auskommen muss?"
„Das ist ... Ähm ... Ral, hört zu –"
Ral stand auf, um zu gehen. „Ich dachte jedenfalls, dass Ihr davon erfahren solltet. Vraska hielt nicht sonderlich viel von Euch, wenn ich mich recht entsinne."
„Ich ... Danke. Ral, wartet."
Jace kletterte über verärgerte Zuschauer hinweg und folgte Ral aus dem Theater. „Ral ..." Auf der Straße schloss er endlich zu dem Izzet-Magier auf.
„Hört auf, Euch Sorgen zu machen", sagte Ral und wedelte mit dem Handschuh. „Ich verrate nicht all Eure Geheimnisse. Bedenkt nur, dass es jene gibt, die liebend gern genau die Position innehätten, die Ihr Euch erschlichen habt. Vielleicht solltet Ihr Euch etwas mehr anstrengen, solange Ihr noch hier seid, ja?"
„Das werde ich", sagte Jace. Dann dachte er an Lavinia, die davon überzeugt war, dass Jace in diesem Augenblick in seinem Arbeitszimmer war, über einen Stapel Papiere gebeugt, um seinen Pflichten bei der Aufrechterhaltung des zerbrechlichen Gleichgewichts zwischen den Gilden nachzukommen. Oder vielleicht hatte sie die fleißige Illusion bereits bemerkt, die er zurückgelassen hatte, und schrie gerade „GILDENBUND!", wie sie es immer tat.
Ein Finger tippte auf Jaces Schulter. Er drehte sich um und Liliana stand vor ihm, umgeben vom schwachen Duft einer anderen Welt.
Sie warf Ral einen Blick zu und schaute Jace mit Grabesmine an. „Du. Kaladesh. Gehen wir."
Ral verschränkte die Arme und hob diese vielsagenden Brauen so hoch es nur ging.
Jace knirschte mit den Zähnen und sagte grummelnd: „Das ist kein guter Zeitpunkt."
„Mir doch gleich", sagte Liliana. „Das hier ist wichtiger." Sie hob gebieterisch die Schultern, aber Jace fiel auf, dass sie mit den Füßen wippte. Ihr übliches, leicht grausames Necken war durch kurze, barsche Forderungen ersetzt worden.
„Hast du Chandra gefunden?"
„Ich habe jemand anderen gefunden", sagte sie. „Tezzeret. Am Leben und wohlauf."
Jace sah sich plötzlich außerstande, kräftig zu schlucken, und hustete erstickt.
Liliana funkelte den Himmel, die Pflastersteine und die Räder eines vorbeifahrenden Händlerkarrens an und sah im Grunde überall hin, außer zu Jace. Sie sprach mit tiefer Stimme: „Ich weiß. Ich bin genauso unglücklich damit, dich zu fragen, wie du. Hätte ich irgendeine andere Wahl ... Pass auf. Komm nach Kaladesh. Bring den Fleischklops mit."
Ehe Jace antworten konnte, begann ihre Gestalt durchschimmernd zu werden. Es sah ihr nicht ähnlich, mitten auf der Straße vor jemandem, den sie nicht kannte, eine Welt zu verlassen. Als sie fort war, blickten Jace und Ral einander an. Jace hatte Mühe, Worte zu finden.
„Lasst mich raten, Gildenbund", sagte Ral. „Ihr ..." Jace zuckte mit den Schultern und breitete die Hände in völliger Ermangelung einer brauchbaren Entschuldigung aus. „... müsst gehen." Jace zog ein winziges Stückchen die Schultern hoch.
Ral warf Jace einen finsteren Blick zu, schüttelte den Kopf und ging davon. Jaces Verstand ersann eine Reihe möglicher Erklärungen, doch keine davon schien angemessen. Stattdessen sammelte er sich, holte Atem und machte sich in eine Gasse auf, um Gideon zu holen.
KALADESH
Nissa suchte nach den Wachen. Es schien, als wären sie für den Augenblick sicher – sie und Chandra, die gemeinsam mit Frau Pashiri und dem großen Katzenmann unter einer Brücke haltgemacht hatten. Keine Soldaten des Konsulats, keine Dhund-Agenten – nur das Summen der Stadt um sie herum. Eines dieser gewaltigen, schweren Fahrzeuge ratterte über die Brücke über ihnen. Sonnenlicht flackerte über die Lücken in den Gleisen. Nissa keuchte ob des Gewirrs aus Licht und Klang, aber zumindest waren sie Barals Falle entkommen.
„Das war eine gute Sache, die du da getan hast, Ajani", strahlte Frau Pashiri, blies die Wangen auf und hielt sich an einem Büschel Fell an seinem Bizeps fest, um auf den Beinen zu bleiben. „Danke."
„Du hast mir einen Schrecken eingejagt, Großmutter", grollte Ajani sanft.
„Danke, Ajani", sagte Nissa. Sie hatte noch kein Wesen wie ihn auf Kaladesh gesehen und fragte sich, wie sie ihre knifflige Frage wohl am besten stellte. „Bist du schon ... lange hier?"
„Dort, wo ich herkomme, bin ich weniger ... auffällig", sagte Ajani und legte sich seinen Umhang um die breiten Schultern. „Wir haben Tezzerets Bewegungen von hier aus seit Wochen verfolgt."
Frau Pashiri tätschelte Ajanis große Tatze. „Chandra suchte ebenfalls nach jemandem. Ihre liebe Mutter Pia. Sie wurde von Tezzerets Soldaten gefangengenommen."
Nissa blickte Chandra mit wachsender Sorge an. Die Pyromagierin tigerte wie ein aufgeregtes Schaupferd umher und trat gegen die Mosaiksteine auf der Straße.
„Ich bringe Großmutter Pashiri in Sicherheit", sagte Ajani. „Und dann sollten wir uns aufteilen und unsere Suche über die Stadt ausdehnen."
„Gut", sagte Nissa. „Wenn wir alle zusammenarbeiten, werden wir sicher eine Vorstellung davon bekommen, wo sie ... Wo sie vielleicht .... Chandra, was ist los?"
Chandra war zu einer Flammensäule geworden. Sie stand stocksteif da und schaute zur anderen Straßenseite. Ihr Haar stand in Flammen. Sie folgten ihrem Blick an den Seiten der Türme hinauf.
Die Banner hatten sich entrollt und entfalteten sich mithilfe irgendeines Mechanismus entlang der Türme. Sie waren groß und identisch und überlebensgroß mit einem Bildnis aus schwungvollen Linien bedruckt. Ein stilisierter Oberster Preisrichter Tezzeret stand hoch erhoben inmitten von Säulen aus Licht. Über seinem Kopf spannten sich gewaltige Buchstaben. „ERFINDER! KOMMT UND WERDET ZEUGE DES SCHAUSPIELS DES JAHRHUNDERTS!"
In einer Ecke des Banners leuchtete von hässlich gezackten Linien umgeben eine Karikatur Pia Nalaars.
Die Buchstaben darunter verkündeten: „DER OBERSTE PREISRICHTER TEZZERET TRITT DER VERBRECHERISCHEN RENEGATIN PIA NALAAR ENTGEGEN. DER ULTIMATIVE KAMPF DER GENIALITÄT. DIE GROSSE AUSSTELLUNG."
Und weiter stand da: „MORGEN ZUR MITTAGSSTUNDE."
„Chandra", sagte Nissa sanft.
„Er fordert mich heraus", sagte Chandra. „Ich muss mich ihm stellen."
„Das tut er. Aber wir sind gerade erst einer Falle entkommen ..."
„Meine Mutter ist am Leben. Das ist alles, was zählt."
Nissas Blick pendelte zwischen Frau Pashiri und Ajani hin und her.
Ajani nickte. „Das ist alles, was zählt. Doch wir vier werden nicht genug sein, um ..."
Drei bewaffnete Soldaten des Konsulats überquerten die Straße und kamen auf sie zu. Einer von ihnen deutete geradewegs auf Nissa. „Da sind sie – da drüben!"
Instinktiv versuchte Nissa, die lebendigen Wurzeln unter der Straße zu erspüren, und bereitete sich darauf vor, sie wachsen und die Beine der Soldaten umschlingen zu lassen. Mit einem Blick nach oben fragte sie sich, ob sie die gesamte Brücke einreißen konnte, um ihre Flucht zu begünstigen. Ajani knurrte und griff nach dem Heft der großen Doppelaxt auf seinem Rücken. Chandra stand bereits in Flammen, aber ihre Finger krümmten sich, als sie sich zu ihnen umdrehte und kleine Kometen aus Feuer bereit machte. Selbst Frau Pashiri handelte: Sie zog einen kleinen Automaten hervor, der mit ineinandergreifenden Zahnrädern wirbelnd zum Leben erwachte.
Als sich die Soldaten näherten, verschwammen ihre Konturen jedoch und ihre Gestalten verblassten. Ihre Körper schienen wie Wasserfarben von einer Leinwand gewaschen zu werden, auf der dadurch nach und nach etwas anderes zutage kam. Als die sonderbare Verzerrung abebbte, sahen ihre Gesichter vertraut aus: Jace, Liliana und Gideon.
„Offenbar ist dies hier eine Angelegenheit für die Wächter", sagte Jace.
Nissa ließ ihren Zauber fallen und strich sich mit einer Hand übers Gesicht. „Eure Verkleidungen sehen ein bisschen zu überzeugend aus. Wir waren gerade dabei, euch sehr schwer zu verletzen."
„Wir versuchen nur, nicht aufzufallen", sagte Jace. „Wir hörten, dass Tezzeret hier ist?"
„Das ist er. Und er hat Chandras Mutter", sagte Ajani.
„Was macht denn der Leonide hier bei euch?", fragte Liliana und musterte Ajani.
„Was sind die Wächter?", fragte Ajani und blickte auf sie herab.
Anders als die Aberhunderte von anderen Thoptern, die über der Stadt kreisten, hing dieser eine Thopter einfach nur in der Luft.
Er sah genauso aus wie diese Aberhunderte von anderen Thoptern – mit den surrenden Rotoren und der Linse, die unter der gläsernen Hornhaut umherschwirrte. Dieser eine Thopter jedoch hatte auf seiner Route angehalten und schwebte in der Luft. Er richtete die Linse auf einige Menschen und menschenähnliche Geschöpfe auf der Straße, und eine winzige Messingblende schnappte schnell mehrfach auf und wieder zu. Eine Reihe interner Zahnräder und Prismen verwandelten die reflektierten Lichtbilder in kristallisierten Äther, der auf kleinen Kupferplatten gefror, welche an einer Trommel im Chassis des Thopters angebracht waren.
Zufrieden klappte dieser eine Thopter die Stabilisatoren ein, setzte die Hilfsrotoren in Bewegung und gewann an Höhe.
Der Thopter sauste über die Dächer und immer weiter, vorbei an einem Schwarm in V-Formation vorüberziehender Kraniche auf dem Weg gen Süden. Er winkelte die Flügelklappen an, um der Flugbahn eines besonders neugierigen Sceadas auszuweichen, stieg höher und höher hinauf, bis er auf einen dunklen Fleck am Himmel zuhielt. Eine kleine, runde Pforte öffnete sich im enormen, hölzernen Bauch des Luftschiffs Himmelsfürst. Die Himmelsfürst nahm den Thopter auf und verschlang ihn. Die Öffnung schloss sich sanft.
Der Thopter landete mit dem Bauch nach unten auf einer Reihe mechanischer Greifarme, die an einem Fließband befestigt waren. Seine Rotoren kamen surrend zum Stehen. Die Greifer umfingen den Thopter, als das Band ihn durch einen lichtlosen, mechanischen Schacht im Leib der Himmelsfürst beförderte. Plötzlich ließen sie los und den Thopter ins Licht rollen, wo er auf einem schnelleren Fließband durch die Aufklärungsbrücke der Himmelsfürst getragen wurde. Hier trudelte er und hüpfte von einem Fließband zum nächsten, bis er klickend an einem reich verzierten, metallenen Karussell andockte. Dieses begann sich zu drehen und beförderte den Thopter in menschliche Hände.
Konsul Kambal stellte den Thopter auf einem Schreibtisch ab. Er schnippte die Kappe eines Werkzeugs ab, wand es in den Bauch des Thopters und öffnete eine Platte. Er entfernte die Trommel mit den Bildern und hielt sie gegen das Licht. Bei jedem murmelte er vor sich hin. Er wählte ein besonderes aus – eines, das sein Ziel zeigte: Nalaar, die Tochter der Ersten Renegatin. Sie und ihre Kumpanen hatten die Banner entdeckt.
„Wo ist der Kurier?", blaffte Konsul Kambal.
Eine junge Frau erschien, die Hände an den Nähten ihrer Uniform. „Eine Nachricht, mein Herr?"
„Benachrichtigen Sie Inspektor Baan. Der Köder ist ausgelegt. Zur Konfiszierung bereithalten."
Pia schaute auf das Metall an ihren Handgelenken hinunter und dachte an ihre Tochter. Juwelenartige Handfesseln bissen in Pias Haut, genau wie sie damals in Chandras Haut gebissen hatten, an jenem Tag, als Chandra elf Jahre alt gewesen war. Pia lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand eines Wartungstunnels hinter der Arena, an die man sie gekettet hatte. „Hinter der Bühne."
So muss es auch für sie gewesen sein, dachte sie. Das Warten. Heiße Demütigung staute sich auf. Genau wie an jenem Tag würde ein Mann der Menge entgegenlächeln und einen metallenen Arm für ein Spektakel der Gewalt vorbereiten. Es war sogar dieselbe Arena. Pia vermutete, dass dies als besondere Schmähung für sie gedacht war. Dies war der Ort, an dem Chandra die Reihen nach ihrer Mutter abgesucht hatte, ehe sie dieser Welt entrissen worden war.
Pias größte Hoffnung war es, Chandra heute nicht in den Reihen zu sehen. Bleib einfach fort, liebe Tochter, dachte sie. Bleib in Sicherheit. Bleib am Leben. Die Banner verkündeten, dass es sich hierbei um ein Schauspiel im Flinkschmieden handelte: ein Duell der Erfinder mittels behelfsmäßiger Materialien zwischen dem Obersten Preisrichter und der berüchtigten Ersten Renegatin. Doch sie wusste, wie Lügen funktionierten. Tezzeret würde sie nicht nur für die Erfindermesse vorführen. Sie war ein Köder.
Sie konnte die Lautsprecher in der Arena durch die Wände hören. Ein Ansager verkündete, dass Rashmi beim Wettstreit den ersten Preis gewonnen hatte. Jubel brach los. Die Stimme des Obersten Preisrichters war ein knisterndes Beispiel brillanter Rednerkunst, als er all die Vorzüge des großen Privilegs beschrieb, an seiner Seite arbeiten zu dürfen. Mehr Jubel, wenn auch freudloser und von den Korridoren gedämpft.
Ein Offizier traf mit dem Klirren zweier Schlüsselringe ein. Pia blickte nicht auf, bis der Mann sprach. Sie hatte seine Stimme erkannt – sie war voller rauer Bosheit.
„Bereit, deine Rolle zu spielen, Nalaar?", fragte Baral und nahm die Maske ab. Die bleichen Brandnarben auf der einen Seite seines Gesichts verzerrten sein Lächeln und ließen seine Backenzähne hervorblitzen.
Pia zerrte kurz an ihren Fesseln, beherrschte sich jedoch rasch wieder. Eine Woge aus Abscheu durchströmte sie, aber sie hob das Kinn und schaute an ihm vorbei. „Warum auch immer du so sehr von meiner Familie besessen bist", sagte sie, „und welcher kranke Teil deines Verstandes dir auch immer einredet, dass unsere Bestrafung dir irgendwie auch nur einen Hauch von Würde und Wert verleihen würde – all das spielt keine Rolle. Denn nichts, was du tust, kann ihr ein Leid zufügen."
„Oh, du hast es bestimmt nur noch nicht gehört", tadelte Baral sie. „Sie haben nach dir gesucht. Traurigerweise am völlig falschen Ort. Der Rettungsversuch einer Tochter, der grässlich fehlschlug."
Sie warf ihm einen entsetzten Blick zu, erinnerte sich jedoch daran, dass sie das Gesicht eines Lügners vor sich hatte. Sie starrte wieder zur Arena und presste Worte durch die Zähne hervor, eines nach dem anderen. „Wenn du ihr auch nur ein Haar gekrümmt hast ..."
„Das werden wir beizeiten sehen, nicht wahr?", meinte Baral. „Wird sie hier sein? Wenn Tezzeret dich dort draußen demütigt, wird sie dir zu Hilfe eilen?"
Bleib einfach fort, Tochter, dachte sie. Bitte tu einmal, was deine Mutter dir sagt.
„Es ist Zeit, Erste Renegatin", sagte er. „Wenn du mir bitte folgen möchtest?"
Er nahm ihre Fesseln und zog, aber sie riss die Handgelenke nach hinten und ging aus eigener Kraft.
An einer kurzen Treppe, die in das Gleißen der vom Mondlicht erhellten Arena hinaufführte, hielten sie inne. Wachen des Konsulats geleiteten die Elfe Rashmi und eine Reihe anderer Erfinder an ihnen vorbei die Stufen hinunter. Sie waren in eine atemlose Diskussion vertieft. Aufregung schwebte über ihnen wie Duftwasser, so stark, dass sie nicht einmal bemerkten, wie Baral Pia die Fesseln abnahmen oder wie die Wachen sie sanft von ihren preisgekrönten Erfindungen trennten.
„Und nun, Freunde und Bürger", gurrte der Ansager. „Bleiben Sie bitte auf Ihren Sitzen für den letzten Akt der heutigen Ausstellung. Das Duell im Flinkschmieden, das zweifellos das Gesprächsthema der gesamten Messe sein wird. Lassen Sie mich den ersten Wettstreiter verkünden: Ihren ehrbaren Direktor der Messe ... den Obersten Preisrichter Tezzeret!"
Pia hörte den Jubel nun nicht einmal mehr. Ihre Gedanken rasten. Durch die Tür spähte sie auf die Tribünen. Sie konnte keine Renegaten entdecken, keine Chandra, niemanden, den sie kannte. Tezzerets Leute mussten die Eingänge streng bewacht und all ihre Verbündeten aufgehalten haben – vielleicht war sie doch kein Köder. Ihre einzige Hoffnung war es, so unterhaltsam wie möglich zu sein und das Publikum für sich zu gewinnen – alles zu tun, um einer Zelle und Handfesseln fernzubleiben.
„Ich bin so froh, dass ich hier sein kann, um das mitzuerleben", sagte Baral grinsend mit entblößten Backenzähnen. „Ich würde um nichts in der Welt die Gelegenheit verpassen wollen, mich zu verabschieden."
Was sollte das nun wieder bedeuten? Kälte breitete sich in ihrer Magengegend aus.
Der Ansager rief sie in die Arena. „Und nun, Freunde und Bürger, sein Gegner", dröhnte die Stimme. „Sie ist die verurteilte Ätherverbrecherin, die daran scheiterte, Ihnen Ihre Erfindermesse zu verderben ... Pia Nalaar!"
Baral trieb sie mit der stumpfe Seite einer Klinge an, und sie trat in einen Chor aus Jubel und Buhrufen. Sie ging auf ihre Position und musterte Tezzeret. Er stand auf der anderen Seite der Arena und machte sich nicht einmal die Mühe, die Zuschauer anzustacheln. Vor ihr stand ein Behälter, der mit einem bestickten Tuch abgedeckt war. Ein identischer Behälter stand vor Tezzeret.
Die Stimme des Ansagers begann als ein Flüstern und steigerte sich immer mehr zu einem manischen Kreischen. „Nun, in dieser historischen Arena, kommen wir zur finalen Herausforderung. Nun wird sich entscheiden, wer von diesen beiden der größte Erfinder ist. Schauen Sie genau auf dieses Duell, Bürger von Ghirapur, denn es wird wahrlich über das Schicksal unserer Stadt und unserer Welt bestimmen. Lasst das Duell ... beginnen!"
Pia zog das Tuch von dem Behälter und begutachtete rasch dessen Inhalt. Eine Ansammlung von Zahnrädern und Metallplatten. Ein paar Stücke geblasenen Glases. Eine einfache Ätherleitung. Einige rudimentäre Werkzeuge. Nicht viele Möglichkeiten. Nicht viel, was eine Menge spannend unterhalten würde.
Sie schaute kurz auf. Tezzeret wühlte bereits durch seine Bauteile. Er hatte schon etwas mit Beinen halb fertig gebaut. So schnell!
Sie rammte die Hände in den Behälter mit Bauteilen, und als sie das Metall berührte, erwachte ihre erfinderische Intuition. Sie nutzte ihre Stärken – Einrasten, Anpassen und Punktschweißen. Sie ließ die Komponenten ihr verraten, was sie sein wollten, so wie in ihren frühen Tagen als Erfinderin ... und langsam formte sich ein einfaches Gerät mit vier Flügeln. Sie verlieh ihm ein schmales Chassis der Geschwindigkeit wegen und einen Stachel als Nase. Wäre nur Kiran hier ... Er hätte für etwas mehr Wendigkeit sorgen und dem Publikum vielleicht etwas mehr bieten können, was nach seinem Geschmack war ...
Konzentriere dich. Bring es nur zum Fliegen.
Sie befestigte die Ätherleitung am Antrieb und der Thopter erwachte zum Leben – mit einem hörbaren „Ohhh!" des Publikums. Sie schickte ihn surrend Tezzeret entgegen und hoffte, dass er ihn ablenken würde, während sie an ihrem nächsten Entwurf arbeitete.
Tezzeret hatte bereits eine Art silbrigen Krabbler gebaut. Das Ding entrollte sich und wuchs, bis es ihn überragte und einen Unterbauch voller scharfer Zangen und Beine präsentierte. Die Zuschauer applaudierten frenetisch. Wie hat er das aus den vorgegebenen Teilen gebaut? Versucht er denn überhaupt, nicht zu betrügen? Der Thopter umkreiste Tezzeret. Sein Stachel schnitt um seinen Kopf herum durch die Luft. Tezzeret schlug ihn mühelos beiseite, während er den Krabbler auf sie zuschickte.
Flink fertigte sie einen einfachen Servo und schweißte ihm noch die Platten fest, als er schon auf den Krabbler zusauste, der vorwärts huschte und den Servo auseinanderriss. Pia hatte jedoch eine Überraschung darin verborgen: einen kleinen Zünder. Der Servo zerbarst in eine Kugel aus Rauch und Splittern und sprengte dem Krabbler die Beine weg. Eine starke Reaktion der Menge. Vielleicht kann ich mehr tun, als das Unvermeidbare hinauszuzögern. Vielleicht kann ich gewinnen.
Pia sprang vor, um Teile von Tezzerets Krabbler zu bergen. Wenig überraschend war er voller Teile, auf die sie keinen Zugriff hatte – und da waren sogar Metalle, die selbst sie nicht identifizieren konnte. Sie wühlte durch das Chassis und begann, es für eine andere Schöpfung auszuschlachten, immer in der Hoffnung, dass ihr Thopter ihren Gegner ablenkte.
Sie kämpfte weiter und verband Bauteile zu kühnen neuen Entwürfen. Doch ganz gleich, wie viel Gewitztheit in ihren Geräten steckte – Tezzeret erwiderte sie stets mit etwas, was schneller, stärker und robuster war. Sie war sich sicher, dass ihre Baukunst die seine bei Weitem übertraf, aber dennoch verschlangen seine Gräte ihre eigenen und zehrten ihren Vorrat an Bauteilen auf.
Sie drehte sich um, um zurück zu ihrem Behälter zu eilen, aber ein spitzes Metallbein stach sich in den Boden neben ihr und sie stolperte. Sie blickte auf und sah einen neu erschaffenen, krabbenartigen Automaten, an dessen Bein ihr Thopter aufgespießt war. Er flatterte schwach mit den Flügeln und regte sich nicht mehr.
Sie spähte zu Tezzeret hinüber. Er schlenderte in ihre Richtung und hob seine metallene rechte Hand. Metallstreifen bogen sich auf sein Geheiß in unnatürlicher Weise und wurden zu einer kleinen Schar weiterer Automaten mit scharfen Beinen. Sie erhoben sich, eine silberschultrige und gesichtslose Armee, die sie einzukreisen begann.
Das Publikum rief Tezzerets Namen und bejubelte seinen Sieg.
„Du hast verloren, Nalaar", sagte Tezzeret gerade laut genug, dass sie es hören konnte. „Und nun, an ebenjenem Ort, an dem deine Tochter Gerechtigkeit für ihre Verbrechen erfahren hat, werde ich Gerechtigkeit für die deinen üben."
Er hob den Arm und die Armee silberner Automaten marschierte auf sie zu. Das Metall auf der Brust des nächsten verformte sich zu einer spitzen Gliedmaße, die nur dazu geschaffen war, Dinge aufzuschlitzen. Tezzeret hielt den Arm hoch und blickte mit funkelnden Augen auf sie herab.
Er unterhält nicht nur die Zuschauer, dachte sie. Er wird mich töten.
Tezzeret ließ den Arm herniederfahren und seine metallene Schöpfung griff an. Pia versuchte, sich aus dem Weg zu rollen oder den unausweichlichen Hieb abzuwehren ...
Der Automat verbeulte sich, taumelte und krachte auf die Seite. Er rauchte aus einer heiß glühenden Wunde. Die Menge hielt den Atem an und wandte sich der Ursache des Defekts zu. Der Feuerstoß war aus den Reihen der Zuschauer gekommen – von einer verärgert aussehenden jungen Frau mit feurigen Haaren.
„Noch nicht!"
„Wie oft habe ich es dir jetzt schon gesagt, Jace?", dachte Chandra. „Nicht. Meine. Liebsten. Worte!"
Chandra sprang von den Tribünen auf den Boden der Arena. Der Illusionszauber hatte sein Möglichstes getan, sie zu verbergen, brach aber schimmernd zusammen, als sie ihre Pyromagie einzusetzen begann.
„Wir müssen verstehen, was hinter seiner Anwesenheit hier steckt", kamen Jaces drängende Gedanken. „Halte ihn beschäftigt!"
Ihre Mutter wirkte erstaunlich streng. „Chandra, verschwinde von hier. Sofort", sagte sie. „Es ist eine Falle!"
„Öhm, ja, ich weiß?" Chandra sammelte Mana für einen neuen Zauber. „Und ich bin hier, um dich aus ihr zu befreien."
„Das ist genau das, was er wollte!", herrschte ihre Mutter sie an. „Lass mich zurück und geh. Sofort, junge Dame!"
„Ich bin nicht mehr jung", erwiderte Chandra. „Und ich werde dich nicht noch mal verlieren!"
„Bist du es – die kleinere Nalaar?" Tezzeret rieb seine verschieden großen Hände aneinander. „Trittst du dem Wettstreit bei, den deine Mutter gerade verloren hat? Ach, wie rührend."
Chandra konnte sehen, wie sich die von dem Familiendrama entzückten Zuschauer überall um sie herum in ihren Sitzen vorbeugten. „Ich werde nicht gegen dich anschmieden, Tezzeret", sagte sie. „Aber ich werde dich besiegen."
„Aber hier?", gurrte Tezzeret. „In ebendieser Arena? Wagst du es, dich mir an demselben Ort zu stellen, an dem du beinahe –"
„JA", beharrte Chandra. „Ich hab‘s verstanden. Ich sollte hier hingerichtet werden. Sehr poetisch. Können wir jetzt bitte kämpfen?" Sie konzentrierte sich auf einen Punkt auf ihrer Handfläche und eine Kugel aus Feuer wuchs in ihrer Hand.
Ein Raunen ging durch das Publikum. Soldaten des Konsulats eilten herbei, um Chandra zu umzingeln und zu verhaften. Tezzeret jedoch hob die Hand, um ihnen Einhalt zu gebieten. Er beriet sich kurz mit einem der Soldaten, entließ ihn dann und wandte sich erneut Chandra zu. Seine Automaten drehten sich wie Marionetten mit ihm.
„Ich werde mich dir stellen, Kind", verkündete Tezzeret nun für das Publikum. Seine Automaten machten einen Schritt vorwärts. „Doch nur du allein gegen mich wäre wohl kaum ein gerechter Kampf."
Chandra spaltete ihre Feuerkugel und ihre beiden Fäuste standen in Flammen. „Niemand hat irgendetwas von einem gerechten Kampf gesagt."
Ein Schar Illusionen löste sich hinter Chandra auf, und einer nach dem anderen enttarnte sich eine Gruppe Planeswalker.
Ihre Gefährten zogen die Waffen und bereiteten Zauber vor. Chandra bemerkte, dass Tezzeret seinerseits einen kaum wahrnehmbaren Schritt rückwärts machte.
Nach einem Augenblick des Schweigens erhoben sich die Zuschauer unter einer Kakophonie aus Rufen aus ihren Sitzen. Soweit es diese Leute betraf, dachte Chandra, war dies alles nur Teil des Schauspiels, das dramatische Finale der Messe. „Erledige sie, Oberster Preisrichter!", rief jemand. „Tretet ihm in den Hintern, Renegaten!", erwiderten andere. Ein paar Stimmen riefen aus: „Tezzeret betrügt!"
„Chandra", erklang Jaces Stimme in ihrem Kopf. „Ich glaube, seine Automaten blockieren irgendwie meine Telepathie. Du musst uns irgendwie dichter heranbringen."
„Also Metall in die Luft jagen", dachte Chandra. „Alles klar."
Sobald sie sah, dass Ajani und Gideon vorstürmten, um ihre Mutter zu schützen, streifte Chandra alle Hemmungen ab. Feuer flog und rammte wie Fäuste in Tezzerets Maschinen, um sie der Reihe nach zu Boden zu schicken. Ein Automat schmolz auf der Stelle. Einer kam nahe genug heran, um nach ihrer Seite zu schlagen und ihr einen Kratzer an der Wange zu verpassen, wurde aber sofort zum Herzstück eines spontan gewachsenen Rankengartens.
Nach einem Wink von Tezzerets gekrümmter Metallklaue bog sich Metall und formte sich zu neuen Mechanismen, die unter Chandras Feuerstößen davonkrochen und sich aus Nissas Ranken befreiten. Als sie näherkamen, teilte Chandra Faustschläge aus, die zu Feuerstößen wurden. Sie war sich vage bewusst, dass Gideon und Liliana ihre Flanke schützten und Ajani und Nissa einen verirrten Automaten erledigten, der ihre Mutter bedroht hatte.
Die Zuschauer brauchten einen Augenblick, sich für eine Reaktion zu entscheiden. Offenes Zauberwirken ohne mechanische Hilfsmittel war selten auf Kaladesh. Doch dann konnte Chandra hören, wie sie beschlossen, dem Spektakel zuzujubeln.
Tezzeret stolperte zurück, und zum ersten Mal glaubte Chandra ein Zögern vor seinem nächsten Angriff zu sehen. Sie wandte ihre Gedanken an Jace. „Hast du ihn schon lesen können??"
„Nein", dachte Jace. Sein mentaler Zustand ließ das Wort wie einen Fluch klingen. „Irgendetwas blockiert mich immer noch."
„Beeil dich!"
„Er ist zu abgeschottet", erwiderte Jace. „Wir haben deine Mutter. Ich glaube, wir sollten jetzt gehen."
Chandra blickte zu ihrer Mutter und dann wieder zu Tezzeret. „Ich glaube, ich sollte dem allem ein Ende machen. Gleich hier.. Die Flamme in ihrer Faust erstreckte sich nun über ihren Arm, und ihr Blick war vom Feuer verzerrt.
Jaces Gedanken klangen warnend. „Chandra, wenn er daran gedacht hat, sein Bewusstsein zu verschließen, dann war er hierauf vorbereitet. Er wusste, dass wir alle kommen würden. Wir haben einen Fehler gemacht ..."
Chandras Faust schloss sich und verdichtete das Feuer zu einem winzigen Punkt blendender, sengender Hitze. Sie biss die Zähne zusammen und zitterte. „Ich könnte einfach ..."
Lilianas Gedanken durchdrangen die Telepathie laut und klar: „Erledige ihn."
Ein gewaltiger Schatten glitt über die Arena und Chandra blickte auf, um zu sehen, wie das Luftschiff Himmelsfürst den Himmel verdunkelte. Sein majestätischer Rumpf überschattete die gesamte Arena, als es mit dem dröhnenden Brummen seiner Motoren in der Luft schwebte. Ein gewaltiges Geschütz drehte sich an seiner Unterseite. Es knisterte vor Äther und zielte nach unten. Es feuerte nicht, aber es drohte zu feuern.
Mit einem breiten Grinsen verkündete Tezzeret der Arena: „Und damit ist die Erfindermesse beendet. Zu den brillanten Erfindern dieser Welt sage ich: Danke." Er verneigte sich anmutig und erhob sich auf einer Säule aus filigranem Stahlgeflecht vom Boden.
Ein Panharmonikon spielte eine Hymne, und festliches Feuerwerk leuchtete über den Türmen um das Stadium herum auf. Die Geräusche klangen grell und eigenartig vor dem vollkommenen Schweigen der Menge.
Chandras Blick huschte zwischen dem heißen Punkt in ihrer Handfläche und Tezzerets höher aufsteigendem Gesicht hin und her. Er zog sich zurück. Nachdem er ihre Mutter bedroht hatte, entkam er nun.
„Es ist vorbei", Nissa leise neben ihr, und Chandra war verblüfft, wie verzweifelt sie darauf gehofft hatte, dass ihr das jemand sagte. „Ein anderes Mal. Es ist vorbei."
Chandra nickte ihr zu und unterdrückte eine brausende Woge aus Dankbarkeit und Erleichterung. Das verdichtete Feuer in ihrer Hand löste sich in Nichts auf.
Als elfjähriges Kind hatte Chandra quer durch diese Arena geschaut, die Reihen abgesucht und sich an die schwache Hoffnung geklammert, das Gesicht ihrer Mutter zu entdecken. Es war ihr nie gelungen. In diesem Augenblick schaute sie erneut quer durch die Arena und sah sie einfach dort stehen.
Ihre Mutter breitete die Arme aus. Chandra rannte auf sie zu und warf sich hinein.
Chandra hatte sich diesen Augenblick wohl tausende Male ausgemalt, während sie auf das rauchende Vulkangestein des Keralberg-Klosters geblickt hatte. Hätte sie nur einen Augenblick mit ihrer Mutter – wie wäre das wohl? Würde sie noch immer leicht nach Schweißerfett und Rosenblüten duften? Was würde sie sagen? Welche bedeutsamen Worte könnte sie denn nur finden, die ihre Zuneigung, ihre Dankbarkeit und ihr Sehnen ausdrückten, wieder daheim bei ihr und in Sicherheit zu sein?
Sie öffnete den Mund, ihr Blick verschwamm und alles, was aus ihr heraussprudelte, war: „Mutter ... es tut mir leid."
Ihre Mutter murmelte tröstliche Worte in ihr Haar, zog sie zu sich heran und drückte sie innig.
Über ihnen stieg Tezzeret höher und höher. Das Stahlgeflecht entfaltete sich weiter und weiter, um ihn in die Luft zu heben. Die Himmelsfürst empfing ihn in ihrem Rumpf, der sich hinter ihm wieder schloss. Das Panharmonikon spielte noch immer seine hohle Feiermusik. Das Publikum verstummte, als die Himmelsfürst langsam wendete und davonflog und der Himmel wieder heller wurde.
Erst als die Menschen die Arena zu verlasen begannen, hörte Chandra sie protestierend rufen. Sie bewegte sich durch die Menge, den Arm um ihre Mutter gelegt, und die anderen folgten ihr hinaus. Sie bemerkte die neuen Strähnen von Eisengrau im dunklen Haar ihrer Mutter und die Falten in ihrem Gesicht, als die Menge angespannt auszusehen begann und sich nach und nach lautstarke Panik ausbreitete.
Eine Frau mit verschlungenen goldenen Verzierungen um ihr Kleid herum tauchte auf und blickte Chandra und deren Mutter geradewegs an. „Meine Name ist Saheeli Rai", sagte sie, „und ich muss mit Ihnen sprechen. Und mit Ihnen auch, Madame." Ihre Miene war todernst.
„Was gibt es?", fragte Chandra. „Was ist denn los?"
„Die Erfindungen. Sie sind fort."
„Was?", machten Pia und Ajani gleichzeitig.
„Ich glaube, sie haben Rashmi und die anderen mitgenommen", fuhr Saheeli fort. „Zusammen mit jedem Gerät, das auf dem Wettstreit vorgeführt wurde. Die Siegererfindungen. Die Herzensprojekte. Rashmis Durchbruch. Alles ist fort. Mitgenommen. Ich habe gesehen, was Sie auf der Messe getan haben ... Können Sie helfen?"
Nun konnte Chandra verstehen, was die Menschen um sie herum riefen. Sie waren Erfinder, Teilnehmer am Wettbewerb. „Meine Schöpfung!" „Ich habe alles in diesen Entwurf gesteckt!" „Wie konnten sie ihn einfach mitnehmen?" Zahlreiche Soldaten des Konsulats und Automaten kamen näher. Sie konnte sich nicht erinnern, beim Betreten der Arena so viele Sicherheitskräfte gesehen zu haben.
„Das war Tezzerets Plan", sagte Pia stirnrunzelnd. „Das alles war nur eine einzige gewaltige Ablenkung."
„Wir müssen dieses Stadium verlassen und uns neu sammeln", sagte Jace. „Und dann müssen wir ihn aufhalten. Er hat irgendetwas vor."
Ajani grollte tief. „Er bautirgendetwas."
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