In der heutigen Kolumne spreche ich über eine der größten Ängste, die den Menschen umtreiben. Ich meine damit nicht Höhenangst oder die Angst, vor größeren Gruppen sprechen zu müssen, sondern etwas, worüber man seltener redet: die Angst vor der leeren Seite. Ein Schöpfungsakt besteht darin, etwas herzunehmen, was noch nicht existiert, und ihm eine Existenz zu verleihen. Die Idee, mit nichts anzufangen, schüchtert allerdings viele Menschen stark ein. Deshalb habe ich auch vor ein paar Monaten einen „Drive to Work“-Podcast gemacht („Creative Process Part 1 and Part 2“), in dem ich den kreativen Prozess grob umrissen habe. Ich habe schon viele Podcasts gemacht, die auf „Making Magic“-Artikeln basierten, und insofern fühlte es sich nur richtig an, auch endlich mal einen Artikel zu schreiben, der auf einem meiner Podcasts basiert.

Ich möchte mit einer kleinen Klarstellung beginnen: Was nun folgt, ist ein wirklich sehr grober Umriss, der all den Leuten helfen soll, die eine vernünftige Handreichung brauchen, um zu verstehen, wie man einen kreativen Prozess in Angriff nimmt. Wie bei allen derartigen Einführungen werden die Dinge hier und da etwas vereinfacht dargestellt, damit man zumindest die ganz grundlegenden Faktoren begreift. Es gibt viele Arten und Weisen, dieses Problem anzugehen, und mein Ansatz ist nur einer unter vielen, aber ich habe versucht, ihn so auszugestalten, dass er einem eine gewisse Struktur vorgibt. Genug der Vorrede. Stürzen wir uns ins Thema.

Schritt Eins: Legt am Anfang einen Schwerpunkt fest

Von allen Schritten in diesem Prozess ist der erste meiner Meinung nach der schwerste, weil man bei jedem folgenden dann von einer bereits bestehenden Grundlage aus arbeitet. Wie fängt man denn nun mit nichts an? Die Antwort darauf ist recht simpel: Das muss man gar nicht. Eine Methode, ein kreatives Unterfangen zu beginnen, ist die, sich einfach irgendetwas Beliebiges als Ausgangspunkt zu wählen. Dabei kann es sich sogar um etwas vollkommen Zufälliges handeln.

Eine herkömmliche Übung in Malkursen ist zum Beispiel die, dass man als Teilnehmer einfach einen Farbklecks irgendwo auf eine leere Leinwand macht. Die Idee dahinter ist, dass nichts von vornherein geplant sein soll. Man schafft in dem Medium, in dem man gerade arbeitet, ein reines Zufallselement, das man dann benutzt, um die weitere Arbeit darauf aufzubauen. Man malt oder zeichnet anschließend das, wozu einen dieses Zufallselement inspiriert. Danach stellt man fest, dass jede dieser Inspirationen die nächste anstößt, und am Ende hat man ein fertiges Bild.

Das soll nicht bedeuten, dass man nicht mit einer bereits bestehenden Idee anfangen kann, wenn man denn schon eine hat – aber wenn man eben keine hat, kann man auf wirklich alles zurückgreifen, selbst wenn es etwas Zufälliges ist. Eine Menge Leute werden sich nun gegen diese Vorstellung zieren, da sie ihre Kunst nicht der reinen Zufälligkeit überlassen wollen. Meine Antwort darauf lautet: Der kreative Prozess ist alles andere als zufällig. Man baut am Anfang immer zwangsläufig auf den eigenen Ideen und Impulsen auf. Die Kunst, die man schafft, ist im Grunde stets etwas Ureigenes, und – jetzt kommt das Entscheidende – dieser Ausgangspunkt muss nicht das sein, was endgültig darüber bestimmt, was man tut. Es ist eben nur etwas, womit man anfangen kann. Wie ihr noch sehen werdet, unterzieht sich der kreative Prozess einer ständigen Selbstreflexion und ihr werdet euren Schwerpunkt noch des Öfteren verlagern. Will meinen: Sobald ihr erst einmal herausgefunden habt, was eure Kunst mit euch vorhat, werdet ihr euch auch in exakt diese Richtung bewegen.

Das Wichtigste an diesem Schritt ist, den Prozess in Gang zu bringen und etwas zu tun, auch wenn man noch nicht so genau weiß, was man da eigentlich tut. Ein Schöpfungsakt ist ein längerer Prozess, im Zuge dessen ihr irgendwann noch herausfinden werdet, was ihr da genau treibt. Es ist nicht wichtig, dass man schon ganz am Anfang alles weiß. Meine beste Metapher hierfür ist das College. Die meisten Leute gehen aufs College, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, was sie später einmal beruflich machen wollen. Und die Colleges wissen das. Viele Studenten haben am Anfang noch nicht einmal ein festes Studienfach. Tatsächlich muss man sich auf den meisten Colleges erst für ein Hauptfach entscheiden, wenn man die Hälfte seiner Studienzeit schon hinter sich gebracht hat. In den ersten beiden Jahren geht es einzig und allein darum, sich zu orientieren und ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Kurse man gerne nehmen möchte. Indem man diesen Umständen ausgesetzt ist, gewinnt man nach und nach ein Gespür dafür, was man mag und was man nicht mag. Man kann jeden künstlerischen Prozess ohne klare Festlegung beginnen, wenn man möchte. Unterwegs stellt man schon irgendwann fest, was man vorhat.

Da es sich hier um eine Kolumne zum Magic-Design handelt, werde ich für jeden einzelnen Schritt darlegen, wie er sich auf das Design eines Magic-Sets übertragen lässt. Ich lege meinen Schwerpunkt dabei auf das erste Set in einem Block, da die späteren Sets ja das erste haben, um darauf aufzubauen. Ich habe für jeden Block irgendeine Art von Ausgangspunkt. Das kann eine Top-down-Idee sein (wie klassische Schauergeschichten für Innistrad oder griechische Mythologie für Theros). Es kann eine Idee für Mechaniken sein (wie Landmechaniken für Zendikar oder „Artefakte sind wichtig“ für Mirrodin). Es kann eine Idee sein, die auf einer größeren strukturellen Einheit beruht (wie Boosterdraft für den Khane von Tarkir-Block). Ich brauche am Anfang nur irgendeine Art von Fokus. Wie ihr später noch sehen werdet, lande ich am Ende nicht immer unbedingt dort, wo ich angefangen habe.

Pfad der Tapferkeit | Bild von Chris Rahn

Schritt Zwei: Erzeugt auf Grundlage eures Schwerpunkts tonnenweise Ideen

Da ihr nun ja einen Ausgangs- bzw. Schwerpunkt habt, ist es an der Zeit, sich so viele von diesem Schwerpunkt inspirierte Ideen einfallen zu lassen wie nur irgend möglich. Wie ich noch erklären werde, ist der kreative Prozess eine Wiederholungsschleife: Man erzeugt Inhalte auf der Grundlage eines Fokus, gelangt durch die Beurteilung dieser Inhalte zu einem neuen Fokus und durchläuft dann diese Schleife so oft wie nötig. Während der Phasen, in denen ihr Inhalte erzeugt, habt ihr nur eines vor: von eurem Schwerpunkt ausgehend – ganz egal, wie immer dieser auch aussehen mag – eine möglichst große Zahl an Ideen zu entwickeln. Ihr versucht einfach mit eurem Fokus als Inspiration, euch alles Mögliche auszudenken. Beachtet bitte, dass das Ziel hier darin besteht, möglichst viele unterschiedliche Dinge zu entwickeln. Daher ist es auch in Ordnung, sich eine Weile lang auf ein bestimmtes Gebiet zu konzentrieren – solange ihr insgesamt für eine gesunde Mischung sorgt und viele verschiedene Bereiche ausprobiert.

Lasst mich an dieser Stelle auf einen weiteren wichtigen Aspekt eines jeden Schöpfungsakts zu sprechen kommen. Es gibt zwei Perspektiven, aus denen man das betrachten kann, was man erschafft. Ich nenne diese Perspektiven das Herz und den Verstand. Das Herz ist euer emotionaler Filter, der sich daraus ergibt, welche Gefühle bestimmte Dinge in euch auslösen. Der Verstand ist euer intellektueller Filter, der sich daraus ergibt, welche Gedankengänge bestimmte Dinge in euch anstoßen. Während der Phase, in der ihr Inhalte und Ideen produziert, solltet ihr mehr auf euer Herz hören. Macht euch keine Gedanken über die Logik hinter eurer Schöpfung. Erschafft einfach nur Dinge. Folgt eurer Inspiration. Beim Schöpfungsakt gibt es keine Regeln. Nichts ist verboten. Dinge, die auf den ersten Blick unmöglich oder unpraktisch erscheinen, können Sprungbretter zu ganz wunderbaren Ideen sein.

Beim Design von Magic ist dies der früheste Zeitpunkt, zu dem meine Designer von mir erfahren, an welchem Bereich ich Interesse habe, und zu dem ich sie dann losschicke, damit sie unter dem Fokus, den ich ihnen gegeben habe, ihren eigenen Designs nachgehen. Für Zendikar designten wir Landmechaniken. Für Innistrad designten wir Dinge, die vom Horrorgenre inspiriert waren. Für Ravnica designten wir Dinge, die das Flair der Gilden einfangen sollten. In jedem dieser Fälle gab ich meinem Designteam einen Fokus vor und ließ es dann alles Mögliche designen, was ihm zu dieser Idee so einfiel.

Schritt Drei: Beurteilt, was ihr produziert habt

Für diesen nächsten Schritt wird es Zeit, weniger auf euer Herz und mehr auf euren Verstand zu hören. Jetzt müsst ihr euch das ganze Material, das ihr erstellt habt, ansehen und es beurteilen. Hier ist eine einfache Methode: Legt drei Kisten an. Die erste Kiste ist für Ideen, die euch gefallen. Die zweite Kiste ist für Ideen, die euch nicht gefallen. Die dritte Kiste ist für Ideen, bei deinen ihr euch noch nicht sicher seid. Der Grund, aus dem es die dritte Kiste gibt, ist der, dass es in bestimmten Augenblicken schwer sein kann, richtig zu verstehen, wie man eine gewisse Sache nun genau sieht. Oft erweisen sich exakt diese Sachen mit einem tieferen Verständnis der Lage zu einem späteren Zeitpunkt des Prozesses noch als besonders wertvoll. Daher möchtet ihr sie nicht einfach nur deshalb aufgeben, weil ihr noch nicht wisst, ob ihr sie auch wirklich mögt.

Was ihr auch noch unbedingt begreifen solltet, ist, dass ihr die von euch erschaffenen Dinge nicht im Kontext eures Fokus beurteilt. Ihr betrachtet sie euch losgelöst von allem anderen. Gefällt euch, was ihr erschaffen habt? Wo es bei der Erzeugung der Ideen und Inhalte um Quantität geht, geht es bei ihrer Beurteilung um Qualität. Dieser Schritt dreht sich darum, den Wert der Dinge festzustellen, die ihr entwickelt habt. Noch einmal: Bei diesem Urteil sollte man eher auf seinen Verstand als auf sein Herz hören.

Sobald ihr die Früchte eurer bisherigen Arbeit auf die drei Kisten verteilt habt, tut ihr Folgendes: Als Erstes vergesst ihr alles in der zweiten Kiste. Darum braucht ihr euch keinerlei Gedanken mehr zu machen. Schaut als Nächstes in die erste Kiste. Seht nach, ob all die Dinge, die ihr mögt, irgendetwas gemeinsam haben. Gibt es ein Thema oder einen bestimmten Aspekt, der sie alle zusammenhält? Daraus leitet ihr einen Schwerpunkt ab. Das kann durchaus derselbe Schwerpunkt wie beim letzten Schritt sein, nur mit einer etwas klareren Ausrichtung. Es kann ein ähnlicher Schwerpunkt sein, der um einen neuen Aspekt ergänzt wurde. Es könnte sich auch um einen vollkommen neuen Schwerpunkt handeln. Der Schlüssel hier ist, dass ihr das, was ihr vom bisher Geschaffenen am meisten mögt, darauf untersucht, was der rote Faden ist, der alles miteinander verbindet.

Anschließend schaut ihr in der dritten Kiste nach, ob irgendetwas darin diesem neuen Schwerpunkt zuzuordnen ist, den ihr gerade ermittelt habt. Die Dinge, bei denen dies nicht der Fall ist, müsst ihr zwar nicht zwingend loswerden, aber in der nächsten Phase befasst ihr euch ohnehin mit nichts mehr, was außerhalb eures neuen Fokus läge.

Beim Design von Magicist das der Zeitpunkt, zu dem wir Testpartien mit dem durchführen, was das Designteam sich hat einfallen lassen. Wir beurteilen hier nur, ob sich die Karten oder Mechaniken oder was auch immer gut spielen. Das ist der Teil, bei dem wir festlegen, ob die Designelemente Dinge sind, die wir uns näher anschauen wollen, oder ob wir sie nicht doch lieber verwerfen. Mir als leitendem Designer hilft dies auch, genauer darüber nachzudenken, was wir mit unserer neuen Runde an Ideen erreichen möchten. In Zendikar zum Beispiel fing ich damit an, dass ich das Team bat, sich alle möglichen Landmechaniken auszudenken. Danach machten wir Testpartien mit ihnen und tüftelten nach und nach aus, welche Designadern hier besonders fruchtbar schienen und welche wie Sackgassen wirkten.

Kabira-Scheideweg | Bild von James Paick

Schritt Vier: Wiederholt die Schritte Zwei und Drei, bis ihr einen klaren Fokus habt

Über die Bedeutung von Iterationen und Wiederholungen fürs Design habe ich schon häufiger gesprochen. Man erschafft etwas, man beurteilt es und dann durchläuft man diese Schleife noch mal. In der Frühphase eines Schöpfungsakts dreht sich diese Wiederholungsschleife darum, ganz genau herauszufinden, was man eigentlich will. So wie man Kurse im College belegt, nutzt man die ersten Abschnitte des kreativen Prozesses, um alles auszutesten, was einem zur Verfügung steht. Bedenkt dabei bitte Folgendes: Lasst euch während der Phase, in denen die Ideen erzeugt werden, von eurem Herzen leiten, und nutzt danach bei der Beurteilung euren Verstand, um das Geschaffene kritisch zu betrachten.

Die Idee hinter diesem Schritt ist, dass man bei jedem Durchlauf der Wiederholungsschleife ein Stückchen näher an ein Verständnis dafür gelangt, was man eigentlich will. Die ständige Neuausrichtung des Schwerpunkts erlaubt es dem Verstand, in solche Bereiche vorzudringen, die sich bereits als fruchtbar erwiesen haben, woraufhin man dann seinem Herzen freien Lauf dabei lassen kann, wenn es diese kreativen Adern ausbeutet. Die ständige Neuausrichtung ist von entscheidender Bedeutung, weil man sein kreatives Ich unbedingt dazu bewegen möchte, jedes Mal einen leicht unterschiedlichen Standpunkt einzunehmen.

Der Grund hierfür ist physiologischer Natur. Das Gehirn möchte immer möglichst effizient arbeiten: Wann immer es mit einer Aufgabe konfrontiert wird, die es schon einmal bewältigt hat, greift es auf das exakt gleiche Muster an Synapsen zurück, um das Problem zu lösen. Schließlich hat das schon einmal geklappt. Warum sollte man also etwas daran ändern? Aus kreativer Perspektive betrachtet liegt das Problem darin, dass man gar nicht dasselbe Ergebnis wie beim vorherigen Mal will. Ja, beim Zähneputzen mag dieser Ansatz spitze sein, aber bei einem kreativen Unterfangen ist das Ziel, neues Material zu erschaffen.

Der Beurteilungsschritt kann auch maßgeblich zu einem besseren Verständnis dafür beitragen, warum manche Dinge funktionieren und andere nicht. Es geht einfach darum, in den Vorzug einer größeren emotionalen Distanz zu kommen. Aufgrund des gleichen Effekts fällt es einem so viel leichter, die Partnerschaften anderer zu analysieren, als sich über die eigene Klarheit zu verschaffen.

Die Iteration ermöglich es einem, sich nach und nach dem anzunähern, was man braucht. Dieser Schritt ist abgeschlossen, sobald ihr die Grundlagen durchschaut habt, worum sich euer restlicher kreativer Prozess drehen wird.

Mein Magic-Beispiel für diesen Schritt ist Khane von Tarkir. Wir fingen mit folgender Idee an: Wir wollten eine Blockstruktur im Stile von Groß-Klein-Groß, wobei man das kleine Set in der Mitte mit den beiden großen Sets draften konnte, die beiden großen Sets wiederum aber niemals gemeinsam gedraftet wurden. Die Erkundung dessen, was diese Draftstruktur bedeutete, führte uns zu einer Zeitreisegeschichte, in der sich die Hauptfigur in die Vergangenheit aufmachte und dort etwas tat, was die Zeitlinie massiv veränderte. Mit der großen Unterstützung des Kreativteams bahnte uns dies den Weg zu der Idee mit Sarkhans Heimatwelt. Alles würde mit einer Welt voller humanoider Kriegsfürsten beginnen, auf der die Drachen ausgerottet worden waren, und enden würde alles mit einer Welt, auf der die Drachen die Kriegsfürsten sind. Ein näheres Ausloten, wie man die Klans der Kriegsfürsten darstellen konnte, führte uns zu Fraktionen, was uns wiederum am Ende auf die Idee brachte, das Wedge-Set zu machen, das die Spieler schon so lange verlangt hatten.

Beim Design von Magic fällt diese Wiederholungsschleife mit jenem Teil des Designs zusammen, den wir die Visionsphase nennen: In ihr versucht das Designteam, die Grundlagen dessen abzustecken, worum das jeweilige Set sich dreht. Zu diesem Zeitpunkt erschaffen wir die Grundstruktur und unternehmen einen ersten Anlauf in Sachen Mechaniken.

Stufenweises Wachstum | Bild von Clint Cearley

Schritt Fünf: Erzeugt mit der von euch geschaffenen Struktur Ideen

Die letzte Iteration ging um Brainstorming und ein Design ohne feste Einschränkungen. Ihr habt einfach alles Mögliche erschaffen, was zu eurem Thema passt. Dieser nächste Schwung an Ideen und Inhalten ist wesentlich zielgerichteter. Ihr versucht, die Bausteine zu erschaffen, die ihr für eure Struktur braucht. Wenn ihr eine Geschichte erzählt, ist dies der Teil, bei dem ihr damit anfangt, ganze Szenen aufzuschreiben. Wenn ihr ein Bild malt, ist dies der Teil, wo ihr eurem bisherigen Werk wohlüberlegte Pinselstriche hinzufügt. Wenn ihr ein Magic-Set macht, beginnt ihr zu diesem Zeitpunkt damit, euer Designskelett in Fleisch zu kleiden: Ihr macht die häufige Variante für den grünen Riesenwuchs oder füllt eure Kreaturenkurve auf.

Es ist sehr gut möglich, dass ihr schon im letzten Abschnitt – als ihr euch langsam darüber klar geworden seid, was ihr tut – viele nützliche Bausteine erschaffen habt. In jedem Fall habt ihr einen Rahmen dafür abgesteckt, was ihr braucht, und festgestellt, dass einige Elemente aus eurer ersten und eurer dritten Kiste sich dort bestens einfügen. Dieser nächste Arbeitsschritt dreht sich darum, sich vor Augen zu führen, was ihr bislang noch nicht erschaffen habt, und dann genau das zu tun. Lasst euch bei dieser Phase wieder von eurem Herzen leiten und verliert eure Inspiration nicht. Erschafft kreative Elemente, die euren Vorlieben entgegenkommen. Ihr dürft ruhig bis an die Grenzen des Erlaubten gehen und einige verrückte Sachen ausprobieren. Es ist schon in Ordnung, viele Anläufe zu brauchen, um an ein Ziel kommen. Genauer gesagt werdet ihr einen Teil eurer besten Arbeit hier abliefern, wenn ihr versucht, dasselbe Problem auf unterschiedliche Arten und Weisen zu lösen.

Das Wichtige an diesem Zyklus an Ideen ist, dass ihr versucht, in eurem aktuellen kreativen Unterfangen die Lücken zu schließen, die momentan noch darin klaffen. Das Ziel ist, dafür zu sorgen, dass man für jede noch vorhandene Lücke mindestens eine Lösungsoption parat hat.

Mein Beispiel hier für das Design von Magic ist das ursprüngliche Ravnica. Wir hatten uns auf die Gildenstruktur festgelegt. Wir hatten eine klare Vorstellung davon, wofür jede Gilde stehen sollte. Wir hatten Gildenmechaniken gemacht, die uns gefielen. Jetzt ging es darum, herauszufinden, welche mechanischen Bauteile noch fehlten, damit jede Gilde sich so spielte, wie wir das haben wollten. Wir machten Zyklen um sowohl die Ähnlichkeiten als auch die Unterschiede zwischen den Gilden aufzuzeigen und zu betonen. Wir designten coole Einzelkarten, die das Flair der Gilden einfingen und vermittelten. Wir wussten ganz genau, was wir wollten, aber es gab noch eine Menge Arbeit, um die beste Methode zu finden, wie wir es umsetzen konnten. Die „Lücken“ bei einem Magic-Set sind Karten, was bedeutet, das man am Ende dieses Schritts für jeden freien Platz im Designskelett mindestens eine Karte haben will.

Zwingende Nachforschungen | Bild von Michael Sutfin

Schritt Sechs: Beurteilt eure Arbeit unter Zuhilfenahme von Meinungen von außen

Dieser Bewertungsschritt ist dreigegliedert. Als Erstes schaut ihr euch alles an, was zum Lückenfüllen erarbeitet wurde, und wählt für jede bislang noch fehlende Komponente eine der vorhandenen Optionen aus. (Gelegentlich entscheidet man sich auch für mehrere Optionen für ein und dieselbe Lücke, weil man gerne sehen möchte, wie sich jede von ihnen so anfühlt. Das funktioniert in manchen Medien – wie etwa in Spielen – besser als in anderen.) Das Ziel hier ist eine vollständige Rohfassung dessen zu bekommen, woran ihr gerade arbeitet.

Der zweite Schritt ist die umfassende Beurteilung der bisherigen kreativen Arbeit. Diese Beurteilung unterscheidet sich in zwei Aspekten von den Durchläufen, die ihr schon vorausgegangen sind: Erstens beurteilt ihr nicht nur die Einzelteile, sondern die Gesamtheit eures kreativen Projekts. Zweitens beurteilt ihr (oder euer Team) diese Arbeit nun nicht mehr nur noch für euch. Zu diesem Schritt gehört es, sich Meinungen von außen zu holen. Wenn eure kreative Arbeit ein Gemeinschaftsprojekt ist, an dem auch Einzelpersonen oder Teams von außerhalb eurer Designgruppe beteiligt sind, dann ist dies der Schritt, bei dem ihr damit anfangt, euch immer wieder Feedback von ihnen geben zu lassen. Dies ist zudem der Zeitpunkt, zu dem ihr versucht, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was euer Zielpublikum wohl denken wird – oft indem ihr euch die Meinungen von Leuten anhört, die für die jeweilige Zielgruppe repräsentativ sind.

Der dritte Aspekt bei diesem Schritt ist, dass ihr euch vor Augen führt, was funktioniert und was nicht. Dies ähnelt der Übung mit den drei Kisten, zielt aber eher darauf ab, zuverlässig zu erkennen, welche Teile der eigenen Arbeit richtig glänzen. Ihr sollt diese Bausteine erkennen und dann prüfen, ob es verbindende Elemente zwischen ihnen gibt. Am Ende jeder dieser Beurteilungen sollte irgendeine neue Beobachtung dahingehend stehen, welche erfolgreichen Elemente ihr noch weiter ausbauen wollt. Ihr könnt auch das Gegenteil tun: Findet heraus, welche Elemente nicht funktionieren, entfernt sie und seht nach, ob andere Teile eures kreativen Projekts unter ähnlichen Problemen leiden.

Beim Design von Magic ist dies der Zeitpunkt, zu dem man sich langsam Feedback von anderen Gruppen wie etwa der Entwicklungs- oder Kreativabteilung sucht (beachtet bitte, dass beim Design von Magic jeweils ein Vertreter beider Abteilungen dem Designteam angehört, weshalb man schon vorher ein bisschen internes Feedback bekommt). Dies ist auch der Zeitpunkt, zu dem man Testpartien mit Gruppen von außen abhält. Bei Wizards of the Coast sind dies oft andere Mitarbeiter, die Magic spielen, aber nicht in der R&D beschäftigt sind. Auch wenn man schon mit Karten und Mechaniken aus der Visionsphase kommt, ist noch lange nicht alles festgezurrt und es kann nach wie vor zu größeren Änderungen kommen.

Schritt Sieben: Wiederholt die Schritte Fünf und Sechs

Diese Wiederholungsschleife ähnelt der letzten, hat aber leicht andere Zielsetzungen. Anstatt herausfinden zu wollen, worum es in einem bestimmten kreativen Werk eigentlich genau geht, bezieht sich die Iteration nun auf die konkrete Umsetzung von Ideen. Ihr versucht, für jede einzelne Komponente eures Werks sicherzugehen, dass ihr auch wirklich die beste Version gefunden habt. Wie beim letzten Schwung an Beurteilungen auch wollt ihr hier für jeden Durchgang einen bestimmten Schwerpunkt festlegen, damit ihr ein gewisses Maß an Klarheit darüber gewinnt, was ihr da eigentlich gerade erschafft. Der große Unterschied liegt nun indes darin, dass hier am Ende taktisch kluge Umsetzungen eurer Absichten stehen müssen.

Ein weiterer wichtiger Unterschied ist der, dass dieser Zyklus an Iterationen kürzer sein sollte als der letzte. Je weiter ihr euren Fokus von der Makro- auf die Mikroebene verschiebt, desto kürzer müssen eure Iterationen werden.

Beim Design von Magic nennen wir dies die Integrationsphase. Zu diesem Zeitpunkt bitten wir alle anderen Teams, unsere Arbeit auf Herz und Nieren zu prüfen, um uns zu vergewissern, dass wir bei unserem Design keine Entscheidungen getroffen haben, die ihnen das Leben schwer machen werden. Üblicherweise nennen wir das Durchgänge, und in der Regel verfolgt jeder Durchgang ein spezifisches Ziel – wie beispielsweise die genauere Betrachtung einer bestimmten Mechanik oder eines konkreten Draftarchetyps. Dann machen wir Testpartien, um zu sehen, wie sich unsere jüngsten Änderungen auswirken, was wiederum neues Feedback zur Beurteilung generiert. Während dieser Phase kann es zu großen Veränderungen kommen. Bei Die Narben von Mirrodin beispielsweise beschlossen wir zu diesem Zeitpunkt, ein paar Schritte zurück zu machen und das erste Set so anzulegen, dass es Mirrodin vor dem Krieg gegen die Phyrexianer zeigt. (Wir hatten ursprünglich mit der Idee angefangen, dass das erste Set schon Das neue Phyrexia war.)

Golem-Vorläufer | Bild von Chippy

Schritt Acht: Schafft Veränderungen innerhalb der Komponenten

Bei der ersten Phase geht es darum, herauszufinden, worum sich euer kreatives Vorhaben überhaupt dreht. In der zweiten Phase sucht ihr nach den richtigen Bauteilen, aus denen ihr euer Werk zusammensetzen könnt. In dieser nun letzten Phase erfolgt die Feinabstimmung der Teile, die ihr inzwischen habt. Das ist der Abschnitt, der am stärksten auf die Mikroebene ausgerichtet ist, weil ihr die Einzelheiten jeder von euch getroffenen Entscheidung genau studiert.

Die meisten Leute sehen diesen Teil des kreativen Prozesses als eine Art Aufpolieren. Man unternimmt die letzten nötigen Schritte, ehe man sein Werk einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert.

Beim Design von Magic ist dies der Zeitpunkt, zu dem man Durchgänge durch den Ordner macht, um sich jede einzelne Karte näher anzuschauen. Die Anmerkungen aus den Testpartien drehen sich nicht mehr um größere Themenkomplexe, sondern um konkrete Karten.

Schritt Neun: Beurteilt die Feinheiten

Mit jedem großen Beurteilungsschritt wird der Fokus gewissermaßen schmaler – von der Struktur erst zu den Komponenten und dann schließlich zu den Details. Ein wichtiger Teil dieser Evaluation ist die Prüfung, ob sämtliche Details auch konsistent sind. Nimmt man eine kleine Veränderung in einem bestimmten Abschnitt seines Werks vor, bedeutet das häufig, dass man auch in anderen Bereichen Veränderungen vornehmen muss.

Ein großer Unterschied zwischen der Schaffung und der Beurteilung von Änderungen lässt sich auf die Unterteilung in Herz und Verstand zurückführen, von der ich anfangs sprach. Beim Erschaffen neuer Inhalte – seien es nun komplette Elemente oder auch nur Details – wollt ihr Dinge tun, die euch emotional packen. Ein Schöpfungsakt sollte immer aus einer Position heraus erfolgen, die euch emotional erfüllt. Beim Beurteilen hingegen wollt ihr euren Verstand benutzen, weil ihr euch die schwere Frage stellen müsst, ob jedes Element seine Funktion optimal erfüllt oder nicht. An diesem Punkt spielt es keine Rolle, ob ihr ein Element mögt – es kommt nur noch darauf an, ob es der Aufgabe nachkommt, für die ihr es vorgesehen habt.

Beim Design von Magic sind dies die Testpartien in der Spätphase eines Projekts, bei denen sich die meisten Anmerkungen nur noch auf einzelne Karten beziehen. In der Regel hat der leitende Designer einen Schreibblock zur Hand, um jedes Problem, das bei einer Karte auftaucht, sofort darauf festzuhalten. Außerdem sollte man sich spätestens jetzt die Anmerkungen der Testspieler genau durchlesen, um zu sehen, ob es Kommentare von mehreren Spielern gibt, die darauf hindeuten, dass es noch ein größeres Problem zu lösen gilt.

Talent des Telepathen | Bild von Peter Mohrbacher

Schritt Zehn: Wiederholt die Schritte Acht und Neun

Diese letzte Reihe an Iterationen ist auch die kürzeste. Man schafft Änderungen, beurteilt sie und macht Anmerkungen, die zu weiteren Änderungen führen. Man braucht während jedes einzelnen Durchgangs dieser Wiederholungsschleife nicht furchtbar viele Änderungen zu machen. Nehmt die paar Änderungen vor, die euch wirklich nötig scheinen, und unterzieht alles einer neuen Beurteilung.

Im Design vonMagic heißt diese letzte Phase die Verfeinerungsphase. Hier geht es nur noch darum, ob auch wirklich alles passt und sitzt. Jetzt schaut man sich jede einzelne Karte noch einmal unter der Lupe an, um sich zu vergewissern, dass alle Details so sind, wie man sie haben will. Jetzt sollten auch der Regelmanager und der Lektor einen Durchgang machen, um eventuelle Probleme beim Erstellen der Vorlagen für die Veröffentlichung zu entdecken. Da der Ordner unmittelbar davorsteht, an die Entwicklungsabteilung weitergereicht zu werden, steht man auch mit dem entsprechenden Team dort in engem Kontakt, das seine Arbeit bereits aufgenommen hat (da man sich jetzt im Entwign befindet – der Phase, in denen sich Design und Entwicklung überschneiden).

Schritt Elf: Jetzt ist Schluss

Schritt Elf ist deshalb schwer, weil man endlos in der letzten Wiederholungsschleife festhängen kann. Es gibt immer etwas, was man noch verbessern könnte, und das Loslassen fällt einem schwer – doch irgendwann ist dieser Zeitpunkt für jedes Werk gekommen.Magic -Design gibt es eine festen Fertigstellungstermin, was diesen letzten Schritt etwas leichter macht, weil einem die Zeitplanung aus den Händen genommen ist.

In der Rückschau zerfällt dieser ganze Prozess in drei Phasen mit je drei Schritten. In jeder Phase schafft man neues Material, das man danach beurteilt. Anschließend wiederholt man diesen Vorgang, bis man fertig hat, was man braucht. Kurz und bündig lassen sich diese Schritte zu der Formel „Generieren, evaluieren und iterieren“ zusammenfassen.

Die drei Phasen sind (gemäß der Nomenklatur unserer R&D) Vision, Integration und Verfeinerung. Bei der Vision geht es darum, herauszufinden, worum sich das Projekt dreht, wozu in der Regel das Erstellen der Struktur und deren Befüllung mit Elementen gehört. In der Integrationsphase füllt man die noch vorhandenen Lücken und holt sich danach Rückmeldungen von außen. In der Verfeinerungsphase stehen dann Detailfragen und die Vergewisserung, dass jede einzelne Komponente funktioniert, im Vordergrund.

Die volle Seite

Und das war mein Ansatz, wie man einen kreativen Prozess von der leeren Seite bis zum vollendeten Projekt in Worte fassen kann. Wie immer freue ich mich schon sehr auf euer Feedback zur heutigen Kolumne. Ihr könnt mir eine E-Mail schreiben oder mich auf einem meiner Social-Media-Profile kontaktieren (Twitter, Tumblr, Google+ und Instagram).

Seid auch nächste Woche wieder dabei, wenn ich darüber spreche, was es heißt, teamfähig zu sein.

Möge euch die leere Seite bis dahin ein bisschen weniger Angst einjagen.


„Drive to Work #280 – Bad Cards Revisited“

In meinem letzten Podcast nahm ich Bezug auf einen berühmten alten Artikel von mir, der sich damit befasste, warum wir schlechte Karten machen („When Cards Go Bad“). Dieser Podcast beschäftigt sich mit dem Nachfolgeartikel, den ich zu dieser ursprünglichen Kolumne schrieb („When Cards Go Bad Revisited“).

„Drive to Work #281 – Social Media“

In diesem Podcast rede ich darüber, wie es ist, einer der offiziellen Sprecher des Spiels zu sein, und wie ich soziale Netzwerke nutze, um mit den Fans in Verbindung zu bleiben.