Das Erste, was ich sehe, ist ein sehr alter Mann, der mich anstarrt. „Sie müssen noch eine Weile liegen bleiben.“

„Wo bin ich?“, frage ich. Ich blicke mich um. Ich erkenne, dass ich mich in einem großen Raum voller Betten befinde. Alle scheinen belegt zu sein. Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin. In meinem Kopf dreht sich alles.

„In Sicherheit.“

Der alte Mann tätschelt mir den Arm und geht dann zum nächsten Bett weiter. Während ich ihm nachschaue, versuche ich herauszufinden, was das Letzte ist, woran ich mich erinnere. Ich war an meinem Schreibtisch und habe über der Lock-Akte gebrütet. Wir waren erst in der Visionsphase, aber das Set fügte sich bereits gut zusammen. Es gab da diese Mechanik, die ich schon seit Jahren in Magic einbauen wollte, und diesmal schien es endlich so weit zu sein. Meine letzte Erinnerung ist eine tiefe Zufriedenheit.

Ich wende meine Aufmerksamkeit dem Bett zu, in dem ich liege. Die Matratze fühlt sich eigenartig an. Sie ist wie keine Matratze, auf der ich bisher gelegen habe. Sie passt sich meinem Körper an, aber ich kann keine Federn oder etwas Ähnliches ertasten. Das muss eine dieser Matratzen aus Memory Foam sein – obwohl ich die eigentlich kenne und diese hier sich irgendwie anders anfühlt.

Dann fällt mir ein Metallreif an meinem Handgelenk auf. Er fühlt sich ein bisschen warm an. Er passt genau um mein Handgelenk, hat aber kein sichtbares Scharnier oder Schloss. Ich frage mich, wie er über meine Hand gekommen ist.

„Mark!“

Ich drehe mich zu der Stimme um. Der Mann in dem Bett neben mir ruft nach mir. Er weiß, wie ich heiße. Es muss jemand sein, den ich kenne. Es dauert ein paar Sekunden, bis mein verschwommener Blick sich aufklart und ich den Mann deutlicher erkenne. Er ist . . . ich. Ein jüngeres Ich. Vielleicht Mitte 30. Es ist ihm gelungen, sich in seinem Bett aufzurichten.

„Wer bist du?“

„Du hast mich gerade Mark genannt.“

„Ich verstehe schon, wer du sein sollst. Aber wer bist du wirklich?“

„Ich bin du. Und ich.“

„Kannst du beweisen, dass du du bist?“

„Ich denke schon. Frag mich was.“

„Wann genau wurde deine Tochter geboren?“

„Welche?“

„Wir haben noch eine Tochter?“

„Ja. Wir haben noch Zwillinge bekommen. Einen Jungen und ein Mädchen.“

„Zwillinge?! Wow! Das klingt anstrengend.“

„Ist es auch. Besonders wenn sie noch klein sind.“

„Klein? Wie alt sind sie denn jetzt?“

Durchtriebener Nachahmer | Bild von Slawomir Maniak

„Wollten wir nicht gerade versuchen, einander zu beweisen, dass wir die sind, die wir vorgeben zu sein?“

„Stimmt. Wann wurde Rachel geboren? Wann genau?“

„Am sechsten April. Am frühen Nachmittag. Zwischen zwei und drei. Wir sind mitten in der Nacht ins Krankenhaus gefahren.“

„Um welche Zeit wurde sie genau geboren?“

„Etwa um 2 Uhr 31. Glaube ich. Ich erinnere mich nicht genau. Das ist vierzehn Jahre her.“

„Rachel ist vierzehn?“

„Sie ist im ersten Jahr an der Highschool.“

„Sie wurde gerade erst geboren.“

„Deshalb erinnerst du dich auch an die Uhrzeit. Ich weiß noch, dass sie vier Kilo und 170 Gramm gewogen hat. Ich erinnere mich, sie im Kreißsaal in meinen Armen gehalten zu haben, während ich versuchte, auf keinen Fall etwas von dem ganzen Blut zu sehen. Ich habe bewiesen, dass ich ich bin. Woher weiß ich, dass du ich bist?“

„Frag mich was?“

„Wo hast du Lora den Antrag gemacht?“

„Im Meer in Rio de Janeiro. Wir waren dort zum zweiten Einladungsevent.“

„Das habe ich in einem Artikel erzählt. Ich brauche Einzelheiten. Welche Farbe hatte Loras Badeanzug?“

„Schwarz.“

„Okay, wir sind also wirklich, wer wir behaupten zu sein. Wenn Rachel gerade erst geboren wurde, dann bist du 32.“

„Ich bin 33. Ich hatte gerade Geburtstag. Unseren Geburtstag. Du bist vierzehn Jahre älter. Du bist also 47?“

„Richtig.“

„Solltest du mir etwas über unsere Zukunft erzählen? In jeder Zeitreisegeschichte, die ich bisher gesehen oder gelesen habe, stellt sich raus, dass das keine gute Idee ist.“

„Das spielt keine Rolle. Ich erinnere mich nicht daran, hier gewesen zu sein, als ich du war. Also heißt das wohl, dass wir keine Erinnerung von hier mitnehmen werden. Wo auch immer ‚hier‘ ist.“

„Daraus schließe ich, dass du dich noch nicht umgesehen hast.“

„Nein. Ich fühle mich immer noch etwas benebelt. Anscheinend gibt‘s hier aber jede Menge Betten.“

„Vielleicht solltest du die dir mal ansehen.“

Ich setze mich auf. Augenblicklich wird mir schwindelig. Ich stütze mich auf den Händen ab und lasse meinen Blick über den Raum schweifen. Es gibt hier fünfzehn Betten. Ich liege in allen von ihnen. In verschiedenen Altern natürlich. Was zum Henker ist hier los?


Ich mag Rätsel. Ich meine, wir mögen Rätsel, und deshalb wollen auch alle siebzehn von uns herausfinden, was hier los ist. Der Jüngste von uns ist 29, der Älteste 63. Das ist der erste Teil des Rätsels. Warum gibt es mich nicht als Kind, als Teenager oder auch nur als Mittzwanziger? Warum erst ab 29? Andererseits gehe ich davon aus, dass ich älter als 63 werde. Warum hört es bei 63 auf?

Die andere interessante Sache ist, dass die Altersspanne zu den Jüngeren tendiert. Unser Durchschnittsalter liegt bei 46, aber nur sechs von uns sind älter. Das muss etwas zu bedeuten haben. Und dann ist da noch dieser alter Mann, der sich um uns gekümmert hat. Er ging, bevor die meisten von uns es aus dem Bett geschafft hatten. Er ist noch nicht zurückgekehrt, und die Tür ist verschlossen.

Der Raum selbst ist karg. Er wirkt wie ein leerer Lagerraum, in den man Betten gestellt hat. Beispielsweise gibt es keine Fenster. Der Fußboden scheint aus einer Art Beton zu bestehen. Die Wände sind beige gestrichen. Dieser Raum ist nicht dafür gedacht, dass jemand hier Zeit verbringt.

Wir haben eine halbe Stunde lang die Tür untersucht, aber der Schließmechanismus ist außerhalb unseres Blickfelds und unserer Reichweite. Es gibt eine kleine Wölbung an der Decke. Wohl eine Art Kamera. Offenkundig werden wir beobachtet.

Aus irgendeinem Grund bin ich es, der etwas sagt. „Wir können dieses Rätsel lösen. Wir haben jede Menge Hinweise. 29, ich glaube, du bist der Schlüssel.“

„Okay. Gibt es Informationen, die ich haben könnte, die hilfreich sind?“

„Ja. Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?“

„Ein paar von uns waren oben in Portland und haben an einem neuen Set gearbeitet. Wir waren in Richards Haus.“

Ich schaue 29 an. Es dämmert mir. Er hat sich seit ein paar Tagen nicht rasiert. „Ihr arbeitet an Sturmwind!“

„Was?“

„Ähm, wie lautete der Codename? Oh, Bogavhati. Ihr arbeitet an Bogavhati.“

„Das stimmt!“

„Okay, das war unser erstes Design, das wir geleitet haben. Unser erstes Designteam, um genau zu sein. 63, machst du immer noch Magic-Design?“

„Ich bin zwar nicht mehr so dicht an den Prozessen dran wie früher, aber ja, ich arbeite noch immer an Magic.“

„Das ist es! Ich hab‘s! Magic-Design! Wir stehen für das komplette Spektrum von uns, die am Magic-Design arbeiten.“

Vor dem Hintergrund dieser neuen Erkenntnis fragen wir jeden danach, woran er gerade arbeitet. Es ist eigenartig. Nicht jedes Set, an dem wir gearbeitet haben, ist vertreten. Ein paar von uns kommen sogar aus Entwicklerteams statt Designteams. 34 hilft bei Aufmarsch aus, ist aber weder im Design- noch im Entwicklerteam. Um die Dinge zu vereinfachen, beschließen wir, jedem von uns einen Namen zu geben. Jeder von uns siebzehn arbeitet an irgendeinem Magic-Set, weshalb wir festlegen, uns nach deren jeweiligen Codenamen zu benennen. Wir entscheiden uns für die Codenamen anstelle der echten Namen, weil bis auf wenige Ausnahmen kaum einer, der an einem Set arbeitet, dessen echten Namen kennt, und wir halten es für unfair, jemandem einen Namen zu geben, mit dem er nicht vertraut ist.

Unendliche Spiegelung | Bild von Igor Kieryluk

Wir beschließen, dass der nächste Schritt ist, mit Manny (dem 34-jährigen, der bei Aufmarsch aushilft) zu sprechen, denn er scheint als jemand, der nicht in einem Design- oder Entwicklerteam ist, den Ausreißer unter uns darzustellen. Wir sind uns einig, dass es leichter ist, wenn nur einer von uns die Fragen stellt. Da ich nun schon einmal damit angefangen habe, werde ich für diese Rolle ausgewählt. „Also schön, Manny, sag uns, woran du als Letztes gearbeitet hast."

„Das Set hat viele Veränderungen durchlebt. Ich habe Mike Elliot, den Designer des Sets, dazu ermutigt, den Kreaturentypen mehr Bedeutung beizumessen. Uns fehlen allerdings noch immer ein paar Mechaniken. Das Regelteam hatte diese tolle Idee für eine Mechanik, die auf einer Festlegung basiert, die es fürIllusionary Mask getroffen hat und die über die Werte einer verdeckten Kreatur bestimmt. Mike und Bill Rose zeigten zwar kein echtes Interesse, aber ich find‘s ziemlich cool. Ich arbeitete mit dem Regelteam zusammen, um ein paar Dinge anzupassen, und habe anschließend eine Handvoll Karten gemacht, die ich in zwei Decks packte. Die habe ich dann mit ein paar Leuten aus der R&D gespielt. Mit je mehr Leuten ich spiele, desto besser gelingt es mir, sie davon zu überzeugen, dass die Mechanik Spaß macht.“

„Und dann?“

„Ich habe die Decks anhand des Feedbacks aus den letzten Testpartien angepasst, und dann war ich hier.“


„Also schön, Doughnut. Du bist dran.“ Doughnut ist 42 und arbeitet an Abendkühle. „Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?“

„Ich war beim Mitarbeiter-Prerelease zu Morgenluft. Das Set hat Spaß gemacht, aber es war für einige der unerfahreneren Spieler etwas viel. Ich habe ein paar Leute gesehen, die nur eine Partie gespielt haben und dann gegangen sind. Ich hatte sogar eine Partie, bei der mein Gegner mich hätte töten können, es aber acht Runden lang nicht gesehen hat.“


„Argon, erzähl du uns doch was über das Set, an dem du arbeitest.“ Es ist Odyssee, das dritte Set, das ich geleitet habe. Argon ist 33.

„Ich mache ein Friedhofsset. Mein Ziel ist es, das Konzept Kartenvorteil zu nehmen und was damit anzustellen. Und es funktioniert. Strategisch gesehen ist der richtige Zug oft der, die gesamte Hand abzuwerfen, aber ich weiß nicht ... Irgendwas stimmt noch nicht.“


„Woran arbeitest du gerade, Live?“ Live ist 41 und arbeitet am ursprünglichen Zendikar.

„Ich habe alle dazu überredet, ein Set zu machen, das sich für Länder interessiert. Die Leute waren anfangs skeptisch, aber ich war mir ziemlich sicher, dass der Designraum groß genug war. Der Anfang des Sets war hart. Keiner unserer Ansätze funktionierte und ich war schon kurz davor, das Handtuch zu werfen. Doch dann sind wir auf Landung gekommen und das ganze Set begann, sich zusammenzufügen. Ich habe erkannt, dass Landung ein ziemlicher Knaller ist. Deshalb wollte ich herausfinden, warum das so eine starke Mechanik ist.“


„Wie wäre es, wenn ich dich einfach Wacky nenne statt Wacky Set?“ Wacky Set war der Codename für Unglued, an dem ich arbeitete, als ich 30 war.

Chaos Confetti | Bild von Mark Tedin

„Kein Problem. Wir stehen noch ziemlich am Anfang des Designs. Bill und Joel Mick haben mir die Aufgabe gegeben, ein Set mit einem speziellen Rand zu entwerfen, das nicht turnierlegal ist. Was genau das bedeuteten soll, darf ich mir selbst ausdenken. Ich habe mit einer Menge abgefahrener Ideen herumgespielt, aber schließlich habe ich mich irgendwann an die sonderbaren Karten erinnert, die ich als Kind hatte, wenn ich Zauberer spielte. Diese eine Firma stellte damals Karten für Zaubertricks her. Alle Karten hatten denselben Rücken. Und da gab es diesen einen Satz, der Wacky Deck oder so hieß und in dem es einfach nur eine Menge schräger Karten gab. Eine Kreuz siebeneinhalb zum Beispiel, ein schwarzes Herzass und eine Karte, die auf der einen Seite eine Dame und auf der anderen ein König war. Die Idee war, dass es einfach nur eine Sammlung abgefahrener Karten war, um die herum man Zaubertricks bauen konnte. Und dann traf mich die Erkenntnis. Was, wenn das Wacky Set so was Ähnliches war, nur eben für Magic?“


„Control, du weißt, was wir hören möchten.“ Control (der Codename für das ursprüngliche Ravnica) ist 37.

„Ich arbeite an einem mehrfarbigen Set. Es musste anders als Invasion sein, unser erster mehrfarbiger Block. Also beschloss ich, mich auf Farbpaare zu konzentrieren, anstatt vier oder fünf Farben zu forcieren. Um das Set noch weiter vom Invasion -Block abzugrenzen, wollte ich außerdem alle Farbpaare gleichrangig in den Vordergrund stellen. Verbündete und verfeindete Farben sollten in diesem Block gleichberechtigt nebeneinander stehen. Ich gab die Idee an das Kreativteam weiter, und Brady Dommermuth hatte diese tolle Idee, die zehn Farbpaare zu Gilden in einem Stadtsetting zu machen. Mir gefiel die Idee so sehr, dass ich beschloss, den gesamten Block darum herum aufzubauen. Ich habe da so eine Idee für ein 4-3-3-Schema, in dem jedes Farbpaar in nur einem Set auftaucht. Es ist komisch, aber ich glaube, dass wir so jede Gilde sehr detailliert portraitieren und jedem Set im Block eine echte Identität verleihen können.“


„Du bist dran, Laurel.“ Laurel ist ein Codename für irgendein zukünftiges Set. Ich kenne seinen richtigen Namen nicht. Laurel ist 59.

„Wir haben schon seit Ewigkeiten mit doppelseitigen Karten herumgespielt, aber der Aufwand beim Drucken war schon immer echt nervig. Als wir dann herausfanden, dass eine unserer Stammdruckereien es endlich hinbekommen hat, war das sehr spannend. Das hieß nämlich, dass wir in jedem Set doppelseitige Karten haben und diese mit anderen Karten kombinieren können, ohne Checklisten zu brauchen. Das Ziel von Laurel war, diesen Fortschritt in der Drucktechnik voll auszunutzen. Als das Teams also auf die Idee kam –“

PLOPP!

Laurel verschwindet. In einem Moment spricht er noch mit leuchtenden Augen über die Fortschritte seines Teams, im nächsten löst er sich in Luft auf. Wir nehmen an, dass er in seine eigene Zeit zurückgekehrt ist. Dennoch fühlen wir uns unbehaglich. So etwas sieht man nicht oft.

Wir versuchen, mit der Befragung weiterzumachen, doch dann verschwindet auch Lights. Dann Beijing. Dann Spaghetti. Dann Control. Wir haben noch nicht einmal herausgefunden, warum wir hier sind, und schon beginnen wir wieder zu verschwinden.

Doch als nacheinander alle so sprechen, wird mir eines klar: In allem, was hier gesagt wird, schwingt ein gemeinsamer Tenor mit. Jeder von uns stand kurz vor einer großen Entdeckung. Doughnut tüftelte die Neue Weltordnung aus. Control läutete das Vierte Zeitalter des Designs ein. Manny war gerade dabei, die „Show Don‘t Tell“-Methode im Erkundungsdesign zu revolutionieren. Jeder war gerade mit etwas Großem beschäftigt. Jeder außer mir. Mein Design geht ruhig seinen Gang und ich bin zufrieden damit. Nichts daran ist revolutionär. Ich erfinde nicht das Magic-Design neu. Ich glaube wirklich nicht, dass ich hierhergehöre.


Als auch Simon verschwindet, sind nur noch fünf von uns übrig: Argon, Shake, Salt, Chimichanga und ich selbst.

„Spielt das alles hier eigentlich überhaupt eine Rolle?“, fragt Shake. „Wir wissen doch, dass wir uns wahrscheinlich nicht an das alles hier erinnern werden, wenn wir in unsere richtige Zeit zurückkehren. Vielleicht müssen wir dieses Rätsel hier also gar nicht lösen?“

„Ich weiß, dass du uns kennst. Du bist wir“, entgegnet Salt. „Wir können einem Rätsel unmöglich widerstehen. Solange wir hier sind, müssen wir es versuchen.“

Ich sage: „Ich glaube, es sind noch drei große Fragen übrig. Erstens: Warum wurden wir siebzehn hierhergebracht? Zweitens: Wo ist ‚hier‘? Und drittens: Wer hat das getan? Ich glaube, wir haben eine Antwort auf die zweite und die dritte Frage.“

Ich drehe mich zur Kamera.

„Wo sind wir? Das ist eigentlich die falsche Frage. Die richtige lautet: Wann sind wir? Wir sind in der Zukunft. 2060, 2070. Irgendwann um diese Zeit. Offensichtlich wurden wir durch die Zeit geschickt. Also muss es später als die älteste Version von uns aus dem Jahr 2030 sein. Außerdem haben wir einen weiteren großen Hinweis erhalten, der uns zur nächsten Frage führt. Wer hat uns hierhergebracht? Ich glaube, die Antwort ist der Mann, der uns gerade beobachtet. Der Mann, der sich um uns gekümmert hat, als wir ankamen. Dieser Mann . . . ist wir!“

Niemand holt überrascht Luft. Ich glaube, wir alle haben das herausgefunden, doch ich konnte nicht anders, als den dramatischen Moment zu nutzen.

Die Tür öffnet sich und der alte Mann tritt ein. „Das habt ihr gut gemacht. Wir befinden uns im Jahr 2067. Ich bin genau einhundert Jahre alt, aber ihr kennt ja alle unseren Geburtstag. Habt ihr schon die Antwort auf die erste Frage gefunden?“

„Nein“, erwidert Salt. Einen Augenblick später ist er verschwunden.

„Wir haben nicht viel Zeit. Machen wir uns lieber an die Arbeit.“


Der alte Mann führt uns aus dem Raum und zu etwas, was allem Anschein nach das Kontrollzentrum ist. Jeder Zweifel daran, dass wir uns tatsächlich in der Zukunft befinden, schwindet angesichts der Ausrüstung. Über jeden von uns werden mehr Daten gesammelt, als wir jemals verarbeiten könnten. Ich nehme an, unsere Armreifen sorgen dafür, dass all das aufgezeichnet wird.

„Setzt euch, setzt euch. Wir haben nicht viel Zeit.“ Chimichanga verschwindet, und der alte Mann schüttelt den Kopf. Shake, Argon und ich setzen uns auf die bereitgestellten Stühle.

„Im Alter wurde ich geradezu besessen von Albert Einstein. Ich begann, seine Werke zu studieren, und erfuhr alles über sein Leben. Als er vier war, wurde er krank und musste im Bett bleiben. Sein Vater wollte ihn aufheitern und gab ihm ein kleines Geschenk: einen magnetischen Taschenkompass. Einstein war fasziniert davon. Die Idee, dass es eine Kraft gibt, die dafür sorgt, dass die Nadel immer nach Norden zeigte, beeindruckte ihn sehr, und er sollte später sagen, dass viele seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse darauf zurückzuführen waren, was er beim Betrachten dieses Kompasses gedacht hatte. Das nennt man Themata. Eine Reihe von Mustern, die bestimmen, wie jemand denkt.“

Die Unendlichkeit betreten | Bild von Terese Nielsen

„Was hat das mit all dem hier zu tun?“, fragt Argon.

„Alles“, erwidert der alte Mann. „Ich habe euch alle beobachtet, als ihr euch unterhalten habt. Was habt ihr erfahren?“

Shake ergreift das Wort. „Du hast uns offensichtlich aus Zeiten voller Entdeckungen geholt.“

„Sehr gut. Und was bedeutet das?“

„Oh“, sage ich. „Wir sind die Themata. Du hast all deine großen Entdeckungen im Magic-Design versammelt und hierhergebracht. Aber warum?“

Magic steckt in Schwierigkeiten. Nächstes Jahr ist sein 73. Jahrestag, und es ist geplant, dass das das letzte Jahr des Spiels sein wird. Ein Teil von uns alten Hasen – die Menschen, die damals das Design gemacht haben –, versuchen, ob wir das Problem lösen können. Die KI hat aufgegeben. Sie behauptet, es sei unlösbar.“

„Und wofür brauchst du uns?“, fragt Shake.

„Wir sind alte Leute. Niemand von uns hat seit Jahrzehnten mehr Magic-Design gemacht. Wir haben akzeptiert, dass wir nicht mehr in der Lage sind, das Problem zu lösen, doch dann wurde uns klar, dass früher vielleicht durchaus einer von uns dazu in der Lage gewesen wäre. Vielleicht existiert die Lösung zur Rettung von Magic bereits als eine, auf die einer von uns schon gekommen ist. Also haben wir Gedächtnisscanner verwendet, um unsere Entdeckungen komplett zu isolieren. All unsere mentalen Muster, die zu jenen großen Durchbrüchen führten, durch die wir das Spiel verändert haben. Jeder von uns setzte danach eine Technologie ein, die ein Wissenschaftler und übrigens auch langjähriger Magic-Spieler erfunden hatte, um unsere Alter Egos aus der Vergangenheit hierherzubringen.“

„Ich verstehe nicht, wie euch das helfen soll“, erwidere ich.

„Es ist ziemlich kompliziert. Wir haben Computer, die euren derzeitigen – nennen wir ihn einmal mentalen Fußabdruck – gegen einige mögliche Lösungen für unser Problem abgleichen. Die Computer verraten uns, wenn es eine hohe Korrelation zwischen eurem augenblicklichen mentalen Zustand und unserer Lösung gibt, aber die eigentliche Lösung können sie nicht erkennen. Mit anderen Worten: Sie können uns sagen, wer das Problem lösen kann, aber nicht wie.“

„Und warum verschwinden wir?“, fragt Shake.

„Oh, die Energie, die nötig ist, um euch kurzzeitig in dieser Zeit zu verankern, ist begrenzt. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, den Richtigen zu finden, erkennen die Computer, wenn die Korrelation zu niedrig ist, und schicken euch dann in eure eigene Zeit zurück, damit wir die Energie für die vielversprechenderen Kandidaten sparen können.“

„Ihr schließt also Leute aus, bis ihr denjenigen gefunden habt, der die besten Erfolgsaussichten hat?“, frage ich.

„Genau. Und ihr drei seid unsere letzte Chance. Ich habe am längsten an Magic gearbeitet. Daher hatte ich auch die meisten potenziellen Kandidaten. Die Computer haben alle anderen bereits eliminiert.“


Und so sitzen wir drei da und unterhalten uns mit dem alten Mann. Argon spricht darüber, wie er in Odyssee gelernt hat, wie wichtig es ist, für den Spieler und nicht für den Designer zu entwickeln. Dass Veränderung nur um der Veränderung willen schlecht ist und zu einem Spiel führte, in dem sich die Spieler gezwungen sahen, etwas zu tun, was sie nicht tun wollten. Shake spricht darüber, wie er in Innistrad gelernt hat, wie wichtig es ist, den richtigen Ausgleich zwischen Mechaniken und Stimmung zu finden. Dass jede Umgebung sich anders und ganz einzigartig anfühlt und dass wir lernen mussten, nicht einfach nur deshalb auf alte Strukturen zurückzugreifen, weil wir schon früher auf diese Weise Sets erstellt hatten.

Ich versuche, über das Design von Lock zu sprechen. Ich bin wirklich sehr zufrieden damit und ich glaube, dass wir ein wirkliches spannendes Set machen, das die Spieler lieben werden, aber ich verstehe nicht, was wir tun, um das Design eines Sets zu revolutionieren. Ich erkenne die Entdeckung nicht. Ich bin irgendwie überrascht, noch nicht verschwunden zu sein. Als Argon verschwindet, fühle ich mich noch schlechter.

„Du hast uns gesagt, dass es nur begrenzte Energieressourcen gibt, um uns hierzubehalten“, sage ich. „Warum schickst du mich nicht nach Hause, um Shake so lange wie möglich Zeit zu geben, euch zu helfen?“

„Ich weiß noch nicht, ob du nicht derjenige bist, den wir brauchen.“

„Ich weiß es. Ich habe mir das Hirn zermartert. Ich weiß nicht mal, warum ich hier bin. Wie kann ich euch helfen, wenn ich nicht einmal selbst weiß, was ich entdeckt habe?“

Dann verschwindet Shake.

„Ich hoffe, dass du dich irrst, denn du bist unsere letzte Hoffnung.“


Ich überzeuge den alten Mann, mich nach draußen gehen zu lassen. Ich muss klar im Kopf werden. Frische Luft hilft mir dabei. Er findet mich, während ich aufs Meer hinausstarre.

„Ich wünschte, ich würde mich erinnern“, sagt er.

Ich drehe mich zu dem alten Mann neben mir um.

„Es ist über fünfzig Jahre her. Welche Lektion auch immer du gelernt hast – für mich ist sie graue Geschichte.“

„Wie viel Zeit bleibt uns noch?“

„Nicht viel.“

„Ich will euch helfen. Ich verdanke Magic sehr viel. Es führte zu den besten Dingen in meinem Leben. Ich will nicht zusehen, wie es stirbt, aber ich weiß nicht, was es ist, was ich tun soll, um euch zu helfen.“

„Wenn du hierhergebracht wurdest, dann bedeutet das, dass du die Entdeckung bereits gemacht hast. Vielleicht hast du sie noch nicht verarbeitet, aber was auch immer geschehen musste, um sie anzustoßen, ist bereits geschehen. Wir müssen nur herausfinden, was es ist.“

„Okay. Wie machen wir das?“

„Vielleicht geht es gar nicht um Lock. Ich erinnere mich nicht mehr an die Details, aber ich glaube, wir hatten damals einige heiße Eisen im Feuer. Woran arbeitest du denn noch?“

„Ich bin im Designteam für Tears und Sweat. Wir machen Erkundungsdesign für Barrel. Ich bin Teil des Teams, das für den Magic-Film als Berater fungiert. Ich habe verschiedene Aufgaben in der PR. Ich habe meine Artikel und meinen Podcast und meinen Blog und mein Comic und den Rest meiner Social-Media-Profile. Ich habe über all das schon nachgedacht. Nichts.“

„Wie sieht es mit Projekten aus, die du abgeschlossen hast, aber die noch nicht veröffentlicht wurden?“

„Ich habe Blood im Juni übergeben. Das ist die Rückkehr nach Zendikar. Es wird gerade entwickelt.“

„Hast du darüber nachgedacht?“

„Ich habe damit gar nicht so viel zu tun. Ich schaue ab und an nach Erik und dem Stand der Dinge.“

„Und?“

„Und er macht tolle Arbeit. Ich habe ihm einen wirklich groben Designordner übergeben. Wir haben mitten im Design zum Zwei-Block-Paradigma gewechselt, und das hat mir allerhand Kopfschmerzen bereitet.“

„Diese Entdeckung muss relativ neu sein. Hast du letzte Woche mit Erik über den Ordner gesprochen?“

„Ich hatte am Montag eine Testpartie.“

Vorherbestimmen | Bild von Scott Chou

„Und wie ist es gelaufen?“

„Gut. Erik probiert eine neue Mechanik für die Eldrazi aus. Sie fressen Dinge aus der Exilzone auf.“

„Hat dir das gefallen?“

„Es hat sich gut gespielt. Das einzige Problem, was ich damit hatte, war, dass Erik die ‚gefressenen‘ Karten zurück in den Friedhof ihres Besitzers schicken will, anstatt sie aus dem Spiel zu nehmen.“

„Wo liegt das Problem?“

„Ich habe mich lange dafür eingesetzt, dass die Exilzone nicht zu einem zweiten Friedhof wird. Deshalb bin ich extrem vorsichtig damit, Karten, die von etwas anderem ins Exil geschickt wurden, zurück ins Spiel zu bringen. Ich habe im Grunde eine Regel aufgestellt, dass nichts Karten aus dem Exil zurückholen kann außer der Karte, die sie dorthin gebracht hat.“

„Was hast du Erik denn nun gesagt?“

„Erik fand, dass es zu sperrig wäre, extra eine neue Zone für Karten zu erschaffen, die aus dem Exil entfernt wurden. Er fand, dass der Friedhof rein vom Aufwand her die sauberere Lösung war. Also horchte ich ein bisschen in mich hinein. Ich wollte noch einmal genauer herausfinden, weshalb ich so sehr dagegen war, Dinge aus dem Exil zurückzuholen. Ich erkannte, wo mein eigentliches Problem lag: Karten ins Exil zu schicken, sollte unbedingt einen so hohen Preis darstellen, dass man es im Spiel nicht einfach so rückgängig machen kann. Wenn etwas erst einmal im Exil gelandet ist, sollte man es nicht mir nichts, dir nichts wieder zurückholen können. Wenn man jedoch nur die Karten des Gegners zurückbringen konnte, drohte genau diese Gefahr eben nicht. Ja, eine Karte kann zurückkehren, aber nur weil ein Gegner den Preis abgewogen hat und zulässt, dass es geschieht – und selbst dann landet sie auf dem Friedhof, auf den man generell schwieriger zugreifen kann.“

„Also hast du bei einer unbeugsamen Regel, die du für dich selbst aufgestellt hattest, zurückgesteckt?“

„Ich habe erkannt, dass es bei unserem Spiel einzig und allein um neue Entdeckungen geht. Wenn es also unser Ziel ist, neue Designräume zu erkunden, dann muss ich willens sein, alte Entscheidungen zu hinterfragen. Ich kann mir keine Absolutismen erlauben. Gutes Design verlangt, dass keine alten Regeln davor gefeit sein dürfen, neu bewertet zu werden.“

Der alte Mann und ich schauen einander an und lächeln.

„Das ist es. Deshalb kann die KI es nicht lösen. Sie ist nicht gewillt, alte Regeln zu brechen. Es muss irgendeinen alten Designraum geben, der für uns tabu ist, von dem aus wir neue Räume erschließen können. Wir haben vergessen, dass Magic das Spiel ist, das bisweilen seine eigenen Regeln bricht.“

Ich weiß nicht, ob ihr jemals von eurem fünfzig Jahre älteren Selbst umarmt wurdet, aber es ist überraschend angenehm. Ich weiß, dass ich jeden Augenblick in meine eigene Zeit zurückkehren und mich an nichts hiervon erinnern werde. Also gestatte ich mir einen Moment der Freude.

Das Letzte, was ich sehe, ist ein alter Mann, der mich mit Tränen in den Augen anblickt.


„Drive to Work #272 – ARC System“

Vor langer Zeit versuchte sich Wizards of the Coast an einer radikalen Idee, Sammelkartenspiele einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Die Idee scheiterte. Der heutige Podcast dreht sich um dieses Produkt.

„Drive to Work #273 – Fate Reforged, Part 1“

Dies ist Teil Eins einer fünfteiligen Reihe über das Design von Schmiede des Schicksals.