Was bisher geschah: Die Streitmacht

Von den Polyedern von Emeria hoch über Tazeem aus hat Gideon Jura Boten über die ganze Welt ausgesandt, um um Verbündete für ein letztes, verzweifeltes Auflehnen gegen die Eldrazi zu werben. In der Stadt Seetor, einst ein Zentrum des Lernens und der Kultur, wimmelt es von Eldrazi, doch Gideon hat sie dennoch als sein Schlachtfeld ausgewählt. Hier wird er die Bewohner Zendikars um sich scharen und ihnen beweisen, dass ein Sieg über die Eldrazi möglich ist.

Verbündete sind eingetroffen. Drana aus dem Haus Kalastria hat Vampire aus Guul Draz mitgebracht. Der eigenwillige Meermann Noyan Dar ist mit einem Kontingent „Turbulenzmagier“ erschienen, die dank ihrer Zauberkünste die Macht von Zendikars Turbulenz zu beherrschen vermögen. Krieger und Überlebende aus der ganzen Welt haben sich unter Gideons Banner vereint. Er hat die größte Streitmacht aufgestellt, die Zendikar je gesehen hat.

Doch wird sie ausreichen?


Die Massen drängten von den Polyedern herab, kaum dass sich der erste Silberstreif am fernen Horizont zeigte. Es ging nur langsam voran: Die Seile und Leitern, die die Polyeder miteinander verbanden, waren nicht dafür ausgelegt, von so vielen auf einmal verwendet zu werden. Als Gideon den Erdboden erreichte, wartete bereits eine halbe Streitmacht auf ihn, deren Kämpfer in jenen Lagern versammelt waren, welche sich im Schatten der Polyeder gebildet hatten, als es oben zu eng zu werden drohte. „Für Zendikar!“ Ein ohrenbetäubendes Gebrüll war die Antwort auf seinen Ruf.

Als Gideon die Überlebenden aus Voriks Lager auf die schwebenden Polyeder von Emeria geführt hatte, waren es kaum mehr als ein paar Dutzend gewesen – nur eine kleine Schar hatte er damals gedacht. Viele von ihnen waren verwundet gewesen. Einige – wie Vorik selbst – waren binnen weniger Tage ihren Verletzungen erlegen. Doch in den darauffolgenden Wochen waren Gruppen versprengter Überlebender angekommen, eine nach der anderen und so vereinzelt, dass Gideon kaum bemerkt hatte, wie groß das Lager inzwischen geworden war. Die Heiler hatten unermüdlich gearbeitet, um so viele Krieger wie möglich zurück auf die Beine zu bringen, damit sie wieder kämpfen konnten.

Nun stand Gideon an der Spitze einer Streitmacht – einem bunt zusammengewürfelten Haufen, keine Frage, doch es waren Hunderte und nicht nur eine kleine Schar. Dies war wahrlich eine Streitmacht Zendikars, denn ihre Teile stammten aus allen Winkeln der Welt – selbst aus dem gefrorenen Sejiri, das schon so gut wie entvölkert gewesen war, noch bevor sich die Eldrazi erhoben hatten. Kor, Angehörige des Meervolks und Elfen marschierten Seite an Seite mit Menschen, und selbst Goblins und Vampire fanden sich in ihren Reihen.

Gideon lächelte, als er seinen Blick über sie hinwegschweifen ließ. „Gideons Freischärler“, sagte er zu sich selbst und beschwor so bittersüße Erinnerungen an seine Jugend auf Theros herauf. Er und seine Freunde waren ebenfalls ein bunt zusammengewürfelter Haufen gewesen – weit entfernt von der strengen militärischen Zucht der Boros auf Ravnica.

Und nun, mit Gideon an der Spitze, würde diese bunt zusammengewürfelte Streitmacht – Zendikars Streitmacht – aufmarschieren, um Seetor von den Eldrazi zurückzuerobern.

Die ersten Eldrazi, denen sie begegneten, waren winzige Ausgeburten, die wie grasende Schafe über die felsige Hügelflanke verstreut waren. Jede von ihnen markierte das Ende einer fahlweißen Schneise jener Verheerung, die sie bei ihrer Nahrungsaufnahme hinterlassen hatte. Gideon stieß einen Kampfschrei aus und stürmte den Hügel hinab. Ein Dutzend eifriger Krieger folgte ihm. Sein Sural wirbelte umher und hieb und griff nach den Eldrazi, während die Speere und Schwerter seiner Verbündeten auf die sich windenden, tentakelbewehrten Kreaturen einhackten.

Irgendwo rechts von ihm, weit außerhalb seiner Reichweite, schrie ein Krieger auf. Gideon hielt inne, um nach der Quelle des Schreis zu spähen. Weitere Ausgeburten drangen auf ihn ein.

Sie fielen vor dem ersten Ansturm schnell, und die Streitmacht hinter ihm eilte mit gewaltigem, berauschendem Schwung auf die Stadt zu – wie ein Wind in Gideons Rücken. Bald schon rannte er selbst, brüllte und schwang seine Waffe wie ein Banner durch die Luft, während er sich einer weiteren Ansammlung von Eldrazi etwas näher bei der Stadt entgegenwarf. Diese hier waren größer und starben nicht so schnell. Waffen schnitten durch knöcherne Platten und hackten auf zuckende Tentakel ein, doch Gideon hörte unter den Kampfesrufen weitere Schmerzensschreie, als scharfe Knochenklauen zuhauten und zustießen und Fleisch unter der Berührung der Eldrazi Blasen schlug oder zu Staub zerfiel.

Die Streitmacht stürmte vorwärts, und mit einer gleichen Unersättlichkeit wie die Schwärme der Eldrazi schnitt sie eine Schneise durch die Feinde Zendikars. Gideon kannte nur noch die Schlacht: den unregelmäßigen Rhythmus, in dem sein Sural zischte und knallte und die Angriffe der Eldrazi gegen seinen Schild prallten oder von einem Ausstoß goldenen Lichts zurückgeworfen wurden. Der Rhythmus seiner Füße, wie sie sich vor und zurück, doch am Ende eben doch immer weiter voran bewegten. Näher und näher zu den weißen Steinen Seetors und dem in den Himmel ragenden Leuchtturm, der bald in Sicht kam. Vorwärts, immer weiter vorwärts, mit Zendikars Streitmacht im Rücken.

Ein gezackter Tentakel brach aus dem Rücken eines Kriegers der Meermenschen hervor, gleich links von Gideon. Ich hätte das verhindern können, dachte er schwermütig, doch er hatte keine Zeit, seinen Fehler zu bereuen.

Immer weiter vorwärts.

Ein Knäuel ineinander verworrener Tentakel unter einem knöchernen Kopf umschlang drei Krieger zu seiner Rechten. Gideon sprang zum Angriff vor und trennte den Kopf mit einem schnellen Streich ab. Doch alles, was von den drei Kriegern übrig blieb, war Staub, der durch die Tentakel rieselte. Er war zu langsam gewesen.

Keine Zeit. Immer weiter vorwärts.

Eine riesige Knochenhand fegte einen Kor in der Nähe vom Boden in die Luft. Gideon sprang ihm nach, hieb auf den Arm ein und rammte seinen Schild in das Gesicht des Eldrazi. Die Hand krampfte sich zusammen. Blut spritzte zwischen den Fingern hervor, und das Ungeheuer und der Kor gingen gemeinsam zu Boden.

Vorwärts ...

Schlängelnder Stachel | Bild von Jaime Jones

So viele Zendikari starben. So viele Männer und Frauen, die ihm folgten, rannten in den Tod. Plötzlich war er wieder auf Theros, ein forscher junger Mann, der Heliods Speer auf den Gott des Todes schleuderte. Und die Zendikari um ihn herum, jene bunt zusammengewürfelte Streitmacht, die er so wohlwollend mit seinen Freischärlern verglichen hatte, starben nun ebenso wie die wahren Freischärler und zahlten den Preis für seine Arroganz und seinen Fehler.

Die Last dieser vier Toten würde ihm nie von den Schultern genommen werden. Vier. Wie viele Hunderte mehr würde er nach dem heutigen Tage mit sich herumtragen?

Er schüttelte den Kopf, um die tristen Gedanken zu vertreiben, und bemerkte, dass sein Ansturm ihn vom Rest der Streitmacht abgeschnitten hatte. Er schlug einen weiten Bogen durch die Eldrazi um sich herum und wandte sich zu seinen Truppen um. Die Angreifer waren zum Halt gezwungen worden, und nun wogte ein Meer von Eldrazi zwischen ihm und dem Rest seiner Armee.

So viele von ihnen starben.

Es war kein spitzer Keil mehr, der auf Seetor zuhielt. Die Streitmacht war in eine breitere Aufstellung gefallen, und den Eldrazi war es gelungen, zwischen die Krieger zu kommen. Verteidigungsformationen waren auseinandergebrochen, der Angriff ins Stocken geraten und die Krieger müde. Wie viele Stunden hatten sie gekämpft?

Der Tag neigte sich schon dem Ende zu. Der Leuchtturm von Seetor lag noch immer weit entfernt jenseits eines Schlachtfelds voller tödlicher Feinde. Und Zendikars Streitmacht wankte und drohte unterzugehen.

Es war seine Schuld.

Munda, jener Anführer der Kor, den man „die Spinne“ nannte, befand sich ein paar Schritte rechts von ihm und schwang das komplizierte Netz aus Seilen, dem er seinen Spitznamen verdankte. Wie auch Gideon hatte er sich zu weit aus der Masse der zendikarischen Truppen herausgewagt, und seine Kräfte schwanden.

Gideon schlug sich eine Schneise zu ihm. „Komm mit“, sagte er.

Munda knurrte.

„Zurück zu unserer Armee“, sagte Gideon. „Wir müssen sie zusammenziehen.“

Munda warf einen Blick über die Schulter auf die Streitmacht und das, was einst eine geschlossene Frontlinie gewesen war. „Das wird nicht genügen“, sagte er.

Trotz seiner Bedenken bewegte sich Munda Rücken an Rücken im Gleichschritt mit Gideon. Die beiden waren oft vom Lager aus gemeinsam aufgebrochen, um Eldrazi zu jagen, und sie kämpften gut zusammen. Doch mehr und mehr Eldrazi drangen in die Lücken vor, die das beständige Wirbeln ihrer Klingen hinterließ.

Munda, Guerillaführer | Bild von Johannes Voss

„Für Zendikar!“, rief Gideon, als sich die krude Linie der Krieger teilte und ihn hindurchließ. Der Ruf wurde inbrünstig aufgenommen, kein Zweifel, aber er war dennoch schwach. „Zu mir!“, brüllte er. Die Krieger begannen, sich mühsam in so etwas wie eine neue Aufstellung zu begeben.

„Wir werden hier nicht gewinnen“, sagte Munda. „Nicht heute.“

Gideons Magen krampfte sich zusammen. Eine Niederlage war nichts, was er im Augenblick in Betracht ziehen wollte.

„Ein anderes Mal“, sagte Munda. „Wenn wir lange genug leben.“

„Rückzug“, murmelte Gideon halb zu sich selbst.

„Rückzug!“, rief eine Kämpferin neben ihm. Es war eine Kor, die er zuvor schon gesehen hatte. Ein Wachposten aus dem Lager. Blut rann von ihrer Stirn an ihrem Auge vorbei und wie Tränen ihre Wangen hinunter.

„Rückzug!“, wiederholte Munda, und der Ruf pflanzte sich durch die Reihen fort.

Gideon spürte es beinahe sofort: Das, was eben noch das Gefühl eines Vorwärtsdrangs gewesen war, das Gefühl eines beinahe körperlich spürbaren Drucks hinter ihm, löste sich auf und an seine Stelle trat ein sanftes Ziehen in die genau entgegengesetzte Richtung, als die Streitmacht begann, vor dem Feind zurückzuweichen.

„Rückzug!“, rief Gideon und bereitete sich darauf vor, die Nachhut für seine Truppen zu bilden.

Disziplinierten Einheiten gelang es, auch dann in Formation zu bleiben, wenn sie sich vor dem Feind zurückzogen, um sich selbst zu schützen. Ein paar Augenblicke lang sah es so aus, als würde auch Zendikars Streitmacht ein solcher Rückzug gelingen. Munda blieb dicht an Gideons Seite und half ihm, den Truppen den Rücken zu decken.

Doch dies waren zum Großteil keine disziplinierten Einheiten. Sie waren zäh, trotzig und entschlossen, gestählt durch alle Unbill des Lebens auf Zendikar und an den Schrecken der Eldrazi gewöhnt. Doch sie waren müde und die Eldrazi setzten ihnen unerbittlich nach.

Und so viele von ihnen waren gestorben.

Der geordnete Rückzug wurde zu einer wilden Flucht. Das Gefühl eines Ziehens in seinem Rücken wurde zu einem saugenden Wirbel, als die Reihen hinter ihm auseinanderstoben und sich in alle Winde verstreuten.

„Haltet die Linie!“, rief Gideon, und das Ziehen wurde eine Winzigkeit schwächer. Die Krieger, die ihm am nächsten waren, verlangsamten ihren Rückzug und schlossen die Formation, doch für den Rest war es zu spät. Zendikars Streitmacht – seine Streitmacht – war nicht mehr.

Und so war es an Gideon, Munda und einer Handvoll Kämpfer, die Eldrazi aufzuhalten, so wie der Damm von Seetor die Fluten des Halimar-Meeres zurückhielt.

Irgendwo weit hinter ihm erschallte ein Horn, das zum Sammeln aufrief. Für ihn und die Wellen von Eldrazi, die um ihn herum zusammenschlugen, machte es nicht den geringsten Unterschied. Doch es gab ihm in Ermangelung einer sich geordnet zurückziehenden Streitmacht wenigstens eine Richtung vor. Er behielt den Klang des Horns im Rücken und kämpfte sich zurück auf die Hügel über der Stadt.


Endlich stellten die Eldrazi die Verfolgung ein. Gideon wandte sich von Seetor ab und schloss sich dem an, was von seiner Streitmacht noch übrig war. Auf einer Anhöhe stand Tazri inmitten vereinzelter Kämpfer unter einem zerlumpten Banner. Sie war es, die ins Horn gestoßen hatte. Beim Erreichen der Kuppe sah Gideon Gruppen von Kämpfern, die auf der anderen Seite des Hügels Lagerfeuer entzündeten. Als die Sonne den Horizont berührte, fand die Streitmacht Zendikars wieder zusammen.

Munda klopfte ihm auf die Schulter. „Wir haben es in einem Stück geschafft, alter Freund“, sagte er.

„Gut gekämpft“, sagte Gideon. „Und ich freue mich, dich zu sehen, Tazri.“

„Das war ein Desaster, Generalhauptmann“, sagte sie. Ihr Tonfall verwandelte den Titel in eine Anklage.

Gideon blickte sie lange finster an, während Munda den Atem anhielt.

„Also schön“, sagte er schließlich. „Was habe ich falsch gemacht?“

„Nichts“, sagte sie. „Das ist es ja. Du hast nichts gemacht.“

Gideon spürte, wie sein Gesicht rot anlief. „Nichts? Ich muss Dutzende getötet haben. Ich habe so viele gerettet ...“ Die Worte blieben ihm im Hals stecken. Wie viele hatte er denn gerettet? Dutzende? Vielleicht. Aber nicht genug.

„Du bist ein Held, der seinesgleichen sucht, mein Freund“, sagte Munda. „Meine eigenen Haken haben ...“

„Doch diese Leute brauchen einen Befehlshaber“, sagte Tazri. „Ich habe getan, was ich konnte. Ich habe es versucht. Aber sie schauen nur auf dich.“

„Ich habe den Ansturm angeführt“, protestierte er, doch jeder einzelne Tod, den er nicht hatte verhindern können, lastete schwer auf ihm.

„Das ist nicht das Gleiche. Du hast sie angeführt – von der Frontlinie aus, als ein strahlendes Vorbild für deine Truppen.“ Sie schnaubte spöttisch. „Und du hast erwartet, dass deine Truppen dir mitten ins Getümmel folgen werden.“

Gideon runzelte die Stirn. „Ja, ich erwarte von allen Truppen dieser Streitmacht, sich gemeinsam mit dem Rest dem Kampf zu stellen. Niemand läuft hier einfach nur so mit.“

„Du erwartest von allen Truppen dieser Streitmacht, so wie du zu sein“, sagte sie und stieß ihm den Finger gegen die Brust. „Sieh sie dir doch an! Da unten sind keine tausend Gideons!“

„Zum Glück“, warf Munda ein und schien dabei halb zu prusten.

„Ja“, sagte Tazri. „Ja. Tausend Gideons wären zweifellos etwas, womit man sich nicht anlegen sollte. Doch was würden sie gegen die fliegenden Eldrazi ausrichten? Oder die im Meer?“

Gideon blickte hinunter auf die Streitmacht, auf die Kontingente von Elfen und Meermenschen mit ihren gepanzerten Himmelsaalen und fliegenden Rochen, auf die Vampire und Goblins, auf die Lenkdrachensegler und Hakenträger der Kor, auf die Menschen aus allen Teilen der Welt.

Bild von Kieran Yanner

„Tausend Gideons, die mit ihren Peitschen wedeln und ‚Für Zendikar‘ schreien, während sie sich kopflos auf den Feind stürzen. Das könnte vielleicht etwas werden, wenn sie ebenso unverwundbar wären wie du. Vielleicht könnten sie die Eldrazi und gar Ulamog selbst allein durch puren Starrsinn überwinden. Aber eine solche Armee hast du nicht, Generalhauptmann.“

„Meinst du, ich weiß das nicht?“, fragte Gideon und baute sich vor ihr auf. „Ich habe sie sterben sehen. So viele von ihnen.“

Tazri legte beide Hände auf seine Brust und stieß ihn fort. Der leuchtende Reif um ihren Hals gleißte auf. „Und ich habe sie kämpfen sehen! Wir sind Zendikari, Planeswalker! Jeder hier ist auf einer Welt aufgewachsen, die uns alle töten zu wollen schien, auch schon lange bevor die Eldrazi kamen. Jedes Volk und jede Kultur unserer Welt kennt Möglichkeiten, um zu kämpfen, und Wege, um mit den Bedrohungen fertigzuwerden, die die Welt nach uns aussendet. Und nur bei sehr wenigen davon geht es darum, kopfüber in die eigene Vernichtung zu rennen!“

Ihre Worte stachen ihm wie ein Dolch in die Brust.

„Du beflügelst diese Leute“, sagte sie. „Vorik hat das erkannt. Auch ihn hast du beflügelt. Sogar ich habe es gespürt. Du vertraust darauf, dass die Menschen ihr Allerbestes geben, und deinetwegen wollen sie dieser Erwartung auch gerecht werden. Aber du lässt ihnen keine Möglichkeit dazu, dies tatsächlich zu schaffen.“

Gideon warf die Hände in die Luft. „Ich verstehe nicht“, sagte er. „Was brauchen sie denn noch?“

Tazri wirbelte zu ihm herum und blickte ihn an. „Einen Plan!“, sagte sie. „Eine Strategie! Sie müssen wissen, wo ihr Platz in der Streitmacht und im allgemeinen Angriffsplan ist! Sie müssen wissen, dass sie einem anderen Teil der Streitmacht helfen, wenn sie das tun, was sie am besten können! Sie wissen, was sie leisten können, aber du musst herausfinden, wie alles zusammenpasst, und es ihnen erklären.“

Gideon erkannte den Schmerz in ihrem Blick, hörte die Verwirrung in ihrer Stimme und sah sie plötzlich inmitten der schrecklichen Schlacht vor sich, wie sie Kämpfern beim Sterben zuschauen musste, ohne ihnen auch nur die geringste Hilfe leisten zu können. Und er begriff, dass er nicht nur seine Streitmacht im Stich gelassen hatte, sondern auch deren Befehlshaber.

„Geh ein Stück mit mir, Tazri“, sagte er. „Du auch, Munda.“

Mit den beiden Kommandeuren an seiner Seite schritt Generalhauptmann Gideon Jura den Hügel zu den Lagern seiner Truppen hinab.


Im Laufe der nächsten Tage formte sich ein Plan. Gideon traf sich mit jedem Kommandeur der Streitmacht, einzeln und in Gruppen. Er bestritt Übungsgefechte mit den Soldaten, fand heraus, wozu sie imstande waren, und ritt auf dem Rücken eines Himmelsaals. Fliegende Kundschafter – Kor mit ihren Lenkdrachen, Elfen und Meermenschen auf ihren fremdartigen Reittieren und Vampire, die sich auf eine ihm unerklärliche Weise in die Luft zu erheben vermochten – berichteten ihm ständig von den Bewegungen der Eldrazi und der Lage in Seetor.

Nun war es wirklich an der Zeit.

Zwar war er sich auch schon zuvor des Sieges, seiner Unverwundbarkeit und dem schieren Eifer seiner Streitmacht mehr oder minder gewiss gewesen. Nun verspürte er jedoch echte Zuversicht. Er hatte einen Plan, die Truppen hatten einen Plan und jeder einzelne Kämpfer konnte erkennen, wie seine besonderen Fähigkeiten zu ihrem gemeinsamen Sieg beitragen würden. Sie waren eins und jeder über seine Aufgabe im Klaren. Er kannte das Gebiet und wusste, wo sich die Eldrazi am stärksten ballten. Der Sieg war natürlich keine abgemachte Sache, aber Gideon wusste, dass er möglich war. Jeder aus ihren Reihen wusste das. Sie kämpften nicht mehr verzweifelt ums Überleben, sondern hatten einen Plan, wie sie den Sieg davontragen konnten.

Golden brach über dem Meer im Osten ein neuer Morgen an, und die ersten Sonnenstrahlen glänzten auf den Speeren und Helmen auf dem Hügel. Die Truppen hatten sich bereits formiert und waren bereit, auf sein Zeichen hin loszumarschieren. Als das erste Morgenrot über den Hügel hinwegspitzelte, wirbelte Gideon sein Sural durch die Luft und rief: „Für Zendikar!“

Und irgendwie, trotz des Gemetzels des vorherigen Angriffs und trotz der vielen Gefallenen, gelang Zendikars Streitmacht eine ohrenbetäubende Antwort.

Sie marschierten los. Die Frontlinien waren geordnet und diszipliniert und marschierten im perfekten Gleichschritt zum Schlag einer Muschelschalentrommel eines Meermenschen. Hinter ihnen huschten Goblins umher. Elfen mit ihren Bögen pendelten zwischen Vorhut und Nachhut der Armee. Hoch droben in den Lüften zogen Himmelsaale und fliegende Rochen ihre Kreise, und eine ganz eigentümliche Gruppe Meermenschen unter dem Befehl von Noyan Dar stolperte unter wirren Verrenkungen voran, während sie darauf wartete, ihre bizarre Turbulenzmagie zu wirken. Ordnung und Gleichschritt waren nur an der Front wichtig, für die Soldaten unmittelbar neben Gideon, doch nicht für alle anderen. Verschiedene Trommeln für verschiedene Truppen, erinnerte er sich.

Als sich die Streitmacht der ersten versprengten Gruppe von Eldrazi näherte, rief Gideon Ermahnungen, derer seine Truppen gar nicht bedurft hätten: Sie rückten geordnet vor. Klingen sangen und fuhren pfeifend nieder. Eldrazi fielen. Verwundete Kämpfer zogen sich zurück und solche aus der Reihe hinter ihnen nahmen ihren Platz ein. Ein Großteil der Truppen hielt sich tunlichst zurück und wartete, bis er gebraucht wurde. Es war zu früh für Gideon, seine beweglicheren Truppen hinzuzuholen.

Er kämpfte. Er tötete Eldrazi. Er beschützte die Kämpfer neben sich, wann immer er konnte. Er hielt die Reihe, damit die Eldrazi nicht durchbrechen konnten. Er hatte trotz Tazris Einwänden darauf bestanden, die Streitmacht auch weiterhin von der vordersten Front aus zu befehligen. Er hatte sich jedoch damit einverstanden erklärt, gelegentlich ein paar Reihen zurückzufallen, um sich von einem fliegenden Kundschafter berichten zu lassen, wie sich die gesamte Schlacht entwickelte.

Eine dieser Späherinnen brachte am Nachmittag des ersten Tages beunruhigende Kunde. Sie hatte etwas im Meer vor Seetor entdeckt, was wie eine Streitmacht – eine Flotte? – aus Ungeheuern aussah, die auf die Stadt zuschwamm. Keine Eldrazi, sondern Schlangen, Haie, riesige Oktopusse und sogar ein oder zwei Kraken rauschten einer immensen Flut gleich auf die Stadt zu. Gideon wäre besorgt gewesen, hätte die Kundschafterin nicht hinzugefügt, dass Teile wasserbewohnender Eldrazi wie Fischfutter hinter ihnen auf den Wellen trieben.

„Verbündete also“, sagte Gideon. „Zumindest für den Augenblick.“

Oktopus-Spielstein | Bild von Craig J Spearing

Die Streitmacht setzte ihren stetigen Vormarsch fort, und der Leuchtturm von Seetor kam erneut in Sicht. Der Anblick versetzte die Truppen in eine gespannte Erwartung – Gideon spürte, wie sich auch diese Energie beinahe körperlich fassbar in seinem Rücken aufbaute. Auch er empfand diese besondere Form der Erregung, doch er widerstand dem Drang, aus der Reihe auszubrechen und voranzupreschen. Viele Stunden heftiger Gefechte lagen noch zwischen ihnen und den Mauern von Seetor.

Als ein Kundschafter schwere Verluste an der rechten Flanke meldete, schickte Gideon mehr Truppen dorthin, wobei man seine Befehle durch Hornsignale übermittelte. Als er hörte, dass ein gewaltiger Schwarm fliegender Eldrazi sich aus Richtung des Binnenmeers Halimar näherte, entsandte er ein Kontingent Aalreiter und Bogenschützen, um ihn abzuwehren. Er schickte ein Bataillon Goblins aus, um eine Gruppe aus flinken, kleineren Eldrazi zu bekämpfen, die die stärkeren Soldaten nur von größeren Bedrohungen abgelenkt hätten.

Die Sonne senkte sich blutrot dem westlichen Horizont entgegen und verlieh der Schlacht so eine beeindruckende Kulisse. Die Eldrazi zeigten – wenig überraschend – keine Anzeichen von Ermüdung. Ebenso wenig schienen die länger werdenden Schatten sie zu beeinträchtigen. Gideon gab einen Befehl, der durch Hornstöße weitergetragen wurde, und die vorderen Reihen begannen einen vorsichtigen Rückzug.

Er bemerkte, dass er den Atem anhielt, und zwang sich, seinen Truppen zu vertrauen. Dies war alles Teil des Plans, und jeder wusste, dass nur das geschah, was geschehen sollte. Die Reihen aus Kor, Menschen und elfischen Fußsoldaten fielen zurück und ausgeruhte Kämpfer traten an ihre Stelle: Vampire.

Gideon spürte die Anspannung der sich zurückziehenden Krieger. Eldrazi vor ihm, Vampire hinter ihm und ihr furchterregender Bluthäuptling Drana, die über allem schwebte: Es fühlte sich zu sehr an, als säßen sie zwischen zwei Feinden in der Falle. Er wusste – sie alle wussten –, dass die Vampire genauso für Zendikar stritten wie sie selbst. Doch sie wussten auch, dass Vampire sich von Blut ernährten. Und die gesamte Streitmacht war hungrig.

Doch es gab keinen Zwischenfall. Die Vampire, ausgeruht und von der Dunkelheit nicht im Mindesten behindert, stürmten vorwärts und drangen mit entsetzlicher Gier auf die Eldrazi ein. Offenkundig waren sie in der Lage, ihren Hunger und ihren Blutdurst in Kampfeseifer umzuwandeln. Gideon und die Reihen hinter ihm durchströmte Erleichterung, auch wenn sich die Strapazen der Schlacht mehr und mehr bemerkbar machten.

Dies war der Teil des Plans, bei dem Tazri Gideons Einwände abgeschmettert hatte: Er ruhte sich aus, aß mit den anderen Kommandeuren und verbrachte den Abend damit, Pläne und Strategien zu besprechen. Der Tag war erfolgreich gewesen, und Gideon musste darauf vertrauen, dass die Nacht ebenso gut verlaufen würde, selbst wenn er nicht an vorderster Front mitkämpfte. Er fand sogar Schlaf. Doch kaum war das erste Sonnenlicht am östlichen Himmel zu sehen, stieß er wieder zu seinen Truppen und spornte die Vampire zu einem neuerlichen Ansturm an.


Am zweiten Tag kamen die Mauern Seetors in Sicht, die die Stadt vor Bestien und Räubern beschützen sollten und die beinahe vollständig zerstört worden waren, als die Eldrazi die Stadt überrannt hatten. Das Land, das das Halimar-Meer vom Ozean draußen trennte, wurde rasch schmaler, bis es schließlich in den großen weißen Damm Seetors und in die brüchigen Mauern der Stadt überging. Zur Halimarseite hin war es ein sanfter Abhang zu einem ruhigen Strand, während sich auf der anderen Seite Klippen zu dem tosenden Meer tief unten erstreckten. Die Landzunge stellte eine besondere Herausforderung dar: Auf ihr waren beide Flanken der Streitmacht Angriffen durch fliegende oder schwimmende Eldrazi schutzlos ausgeliefert. Zudem senkte sie sich vor den Stadttoren steil ab, was ein geordnetes Marschieren schwierig machte.

Doch das Problem, das Gideons Aufmerksamkeit fesselte, hatte nichts mit dem Gelände oder auch nur den Eldrazi zu tun. Es war vielmehr der riesige Oktopus, der die Klippe neben der Streitmacht halb erklommen hatte und einen gewaltigen Tentakel nach ihnen allen ausstreckte. Genau genommen war es die Meerfrau, die oben auf dem Tentakel saß.

Gideons Krieger warteten auf seine Befehle. Also schob er seine Verblüffung beiseite und begab sich zum Rand der Klippe, um die Meerfrau zu begrüßen. Sie war eine bemerkenswerte Erscheinung: Auf ihrer kobaltblauen Haut glänzte Wasser. Große Finnen mit indigofarbenen Streifen standen ihr vom Kopf ab wie aufwendig frisiertes Haar, und auf ihrer Stirn prangte ein blauer Saphir auf einer Art Kopfschmuck oder Krone. In einer Hand hielt sie eine Waffe: einen seltsam gezackten Speer, der sich am oberen Ende höchst anmutig in zwei Spitzen gabelte und aussah, als wäre er aus roten Korallen gefertigt. Er wirkte ... sonderbar vertraut.

„Nun sieh sich das einer an“, sagte sie grinsend. „Habt Ihr eine Streitmacht aufgestellt, um mir zu helfen, die Stadt einzunehmen?“

„Euch zu ... helfen?“, stammelte Gideon.

„Ich bin Kiora“, sagte die Meerfrau.

Kiora, Herrscherin der Tiefen | Bild von Jason Chan

Gideon begegnete dem Blick aus Kioras dunklen Augen. „Gideon Jura“, sagte er. „Generalhauptmann dieser Streitmacht. Wir sind gekommen, um Seetor zurückzuerobern.“ Er verzog den Mund zu einem halben Grinsen. „Und wir nehmen eure Hilfe gern an.“

Sie lachte rau auf und hob den Speer. Eine Woge schwoll im Meer hinter ihr an und gab den Blick auf die dunklen, schemenhaften Umrisse gewaltiger Meereskreaturen frei – die „Flotte“, von der Gideons Kundschafterin gesprochen hatte.

„Und ich bin Generalhauptmann dieser Streitmacht“, sagte sie. „Ich bin die brandende Welle, die Herrscherin der Tiefen. Ich habe mich einer wahren Göttin im Kampf gestellt, und den falschen Eldrazigöttern wird nicht gelingen, was Thassa versagt blieb.“

„Thassa?“, sagte Gideon mit großen Augen. Natürlich, der Zweizack. „Ihr seid auf Theros gewesen?“

Kiora zwinkerte ihm zu – eine etwas verstörende Geste, da sie das Schließen zweier einzelner Lider ein und desselben Auges erforderte. „Ich nehme Eure Hilfe gern an, Planeswalker.“

Die Woge, die sie herbeigerufen hatte, brandete gegen den großen weißen Damm von Seetor. Das Meer schäumte, als Haie und Wale, Schlangen und Kraken auf die Eldrazi eindrangen.

„Die Schlacht um Seetor hat begonnen, Gideon Jura. Ihr beeilt Euch besser, wenn Ihr mithalten wollt.“

Der gewaltige Tentakel senkte Kiora wieder zum Meer herab, in dem bereits eine neue Welle anschwoll. Weitere Eldrazi, die wohl versuchten, Kioras Wellen zu entkommen, stürmten auf die Streitmacht zu und Gideon rief Befehle. Die „Armee“ der Meervolk-Planeswalkerin war eine chaotische Macht, die er nicht zu lenken vermochte, doch er konnte den Angriff seiner eigenen Armee daran anpassen, um das Beste daraus zu machen. Hörner erschallten und trugen seine Befehle über die Truppen hinweg. Er spürte, wie neue Tatkraft die Kämpfer um ihn herum erfasste.

Kioras Truppen deckten eine Flanke seiner Streitmacht, wodurch es einfacher wurde, die äußere Mauer Seetors zu erreichen – zumindest dem reinen Vorhaben nach. Die größte Schwierigkeit bestand jedoch darin, dass ständig Eldrazi aus Seetor herausströmten – auf der Suche nach dem, was für sie wohl saftigere Weiden waren –, und das Terrain zwang sie unmittelbar in den Weg von Gideons Streitmacht. Es gab keine Möglichkeit mehr, die größten Ansammlungen von Eldrazi zu umgehen. Sie mussten sich dem Feind im Kampf stellen.

Gideon spürte, wie begierig seine Leute darauf waren. Da die Mauern Seetors nun in Sichtweite waren, wollten sie vorwärts auf den Feind zustürmen, um ihn vom Antlitz der Welt zu tilgen. Er verstand diesen Drang, doch er ließ die Frontreihe langsam und gleichmäßig vorrücken. Es würde keine Wiederholung ihres ersten, leichtsinnigen Ansturms geben.

Vorwärts, immer weiter vorwärts – allerdings wesentlicher langsamer. Die Eldrazi sprudelten als reißender Strom aus der Stadt hervor, und jeder einzelne Schritt nach vorn musste mühevoll erstritten werden.

Als eine weitere Nacht hereinbrach, füllten Dranas Vampire erneut die vorderen Reihen und versuchten, ihre Position zu halten, doch sie waren zu wenige, um sich der Flut wirkungsvoll entgegenstemmen zu können. Die Wucht von Kioras Angriff zu Wasser schien mit dem Einbruch der Nacht ebenfalls zu verebben. Die Vampire wurden immer weiter zurückgedrängt, bis sie die Lager hinter sich erreichten und erschöpfte Krieger aus dem Schlaf gerissen werden mussten, um die Eldrazi in der Dunkelheit abzuwehren.

Kalastria-Nachtwache | Bild von Jama Jurabaev

Die lange Nacht sorgte für ein noch mühsameres Vorankommen am darauffolgenden Tag. Doch als die Sonne im Zenit stand, hatte die Streitmacht endlich die äußere Mauer von Seetor erreicht. Jubel brandete an den Frontlinien auf, als die Krieger den Stein berührten und die Hände in einem Akt vertrauter Ehrerbietung flach gegen den Wall pressten. Vielen von ihnen war Seetor eine Heimat und für alle anderen die Mauer ein wichtiger Meilenstein auf ihrem Weg zum Sieg.

Ein Drittel war Schutt und ein weiteres Drittel fahler Staub, doch zumindest lenkte die Mauer die Bewegungen der Eldrazi nach wie vor grob in eine Richtung. Verteidigungsstellungen – selbst diejenigen auf der falschen Seite der Mauer – halfen den Vampiren dabei, die Eldrazi während der Nacht in Schach zu halten, sodass die anderen Kämpfer rasten konnten.

Und am nächsten Tag, dem vierten Morgen seit Beginn ihres Marsches, strömte Zendikars Streitmacht durch die Mauer und betrat Seetor.

Plötzlich schlug Gideon eine andere Schlacht. Statt auf dem offenen Gelände außerhalb der Mauern trafen die beiden Armeen nun in den Straßen der Stadt aufeinander und kämpften in verwinkelten Gassen und auf kleinen Plätzen. Wie auch die äußere Mauer waren die meisten Gebäude zumindest teilweise zerstört, doch selbst eine einsame Hauswand reichte oftmals schon aus, um die Sicht zu versperren und ein Hindernis darzustellen. Geordnetes Marschieren war nicht länger möglich.

Das bedeutete, dass es an der Zeit war, die anderen Streiter das tun zu lassen, was sie am besten konnten. Elfische Waldläufer bewegten sich flink und leise von Gebäude zu Gebäude und spähten voraus, sodass einzelne Truppenteile sich durch die Stadt vorwärtsbewegen konnten. Schleichende Goblins drückten sich in enge Öffnungen, um einzelne Eldrazi hervorzulocken, und retteten sogar ein paar Überlebende, die im Schutt gefangen waren oder sich in Kellern versteckt hatten, seit die Stadt gefallen war. Lenkdrachensegler und Aalreiter ließen flüchtige alchemistische Gebräue auf größere Gruppen von Eldrazi herunterregnen, die in alles verzehrenden Flammen aufgingen.

Gideon konnte mittlerweile nicht einmal mehr einschätzen, ob sie weiter vorankamen oder ob sie sich auf dem Rückzug befanden. Während Gruppen von Kämpfern den einen Häuserblock einnahmen, umgingen die Eldrazi ihn und griffen den anderen unmittelbar dahinter an. Manche Kämpfer hatten den Leuchtturm schon fast erreicht, während andere noch immer am Tor gegen die Eldrazi kämpften. Gideon war sich nicht einmal sicher, wie ein Rückzug in dieser Lage hätte aussehen können, doch die Eldrazi waren überall und dies blieb seinen Truppen schlichtweg unmöglich. Er musste sich etwas einfallen lassen.

Er hielt einen Moment inne und blickte auf einen gewaltigen Eldrazi, der sterbend umhertaumelte, und Gideon spürte die Steine unter seinen Füßen erbeben.

„Ich brauche Augen!“, rief er. „Was kommt da?“

Eine Meerfrau auf einem riesigen Aal tauchte zu ihm herunter. „Zendikar!“, rief sie. „Zendikar kommt, um mit uns zu kämpfen!“

„Was?“

„Bäume und Steine! Das Land erhebt sich, um die Eldrazi zu vernichten!“

Gideon verstand sie nicht – bis das erste Elementar an ihm vorbeistapfte. Es war wie ein gewaltiges Wildtier geformt, doch sein Kopf ähnelte einer uralten Eiche mit einem klaffenden Schlund inmitten seiner Wurzeln, und seine Beine sahen aus wie ein Gewirr aus Ästen und Ranken von imposanten Ausmaßen. Jeder seiner Schritte brachte den Boden zum Erzittern. Im Laufen drehte es den Kopf hin und her und schleuderte so Eldrazi aus seinem Weg.

Waldlandwanderer | Bild von Vincent Proce

Weitere Elementare kamen in Sicht. Sie ragten über den Gebäuden auf und stapften breite Straßen entlang. Sie waren Holz und Blatt, Ranke und Zweig, Felsen und Stein. Und ein paar Straßen weiter sah er zwischen den beiden gewundenen hölzernen Hörnern eines hoch aufragenden Elementars eine jubelnde Elfe stehen, deren Hände und Augen grün leuchteten. Nissa war zurückgekehrt. Und sie hatte in der Tat Zendikar mitgebracht.

Noyan Dars Turbulenzmagier hatten die zerstörerische Macht der Welt besungen: „Die Welt wogt! Sie bebt! Sie lebt! Sie zerstört oder stirbt!“ Und hier war sie, die Welt, und tat genau das. Nicht als unberechenbare und alles vernichtende Turbulenz, sondern als eine Naturgewalt, die in zum Leben erwachten Körpern Gestalt angenommen hatte und auf Nissas Befehl hin handelte.

Gideon spürte, wie sich das Blatt wendete. Seine Kämpfer waren beflügelter und tatenlustiger, als er sie jemals gesehen hatte. Zendikar war eine raue Welt, und die meisten ihrer Bewohner waren mit dem Wissen aufgewachsen, dass diese Welt sie unentwegt zu töten versuchte. Doch nun kämpfte die Welt an ihrer Seite und tötete ihre Feinde. Gruppen von Kämpfern reihten sich hinter den Elementaren ein, feuerten sie an und töteten jeden Eldrazi, der dem Griff der Wurzeln und den schweren Treffern der Felsen entwischte.

„Bring mich nach oben!“, rief er der Meerfrau zu, die noch immer neben ihm auf ihrem Aal schwebte.

Sie brachte ihr Tier näher heran, und Gideon begann zu klettern – erst auf das Dach eines nahen Gebäudes und dann hinter der Reiterin in den Sattel des Aals. Gemeinsam stiegen sie über der Stadt auf, damit Gideon sehen konnte, wie alle Teile seiner Armee zusammenarbeiteten.

Als er mit den Kommandeuren den Angriffsplan ausgearbeitet hatte, hatte er oft das Bild eines Körpers gebraucht, dessen einzelne Gliedmaßen perfekt zusammenspielten. Nun sah er, wie treffend dieser Vergleich war. Die beiden Armeen – Zendikars Streitmacht mit ihren Kämpfern und Meeresungeheuern und Elementaren zum einen und die Schwärme der Eldrazi zum anderen – waren wie zwei Ringer ineinander verschlungen. Jede von ihnen nahm etwa die Hälfte des Damms von Seetor ein. Zwischen ihnen befand sich der Leuchtturm. Die Elementare hatten dabei geholfen, jene Eldrazi zu vertreiben, die sich an den Frontlinien vorbeigekämpft hatten, sodass die Zendikari ihren Teil Stadt gut im Griff hatten.

Und sie hatten die Oberhand. Sie würden siegen!

Zahlenmäßige Überlegenheit | Bild von Tyler Jacobson

Auf Gideons Befehl hin lies ihn die Aalreiterin in der Nähe des Leuchtturms absteigen. Er rief weitere Anweisungen, die durch die Hörner zum Rest der Kämpfenden übermittelt wurden. Krieger marschierten, Lenkdrachensegler erhoben sich in die Luft, Kundschafter schlichen sich zwischen den Gebäuden hindurch und der Sieg rückte immer näher.

Jenseits des Leuchtturms flauten die Kämpfe allmählich ab. Anstatt gegen den Strom von Eldrazi anzukämpfen, die die Stadt zu verlassen versuchten, trieben die Zendikari sie nun zum anderen Ende der Stadt vor sich her. Die Kreaturen kämpften noch immer und schienen nach wie vor entschlossen, die Zendikari in Nahrung oder Staub zu verwandeln. Doch diese hatten nun das entscheidende Moment auf ihrer Seite. Als sie für die Nacht das Kämpfen einstellten, hatten Dranas Vampire wenig Mühe, die Eldrazi zurückzuhalten.

Die Mittagsstunde des nächsten Tages war gerade erst angebrochen, als sich Stille über die Stadt senkte. Einen Augenblick später brandete Jubel auf und pflanzte sich durch die Truppen fort. Mit klopfendem Herzen signalisierte Gideon, dass er einen Bericht aus der Luft hören wollte.

„Die Kämpfe haben aufgehört, Generalhauptmann Jura“, berichtete der Elf. „Ich sehe keine Eldrazi mehr innerhalb der Stadtmauern.“

Das musste Gideon mit eigenen Augen sehen. „Zur Spitze des Leuchtturms“, sagte er. „Kannst du mich dort hinbringen?“

Der Elf nickte und Gideon kletterte auf den Rücken des fliegenden Rochens, dessen gesamter Leib unablässig leise Wellen schlug. Einen Augenblick später stieg er durch ein Fenster an der Spitze des Leuchtturms und blickte über die Stadt.

Seetor lag in Trümmern. Viele Gebäude bestanden nur noch aus Staub und Schutt, und in den Straßen türmten sich die Leichen der Gefallenen. Der mächtige Damm selbst hatte zwar gehalten, aber hier und da konnte Gideon Flecken fahler Verderbnis an seiner Oberfläche erkennen.

Doch Seetor gehörte ihnen. Die Streitmacht Zendikars hatte es von den Eldrazi zurückerobert. Sie hatten gewonnen.

Eine Signalgeberin gesellte sich an der Spitze des Leuchtturms zu ihm und stieß seine Befehle in ein Horn: Zwei große Gruppen von Kämpfern sollten sich an jedem Ende des Damms aufstellen, kleinere Patrouillen auf der Halimarseite nach Eldrazi Ausschau halten, die aus dem Wasser kamen, und Bogenschützen die Mauer auf der Meerseite besetzen. Sie hatten Seetor zwar erobert, doch nun mussten sie es verteidigen.

Nach und nach scharten sich die anderen Kommandeure um ihn, und schließlich traf auch Nissa ein – und dann Kiora.

„Ich habe da so einige Fragen“, wandte er sich grinsend an die Meerfrau.

„Darauf wette ich“, sagte sie.

Ehe er sie jedoch stellen konnte, hörte er in der Stadt unter sich Rufe. Besorgt, dass die Eldrazi einen neuerlichen Vorstoß gewagt hatten, eilte er zum Fenster.

Eine Meerfrau in weißer Korallenrüstung, die mit ihrer rötlichen Haut kontrastierte, rannte mit großen Schritten auf den Leuchtturm zu.

„Jori En?“, entfuhr es ihm.

Sie rief etwas, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Als sie den Leuchtturm betrat, eilte er ihr entgegen, die Stufen hinunter.

Dann hörte er sie endlich deutlich: „Ulamog!“

Sie trafen in der Mitte der Treppe aufeinander. Vor Anstrengung keuchend wiederholte sie ihre Warnung.

„Ulamog kommt!“


In den nächsten beiden Ausgaben der Uncharted Realms wird es um zwei Charaktere aus Commander (Edition 2015) gehen. Der Kampf um Zendikar geht am 18. November weiter!


Kampf um Zendikar-Storyarchiv

Planeswalker-Profil: Gideon Jura

Planeswalker-Profil: Kiora

Planeswalker-Profil: Nissa Revane

Weltenbeschreibung: Zendikar